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24.06.2010

Ursula Hammann zur sachgerechten Abwägung von Schutzbedürfnissen im Planungsrecht

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem ich in der „Wirtschaftswoche“ vom 07.06. das Interview von Herrn Verkehrsminister Posch gelesen habe, war mir klar, dass uns das auch im Landtag beschäftigen wird.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Es war ganz klar, dass dies auch die FDP im Landtag diskutieren würde. Dass der Naturschutz noch niemals eine Herzensangelegenheit der FDP war und ist, ist uns schon lange bekannt, meine Damen und Herren.

(Zuruf von der FDP)

Ich weiß noch ganz genau, wie Sie agiert haben, als das Hessische Naturschutzgesetz geändert wurde. Das ging immer nur zulasten von Natur und Umwelt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf von der FDP)

Neu für mich ist, dass ein Verkehrsminister solch einen haarsträubenden Unsinn in einem Interview von sich gibt. Seine Einstellung zum europäischen Naturschutzrecht ist katastrophal. Warum wurde denn das europäische Naturschutzrecht auf den Weg gebracht? Es beinhaltet die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, es beinhaltet die Vogelschutzrichtlinie, weil man erkannt hat, dass immer mehr Arten auf der Roten Liste stehen, dass immer mehr Lebensräume vernichtet werden und immer mehr Arten aussterben. Deshalb wurde auf EU-Ebene dieses Recht auf den Weg gebracht.

Zu der Aussage von Herrn Posch, dass der Naturschutz ein Hemmnis für Investitionen sei, muss man wirklich sagen: Naturschutz kostet Geld; deshalb muss man in den Vorplanungen den Naturschutz wirklich berücksichtigen und gegebenenfalls Alternativen finden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wieder einmal muss der arme Kammmolch herhalten, auch im Interview mit Herrn Posch. Die „Wirtschaftswoche“ schreibt:

Weil der Lurch just immer da siedelt, wo wichtige Verkehrsadern geplant sind, sieht der Liberale den Wirtschaftsstandort in Gefahr.

(Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Weiter heißt es:

Posch ist es nun leid. Er plädiert dafür, die strengen Vorschriften zumindest für die Zeit der Etatskrise einfach auszusetzen. „Wenn im Bund ein Haushaltsstrukturgesetz in Leistungsgesetze eingreift, dann kann man auch diese Vorschriften suspendieren.“

Meine Damen und Herren, das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Recht und Gesetz sollen je nach Kassenlage suspendiert werden. Das ist abenteuerlich. Herr Posch, was Sie tun, ist gefährlich, denn Sie offenbaren ein sehr krudes Rechtsverständnis.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Bei der FDP gibt es aber erkennbar andere Prioritäten. Auf der Roten Liste der FDP stehen andere schützenswerte Arten, so z. B. die seltene Gattung der Hoteliers.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und den LINKEN – Zurufe von der FDP)

Trotz der eminent hohen Schulden, die wir auf Bundes- und Landesebene haben, ist der FDP der Schutz der Hoteliers in den nächsten Jahren Milliarden Euro wert. Das ist eine Tatsache.

(Zuruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

– Herr Lenders, ich weiß ja, warum Sie sich ereifern. – Passen Sie auf, Herr Posch, dass die Wählerinnen und Wähler die FDP nicht ebenfalls auf eine Rote Liste setzen. Mit Umfrageergebnissen von 3 % ist Ihnen ein Platz in der Bedeutungslosigkeit schon fast sicher.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Lebhafte Zurufe von der FDP)

Herr Minister, Sie sprechen hier von der Aussetzung einer europäischen Gesetzesnorm bei schlechter Kassenlage.

(Zuruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Ich sage es noch einmal: Es handelt sich um eine der bedeutendsten rechtlichen Regelungen auf EU-Ebene, die für alle Mitgliedstaaten bindend ist. Auch Deutschland hat gesagt, dass die Richtlinien anerkannt werden. Es ist schon ein starkes Stück, dass CDU und FDP solch ein Anliegen auf der Grundlage eines Antrags – und auch noch als Setzpunkt – hier im Plenum behandeln wollen. Sie wollen sogar eine Anhörung dazu durchführen. Ich frage Sie: Was soll Ihnen die Anhörung denn bringen? Auf EU-Ebene gibt es gesetzlichen Regelungen, und wir in Hessen haben keine Chance – Gott sei Dank auch Sie nicht –, das auf EU-Ebene zu ändern.

Sie haben immer noch nicht begriffen, dass Naturschutz nicht umsonst zu haben ist. Frau Bundeskanzlerin Merkel musste dies bereits erkennen. Sie hat anlässlich der Festveranstaltung zum Auftakt des Internationalen Jahrs der Biodiversität am 11. Januar 2010 in Berlin gesagt:

Eigentlich war es so, dass das Jahr 2010 dafür stehen sollte, dass wir bis dahin eine deutliche Reduktion des Biodiversitätsverlustes erzielen. Dieses Ziel werden wir nicht erreichen. Ich glaube, wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern wir müssen es ganz klar so benennen, wie es ist. Deshalb muss dieses Jahr der Biodiversität, dieses Jahr der Artenvielfalt genutzt werden, um neuen Schwung zu holen und zur Kenntnis zu nehmen, dass die Verluste an Lebensräumen und Arten dramatisch sind und dass vor allen Dingen die Geschwindigkeit, in der dieser Prozess abläuft, beängstigend ist. …

Wir müssen in den Schutz und die Erhaltung von Ökosystemen finanziell investieren, weil es Investitionen sind, die sich bezahlt machen.

Frau Merkel fordert Sensibilität ein. Diese Sensibilität haben Sie nicht, meine Damen und Herren von CDU und FDP.

(Stefan Müller (Heidenrod) (FDP): Die haben Sie nicht! – Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Unruhe)

– Ich bitte, die Kommentare von der Regierungsbank zu unterlassen. Wir sind hier im Plenum, und ich als Abgeordnete habe die Möglichkeit, die Sachlage darzustellen.

Gestern hat Frau Ministerin Lautenschläger erneut auf die Nachhaltigkeitskonferenz der Landesregierung hingewiesen. Dort werden zwei Projekte verfolgt: Reduktion des Flächenverbrauchs und Erhalt der Biodiversität. Die Äußerungen auf einer Nachhaltigkeitskonferenz dürfen doch keine leeren Worte sein, sondern Sie müssen doch auch entsprechend handeln. Das vermissen wir aber; was Sie tun, ist kontraproduktiv. Wir vermissen auch eine Biodiversitätsstrategie des Landes Hessen; sie ist schon seit langem überfällig. Sie von der Landesregierung stehen immer noch für eine dichtere Straßeninfrastruktur. Insbesondere die flächenintensiven Bundesautobahnen führen zu einer Verinselung der Naturräume und Ökosysteme, wodurch die Biodiversität gefährdet wird und dies im Jahr von „Countdown 2010“, dem Jahr der Biodiversität. Damit setzen CDU und FDP ein absolut falsches Zeichen. Es wird suggeriert, dass das Umsetzen von gewaltigen Straßenverkehrsprojekten – im Wesentlichen Autobahnen, zum Teil Bundesstraßen –, strukturelle und finanzielle Probleme des Landes und der Regionen lösen könnten.

(Zuruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Der Naturschutz steht Ihnen dabei substanziell im Wege. Das haben wir dem Interview leider entnehmen müssen. Das ist die falsche Vorgehensweise. Der Arten- und Naturschutz muss bei allen Bauvorhaben zu seinem Recht kommen, sonst ist alles eine Farce. Es nutzt nichts, von der EU-Ebene bis zur Länderebene eine Naturschutzgebung auf den Weg bringen, wenn wir nicht entsprechend handeln.

Daher ist es wichtig, bereits bei der Vorplanung von Projekten den Naturschutz in allen Varianten mit zu überprüfen. Das würde auch die Kosten späterer Nachbesserungen zu vermeiden helfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Die Natur ist kein Hindernis für uns Menschen, sondern sie bildet die Grundlage unserer Existenz. Auch das Argument der Schaffung von Arbeitsplätzen ist nicht überzeugend. Sie wissen doch selbst: Der Faktor Verkehrsinfrastruktur schafft langfristig keine Arbeitsplätze.

(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

– Vielleicht bei denen, die die Straßen bauen. Aber seit den Siebzigerjahren versuchen Verkehrs- und Wirtschaftsforscher, zwischen Straßenbau und Wirtschaftswachstum einen positiven Zusammenhang empirisch nachzuweisen. Sie alle wissen ganz genau: Dieser Nachweis ist bis heute nicht gelungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

Häufig wird versucht, Projekte durchzusetzen, deren Planung schon viele Jahre zurückliegt und die dem heutigen Klimaschutzgedanken diametral entgegenstehen. Für uns GRÜNE ist es daher eminent wichtig, bei jedem einzelnen Bauvorhaben prüfen zu lassen, welche Auswirkungen diese Infrastrukturprojekte auf Naturräume haben und inwieweit sie dort lebende bedrohte Arten gefährden.

(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

Ersatzmaßnahmen, auch das ist Ihnen bekannt, können ein sensibles Ökosystem mit bedrohten Arten häufig eben nicht ersetzen. Das zeigt die Erfahrung. Der Naturschutz darf nicht wieder an den Rand gedrängt werden. Wir müssen endlich über die Diskussion hinauskommen, die wir in den letzten Jahren geführt haben, und zeigen, welch einen Wert die Natur für uns alle darstellt.

Kommen wir noch einmal zum Faktor Kosten. Alternative Straßenführungen zur Wahrung naturschutzrechtlicher Belange bedeuten bei Straßenverkehrsinfrastrukturprojekten nicht zwangsläufig eine Verteuerung. Diese Diskussion haben wir auch im Landtag schon etliche Male geführt. Ich erinnere an einen konkreten Fall: die A 49. Hier ersparte der Kammmolch dem Land umgerechnet 50 Millionen € – durch eine Alternativplanung. Das heißt in Kammmolchwährung: 5.000 Kammmolche ersparten dem Land 50 Millionen Euro; das sind umgerechnet 10.000 Euro pro Kammmolch.

Wir können diese Kostendiskussion weiterführen, aber wenn, dann bitte ehrlich. Wenn wir über Kosten reden, dann möchte ich Sie bitten, dass Sie auch einmal die umweltschädlichen Subventionen kritisieren; denn diese kosteten den Fiskus laut Subventionsbericht allein im Jahr 2008 48 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu sind die Beträge, die eben genannt worden sind, wirklich gering.

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Frau Kollegin Hammann, ich darf Sie bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Ursula Hammann:

Ich komme zum Schluss meiner Rede. – Die Nutzung fossiler Energien wurde mit 24 Milliarden Euro subventioniert. Die Nutzung dieser Energien bedeutet wiederum eine Verschärfung des Klimawandels. Zusammen mit dem Verkehr schadet das der Biodiversität. Unsere Lebensgrundlage ist die Natur, nicht die Straße.

Daher werden wir diesem Antrag von CDU und FDP nicht zustimmen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Frau Kollegin Hammann.