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16.09.2009

Ursula Hammann zum Ausstieg aus der Atomkraft – keine Laufzeitverlängerung für Biblis A und B

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 5. September fand in Berlin eine große Demonstration gegen Atomkraft statt. Über 50.000 Menschen haben sich auf den Weg gemacht, um gegen diese risikoreiche Energieversorgung zu protestieren. Das Schönste, meine Damen und Herren: Unter den Demonstranten waren sehr viele junge Menschen, die deutlich gemacht haben, dass das nicht ihre Zukunft ist, dass sie auf erneuerbare Energien setzen und nicht auf eine risikoreiche Energieversorgungsart, wie es die Atomkraft nun einmal ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Diese jungen Menschen haben keine Kosten und Mühen gescheut, sie sind in ihrer Freizeit nach Berlin gefahren. Das muss man ihnen hoch anrechnen, meine Damen und Herren.

Kurz zuvor fand eine andere Art von Demonstration am Atomkraftwerk in Biblis selbst statt.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

1.500 Auszubildende von RWE wurden mit Bussen dorthin gekarrt – an einem Arbeitstag. Meine Damen und Herren, RWE hat sich beschämend verhalten;

(Judith Lannert (CDU): Diese jungen Leute haben für ihre Arbeitsplätze demonstriert, Frau Kollegin!)

denn sie hat Auszubildende als Staffage benutzt, um einen Weiterbetrieb ihrer Reaktoren zu rechtfertigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf der Abg.  Judith Lannert (CDU))

Das kann man nur als beschämend bezeichnen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, hier wurden alle Register gezogen, um der Atomkraft wieder den Weg zu ebnen. Ich sage Ihnen: Das ist keine verantwortungsvolle Vorgehensweise. Die jungen Menschen brauchen risikofreie, zukunftsfähige Arbeitsplätze, und die liegen bei den erneuerbaren Energien. Die großen Stromkonzerne sind aufgefordert, in diesem Bereich etwas zu tun. Atomkraft ist ein Irrweg und kein Ausweg für junge Menschen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Es wird immer wieder gesagt, die Atomkraft habe eine Renaissance. Wo ist diese Renaissance? Es gibt sie in keiner Weise. Anhand von Zahlen der Internationalen Atombehörde kann man sehr genau feststellen, dass es nicht zu einem massiven Zubau von Atomkraftwerken kommt. Nun den jungen Menschen zu suggerieren, dass Atomkraft eine Zukunft habe, meine Damen und Herren, ist eine glatte Lüge.

Uns bedrückt besonders, wie man mit dem Thema Atomenergie umgeht. Wir haben zurzeit einen massiven Skandal, was die Endlagerung angeht. Der Standort Gorleben wurde von CDU und FDP immer wieder als sicher, von uns GRÜNEN aber immer infrage gestellt. Das Ergebnis heißt nun: Eine Studie wurde gefälscht. Der damalige Bundesforschungsminister in der Kohl-Ära, Riesenhuber, hat über sein Ministerium bewirkt, dass ein Gefälligkeitsgutachten erstellt wurde

(Zuruf des Abg. Axel Wintermeyer (CDU))

nach dem Motto: Dieser Salzstock ist sicher für die Ablagerung von hoch radioaktivem Abfall.

(Zuruf des Abg. Axel Wintermeyer (CDU))

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich finde es untragbar, dass gerade Herr Riesenhuber auf Platz 2 der CDU-Landesliste für die Bundestagswahl steht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Er trägt die Verantwortung für das, was in seinem Haus passiert ist. Wenn Gutachter beeinflusst werden, indem man ihnen sprichwörtlich Formulierungsvorschläge gibt, wie das Gutachten am Ende auszusehen hat,

(Zuruf des Abg. Axel Wintermeyer (CDU))

dann ist das nicht in Ordnung, meine Damen und Herren. Vom Bundesministerium wurde bestätigt, dass es diese Unterlagen gibt. Das ist Fakt, das können Sie nicht wegreden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, wir haben immer darauf gedrungen, dass nach weiteren Endlagerstandorten gesucht wird; denn es muss über einen undenkbar langen Zeitraum sicher gelagert werden. Nun haben wir das Problem, dass Gorleben eben nicht mehr als Endlager für Atommüll geeignet ist, und die Erkenntnis, dass mittlerweile 89 von 255 Salzstöcken abgesoffen sind.

(Zuruf von der CDU)

Asse ist zurzeit ebenfalls abgesoffen, inklusive 28 Tonnen Plutonium, von denen sich niemand erklären kann, wie sie in Asse gelagert werden konnten. Meine Damen und Herren, allein die Sicherung dieses Standorts würde über 4 Milliarden € kosten.

Meine Damen und Herren, über viele Jahre und auch heute noch haben sich unter anderem Frau Bundeskanzlerin Merkel und auch Frau Schavan immer gegen weitere Standortsuchen ausgesprochen. Eine aktuelle Aussage in der „Financial Times“ lautet: Schavan hält Atomstudie zurück. – Es geht um riskante Energieversorgungsarten. Ich halte es für unerträglich, dass eine Forschungsministerin offensichtlich ein Gutachten in Auftrag gegeben hat nach dem Motto: Wie können auch in Deutschland wieder neue Atomkraftwerke gebaut werden? Das ist Fakt, das geht aus diesen Unterlagen hervor.

Was noch viel prekärer ist – in unserem Sinne allerdings –: Darin wird auch auf Untersuchungen von weiteren Standorten Bezug genommen. Man darf nicht an Gorleben festhalten, sondern muss weiter nach sicheren Lagerstätten suchen. Das ist in unserem Sinne, meine Damen und Herren.

Dieses Thema wollte man aber im Wahlkampf nicht haben. Das Gutachten gibt es schon seit Juni, es wird seit Monaten unter Verschluss gehalten. Erst jetzt kommen solche Aussagen heraus. Bei uns besteht der Verdacht, dass die Atomenergie durch neue Gutachten wieder hoffähig gemacht werden sollte, ohne dass man weiß, wohin der hochriskante atomare Abfall am Ende soll, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hören Sie endlich auf, den Bürgerinnen und Bürgern Unsinn zu erzählen. Sagen Sie nicht „Wir brauchen die Atomenergie als Brücke zu den erneuerbaren Energien“, wie es auch Frau Merkel und Frau Lautenschläger in der letzten Zeit immer wieder betont haben. Jeder, der sich mit dieser Technik ein wenig auseinandersetzt, weiß, dass die erneuerbaren Energien in keiner Weise mit der Atomkraft zusammenzubringen sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Hier haben sich auch die Atomenergieversorgungsunternehmen verraten. Sie wissen vielleicht, dass E.ON mit dem französischen EdF-Konzern die britische Regierung aufgefordert hat, eine Begrenzung der erneuerbaren Energien vorzunehmen, weil sonst neue Atomkraftwerke nicht wirtschaftlich seien. Das macht ganz klar, dass ein Zubau von erneuerbaren Energien nicht funktioniert, wenn Atomkraftwerke am Netz bleiben und neu geplant werden.

Meine Damen und Herren, wir brauchen flexible Regelenergien. Atomkraftwerke sind nicht flexibel, dort gibt es nur ein An oder ein Aus. Ich erinnere an Lichtblick und VW, die vor Kurzem angekündigt haben, dass es ein „ZuhauseKraftwerk“ geben wird, d. h., dass im Keller Strom und Wärme erzeugt werden. Es gibt die Biomasse‑ und Geothermiekraftwerke sowie intelligente Stromnetze mit entsprechenden Speichern und Ausgleichsmechanismen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, dafür brauchen wir keine Atomenergie. Diese risikoreiche Energieversorgungsart ist damit absolut obsolet.

Wenn man das Wort Brückentechnologie betrachtet, dann erinnern Sie sich bitte an das Lied „Sur le pont d’Avignon“. Darin wird eine Brücke erwähnt, die mitten im Wasser endet. Wer darauf steht, kommt niemals an das rettende Ufer. Das ist bezeichnend für die Atomenergie, die nicht zukunftsfähig ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Hören Sie endlich damit auf, die Atomkraft als günstig zu bezeichnen, denn sie ist es nicht. Atomkraft kommt uns alle teuer zu stehen. Es gibt jetzt eine neue Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, die im Auftrag der Umweltorganisation Greenpeace erstellt wurde. Dabei wurden beeindruckende Zahlen auf den Tisch gelegt.

Seit den Fünfzigerjahren haben deutsche Regierungen die Atomwirtschaft mit 165 Milliarden Euro unterstützt, und mit weiteren 92,5 Milliarden Euro wird bis zum Jahr 2040 gerechnet. Die Bürgerinnen und Bürger zahlen für den vermeintlich günstigen Atomstrom gleich dreimal: über die Stromrechnung, über ihre Steuern und schlussendlich auch über ihre Sicherheit. Mit „günstig“ hat das alles nichts zu tun. Deshalb rate ich Ihnen: Stoppen Sie endlich die ständigen Wiederholungen dieser substanzlosen Behauptung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Erkenntnis, dass der Schutz des Klimas nicht von einem Weiterbetrieb der risikoreichen Atomkraftwerke abhängt, haben doch immer mehr Menschen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle zusammenfassen. Es gibt keine Endlager für Atommüll, weltweit nicht. Die Pannen in den Atomkraftwerken häufen sich. Das Atomkraftwerk in Biblis zählt zu den ältesten, pannenanfälligsten deutschen Anlagen und ist nicht gegen Flugzeugabsturz gesichert. Die Struktur der atomaren Stromerzeugung verträgt sich nicht mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien.

Meine Damen und Herren, nach zehn Jahren Regierungszeit von Roland Koch müssen wir feststellen, dass wir im Länderranking der Erneuerbaren Energien ganz unten angekommen sind. Wir haben vieles aufzuholen. Wir werden Sie weiter fordern.

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin Hammann, Sie müssen zum Schluss kommen.

(Zuruf des Abg. Axel Wintermeyer (CDU))

Ursula Hammann:

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Es liegt mir auf der Zunge: Es gab eine Sonderbeilage in der „Welt am Sonntag“, und hier sieht man Frau Lautenschläger mit Inlinern. Frau Lautenschlägern kennt das Bild. Man sieht, wie wenig sie die Sicherheitsphilosophie verankert hat. Sie hat nämlich keinen Kopfschutz auf, den trägt sie in den Händen, trotz laufender Fahrt. Wenn diese Sicherheitsphilosophie für unsere Atomkraftwerke zutrifft, dann gute Nacht, meine Damen und Herren.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Eine Empfehlung für Frau Lautenschläger: Setzen Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit das nächste Mal den Helm auf. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Frau Kollegin Hammann.