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29.05.2024

Erste Bilanz: 100 Tage CDU-Alleinregierung

100 Tage Show statt Lösungen

Die ersten 100 Tage einer neuen Landesregierung gelten als Schonfrist: Posten müssen mit neuen Personen besetzt werden und diese Personen sich dann wiederum in ihr neues Aufgabengebiet einfinden. Danach wird eine erste Bilanz gezogen. Sie fällt ernüchtern aus. Dem Anfang der schwarz-roten Koalition wohnt kein Zauber inne. Die neue Landesregierung hatte mit viel Tamtam ein sogenanntes Sofortprogramm „11+1“ angekündigt. Leider präsentierten Ministerpräsident Boris Rhein und seine Minister*innen nur Show statt Lösungen. Die SPD ist in der Regierungsarbeit kaum erkennbar. Die CDU macht weitgehend, was sie will. Was sie macht, geht allerdings an den eigentlichen Problemen unseres Landes vorbei. Hessen hat seit 100 Tagen faktisch eine CDU-Alleinregierung.

Landesregierung scheitert an ihren eigenen Ansprüchen

Eine „Rückkehr zur Realpolitik“ war von der CDU angekündigt worden. Das allein war schon absurd. Denn die CDU ist ja nicht neu an der Macht, sondern regiert Hessen seit 25 Jahren. Der schnelle Spruch war einmal mehr wichtiger als die Sache. In den ersten 100 Tagen lieferte die Koalition aber alles andere als Lösungen für die realen Probleme in Hessen. So fällt vor allem auf, wozu nichts getan wurde:

  • Keine Initiativen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels: Dabei braucht es hier dringend Impulse für die Wirtschaft und auch für die öffentliche Hand, um genügend Personal für die zu erledigenden Aufgaben zu haben.
  • Kein Plan zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Grundschulkinderbetreuung: Schon im übernächsten Schuljahr muss das Gesetz auch in Hessen umgesetzt werden. Ein konkreter Plan hätte in ein 100-Tage-Programm gehört. Stattdessen widmete der Kultusminister seine volle Aufmerksamkeit dem Gender-Verbot. Eindeutig die falsche Prioritätensetzung.
  • Kein sozialpolitisches Projekt – zwei Sozialministerinnen, aber weniger Sozialpolitik: Aus einer Sozialministerin wurden zwei, aus einer Staatsekretärin gleich drei. Statt mehr Sozialpolitik gab es aber weniger. Kein einziges Projekt zum sozialen Zusammenhalt hat es in das Sofortprogramm der Landesregierung geschafft.
  • Kein Bürokratie-Abbau sondern zusätzliche Posten und das Bürokratiemonster Hessengeld: Neben den zwei Sozialministerin hat die Regierung auch sonst mit zahlreichen zusätzlichen Posten Bürokratie auf- statt abgebaut. Das CDU-Wahlversprechen Hessengeld droht durch die Streckung über zehn Jahre zu einem Bürokratiemonster mit hohen Kosten und geringem Effekt zu werden. Wir GRÜNE haben mit der Zinsbremse eine bessere Alternative vorgelegt.
  • Keine Unterstützung für Wirtschaft und Kommunen bei der Transformation: Der Wandel hin zu einem klimaneutralen Land ist eine der zentralen Heraus-forderungen für unser Land. Andere Bundesländern investieren hier gigantische Summen – von der Landesregierung kam zu diesem Thema bislang nichts.
  • Kein Klimaschutz – ein Umweltminister, der keiner sein will: Buchstäblich die ganze Welt redet über Klimaschutz. Die Landesregierung streicht den Klimaschutz aus der Bezeichnung der Ministerien. Die ersten 100 Tage zeigen: diese Streichung ist Programm. Für Klima-, Umwelt- und Naturschutz ist von dieser Regierung nichts zu erwarten.
  • Keine verlässliche Perspektive für die Hochschulen: Forschung und Innovation sind wesentliche Grundlagen für unsere Gesellschaft und unseren Wohlstand. Bislang konnten sich die Hochschulen auf eine 4-prozentige Steigerung ihrer Mittel verlassen. Von der Landesregierung fehlt weithin jegliche Aussage, wie es mit dem Hochschulpakt weitergeht.

Boris Rhein und Kaweh Mansoori populistischer als Markus Söder und Hubert Aiwanger

Die CDU hatte außerdem angekündigt, „keine schrillen Debatten“ mehr führen zu wollen. Auch das war nach 25-jähriger Regierungstätigkeit eine bemerkenswerte Aussage. Auch hier wurde das genaue Gegenteil getan. Denn von den ersten 100 Tage der Regierung ist vor allem das schrille Gender-Verbot der Landesregierung aufgefallen. Selbst in Bayern geht es in dieser Frage an den Schulen liberaler zu als in Hessen. Dort gilt: Wer gendern will, kann es tun. Wer es nicht will, kann es lassen. Leben und leben lassen. So ist es richtig. Auf die Idee, Schüler*innen dafür zu bestrafen, dass sie bewusst und nicht etwa, weil sie es nicht besser wüssten, eine Schreibweise wählen, zeigt wie schrill die Landesregierung unterwegs ist. Wir hätten es nicht für möglich gehalten, dass Boris Rhein und Kaweh Mansoori populistischer sind als Markus Söder und Hubert Aiwanger.

Sofortprogramm „11+1“: Eine ambitionslose Politik ist möglich aber sinnlos

Die CDU-geführte Koalition feiert sich selbst für ihr Sofortprogramm „11+1“. Normalerweise sagt man bei neuen Regierung: sie wächst an ihren Aufgaben. Für diese Landesregierung gilt: sie senkt ihre Ambitionen. Das „11+1“-Programm geht an den beschriebenen eigentlichen Herausforderungen für Hessen vorbei. Es liefert Polit-Häppchen statt Problemlösungen, Show statt Realpolitik. Eine ambitionslose Politik ist möglich, aber sinnlos. Einige Beispiele:

  • Kostenloser Meister: Ein leicht zu erreichendes Ziel. Denn bereits die vorherige Landesregierung hatte die Umsetzung beschlossen.
  • Zusätzliche Deutschstunde in der Grundschule: Für die zusätzliche Deutschstunde den Englischunterricht zu kürzen, ist der falsche Weg. Das ist Mangelverwaltung, aber keine Schwerpunktsetzung.
  • Hessengeld – vom großen Wahlversprechen bleibt ein mickriger Betrag: „Grunderwerbssteuer geht aufs Haus“ hatte die CDU plakatiert. Von einer Streckung über 10 Jahre war nie die Rede. Am Ende erhält ein Paar im Jahr des Kaufs einer Immobilie maximal 2.000 Euro. Deshalb wird sich niemand für oder gegen den Kauf entscheiden.
  • Innenstadtoffensive: Mehr Sicherheit in den Innenstädten ist gut. Polizeirazzien zum Medienevent mit Ministerbegleitung zu machen, ist dafür aber zu wenig.
  • Glasfaser für alle oder ewig grüßt das Digitalministerium: Die bisherigen Ankündigungen der Digitalministerin wurden durch neue Ankündigungen erweitert. Geändert hat sich insbesondere im ländlichen Raum nichts.
  • Demokratieforschung: Eine neue Professur und ein „Konzeptionsprozess“ sind schnell angekündigt. Wirklich helfen würde ein Demokratiefördergesetz, mit dem die vorhandenen und künftigen Aktivitäten zur Demokratieförderung auch finanziell einen verlässlichen Rahmen bekommen.
  • PivA-Stellen: Im aktuellen Ausbildungsjahr werden 1.000 Stellen für die bezahlte Erzieherausbildung vom Land gefördert. Auch im nächsten Ausbildungsjahr soll es dabeibleiben. Das ist gut, aber angesichts des Fachkräftemangels viel zu wenig.

GRÜNE sind in der Opposition angekommen

Die CDU-Alleinregierung hat es uns sehr leicht gemacht, in der Opposition anzukommen. Denn eine solche Politik wäre in der Tat mit uns nicht zu machen gewesen. Es ist überraschend, was die SPD alles mit sich machen lässt. Die Kräfteverhältnisse zwischen den Koalitionspartner taugen nicht als Ausrede. Als wir GRÜNE 2013 erstmals mit der CDU koaliert haben, hatten die CDU 38,3% und wir 11,1%. Dennoch war eine klare Handschrift beider Koalitionspartner erkennbar. Heute hat die CDU 34,6% und die SPD 15,1% – und eine Handschrift der SPD ist nirgends zu erkennen.

Wir haben unsere neue Rolle als Opposition angenommen: kritisch, konstruktiv und munter. Wer gehofft hatte, wir würden alten Zeiten oder verflossenen Regierungspartner nachtrauern, den müssen wir enttäuschen. Wir stellen uns dem Wettbewerb um die besten Konzepte für Hessen.