Rechtsextreme Strukturen in der Polizei und Gesellschaft zerschlagen
In den letzten Wochen sind immer mehr Details über die Drohbriefe des selbsternannten „NSU 2.0“ ans Licht gekommen. Anfang September wurde bekannt, dass der „NSU 2.0“ die neue Wohnanschrift der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz verwendet, die für die Öffentlichkeit gesperrt ist. Insgesamt gingen bundesweit rund einhundert Drohbriefe an Politiker*innen, Anwält*innen, Journalist*innen, Kabarettist*innen, weitere Personen und Organisationen, die sich in verschiedenen Kontexten bereits gegen Rechtsextremismus eingesetzt haben. Dass die Drohbriefe vor allem an Frauen* gingen, deckt sich mit den Erkenntnissen von Forscher*innen, die Antifeminismus als elementaren Teil von rechtsextremistischem Gedankengut ausgemacht haben. Bei der Versendung der Drohbriefe wurden in drei Fällen in Hessen missbräuchlich abgefragte Daten aus Polizeicomputern in Wiesbaden und Frankfurt verwendet. Seit 2 Jahren dauern nun die Ermittlungen schon an, mittlerweile laufen 25 Ermittlungsverfahren. Neben der illegalen Abfrage von Polizeicomputern in Bezug auf rechtsextreme Drohschreiben werden auch in anderen Bundesländern immer wieder neue WhatsApp-Gruppen öffentlich, in denen Polizist*innen rechtsextremistische und rassistische Inhalte austauschen.
Erste Ermittlungen haben den Schluss nahegelegt, dass die Reduzierung auf Einzelfälle der Komplexität des Sachverhaltes nicht gerecht wird. Der Verdacht auf ein bundesweites Netzwerk von rechtsextremistischen Polizist*innen und Unterstützer*innen steht im Raum. Es wird versucht, insbesondere Frauen* des öffentlichen Lebens gezielt einzuschüchtern und damit zum Schweigen zu bringen. Das lassen wir nicht zu! Die Betroffenen müssen umfassende Schutzmaßnahmen bekommen, bevor die Akteur*innen die Möglichkeit haben, den Drohungen Taten folgen zu lassen.
Gerade wenn Sicherheitsbehörden an extrem rechten Strukturen beteiligt sind, muss umfassend und unverzüglich dafür Sorge getragen werden, dass schonungslos aufgeklärt wird und dass die handelnden Akteur*innen nicht die Möglichkeit bekommen, ihre Taten fortzusetzen. Extrem rechte Strukturen in Sicherheitsbehörden müssen sowohl in Hessen, als auch in ganz Deutschland vollständig zerschlagen werden. Wir begrüßen den im Juli beschlossenen Maßnahmenkatalog zur hessischen Polizei. Die Verbesserung der Datensicherheit und insbesondere die Schaffung des Amtes des*der Bürger- und Polizeibeauftragen sowie die Einsetzung einer Expertenkommission zur Weiterentwicklung des Leitbildes für die hessische Polizei und zur Evaluierung bisheriger und zukünftiger Maßnahmen sind wichtige Schritte zur Wiederherstellung des Vertrauens in die Sicherheitsbehörden.
Darüber hinaus stellen wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen fest:
- Wir benötigen eine Versachlichung der Debatte durch Wissenschaft! Wir brauchen regelmäßige wissenschaftliche Studien zum Arbeitsumfeld sowie zu politischen Einstellungen und Rechtsextremismus in der Polizei, dem Verfassungsschutz und der Bundeswehr. Nach der ersten Hessischen Studie setzen wir uns nun für deren Weiterentwicklung und bundesweit vergleichbare Standards ein.
- Wir müssen zivilgesellschaftliches Engagement gegen rechte Gewalt stärken! Aussteiger*innenprogramme für Neonazis, antifaschistische Dokumentations- und Rechercheprojekte, Initiativen und gemeinnützige Stiftungen sowie Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt werden vom Land Hessen weiterhin dauerhaft und umfassend finanziell gefördert. Dabei streben wir perspektivisch eine höhere Finanzierung von demokratiefördernden Initiativen sowie ein Demokratiefördergesetz an.
- Wir müssen Problemreviere besonders unter die Lupe nehmen! Wenn Probleme in einzelnen Einheiten oder Dienststellen besonders gehäuft auftreten, müssen unter Anderem durch Auflösung von Dienstgruppen strukturelle Konsequenzen folgen. Darüber hinaus möchten wir weitere Stellen schaffen, um Disziplinarverfahren noch konsequenter und schneller zu führen, um sicherzustellen, dass jedem Verdacht von menschenfeindlichen Ideologien im Polizeidienst nachgegangen werden kann und konsequent verfolgt wird. Jedoch können dienstrechtliche Maßnahmen nicht die Strafgerichtsbarkeit ersetzen. Deswegen ist für uns klar, dass es notwendig ist, extrem rechte Straftaten innerhalb der Polizei zu ermitteln und die Täter*innen vor Gericht zu bringen.
- Wir müssen Fehlerkultur fördern! Wie schon im Abschlussbericht des NSU Untersuchungsausschusses des Hessischen Landtages gefordert, muss die Fehlerkultur in der Polizei und in allen Sicherheitsbehörden ausgebaut werden. Die Umsetzung der Handlungsempfehlungen ist ein guter Anfang. Korpsgeist darf einer Aufarbeitung von Missständen nicht im Weg stehen. Die Einsatznachbereitung und Reflektion des polizeilichen Handelns müssen sich wandeln, Whistleblower*innen in der Polizei dürfen keine Nachteile durch ihr Handeln erfahren.
- Wir müssen antirassistische Kompetenzen ausbauen! In der polizeilichen Aus-, Fort- und Weiterbildung müssen die Inhalte zu Anti-Rassismus und gesellschaftlicher Vielfalt für alle Beamt*innen weiter ausgebaut werden. Polizeibeamt*innen müssen durch Aus- und Fortbildung für die Phänomene politischer, rassistischer, fremdenfeindlicher oder sonstiger menschenverachtender Beweggründe sensibilisiert werden. Wir begrüßen, dass diese Themen und der Komplex NSU als Ausbildungsinhalt im Rahmen des Reakkreditierungsprozesses des Bachelor-Studiengangs weiter vertieft werden. In all unseren Sicherheitsbehörden müssen diese Kompetenzen gefestigt werden.
- Wir müssen die Polizei diverser aufstellen! Es muss sichergestellt werden, dass alle Geschlechter und Menschen mit Migrationsgeschichte angemessen in unseren Sicherheitsbehörden vertreten sind – auch in Führungspositionen. BIPoCs und Menschen mit Migrationsgeschichte müssen gezielt angesprochen werden, um homogene Strukturen in der Polizei zu durchbrechen und die Polizei inklusiver und diverser aufzustellen. Zuletzt haben deutlich über 20 Prozent der neu eingestellten Polizeibeamt*innen einen Migrationshintergrund. Diese Quote möchten wir weiter steigern.
- Wir müssen Diskriminierung in Behörden und Polizei unterbinden! Der Anfang September in den Hessischen Landtag eingebrachte Gesetzesentwurf über eine*n unabhängige*n Bürger-und Polizeibeauftragte*n ist ein guter Schritt hin zu mehr Transparenz, Kommunikation und unabhängiger Aufklärung von Missständen in den Behörden. Wir möchten die Arbeit der Stelle regelmäßig evaluieren und bei Bedarf weitere Kompetenzen für die Arbeit des*der Polizeibeauftragten ergänzen. Darüber hinaus wollen wir die Einführung eines hessischen Antidiskriminierungsgesetzes prüfen.
Es besteht kein Zweifel: Rechtes Gedankengut hat in unseren Sicherheitsbehörden nichts zu suchen. Wir werden dies jetzt und in Zukunft mit allen rechtsstaatlichen Möglichkeiten bekämpfen, denn antifaschistische Grundwerte sind das Bollwerk unserer Demokratie.