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09.05.2015
Landesarbeitsgemeinschaften, Parteirat

NSU-Taten aufklären – Gerüchten und Halbwahrheiten mit Fakten begegnen

Die Morde des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) haben das Land schwer erschüttert. Für Hessen markiert insbesondere der Mord an Halit Yozgat am 6. April 2006 in Kassel den traurigen Höhepunkt rechtsextremistischer Gewaltexzesse. Es war der bis dahin insgesamt neunte Mord. Hessen ist so Ort eines unfassbaren Verbrechens geworden. Die Grünen in Hessen sind sich der politischen Verantwortung bewusst, die aus diesen feigen Morden für das Land erwächst. Wir fordern daher alle Parteien auf, sachlich und gewissenhaft an der Aufklärung zu arbeiten und im Kampf gegen Rechts einen breiten demokratischen Konsens herzustellen.

Die rechtsterroristischen Aktivitäten des NSU erstreckten sich über einen Zeitraum von mindestens zwölf Jahren (Ende der 1990er bis 2011). Dem NSU wird unter anderem vorgeworfen, zehn Personen im Zeitraum von 2000 bis 2006 getötet und zwei Sprengstoffanschläge sowie zahlreiche Banküberfälle verübt zu haben. Diese Rechtsterroristen haben ihre Taten per Video der Öffentlichkeit präsentiert und sich zu den feigen Morden bekannt. Für diese politisch motivierte Gewalt bestand ein rechtsterroristisches Netzwerk, das die drei Hauptakteure – Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – unterstützt und gedeckt hat.

Den Behörden ist es nicht gelungen, diese Strukturen frühzeitig zu erkennen oder geeignete Maßnahmen zur Tatvereitelung zu ergreifen. Im Gegenteil, wir haben es mit einem Versagen der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern zu tun. In der Berichterstattung ist der Verdacht geäußert worden, der Verfassungsschutz sei in Kenntnis des Mordanschlages von Halit Yozgat gewesen. Diese Anschuldigungen sind ungeheuerlich und erfordern dringend Aufklärung. Die Devise muss lauten: Erst aufklären, dann bewerten und schließlich urteilen.

  1. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN HESSEN fordert alle Parteien und im Landtag vertretenen Fraktionen auf, die sachliche Aufarbeitung gewissenhaft zu verfolgen und Fehler der Sicherheitsbehörden genau zu untersuchen.
  2. Das Strafverfahren gegen Beate Zschäpe in München lässt vermuten, dass die für die Mordserie notwendige Logistik von einem weit verzweigten Netzwerk getragen wurde. Zahlreiche Akteure äußern sich mit vagen Informationen, Teilaussagen oder unklaren bzw. aus dem Zusammenhang gerissenen Aspekten über die Mordserie. Wir sehen mit großer Sorge, dass die Aufklärung durch eine Vielzahl von ungeklärten Zusammenhängen, teilweise unergiebigen Beweismitteln, sich häufig widersprechenden Aussagen sowie einem mitunter intensiven Medienecho überdeckt zu werden droht. Der mögliche Verlust des Vertrauens in den Staat spielt jedoch dem rechtsextremistischen Terror in die Hände, in dem die Justiz handlungsunfähig erscheint und die Politik als Hort von Verschwörern wahrgenommen wird. Wir fordern alle Beteiligten aus Staat und Zivilgesellschaft auf, sich dieser Verantwortung bewusst zu sein und Verschwörungstheorien nicht zu befördern.
  3. Die öffentliche Beteiligung an der Aufklärung der NSU-Mordserie ist für uns die zentrale Aufgabe, um das Vertrauen der Angehörigen und auch der Bevölkerung in den Staat und seine Institutionen und Organe zu erhalten. Umfang und Art des von der NSU verübten rechtsgerichteten Terrors zeigen die Notwendigkeit, eine umfassende und verbindliche Dokumentation aus Sicht des Landes Hessen und seiner Behörden für die Öffentlichkeit zu erstellen. Wir fordern den Landtag auf, in einer umfassenden Berichterstattung die Abläufe, Ergebnisse und Konsequenzen zum NSU-Mordfall in Hessen zu publizieren.
  4. Wir fordern die staatlichen Stellen auf, die Arbeit des Landesverfassungsschutzes insbesondere im Hinblick auf das Wirken von V-Personen zu überprüfen und eine Neuordnung des Verfassungsschutzes vorzunehmen. Für die Aufklärung der Mordserie und der weiteren Straftaten sind alle behördlichen Vorgänge dem Untersuchungsausschuss zugänglich zu machen, um für größtmögliche Transparenz zu sorgen. Vor allem muss der Verfassungsschutz die bisherige Praxis der Erteilung von Aussagegenehmigungen überprüfen. Alle Akten, die zu einer Aufklärung beitragen können, sind dem Untersuchungsausschuss vorzulegen.
  5. Wir fordern die hessischen Ermittlungsbehörden und Gerichte auf, weiterhin die Aufklärung der Mordserie, die Aufdeckung rechtsextremer Strukturen und die Arbeit gegen rechtsextremistische Straftaten mit allem Nachdruck zu verfolgen. Konkret müssen zum Beispiel die Neonazi-Netzwerke in den relevanten Jahren (Ende 1990er bis mindestens 2006) in (Nord-)Hessen erneut untersucht und eine mögliche Verbindung zum NSU und dem Mord in Kassel aufgeklärt werden.
  6. Insbesondere die in der Vergangenheit erfolgten missverständlichen Äußerungen seitens der Verantwortlichen des Landesamtes für Verfassungsschutz senden ein falsches Signal an die Öffentlichkeit. So wurde auf einer öffentlichen Veranstaltung drei Tage vor dem Hooligan-Aufmarsch im Herbst 2014 in Köln die falsche Einschätzung geäußert, aus Kassel würden keine Hooligans nach Köln fahren, obwohl zahlreiche öffentlich zugängliche Hinweise den gegenteiligen Schluss nahelegten. Kurz vor Weihnachten 2014 wurde vom Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, dass die Kagida-Aufmärsche in Kassel nicht rechtsextremistisch gesteuert seien, obwohl Presse und zivilgesellschaftliche Initiativen detailliert über aktive Neonazis berichteten und aktive NPD-Kader im Internet für Kagida warben.
  7. Die Ergebnisse der Untersuchungsausschüsse im Bund und anderen Bundesländern enthalten für Hessen relevante Hinweise. So wurden die V-Leute Praxis und die mit der Arbeit des Verfassungsschutzes in Hessen nur bedingt vergleichbare Arbeit des Verfassungsschutzes in Thüringen parteiübergreifend als mangelhaft bewertet. Wir halten es für überlegenswert, in einer länderübergreifenden Zusammenarbeit die Reform des Verfassungsschutzes vorzunehmen. Daher begrüßen wir die von der Landesregierung eingesetzte Expertenkommission, die sich mit der Reform der Sicherheitsbehörden befasst. Wir halten die vorgelegten Entwürfe eines Gesetzes für den Landesverfassungsschutz und eines Gesetzes zur parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes, in denen die 47 Handlungsempfehlungen des Bundestagsuntersuchungsausschusses aufgenommen wurden, für wichtige Schritte in die richtige Richtung.