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13.10.2016
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung in der Aktuelle Stunde: Regierung Bouffier unterstützt blaue Plakette und lässt Handwerker und Mittelstand im Stich – erneut schwerer Eingriff in Eigentumsrechte

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, dass wir es hier mit einer sehr ernsthaften Debatte zu tun haben.

(Zuruf des Abgeordneten Gerhard Merz (SPD))

– Genau. Das wollte ich gerade sagen. Die Debatte war bisher aber nicht so ernsthaft, wie die Lage eigentlich ist. Ich will darauf hinweisen, dass wir zwei sehr ernsthafte Probleme haben.

Das erste sehr ernsthafte Problem, das wir haben, ist, dass Menschen zu Recht Sorgen haben, wenn sie in den Innenstädten wohnen, ob die Atemluft, die sie tagtäglich einatmen, ihre Gesundheit gefährdet. Das zweite Problem ist – das will ich an dieser Stelle auch noch einmal ausdrücklich erwähnen –, dass zunehmend mehr Menschen – Sie wissen, wir haben in Deutschland einen sehr hohen Dieselanteil – Sorgen haben mit Blick auf die Frage, ob sie morgen noch mit ihrem Auto fahren können. In dieser Situation sind wir derzeit. Ich finde, dass man das Schritt für Schritt betrachten und auch Lösungen finden muss, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Deswegen halte ich fest – das hat in dieser Debatte bisher leider kaum jemand gesagt –, dass wir immer noch eine zu hohe Schadstoffbelastung in den hessischen Innenstädten haben. Wir brauchen weitere Schritte zur Verbesserung der Luftqualität. Kaum erwähnt wurde bisher zudem, dass das Land am Ende die staatliche Institution ist, die verklagt wird, wenn diese Grenzwerte nicht eingehalten werden. Gerichte haben dem Land Hessen bereits mehrfach aufgetragen, eine Lösung zu finden für das Problem der immer noch zu hohen Grenzwerte. Das müsste eigentlich unstreitig sein.

Unstreitig ist außerdem, dass insbesondere der Dieselverkehr für die hohe Stickstoffdioxidbelastung in den Innenstädten verantwortlich ist. Ich muss ausdrücklich sagen, dass das Land an dieser Stelle vor einem Dilemma steht.

Die EU setzt aus guten Gründen Grenzwerte fest, die nicht überschritten werden sollen, weil es ansonsten zu Gesundheitsgefährdungen kommen könnte. Der Bund setzt diese Grenzwerte dann um in bundesdeutsches Recht. Die Städte sollen Luftreinhaltepläne aufstellen. Das Land wird am Ende verklagt, wenn die Grenzwerte nicht eingehalten werden. Wir haben teilweise aber gar nicht die Instrumente, die wir bräuchten, um dafür zu sorgen, dass die entsprechenden Grenzwerte eingehalten werden können.

Herr Kollege Gremmels, ich finde es schön, dass Sie gesagt haben, ich solle mal eben eine Umgehungsstraße für Limburg aus dem Ärmel schütteln.

(Zuruf des Abgeordneten Timon Gremmels (SPD))

– Ja. Natürlich. Die Gerichtsverfahren laufen aber jetzt. Deshalb brauchen wir jetzt Antworten, wie wir die Grenzwerte in Limburg einhalten können. Wenn vielleicht in zehn oder 15 Jahren eine Umgehungsstraße gebaut wird, hilft uns das im jetzt laufenden Gerichtsverfahren aber überhaupt nicht.

(Zuruf des Abgeordneten Timon Gremmels (SPD))

Deswegen ist das, was da gesagt wurde, nicht wirklich sehr ernsthaft gewesen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

An dieser Stelle geht es also um die Frage: Wie können wir in Zukunft saubere Diesel von sozusagen dreckigen Dieseln unterscheiden? Hierzu gibt es bisher keine Möglichkeit. Seit dem 1. Januar 2014 ist Euro 6 Pflicht, auch bei Dieseln. Alle diese Fahrzeuge würden die blaue Plakette bekommen. Wir haben bisher aber keine Möglichkeit, die einen von den anderen zu unterscheiden.

Deswegen habe ich mich auf der Verkehrsministerkonferenz dafür eingesetzt, dass der Bund die 35. Bundesimmissionsschutzverordnung weiterentwickelt und an dieser Stelle eine blaue Plakette einführt. Das ist ein umstrittenes Mittel. Das ist mir völlig klar. Die spannende Frage, die wir alle miteinander beantworten müssen, wenn wir in der Verantwortung stehen, ist: Welche Anreize können wir setzen, um auf eine Flottenerneuerung hinzuwirken? Außerdem steht die Frage im Raum, welche Möglichkeiten wir haben, die einen von den anderen Fahrzeugen zu unterscheiden. Das ist das Problem; denn diese Möglichkeiten haben wir bisher nicht.

Wenn ich das einmal so sagen darf: Wenn am Ende das Verwaltungsgericht Düsseldorf in die Urteilsbegründung schreibt, das sei kein Problem, da ein Blick in den Fahrzeugschein genüge, versuche ich mir das einmal praktisch vorzustellen. Dann müsste die Stadt Wiesbaden an der Stadtgrenze Zollschranken aufbauen. Hunderte müssten dann Autofahrer nach ihrem Fahrzeugschein fragen, um zu sehen, ob darin Euro 4 oder Euro 6 steht oder ob es ein Benziner oder ein Diesel ist. Das ist insofern keine Antwort auf die Probleme, die wir momentan haben, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Deswegen will ich noch einmal ausdrücklich sagen: Es geht darum, dass wir an dieser Stelle handlungsfähig für die Zukunft sind. Aus meiner Sicht können eventuelle Fahrverbote erst dann verhängt werden, wenn dies verhältnismäßig ist. Das bedeutet, dass man das jetzt auf keinen Fall machen könnte, weil jetzt noch zu wenige Fahrzeuge eine blaue Plakette bekommen würden. Aus unserer Sicht müsste eine Marktdurchdringung von mindestens 80 % erreicht sein. Das heißt, 80 % der Fahrzeuge müssten diese Plakette haben, bevor man – in Anführungszeichen – die anderen 20 % der Fahrzeuge ausschließen könnte.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

An dieser Stelle würden wir ebenso wie beim Feinstaub natürlich mit Ausnahmegenehmigungen arbeiten, wen es eine solche Möglichkeit gibt. Das will ich noch einmal ausdrücklich sagen. Wir haben doch im Zuge der Einführung der grünen Plakette Ausnahmegenehmigungen beispielsweise für Handwerker erteilt, also genau für die Leute, die Sie vorgeben zu vertreten. Es ist natürlich wichtig zu sagen, dass wir eine Flottenerneuerung brauchen. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass man Einzelne nicht in den Ruin treibt, wenn die Plakette bzw. deren Erlangung wirtschaftlich unzumutbar wäre. Es ist ja nicht so, dass es hierzu keine Erkenntnisse aus der Vergangenheit gäbe. Zudem gibt es eindeutig Anregungen, wie man das machen könnte.

Ein letzter Punkt ist mir noch sehr wichtig, Frau Präsidentin. Ich habe das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf bereits angesprochen. Das Land Nordrhein-Westfalen wird wahrscheinlich in Revision gehen. Vielleicht kommt es dann zu einer höchstrichterlichen Entscheidung. Wenn man dieses Urteil liest, dann stellt man fest, dass es nach Auffassung des Gerichts bereits nach geltendem Recht Möglichkeiten zur Anordnung von flächendeckenden Fahrverboten für Dieselfahrzeuge gibt.

Ich will an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich sagen – wir werden sehen, ob dieses Urteil in der nächsten Instanz Bestand hat –, dass wir eine Tendenz in der Rechtsprechung haben, die sagt, dass die zuständigen Behörden sich im Rahmen der Luftreinhalteplanung differenziert mit der besonderen Schadstoffproblematik von Dieselfahrzeugen auseinandersetzen müssen.

Was würden wir denn machen, wenn uns am Ende ein Gericht sagen würde: „Dann verhängt doch ein Dieselfahrtsverbot“ und uns zu einer solchen Maßnahme zwingen würde? Wäre dann eine blaue Plakette nicht das mildere Mittel, damit man sozusagen die sauberen Diesel wenigstens noch einfahren lassen kann?

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kollegen von der FDP, ich würde einmal sagen, ein solches flächendeckendes Dieselfahrverbot, angeordnet von einem Gericht: Das wäre eine Katastrophe für die Handwerker und den Mittelstand. Deswegen glaube ich, dass es an dieser Stelle wichtig ist, dort weiterzukommen.

Ein allerletzter Punkt zum Stichwort „Industriepolitik“. Ich bin mir sehr sicher, dass die Autoindustrie – weil wir momentan schon erleben, dass die Zulassungszahlen für die Diesel einbrechen – auch sehr schnell Klarheit über die Frage will, ob sie den Käufern ihrer Neuwagen zusichern kann, dass diese Autos auch in Zukunft noch werden fahren können. Deswegen bin ich mir sehr sicher, dass wir sehr bald eine ganz andere Debatte über die Frage führen werden, ob es nicht auch im Sinne der Industrie und dann auch im Sinne von Handwerk und Mittelstand ist, dass wir an dieser Stelle eine Klarheit bekommen, die bundesweit gilt.

Deswegen hoffe ich, dass wir ernsthaft weiter über die Frage sprechen, wie wir einerseits den Sorgen des Mittelstandes, des Handwerks, den Sorgen der Menschen in den Innenstädten und übrigens auch den Interessen der deutschen Automobilindustrie gerecht werden können. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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