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26.03.2015
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Proteste anlässlich der EZB-Eröffnung

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass es eigentlich nicht angemessen ist, aus den beiden Sachverhalten, nämlich den Ereignissen am letzten Mittwoch in Frankfurt, also die gewalttätigen Ausschreitungen, die wir dort erleben mussten und die wirtschaftspolitische Situation in der Eurozone, parteipolitische Nummern zu machen, wenn ich das einmal so ausdrücken darf. Ich glaube, dass wir gut beraten wären, uns sowohl mit der Frage zu beschäftigen, was vor einer Woche in Frankfurt geschehen ist, als auch mit der Frage, wie Europa eigentlich aus der Krise kommt, in der es zweifellos ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich bin mir sehr sicher – da kenne ich die Linksfraktion gut genug –, dass von ihrer Seite als Reaktion auf diese Debatte wieder gesagt wird, das sei ein Ablenkungsmanöver, wenn man über das redet, was vor einer Woche passiert ist, weil man nicht über die Wirtschaftspolitik in Europa reden möchte.

Ich will Ihnen ausdrücklich sagen: Da hat Gernot Grumbach völlig recht. Sie müssen es sich selbst zuschreiben, dass vor allem über die Ausschreitungen geredet wird, weil sie, liebe Kollegen von der Linksfraktion, eben die glasklare Trennlinie zu den Gewalttätern nicht gezogen haben.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ein paar Tage vor dem 18. März habe ich auf Twitter ein Plakat gesehen, das aus dem Blockupy-Bündnis kam, auf dem Rauchwolken über einer Stadt zu sehen waren, und darüber stand: Am Ende entscheidet die Straße.

Ich will Ihnen sagen: Genau das nicht.

(Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Genau das ist das Problem: In diesem Blockupy-Bündnis sind Leute, die ganz offensichtlich Gewalt anwenden, die das für ein legitimes Mittel der Politik halten, die auch nicht davor zurückschrecken, Personen anzugreifen, die die EZB und auch die sie schützenden Polizisten zur Bestie erklären – und dann sagen, es sei alles erlaubt, um gegen die vorzugehen.

Solange Sie zu denen keine klare Trennlinie ziehen, solange werden wir eben nicht nur über wirtschaftspolitische Fragen reden können, sondern darüber reden müssen, was teilweise von den Leuten, mit denen Sie gemeinsam im Blockupy-Bündnis unterwegs waren, gemacht wurde. Das aber müssen Sie sich zuschreiben – dass wir diese Debatte jetzt so führen, wie wir sie führen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will hinzufügen, ich mache mir schon sehr lange Gedanken darüber, wie wir eigentlich aus der europäischen Krise herauskommen. Aber ich habe es noch nie verstanden, wie es eigentlich den Menschen in den Krisenländern nützen soll, wenn man Autos anzündet und Menschen angreift. Das habe ich noch nie verstanden.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Denn das lenkt die Aufmerksamkeit genau auf die Ausschreitungen, und es lenkt die Debatte weg von den berechtigten Fragen an eine Veränderung europäischer Krisenpolitik.

Wenn man sich einmal die Anträge anschaut, die die Linksfraktion hier eingebracht hat, sieht man: Da hat sich etwas verändert. Erstens ist ein Absatz eingefügt worden, in dem man sich von der Gewalt distanziert. Man hat aber auch den letzten Absatz verändert. Das steht jetzt:

Die friedliche Kundgebung und Demonstration … am Nachmittag … waren eine wichtige Gelegenheit …

Vorher aber, einen Tag vor dem 18. März eingebracht, hieß es:

Die Aktionen gegen die EZB-Eröffnungsfeier in Frankfurt waren eine wichtige Gelegenheit …

Da steht nicht „die Proteste, die Demonstrationen“, sondern „die Aktionen“. Das haben Sie einen Tag vorher eingebracht, und das genau ist Ihr Problem, Frau Wissler.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will ausdrücklich sagen: Wir sind froh, dass die EZB ihren Sitz in Frankfurt hat. Die EZB ist und bleibt in Hessen willkommen.

Ich will hinzufügen, es ist seit der ersten Entscheidung zur EZB-Ansiedlung noch etwas Weiteres passiert, es ist nämlich die Europäische Bankenaufsicht hinzugekommen,

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

die die Aufsicht über die 120 größten Banken in der Eurozone führt. Genau das haben wir doch immer gefordert: dass es eine ordentliche Aufsicht über die großen Banken gibt, damit die Krisenursachen angegangen werden können.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt nicht, dass wir alles, was die EZB tut oder nicht tut – Beispiel: Beteiligung der regionalen Presse an der Einweihungsfeier – immer 100-prozentig gut finden müssen. Aber für den Finanz- und Wirtschaftsstandort Frankfurt ist die Errichtung der EZB und der anderen damit verbundenen Institutionen in vielerlei Hinsicht eine gute Nachricht – übrigens auch deswegen, weil wir da miteinander über die richtigen Maßnahmen und den richtigen Weg aus der Krise in der Eurozone ins Gespräch kommen können.

Ich will dazu sagen: Aus der Sicht der LINKEN ist quasi alles falsch, was Europa in den letzten fünf Jahren gemacht hat. Dem will ich ausdrücklich widersprechen. Es war richtig, eine Europäische Bankenaufsicht zu installieren.

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Es war richtig, gegen die Blasenbildung im Immobilien- und Bankensektor vorzugehen. Es ist auch richtig, gegen übermäßige Verschuldung von Staaten vorzugehen, denn genau diese übermäßige Verschuldung ermöglicht es erst, dass die „anonymen Märkte“ anfangen, gegen die Staaten zu spekulieren. Wenn Griechenland nicht im Jahr 2009 ein Haushaltsdefizit von über 10 % des Bruttoinlandsprodukts gehabt hätte, dann wäre es gar nicht möglich gewesen, mit der Spekulation gegen den Euro anzufangen. Deswegen ist das ausdrücklich richtig.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich ist es auch richtig, dass sowohl die europäische Politik als auch die EZB sowohl die Interessen und die Rechte der Steuerzahler in den finanziell starken Ländern wahrnimmt, wie sie auch die der Bevölkerung in den Krisenländern im Auge behalten muss. Das ist auch so.

Ich möchte hinzufügen: Im Nachhinein gesehen gibt es natürlich auch Fehlentscheidungen, die da getroffen wurden. Ich will es ausdrücklich sagen: Ich persönlich habe es noch nie verstanden, wieso ein Land wettbewerbsfähiger werden soll, wenn drastische Einschnitte im Gesundheitssektor zu einem deutlichen Anstieg der Säuglingssterblichkeit führen – wie in Griechenland geschehen.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Das heißt z. B., dass scharfe Einschnitte im öffentlichen Gesundheitswesen sicherlich nicht zu den klügsten Entscheidungen der Institutionen, der Troika gehört haben.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, was in den letzten fünf Jahren an manchen Punkten auch falsch gelaufen ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, darüber würde ich gerne diskutieren. Aber ich werde nicht darüber diskutieren und darüber auch keine öffentliche Debatte beginnen können, wenn ich in Frankfurt solche Bilder provoziere, wie sie am vorletzten Mittwoch produziert worden sind.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Der Kollege Grumbach hat die Studie schon zitiert. Er hat nicht gesagt, von wem sie ist. Sie ist von der Hans-Böckler-Stiftung. Aber es ist so: Wenn das Bruttoeinkommen privater Haushalte um ein knappes Viertel sinkt, allerdings die ärmsten Haushalte 86 Prozent ihres Einkommens verlieren, die reichsten hingegen nur 17 Prozent, dann darf man sich nicht wundern, wenn eine Debatte über die soziale Schieflage solcher Sparmaßnahmen entsteht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt aber stelle ich Ihnen die Frage: Ist die EZB eigentlich der richtige Gegner?

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Ist die EZB im März 2015 eigentlich der richtige Gegner bei diesem Thema?

Zuallererst einmal stelle ich fest: Wie schon der Name sagt, ist das eigentlich nur eine Zentralbank.

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Was ist die Aufgabe von Zentralbanken? Währungen zu schaffen und ihren Wert zu wahren.

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Das ist ihre Aufgabe. Zum Stichwort Kapitalismus nur so viel: Selbst Nordkorea hat eine Zentralbank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Heiterkeit des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dort ist das Geld zwar nichts wert, aber es gibt kein System mehr, in dem die Menschen nur noch Naturalien gegeneinander tauschen und in dem es keine Währung gibt. Deswegen braucht jedes System eine Zentralbank.

(Heiterkeit des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Ein zweiter Punkt. Alle Rettungsprogramme, für die jetzt die EZB zum Symbol gemacht wird, sind von der EU-Kommission, vom Internationalen Währungsfonds und vom Rat der EU beschlossen worden, d. h. auch von nationalen Regierungen. Deswegen stelle ich Ihnen einmal die Frage: Ist die EZB eigentlich der richtige Gegner?

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Gegenteil, die EZB – im Übrigen wird das auch von einer ganz anderen Seite kritisiert – tut seit einigen Jahren alles dafür, den Euro zu schützen, und das teilweise auch mit Maßnahmen, die wieder von der anderen Seite kritisiert werden, Stichwort „Wie ist eigentlich das Zinsniveau? Was macht das eigentlich mit dem Geld der Sparer in den eher wohlhabenden Ländern?“ Daher nochmals die Frage: Ist denn eigentlich, selbst aus Sicht der Linksfraktion, die EZB der richtige Gegner?

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

An diesem Punkt will ich sagen – Herr Tsipras ist bereits zitiert worden, und zwar zurecht. Herr Tsipras hat einen sehr guten Satz gesagt, eigentlich der beste Satz, den ich von ihm je gehört habe, am letzten Montag in Berlin. Er hat gesagt: Weder sind die Griechen Faulenzer, noch sind die Deutschen schuld an den Übeln und den Missständen in Griechenland. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, so ist es.

Jetzt muss man doch einmal sagen: In Griechenland wurden sehr viele Reformvorschläge in Bezug Verwaltung und Steuererhebung nur mangelhaft umgesetzt. Bisher wurden reiche Griechen von allen Regierungen ganz offensichtlich verschont.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist aber kein Problem der EZB. In diesem Zusammenhang will ich auch sagen, an diesem Punkt übrigens Widerspruch zu Gernot Grumbach: Ja, es stimmt, noch nie in der Geschichte wurde ein Haushalt saniert, wenn es pro Jahr ein Minus von 5 % an Wirtschaftsleistung gab, was wir jetzt fünf Jahre hintereinander erlebt haben, und man dann immer weiter hinterhergespart hat. Dass das am Ende nicht zu einem Sinken der Schuldenquote führt, ist eigentlich selbsterklärend. Das ist so.

Auf der anderen Seite ist auch wahr: Es gab Investitionsprogramme, es gab von der Europäischen Investitionsbank Geld, das bereitgestellt wurde, um in Griechenland zu investieren. Der griechische Staat war aber nicht in der Lage, diese Mittel umzusetzen. Insofern gehört zur Wahrheit: Es braucht Strukturreformen in Griechenland, damit dieses Land wieder aus der Krise kommt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Man kann die Krise nicht wegsparen. Strukturreformen müssen auf jeden Fall sein.

Vizepräsident Wolfgang Greilich:

Herr Minister, ich darf Sie auf die Fraktionsredezeit hinweisen.

Tarek Al-Wazir:

Ich will es einmal so sagen: Die Entstehung der Krise wurde auch dadurch begünstigt, dass es in der Eurozone zwar eine einheitliche Geldpolitik gibt, die Arbeitsmarkt-, die Finanz- und die Steuerpolitik weiterhin aber weitgehend in der Kompetenz der Nationalstaaten liegen. Daher müssen wir darüber diskutieren, wie wir dafür sorgen können, dass sich so etwas nicht wiederholt und wir aus der Krise herauskommen.

Angesichts dieses Problems ist die EZB seit Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise in die Rolle des faktisch einzig handlungsfähigen Akteurs gekommen, in die sie eigentlich nicht gehört. Sie kennen die berühmte Ankündigung von Herrn Präsidenten Draghi, er werde „what ever it takes“ tun, um den Euro zu verteidigen. Damit sind auch die unter anderem in Deutschland umstrittenen Anleihekäufe gemeint.

An der Stelle muss man auch sagen: Die Niedrigzinspolitik verlangt am Ende auch den Sparern in den finanzstarken Ländern einiges ab. Das ist übrigens ein Teil der Solidarität, die von Ihnen eingefordert wird. Aber noch einmal die Frage: Ist an diesem Punkt die EZB – auch aus der Sicht der Linkspartei – der richtige Gegner? – Ich glaube, nicht. Sie sehen, wie so oft im Leben ist die Wirklichkeit vielschichtiger, als man manchmal denkt. Die Entscheidungen einzelner Institutionen sind ambivalenter, als es allzu schlichte Schuldzuweisungen wahrhaben wollen.

Ich will ausdrücklich sagen: Wir müssen drei Punkte berücksichtigen. Wir brauchen erstens eine Haushaltskonsolidierung. Dazu gehört auch, dass man in guten Zeiten nicht weiterhin Schulden macht. Sie von den LINKEN sind ja auch gegen die von uns beschlossene Schuldenbremse. Da muss ich Sie ausdrücklich fragen: Wer leiht denn den Staaten das Geld? – Es sind doch nicht die armen Leute, denen wir Zinsen zahlen, liebe Frau Wissler.

(Zurufe der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Zweitens gehört dazu die Durchführung von Strukturreformen, damit man überhaupt die Steuern erheben kann – und zwar von allen! –, die zur Einnahmeverbesserung nötig sind. Das sage ich ganz ausdrücklich. Drittens gehört dazu die Setzung von Entwicklungs- und Wachstumsimpulsen in den Krisenländern.

Wir begrüßen grundsätzlich das sogenannte Juncker-Paket mit dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen. Jetzt kommt es allerdings auch darauf an, die Strukturen zu schaffen, die es ermöglichen, diese Entwicklungs- und Wachstumsimpulse in den Krisenländern nicht nur theoretisch zu fordern, sondern auch praktisch umzusetzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Mit einfachen Wahrheiten und schlichten Schuldzuweisungen werden wir diese Krise nicht überwinden können – weder mit einseitigen Schuldzuweisungen an die EZB noch mit dem Märchen, die manche Boulevardmedien über das angebliche Rentnerparadies Griechenland erzählen. Wir alle sind Teil der Eurozone. Umgangssprachlich ausgedrückt: Wir hängen da alle gemeinsam drin. – Ich finde allerdings, die Aussage „Wir hängen da alle gemeinsam drin“ ist ein weitaus besseres Prinzip als „Du bist auf dich allein gestellt“. In diesem Sinne sollten wir überlegen, wie Europa aus der Krise herauskommt und ob die EZB eigentlich der richtige Gegner ist. Aber eines ist sicher: Mit dem, was am vorletzten Mittwoch in Frankfurt passiert ist, kommen wir nirgendwohin.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Am Ende lautet die Frage, die sich alle in diesem Parlament stellen müssen: Wie führen wir die wirtschaftspolitischen Debatten richtig, wie sorgen wir dafür, dass wir alle auf diesem Weg mitnehmen, und wie ziehen wir eine glasklare Trennlinie zu gewalttätigen Aktionen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vizepräsident Wolfgang Greilich:

Vielen Dank, Herr Minister.

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