Inhalt

15.12.2023

Eine Politik ohne konkrete Ziele ist möglich, aber sinnlos

Fast 200 Seiten Koalitionsvertrag

Nach der mühsamen Lektüre des gesamten Koalitionsvertrags können wir eine erste Bewertung vornehmen. Das Konkreteste in diesem Koalitionsvertrag sind die Seitenzahlen. Es ist schon sehr erstaunlich, wie man es trotz rund 200 Seiten schafft, nahezu nichts Verbindliches zu sagen. Da wird geprüft, evaluiert und nachgedacht, was das Zeug hält. Aber wirklich zugesagt wird den Bürgerinnen und Bürgern nahezu nichts. Es mag ja sein, dass wir GRÜNEN manchmal zu detailverliebt sind, aber der vollständige Verzicht auf konkrete Aussagen ist auch keine Lösung. Wer keine Ziele hat, kann auch keine erreichen.

Koalition der Vergangenheitsbewahrer und Zukunftsverweigerer

Statt klarer Ziele findet sich im Vertrag tief schwarze Prosa. Die CDU fällt zurück in eine Zeit vor Volker Bouffier und Angela Merkel. Das löst bei manchen nostalgische Gefühle und Begeisterungsstürme aus, mit der Vielfalt der gesellschaftlichen Realität von heute hat das wenig zu tun. Der angeblich neue Konsens zwischen CDU und SPD ist ein Konsens der Vergangenheit. Es hat sich eine Koalition aus Vergangenheitsbewahrern und Zukunftsverweigerern zusammengefunden. Die CDU wollte diese andere Politik. Die SPD hat sich dafür hergegeben. Herausgekommen ist eine christlich-soziale Union oder anders ausgedrückt: Es regiert künftig die Hessen-CSU.

Bürokratieabbau beginnt mit gleich zwei neuen Ministerien

Die Koalition hat sich den Bürokratieabbau auf die Fahnen geschrieben. Erstmal wird aber neue Bürokratie aufgebaut und werden gleich zwei neue Ministerien geschaffen. Die Digitalministerin war bislang mehr oder weniger eine Abteilung der Staatskanzlei. Künftig gibt es ein eigenständiges Ministerium mit all dem Overhead und der Bürokratie, die dafür notwendig ist. Völlig neu ist, dass es künftig gleich zwei Sozialministerien geben wird: eines für die Schwarzen und eines für die Roten. So war das mit dem One-in-two-out-Prinzip beim Bürokratieabbau sicher nicht gemeint. Für die SOZIALdemokratische Partei ist es eine Demütigung, dass ihr noch nicht einmal ein vollständiges Sozialministerium zugetraut wird.

Koalition kündigt größtes Kürzungsprogramm seit dem Kahlschlag von Roland Koch an

Im Kapitel Finanzen des Vertrags wird es auf einmal überraschend konkret. Zitat: „Aus diesem Grund wird die gesamte Aufgaben-, Ausgaben- und Einnahmenstruktur einschließlich der Standardvorgaben des Landes mit Blick auf die Kernaufgaben des Staates, den rechtlichen Bindungsgrad, die politische Bedeutung einer Maßnahme, den Nutzen für Bürgerinnen und Bürger, den Mehrwert für die staatliche Verwaltung und mögliche Umsetzungsrisiken einer ergebnisoffenen Prüfung unterzogen“. Auf Deutsch bedeutet das: Sämtliche Ausgaben stehen auf dem Prüfstand, überall kann und wird gekürzt werden. Das ist somit die Ankündigung von drastischen Einschnitten bei den Leistungen des Landes. Mit ähnlichen Worten hat vor gut 20 Jahren Roland Koch den Kahlschlag in der sozialen und öffentlichen Infrastruktur begonnen. Damals haben das SPD und GRÜNE gemeinsam „Operation düstere Zukunft“ genannt, heute ist die SPD voll dabei.

Kiffen in der öffentlichen Verwaltung oder was haben die Koalitionäre eigentlich geraucht?

Im Abschnitt über das Berufsbeamtentum fragt man sich, was die Koalitionäre während der Verhandlungen geraucht haben. Zitat: „Für die Legalisierung von Cannabis müssen wir klare Regelungen für den Dienstbetrieb finden.“ Was dürfen wir hier erwarten? Hasch-Räume in allen Ministerien? Kiffen während der Dienstzeit? Wir glauben, die Menschen in der Landesverwaltung beschäftigen ganz andere Probleme.

Keine Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit

Auch sonst gibt der Vertrag entgegen der Ankündigung der Koalitionäre keine Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit. Einige Beispiele:

  • Transformation der Wirtschaft: Die Unterstützung unserer Wirtschaft bei der Bewältigung des Wandels hin zur Klimaneutralität ist die zentrale Herausforderung für den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Hessen. Andere Bundesländer legen hier riesige Förderprogramme auf. Bei der christlich-sozialen Koalition ist der von der SPD groß angekündigte Transformationsfonds im Koalitionsvertrag bis zur Unkenntlichkeit klein gekocht und soll jetzt alles Mögliche fördern – von „strategischer Resilienz“ bis hin zum „demografischen Wandel“.
  • Soziales: Der Schutz und die verlässliche Finanzierung eines stabilen soziales Netzes ist gerade in Zeiten mit vielen Unsicherheiten wichtiger denn je. Mit Eintritt der SPD in die Landesregierung steht allerdings auch das Sozialbudget unter Finanzierungsvorbehalt. Bislang galt immer, dass das Sozialbudget für die gesamte Wahlperiode von Kürzungen ausgenommen ist. Diese Passage sucht man jetzt vergebens.
  • Wohnen: Mehr günstiger und bezahlbarer Wohnraum wird gerade in den Ballungsräumen dringend gebraucht. Ein Instrument dafür ist, dass Kommunen in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen untersagen können. Diese Möglichkeit will die Koalition abschaffen.
  • Kitas: Viel zu oft finden Eltern für ihre Kinder gar keinen passenden Betreuungsplatz, oder reichen die Öffnungszeiten der Kita nicht aus, um Familie und Beruf tatsächlich zu vereinbaren. Das Problem wird im Koalitionsvertrag benannt. Die Lösung lautet: Schauen wir mal, dann sehen wir schon. Keine konkreten Ausbauziele, keine Zusagen für verlässliche Öffnungszeiten, einfach nichts.
  • Schule: Die Ergebnisse der PISA-Studie sind schlecht wie nie. Ein ambitioniertes bildungspolitisches Programm wäre notwendig. Stattdessen teilte das Kultusministerium dieser Tage mit, die Ergebnisse seien keine Überraschung und damit begnügt man sich dann auch im Koalitionsvertrag. Der ab 2026 geltende Rechtsanspruch auf Betreuung für Grundschulkinder soll umgesetzt werden. Weniger ist bei einem Rechtsanspruch auch nicht möglich. Notwendig wäre es gewesen, den Rechtsanspruch für einen pädagogischen Aufbruch an unseren Grundschulen zu nutzen. Denn es kann nicht sein, dass jedes vierte Kind am Ende der Klasse 4 noch nicht einmal richtig rechnen, schreiben und lesen kann.
  • Hochschule: In den vergangenen Jahren konnten sich die Hochschulen auf eine kontinuierliche jährliche Erhöhung der Landesfinanzierung verlassen. Das war ein bundesweit beachteter Meilenstein für die Förderung von Forschung und Lehre. Im neuen Koalitionsvertrag wird das kassiert und durch Unverbindlichkeiten ersetzt.
  • Gleichberechtigung der Geschlechter – auch im Kabinett?: Zwar ist Gleichberechtigung für die Koalition angeblich eine „Selbstverständlichkeit“, bei konkreten Maßnahmen oder Zielen gilt allerdings auch hier: Fehlanzeige. Ein lapidares „wir setzen uns dafür ein, den Anteil von Frauen in Führungspositionen der Landesverwaltung zu erhöhen“ hat noch nie etwas geändert. Wir sind sehr gespannt, ob zumindest in der Landesregierung Frauen und Männer gleichberechtigt vertreten sein werden.
  • Kein Klimaministerium: In der gleichen Woche in der sich alle Staaten der Welt bei der Weltklimakonferenz auf mehr Klimaschutz verständigen haben, darf bei Schwarz-Rot Klima nicht einmal mehr im Namen eines Ministeriums vorkommen. Das ist hochgradig ideologiegetriebene Politik. Statt Klimaschutz wurde jetzt unter anderem Weinbau in den Titel des Ministeriums aufgenommen. Ich trinke auch gerne einen schönen Wein aus Hessen. Nur ohne Klimaschutz wird auch der hessische Wein große Probleme bekommen.

Und noch was Skurriles zum Schluss

Die Koalition bleibt im Bildungskapitel zwar jegliche konkrete Aussage beispielsweise zur Anzahl neuer Lehrerstellen oder zur Ausweitung der Schulsozialarbeit schuldig. Aber eines weiß sie ganz genau. Zitat: „Wir werden ein Blockflötenprojekt mit Schulanfängerinnen und Schulanfängern starten, bei dem die Grundschülerinnen und Grundschüler eine Blockflöte und die Lehrkräfte passendes Unterrichtsmaterial erhalten.“ Es gab in der Vergangenheit ganze Generationen von Kindern, denen durch solche Maßnahmen die Freude am Musizieren nachhaltig und dauerhaft vergällt wurde. Es gibt sicher bessere Maßnahmen, um allen Kindern die Freude am Musizieren und am Erlernen eines Instrumentes zu ermöglichen.“