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08.09.2010

Ursula Hammann zu: Zeichen setzen für eine neue Energiepolitik in Hessen

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Innerhalb einer Woche hatten wir uns mit zwei bedeutenden Ereignissen auseinanderzusetzen, zum einen mit dem Rücktritt von Ministerpräsident Roland Koch, der Wahl seines Nachfolgers Volker Bouffier und der Installierung eines neuen Kabinetts. Meine Damen und Herren, das zweite Ereignis war der schmutzige Deal, den die Bundesregierung mit den Stromkonzernen geschlossen hat. Alte, risikoreiche Atomkraftwerke sollen 8 bzw. 14 Jahre länger am Netz bleiben. Im ersteren Fall hegen wir noch die Hoffnung, dass mit dem Personenwechsel auch ein inhaltlicher Wechsel erfolgt, nicht nur im Umgang miteinander, wie es Herr Bouffier angesprochen hat, sondern auch in der Bereitschaft, auf die Argumente der Opposition einzugehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerade von der Spitze des Umweltministeriums erwarten wir einen inhaltlichen Kurswechsel. Hier besteht für die neue Umweltministerin Frau Puttrich die Chance, zu zeigen, dass sie in der Lage ist, vorausschauend zu denken, indem sie sich für eine andere, zukunftsfähige Energiepolitik engagiert und sich für eine Zustimmungspflicht des Bundesrates einsetzt, um die Laufzeitverlängerung der alten Atomkraftwerke endgültig zu stoppen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Vereinbarung vom vergangenen Sonntag zeigt deutlich, wie groß die Macht der Stromkonzerne in Deutschland ist. Bei RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall müssen die Champagnerkorken geknallt haben, als es ihnen gelang, dieses Milliardengeschenk von der Bundesregierung abzuverlangen – ein Geschenk in Höhe von 60 bis 100 Milliarden Euro. Das Öko-Institut spricht in einer neuen Analyse von 94 Milliarden € an Zusatzgewinnen. Es ist eine verantwortungslose Politik der Bundesregierung. Großer Gewinner ist einzig und allein das Oligopol der großen Vier. Großer Verlierer wird die Bevölkerung sein, da ihr Sicherheitsinteresse außer Acht gelassen wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Dennoch wird dieser schmutzige Deal auch noch als Revolution der Energieversorgung verkauft. Meine lieben Kollegen, dieser sogenannte Kompromiss ist eine Farce. Die Menge an radioaktivem Atommüll wird sich durch die Verlängerung verdreifachen. Das zeigen auch die Daten vom Bundesamt für Strahlenschutz. Mit ca. 5.000 t abgebrannten Brennelementen ist zu rechnen – hochgiftigem, strahlendem Schwermetall. Am Standort des AKW in Biblis wird das Risiko für die Bevölkerung weiter erhöht werden. Denn mehr strahlender Atommüll muss dort zwischengelagert werden. Wie lange dieser Müll da stehen wird, vermag heute keiner zu sagen, denn wir haben in Deutschland, wir haben weltweit kein sicheres Endlager.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Auch das Salzbergwerk Asse – das wissen Sie – galt einmal als sicheres Lager für atomaren, radioaktiven Müll. Aber Asse – auch das wissen Sie – hat Wassereintritt zu verzeichnen. Asse muss nun mit Milliardenaufwand gesichert werden. Asse ist mit Gorleben zu vergleichen.

Deshalb ist dieser ausgehandelte Kompromiss beschämend für die Bundesregierung. Wo hat es dies schon einmal gegeben, dass Partikularinteressen so rücksichtslos über die Interessen des Gemeinwohls gestellt werden?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Kanzlerin Merkel und ihre Minister standen doch laut Presseberichten ständig in Kontakt mit den großen Chefs der Stromkonzerne. Was ist dies für ein Signal an die Bevölkerung? Das muss doch für jeden Steuerzahler ein Affront sein. Er kann mit der Bundesregierung seine Steuerlast nicht verhandeln.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Ein Hartz-IV-Bezieher kann seine Zuwendung schon gar nicht mit der Bundesregierung verhandeln.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die versprochene Abschöpfung der hohen Zusatzgewinne bleibt doch absolut nebulös. Laut Gutachten vom Öko-Institut sind es 94 Milliarden Euro. Was man bis jetzt erkennen kann, sind allenfalls Absichtserklärungen. Man muss feststellen, dass sich in einigen Bereichen schon wieder die Atomindustrie gegen das Vorhaben der Bundesregierung durchgesetzt hat. Die Atomlobby handelte für sich eine deutliche Reduzierung der Brennelementesteuer von 220 Euro auf 145 Euro pro Gramm Kernbrennstoff aus.

Gelten soll sie auch nur für sechs Jahre. So bleiben von den ursprünglich einmal anvisierten 2,3 Milliarden Euro gerade einmal 1,5 Milliarden Euro übrig. Was bedeutet diese freiwillige Vereinbarung, Mittel in einen Fonds einzuzahlen, der die erneuerbaren Energien speisen soll?

(Zuruf der Abg. Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wie viel dort konkret eingezahlt werden soll, auch das bleibt nebulös. Wir haben es bis heute nicht in Erfahrung bringen können. Wie viel von Vereinbarungen mit der Atomlobby zu halten ist, müsste doch jedem normal denkenden Menschen

(Zurufe von der CDU)

seit dem Bruch der Atomausstiegsvereinbarung vom 14.06.2000 durch die Atomlobby klar sein, nämlich überhaupt nichts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So lässt sich wirklich nur darüber spekulieren, welche Mittel tatsächlich von diesem Milliardendeal letztendlich in die Kasse der erneuerbaren Energien gelangen. Klar ist jedoch: Es wird für die Stromkonzerne ein leicht zu verschmerzender Betrag sein. Man sieht daran sehr deutlich: Nicht Sinn und Verstand waren Ratgeber der Bundesregierung, sondern Ratgeber waren einzig und allein die Chefs der Stromkonzerne. Es wurde noch nicht einmal über die Notwendigkeit einer Laufzeitverlängerung diskutiert, sondern nur noch darüber, wie die alten risikoreichen Atomkraftwerke länger laufen können. Das vor kurzem vorgestellte Energiekonzept der Bundesregierung, das zugrundeliegende Gutachten, erweist sich als Gefälligkeitsgutachten, da die Vorteile des Atomausstiegs unberücksichtigt geblieben sind. Ziel des Gutachtens war es einzig und allein, eine Laufzeitverlängerung zu begründen. Über die Methodik muss man sich dann auch nicht wundern, wenn man weiß, dass RWE und E.ON einen der Gutachter, das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln, über fünf Jahre hinweg mit 20 Millionen Euro unterstützt haben. Eine Abhängigkeit ist daher nicht von der Hand zu weisen.

Meine Damen und Herren, es wurde hier massiv getrickst. Das sogenannte Referenzszenario, d. h. die Fortsetzung des Ausstiegs aus der Atomkraft wurde bewusst negativ gehalten. Weder wurden Effizienzgewinne oder die immensen Energieeffizienpotenziale eingerechnet noch wurde ein deutlicher Ausbau der erneuerbaren Energien berücksichtigt. Trotz dieser deutlichen Schlechterstellung des Ausstiegsmodells, das kann man wirklich feststellen, gibt es keinen Beweis für einen Vorteil der Verlängerung.

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Bundesumweltminister Röttgen bestätigt in der Pressekonferenz, dass laut Gutachten der Unterschied zwischen 4, 12, 20 oder auch 28 Jahren sowohl beim Strompreis als auch beim Klimaschutz und dem Ausbau der erneuerbaren Energien nur sehr gering ist. Bei der Prognose der Strompreisentwicklung von Haushaltskunden spricht er bei der Preisdifferenz von unter einem Cent für 20 Jahre von nicht signifikanten Differenzen.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wo liegt also der Vorteil der Laufzeitverlängerung für die Verbraucherinnen und Verbraucher?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Diese Frage muss sich auch die neue Umweltministerin stellen. Diese Energiepolitik der Bundesregierung ist keine nachhaltige, sondern eine reine Lobbypolitik. Es ist unverantwortlich, immer mehr radioaktiven Atommüll zu produzieren, ohne die geringste Ahnung zu haben, wo er am Ende sicher gelagert werden soll, und letztendlich haftet – auch das wissen wir seit einem neuen Gutachten von Gaßner – zu allem Übel der Steuerzahler im Falle eines atomaren Unfalls. Das Land Hessen wäre mit 125 Millionen Euro in der Haftung.

Wir GRÜNE begrüßen es, dass auch Umweltminister Röttgen deutlich gemacht hat, dass viele Atomkraftwerke, darunter die Reaktoren in Biblis, zahlreiche Sicherheitsanforderungen nicht erfüllen. Biblis besitzt immer noch keine externe Notstandswarte und ist nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert. In den Unterlagen des hessischen Umweltministeriums ist zu lesen:

Dass es bei einem gezielten Flugzeugabsturz auf Biblis A oder B zu Zerstörungen an dem betroffenen Reaktorgebäude und damit zu sehr hohen Freisetzungen von Radioaktivität in die Umgebung kommen würde. Bei einem Aufprall auf das Reaktorgebäude ist mit schweren bis katastrophalen Freisetzungen radioaktiver Stoffe zu rechnen.

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Frau Hammann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ursula Hammann:

Nein, leider reicht meine Zeit sonst nicht aus, aber gern später.

Wir fragen die Landesregierung: Welche Erhöhung der Sicherheit wird von ihr als notwendig angesehen? Hält die neue Umweltministerin die unzureichende Dicke der Stahlbetonhülle von 60 bis 80 cm bei Biblis A und B im Gegensatz zu den Stärken von bis zu zwei Metern bei den neuen Atomkraftwerken für ausreichend oder wird sie sich für mehr Sicherheit einsetzen? Wird sich Frau Ministerin Puttrich für den Bau einer unabhängigen verbunkerten Notstandswarte einsetzen? Antworten verlangen wir auch auf den Vorwurf des Verbands kommunaler Unternehmen, der sagt, die Einführung innovativer Technologien wie Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbare Energien werde sich durch die Laufzeitverlängerung verzögern. Dieser Verband hat 800 Mitglieder. HSE-Chef Albert Filbert weist auf die Verluste der kommunalen Unternehmen in Höhe von 4,5 Milliarden Euro hin. Selbst der Präsident des Bundeskartellamts kritisiert den Deal mit den Worten: „Der Wettbewerb hat keine Lobby“.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Frau Kollegin, Sie müssten zum Schluss kommen.

Ursula Hammann:

Wir fordern daher die neue Umweltministerin Frau Puttrich auf, gerade auch in diesem Punkt die Interessen der hessischen kommunalen Energieunternehmen zu vertreten, in Hessen die erneuerbaren Energien konsequent zu fördern und deren erhebliches Potenzial für Klimaschutz, Arbeitsplätze und regionale Wertschöpfung zu nutzen. Hessen muss aufholen. Im Jahr 2008 lagen wir bei 7 Prozent beim Anteil der Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien. In Rheinland-Pfalz waren es 25 Prozent. Sie können sich darauf verlassen, dass auf Sie ein heißer Herbst zukommen wird. Am 18. September werden Tausende auf den Straßen sein und ihren Unmut über die Lobbyistenpolitik äußern.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Frau Kollegin, Sie müssten zum Schluss kommen.

Ursula Hammann:

Ich komme zum Schluss. – Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Das Bundesverfassungsgericht wird angerufen und der Bevölkerung wird deutlich gemacht, wessen Interessen in Hessen und Berlin vertreten werden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Vielen Dank, Frau Kollegin Hammann.