Die ersten 100 Tage einer neuen Regierung sind in der Regel etwas Besonderes. Die Regierung geht normalerweise frisch und mit Elan ans Werk und präsentiert erste, ambitionierte Projekte. Bei Schwarz-Rot in Hessen ist das leider anders. Von Frische und Elan kann keine Rede sein. Rückschritte, Selbstgefälligkeit und Ambitionslosigkeit prägen stattdessen das Bild. Dem Anfang der neuen Regierung wohnt kein Zauber inne.
So hat Finanzminister Alexander Lorz gemahnt, dass die goldenen Jahre der Haushaltspolitik vorbei seien. Kultusminister Armin Schwarz hat gesagt: ‚Die Zeiten, in denen es immer mehr Geld, mehr Stellen gab, die sind vorbei‘. Das gilt offenkundig für alle – nur nicht für die Landesregierung selbst. Hier wurde mit der Regierungsbildung aus dem Vollen geschöpft: 2 neue Ministerien, 4 neue Staatssekretärsposten und zahlreiche damit verbundene neue Stellen. Die neue Landesregierung wollte Bürokratie abbauen. Sie tut das genaue Gegenteil.
Die Kosten für diese aufgeblähte Landesregierung werden in die Millionen gehen. Die Ergebnisse sind jedoch bislang im Mikrobereich. Aus mehr Ministerien, Posten und Stellen folgt kein mehr an Politik, wie das vorgelegte „Sofortprogrämmchen“ der Landesregierung zeigt. Die Koalition war mit dem Anspruch angetreten, Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit zu geben. Statt Problemlösungen gab es im so genannten ‚11+1 Sofortprogramm‘ aber lediglich Politik-Häppchen. Nur drei der 12 Projekte sind wirklich neu oder bemerkenswert: Die zusätzliche Deutschstunde in der Grundschule, Bürokratiebefreiung im Ehrenamt und die Geschäftsstelle für den Antisemitismusbeauftragten. Ansonsten setzt die Regierung fort, was wir begonnen haben – immerhin. Oder sie erklärt Klein-Klein zu großer Politik.
Bei der Aufgabenverteilung der Landesregierung findet sich ein krasser Fall von Etikettenschwindel im Wirtschaftsministerium. Mit großem Tam-Tam wurde der Ministeriumsname um den ländlichen Raum erweitert. Wer als Bürger jetzt aber glaubt, hier mit seinen diesbezüglichen Anliegen an der richtigen Adresse zu sein, wird enttäuscht werden. Das Ministerium von Kaweh Mansoori hat exakt keinerlei der Zuständigkeiten für den ländlichen Raum bekommen. Sie liegen vollständig bei Umweltminister Ingmar Jung. Nachdem der SPD noch nicht einmal ein vollständiges Sozialministerium zugetraut wird, hat sie sich auch beim ländlichen Raum von der CDU über den Tisch ziehen und mit einem Etikett abspeisen lassen.
Auch sonst ist mit den neuen Zuständigkeiten Chaos unvermeidlich. Die Aufspaltung des Sozialministeriums ist alles andere als gelungen. Reibungsverluste sind vorherbestimmt. Insbesondere in den Bereichen Vereinbarkeit von Familien und Beruf, Kinderbetreuung, Jugendhilfe und Gewaltschutz ist mal das eine, mal das andere Ministerium zuständig. Dabei wäre gerade hier Unterstützung aus einer Hand besonders wichtig.
Verwunderung herrscht bei uns auch über den Ministerpräsidenten selbst: Dieser beschimpft in einem Fernsehinterview die Wirtschaftsverbände hinsichtlich deren Forderungen beim Wirtschaftschancengesetz und ist mal für und dann wieder gegen eine Reform der Schuldenbremse. Auch hinkt er bei der konkreten Ausgestaltung der von der CDU mit Nachdruck geforderten Bezahlkarte für Geflüchtet hinterher, während die GRÜNE Landtagsfraktion bereits einen detaillierten Vorschlag auf den Tisch gelegt hat. Vorwürfe gegen die Bundesregierung sind ihm hier offenbar wichtiger als konkretes Handeln in Hessen.
Schlechte Nachrichten gleich zu Beginn der Amtszeit der neuen Regierung auch für die Mieterinnen und Mieter: Die Landesregierung will nach Aussagen des zuständigen Wirtschaftsministers Kaweh Mansoori (SPD) den Genehmigungsvorbehalt bei Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen beenden. Das öffnet Luxussanierungen und erheblichen Druck auf die bisherigen Mieterinnen und Mieter wieder Tür und Tor. Dabei hat eine Studie gerade erst bestätigt, dass der Genehmigungsvorbehalt in Frankfurt und anderen Städte erheblich zur Minderung der angespannten Situation auf dem Wohnungsmarkt beigetragen hat.
Verwirrung und Chaos auch in der SPD-Fraktion: Sie weiß beim Ökolandbau nicht, was im Koalitionsvertrag steht und was sie unterschrieben hat. So zitiert sie im Landtag aus dem letzten schwarz-grünen, statt dem aktuellen schwarz-roten Koalitionsvertrag und gibt 25 Prozent Ökolandbau als angebliches Ziel der Koalition aus. Schön wäre es. Das genaue Gegenteil ist leider richtig. Der CDU-Landwirtschaftsminister Ingmar Jung stellt sogar die bisherige Förderung des Ökolandbaus insgesamt in Frage und stoppt zudem die Ausweisung der Naturwaldflächen als Naturschutzgebiete.
Diesem Anfang wohnt wahrlich kein Zauber inne. Am 27. April ist die neue Landesregierung 100 Tage im Amt. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird es bei einem ordentlichen Fehlstart bleiben.