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18.11.2009
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir zum Haushaltplan des Landes Hessen für das Haushaltsjahr 2010

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Obwohl diese Regierung, diese Regierungskoalition erst seit zehn Monaten im Amt ist, haben wir jetzt schon die zweite Generaldebatte zum Haushalt.

Ich glaube, nach zehn Monaten Schwarz-Gelb in Hessen und nach sechs Wochen Schwarz-Gelb im Bund kann durchaus festgestellt werden – und wenn Sie ehrlich wären, müssten Sie das auch zugeben –, dass entgegen einem landläufigen Bonmot diesem Anfang keinerlei Zauber innewohnte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielmehr erleben wir ein sehr merkwürdiges Gefühl des „Weiter-so“. Herr Ministerpräsident, dafür, dass Sie am Anfang Ihrer Rede dem Kollegen Schäfer-Gümbel vorgeworfen haben, er rede nur über die Vergangenheit, haben Sie in Ihrer Rede eben erstaunlich wenig über die Zukunft gesagt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) – Zuruf der Ministerin Silke Lautenschläger)

Herr Koch, dort, wo Sie über die Zukunft geredet haben – Stichwort Haushaltsstruktur, Kommunaler Finanzausgleich, Dienstrechtsreform –, dort haben Sie in der Realität noch gar nichts anzubieten, sondern dort haben Sie – vielleicht auch aus gutem Grund – Ihre Verantwortung auf überparteiliche Gremien abgegeben, Stichwort Nachhaltigkeitskonferenz. Das muss nicht immer falsch sein. Aber wenn man die anderen so sehr beschimpft, sie hätten nichts auf der Pfanne, dann muss man sich irgendwann einmal selbst die Frage gefallen lassen, wer hier jetzt eigentlich seit zehn Jahren und sechs Monaten regiert. Herr Ministerpräsident, das sind doch Sie.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich finde es herzallerliebst, wenn Sie sagen, wir sollen einmal in andere, etwas kleinere Bundesländer schauen, um zu sehen, was dort alles möglich wäre, wenn GRÜNE mit anderen Parteien regieren. Ich finde das deshalb herzallerliebst, weil ich allen von CDU und FDP hier und auch der Hessischen Landesregierung empfehle, den Koalitionsvertrag im Saarland einmal zu lesen.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Herr Wagner, das ist die spannende Frage: ob wir das hier auch hätten haben können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU und des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Das ist die spannende Frage.

(Zurufe)

Ganz ruhig. Ein Koalitionsvertrag in dem drinsteht: keine neuen Kohle- Großkraftwerke? – Ich warte auf Ihren Applaus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Ein Koalitionsvertrag, in dem steht: Ja zum Atomausstieg? – Wo ist Ihr Applaus?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Ein Koalitionsvertrag, in dem die Studiengebühren abgeschafft werden? – Wo ist Ihr Applaus?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Herren von der FDP, ein Koalitionsvertrag, in dem ein deutliches Rauchverbot für die Gastronomie steht? – Wo ist Ihr Applaus?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehen Sie, das Problem an der Geschichte ist doch das Folgende: Florian Rentsch hat in der letzten Woche zu Recht gesagt – ich glaube ihm das auch –, dass er als FDP-Mann Probleme gehabt hätte, diesen Vertrag zu unterschreiben. Das ist vielleicht der Unterschied: In anderen Bundesländern gibt es vielleicht etwas fortschrittlichere Landesverbände von CDU und FDP. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU) und des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Herr Ministerpräsident, wissen Sie: In der Politik geht es eben um die Macht. Das ist so. Man braucht die Macht, um Inhalte umsetzen zu können. – Es geht aber um die Inhalte, und nicht nur um die Macht um der Macht willen. Das ist vielleicht ein Unterschied.

Aber wir wissen ja, dass es inzwischen in der CDU einige Wenige gibt, die das auch verstanden haben. Ich wünsche innerparteilich gutes Gelingen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, am Ende Ihrer Rede haben Sie die aktuelle Steuerschätzung angesprochen. Wir haben eine Situation, in der die Unterfinanzierung der staatlichen Aufgaben noch lange nach dem Abflauen der Krise ihre Auswirkung auf die Haushalte und damit auch auf staatliches Handeln haben wird. Aber wir sind auf diese Situation nicht gut vorbereitet. Denn schon jetzt, Herr Ministerpräsident, haben wir einen Schuldenstand, der exorbitant hoch ist.

Ich fand es sehr spannend, dass Sie in Ihrer Rede eben gerade gesagt haben – wir alle haben es geahnt –, Sie werden am Freitag eine Eröffnungsbilanz des Landes Hessen vorstellen, wonach das Eigenkapital des Landes negativ ist.

Das war uns klar, Stichwort Pensionslast. Die spannende Frage lautet aber, ob es auch negativ wäre, wenn die nicht dabei wäre – ob also die Schulenmacherei der vergangenen Jahre am Ende irgendeinen Gegenwert gebracht hat, der mehr wert ist als die Schulden. Das wird eine spannende Frage.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, ich will nicht so viel über die Vergangenheit reden. Herr Ministerpräsident, Sie müssen sich aber schon vorhalten lassen, dass das Land Hessen – als Sie Ministerpräsident wurden – etwas über 20 Milliarden Euro Schulden hatte, dass wir aber am Ende des Haushaltsjahres, über das wir gerade reden, deutlich über 40 Milliarden Euro Schulden haben werden. Das heißt, in Ihrer Regierungszeit wurde der Schuldenstand eben gerade einmal verdoppelt – und das ganz ohne immerwährende Krise; dabei waren auch steuerpolitisch viele gute Jahre.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Das meine ich mit der Frage, wie gut wir auf diese Situation vorbereitet sind.

Dann aber wird es spannend. Denn dann debattieren wir über die Frage: Welchen Staat wollen wir eigentlich?

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Welche Aufgaben soll der Staat eigentlich erfüllen? Welche Aufgaben sollen Private erfüllen? Was ist unsere Vorstellung von Gesellschaft?

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da wird es dann wirklich spannend.

Herr Koch, ich fand es spannend, dass Sie damit angefangen haben, man könne auf Bundesebene Steuern – und dann wollten Sie irgendwie „senken“ sagen, haben dann aber „anpassen“ gesagt.

(Zuruf des Abg. Marius Weiß (SPD))

Oder „verändern“. Das, was Sie gerade machen, ist Wahnsinn. Ich sage das so ausdrücklich: Es ist Wahnsinn.

Schon jetzt, im Jahr 2010, haben wir eine geplante Neuverschuldung auf Bundesebene – wenn man die Bundesagentur mitrechnet –, die über 100 Milliarden Euro betragen wird. Das ist eine noch nie dagewesene Summe. Selbst im schlimmsten Jahr der Einheitslasten waren das 46 Milliarden Euro. Jetzt sind es mehr als doppelt so viel.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Schon jetzt haben wir im Landeshaushalt geplante Schulden für das nächste Jahr von 3,45 Milliarden Euro – so viel wie noch nie. Dabei ist noch nicht einmal das berücksichtigt, was auf Bundesebene gerade besprochen wird und bei dem Sie auch etwas im Bundesrat mitzureden haben. Und da wollen Sie immer weiter Steuern senken. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist Wahnsinn.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie das mir nicht glauben, will ich Ihnen vortragen, was der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – das sind im Volksmund die „Wirtschaftsweisen“ – in der letzten Woche veröffentlicht hat.

Zitate:

Für zusätzliche Ausgaben oder Steuersenkungen bestehen keine Spielräume. Die immense Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte muss ab dem Jahr 2011 konsequent zurückgeführt werden.

– Es geht um die Frage: Welchen Staat wollen wir? Ich fahre mit dem Zitat fort: –

Ohne Drastische Ausgabenkürzungen werden Steuererhöhungen nicht zu vermeiden sein.

Dann sagt der Sachverständigenrat selbst etwas dazu, ob man eigentlich wirklich drastische Ausgabenkürzungen machen kann, es geht weiter:

Trotz angespannter Haushaltslage sollten eine Erhöhung des allgemeinen Bildungsniveaus und der Bildungschancen für bisher benachteiligte Personengruppen höchste Priorität besitzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich will Ihnen noch etwas vortragen – ebenfalls vom Sachverständigenrat, vor allem für die Herren von der FDP –:

Steuersenkungen finanzieren sich, vorausgesetzt sie sind richtig konzipiert, zu einem bestimmten Teil, aber niemals vollständig selbst. Steuersenkungsversprechen ohne eine solide Gegenfinanzierung, wie sie sich im Koalitionsvertrag finden, sind unseriös.

Mehr muss man dazu nicht sagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich will das einmal ganz konkret am Beispiel des Landes Hessen deutlich machen. Wir haben einen Finanzplan, den wir ebenfalls diskutieren. Dieser sieht für das Jahr 2011 3,1 Milliarden Euro neue Schulden vor und 100 Millionen ungelöste Handlungsbedarfe, wie der Finanzminister immer sagt. Wenn die 24 Milliarden Euro Steuerentlastungen, die im Koalitionsvertrag von CDU und FDP auf Bundesebene stehen, Realität werden, dann bedeutet das für das Land Hessen, dass noch einmal 800 Millionen Euro weniger in der Kasse sein werden. Das heißt, wir werden dann, wenn das, was Sie vorhaben, Realität wird, im nächsten Jahr 3,5 Milliarden Euro neue Schulden machen; und im Jahr darauf werden es 4 Milliarden Euro neue Schulden sein. Das heißt, wir werden dann in die Situation kommen, im Jahr 2011 mehr Schulden zu machen, als alle Lehrkräfte und Polizisten des Landes in einem Jahr an Gehalt bekommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie wollen Sie das eigentlich auffangen? Deswegen reden wir hier über die Frage: Welchen Staat wollen wir? Das ist die spannende Debatte der nächsten Jahre.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der CDU)

Sie haben gefragt: Wie behandeln wir die Kinder? – Das heißt jetzt also auf Bundesebene Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Das ist eigentlich ein ziemlich komisches Wort, wenn ich das einmal so sagen darf. Es geht faktisch darum, den Hoteliers den reduzierten Mehrwertsteuersatz zu gewähren. Ich hatte eigentlich alle seriösen Finanzpolitiker einmal so verstanden, dass wir die Anzahl der Ausnahmen, d. h. diejenigen, die 7 Prozent bezahlen, eigentlich reduzieren wollten. Jetzt wird noch eins draufgesetzt, bitte sehr. Ist das – bayerische Seilbahnen, Hoteliers und Hundefutter – seriös? Ich weiß es nicht.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

– Schnittblumen, dafür aber keine Windeln. Egal, ich hatte es eigentlich einmal anders verstanden, aber bitte sehr.

Den größten Teil betrifft das Thema Kinderfreibetrag und Kindergelderhöhung. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Die Kosten des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes, wie Sie das auf Bundesebene genannt haben, betragen insgesamt 8,5 Milliarden Euro, volle Jahreswirkung. Für die Länder sind es 2,3 Milliarden Euro. Das heißt, nach unserem Überschlag bedeutet das für Hessen noch einmal 230 Millionen Euro, die oben draufkommen und im nächsten Jahr fehlen werden. Da stellt sich nun wirklich die spannende Frage: Welchen Staat wollen wir?

Was machen Sie denn da? – Sie sagen, der Kinderfreibetrag und das Kindergeld werden erhöht. Das hört sich erst einmal gut an. Aber welche Auswirkungen hat das denn? – Ich werde nächstes Jahr ungefähr 900 Euro weniger Steuern zahlen, weil ich zu den Gutverdienenden mit zwei Kindern gehöre, welchen der Freibetrag dann erhöht wird. Derjenige, der Normalverdiener ist, hat dann ungefähr die Hälfte, weil das bei ihm steuerlich gar nicht mehr so angerechnet wird, sondern es bleibt dann bei den 20 Euro Kindergeld pro Kind und Monat. Derjenige, der Hartz-IV-Empfänger ist, hat überhaupt nichts davon, weil es völlig angerechnet wird. Das heißt z. B. ganz konkret: In meiner Heimatstadt, wo 19 Prozent der Bevölkerung in irgendeiner Form – auch Aufstocker – im ALG-II-Bezug und wo auch ein Drittel der Kinder im Bezug sind, werden ein Drittel der Kinder davon überhaupt nichts haben. Ich dafür werde aber weniger Steuern zahlen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Ministerpräsident, ich finde das falsch. Wir werden im nächsten Jahr aufgrund dieses Gesetzes im Landeshaushalt 230 Millionen Euro weniger zur Verfügung haben. Gleichzeitig kriegen Sie es nicht hin, eine Million Euro für ein Schulobstprogramm zu bewilligen. Das ist es, worüber wir hier reden. Daher lautet die spannende Frage: Welchen Staat wollen Sie? Darüber werden wir uns in den nächsten Jahren auseinandersetzen. Ich sage Ihnen: Diese Umverteilungspolitik ist falsch. Sie ist gesellschaftspolitisch falsch, und ich glaube, dass sie auch die Mehrheit der Bevölkerung für falsch hält. Das wird sich in den nächsten Jahren sehr deutlich zeigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union und der FDP.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage Ihnen sehr deutlich: Wenn wir nicht wollen, dass die öffentlichen Leistungen drastisch zusammengestrichen werden, dann brauchen wir nicht weniger Einnahmen, sondern mehr. Diese Wahrheit muss man dann auch aussprechen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie wären, wenn Sie sich einmal ganz allein im stillen Kämmerlein Ihren Haushalt anschauen – nicht Sie, Herr Greilich, aber Herr Koch, denn eigentlich weiß er, wie Haushaltslagen sind –, froh,

(Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

wenn Sie die alte Grundwasserabgabe noch hätten. Deswegen sollte man Vorschläge im Hinblick auf Abgaben, die Lenkungswirkungen entfalten und wieder zusätzliche Einnahmen für den Landeshaushalt bedeuten könnten, nicht diffamieren, sondern man sollte sich überlegen, welche Aufgaben wir in den nächsten Jahren zu erledigen haben, um dann zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme zu kommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ganze wird noch viel doller. Wir haben ab dem Jahr 2020 die Schuldenbremse. Diese kann man gut oder schlecht finden, sie ist aber da. Das bedeutet, dass wir in wirtschaftlichen Normalzeiten ab dem Jahr 2020 keine neuen Schulden mehr machen dürfen. Wenn Sie sich einmal den Schuldenpfad anschauen, den wir im Moment da drauflegen, frage ich mich, wie wir das eigentlich erfüllen sollen. Wie sollen wir es im Jahr 2020 schaffen, keine neuen Schulden mehr aufzunehmen, wenn wir allein von den Zins- und Tilgungslasten der Jahre, die wir jetzt draufgepackt haben, geradezu erdrückt werden? Die Antwort auf diese Frage stelle ich an das gesamte Haus. Auf diese Antwort bin ich sehr gespannt. Wir werden uns als Opposition, die sich auch Gedanken über die Zukunft macht, darum bemühen, aber, Herr Ministerpräsident, die Regierung hat mit Verlaub vielleicht auch noch einen gewissen Auftrag, und zwar nicht nur über die Opposition zu schimpfen, sondern selbst irgendetwas vorzulegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es ist völlig klar: Die Schuldenbremse zu erfüllen, geht mit Steuersenkungen nicht. Da kann ich Ihnen nur sagen, dass der Abakus, den Ihnen der Kollege Schäfer-Gümbel geschenkt hat, vielleicht ganz hilfreich ist, denn es betrifft einfach die Grundrechenarten. Sie können nicht Einnahmen reduzieren, gleichzeitig Bildungs- und Zukunftsinvestitionen finanzieren und keine Schulden mehr machen. Das funktioniert einfach nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Bei den Änderungen haben wir Ihnen als GRÜNE 100 – es ist Zufall, dass es exakt 100 geworden sind – Änderungsanträge auf den Tisch gelegt, die Ihnen deutlich sagen könnten, wo aus unserer Sicht eine andere Politik gemacht werden könnte und die im Übrigen keine zusätzlichen Einnahmen auf Bundesebene einrechnen. Ich gebe aber zu, dass wir auch nicht mit einrechnen, dass wir weniger Geld bekommen, weil wir die Steuersenkungen grundsätzlich für falsch halten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben das an bestimmten Punkten deutlich gemacht, indem wir uns einfach Leitfragen gestellt haben. Erste Frage: Wird Hessen seiner Verantwortung für nachfolgende Generationen, für die Umwelt und für die Begrenzung des Klimawandels gerecht? – Unsere Antwort ist: bisher leider nein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, ich sage Ihnen sehr deutlich, dass das der Punkt ist, bei dem Sie wirklich einmal in den Koalitionsvertrag von CDU und FDP auf Bundesebene schauen sollten. Da steht der schöne Satz,  dass sich die Bundesregierung dazu bekennt, „Treibhausgas- Emissionen bis 2020 um 40 Prozent“ zu reduzieren.

Dann sage ich Ihnen aber: Wenn Sie gleichzeitig keine Antwort darauf geben, wie das geschehen soll, dann nützt dieser Satz überhaupt nichts. Das heißt, das sollte wirklich eine Verpflichtung für Sie sein.

Wir sind ausdrücklich einer Meinung mit Ihnen, dass die Nachhaltigkeitsstrategie gute Ergebnisse zeitigen kann. Sie müssen sich aber schon anheften lassen: Der Club of Rome war irgendwann Anfang der Siebzigerjahre. – Hessen hat seit dem Jahr 2008 auch eine Nachhaltigkeitskonferenz.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Herr Ministerpräsident, das fand ich in Ihrer Rede ein bisschen verräterisch: Als Sie gesagt haben: „Wir brauchen auch weiterhin die Industrie, damit wir uns die Nachhaltigkeit leisten können“, ist mir aufgefallen, dass Sie es leider immer noch nicht verstanden haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Herr Ministerpräsident, es geht nicht darum, irgendwo die Umwelt zu zerstören, damit Geld zu verdienen und mit dem verdienten Geld dann die Folgen der Umweltzerstörung zu beseitigen, sondern Nachhaltigkeit bedeutet z. B. auch, dass man sich überlegt, wie man durch Reduktion von Energieverbrauch Kosten gar nicht erst entstehen lassen kann, d. h. mit der Nachhaltigkeit an sich Geld verdienen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es verwundert logischerweise dann auch nicht, dass Ihnen – wenn man sich die reale Politik anschaut – außer Straßen und Flughäfen leider nichts einfällt. Deswegen sage ich es sehr deutlich: Wir müssen eine andere Umwelt- und Energiepolitik machen.

Das bringt mich zur zweiten Frage: Sind wir für eine zukunftsfähige und sichere Energieversorgung ohne Atomkraftwerke und ohne neue Kohlekraftwerke gerüstet? Ich sage Ihnen: Nein, Herr Ministerpräsident, sind wir nicht. Sie sind auch ausdrücklich dafür, dass die Schrottreaktoren in Biblis länger laufen und neue Kohlegroßkraftwerke gebaut werden.

Herr Beuth – ich habe ihn gerade da oben gesehen, vielleicht ist er wieder auf dem Weg nach unten. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das Wort „Monster“ irgendeinen Sinn hätte, dann müsste man sagen: Wir brauchen in Hessen keine neuen Kohlekraftwerksmonster.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich glaube auch da, dass es einfach hanebüchen ist, dass wir die Chancen, die in der Energiewende stecken, nicht nutzen. Wir nutzen sie nicht so, wie wir es könnten. Wir warten immer noch auf die neue Energiepolitik. Herr Ministerpräsident, wir warten darauf, seit Sie im April 2008 angekündigt haben,

(Zuruf der Ministerin Silke Lautenschläger)

Hessen solle zum Musterland werden. Wir warten darauf, seit im Februar angekündigt wurde, dass das neue Energiekonzept komme. Wir warten. Wir kommen uns schon vor wie Godot. Aber nein, wir warten immer noch. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Wir müssen dringend eine andere Energiepolitik machen, weil Ihre Politik am Ende weder eine zukunftsfähige noch eine sichere Energieversorgung hervorbringt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hätte gerne, dass wir mit einer anderen Umwelt- und Energiepolitik die 40.000 Arbeitsplätze in Hessen schaffen, die in dieser neuen Energie- und Umweltpolitik stecken, und dass wir gleichzeitig dafür sorgen, dass diese Energieversorgung nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch sicherer wird.

Ich will zum Stichwort Stromimporte – wir hören uns in den letzten Jahren einiges an –, ausdrücklich eine aktuelle dpa-Meldung von gestern, 19:50 Uhr, vorlesen, die ich allen empfehle:

Frankreich geht der Saft aus: Stromimporte. Frankreich hat erstmals seit dem Winter 1982/83 im Oktober Strom importieren müssen. Die 58 Atomreaktoren hätten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum knapp 9 Prozent weniger Strom produziert.

Ich sage Ihnen sehr deutlich, Sie können an der Situation in Frankreich sehen: Die Franzosen sind jetzt froh, dass Rot-Grün in der Regierungszeit auf Bundesebene viele erneuerbare Energiequellen installiert hat, damit wir jetzt mit unseren erneuerbaren Energien die Franzosen vor dem Blackout bewahren können, weil die nämlich mit ihren Atomkraftwerken nicht mehr genug Strom produzieren können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das wird vielleicht der Punkt „sichere Energieerzeugung“ bei Ihnen. Ich warte immer noch auf das Umdenken.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Roland Koch – Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Herr Koch, bisher war es immer so, dass die Franzosen im Sommer den deutschen Strom importiert haben, weil dann nämlich die Loire zu wenig Wasser geführt hat, um ihre Atomkraftwerke kühlen zu können.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Dass Sie es inzwischen noch nicht einmal mehr im Winter hinbekommen, sollte Ihnen zu denken geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Dritte Leitfrage. Geht es in Hessen gerecht zu, und haben die Menschen die Chance auf Teilhabe? Ich sage Ihnen: Nein, sie haben sie nicht in ausreichendem Maße. Ich glaube inzwischen, dass es Herrn Banzer selbst leidtut, dass er sein Ministerium nicht mehr „Sozialministerium“ genannt hat. Er wird überall noch als Sozialminister begrüßt. Einmal ist es ihm sogar selbst passiert, dass er sich als Sozialminister bezeichnet hat. Ich glaube aber, dass es symptomatisch ist, dass wir das einzige Bundesland sind, in dem eine Regierung, eine Koalition der Auffassung war, dass das Wort „Soziales“ in keinem Ministeriumstitel mehr vorkommen muss.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich glaube, dass wir auch da über die Frage debattieren müssen, welchen Staat wir wollen. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass natürlich am Ende die Leute selbst lernen müssen, selbst ihren Platz in der Gesellschaft finden müssen, am Ende für sich selbst verantwortlich sind, aber dass es aus unserer Sicht der Hilfe für einen bestimmten Teil bedarf, um sie zu befähigen, die Teilhabe auch wirklich eigenverantwortlich wahrnehmen zu können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Da reden wir über die Frage: Welchen Staat wollen wir? – Die Tatsache, dass wir – Sie waren alle angeblich in wichtiger Mission unterwegs bei den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene – im Jahre 2009 wieder in einem Koalitionsvertrag auf Bundesebene eine Formulierung haben, die sagt: „Die Kommunen und die Arbeitsagentur sollen die Aufgaben der Arbeitsvermittlung und der Arbeitsförderung getrennt wahrnehmen“, das hätte ich nicht für möglich gehalten.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Da kann ich Ihnen nur sagen: Da kann Franz Josef Jung einmal zeigen, was er kann. Vielleicht überrascht er uns alle positiv. Da kann vielleicht die Hessische Landesregierung einmal zeigen, ob sie aus den Arbeitsmarktdebatten der letzten zehn Jahre irgendetwas gelernt hat. Aber es kann doch wirklich nicht ihr Ernst sein, wenn wir in der Frage Arbeitsmarkt, Arbeitsförderung am Ende wieder zu der Situation kommen, dass wir die Arbeitssuchenden zu zwei verschiedenen Ämtern schicken, zu zwei verschiedenen Widerspruchsabteilungen, im Zweifel zu zwei verschiedenen Gerichten. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Hahn, bei der Integrationspolitik beobachten wir sehr genau, dass die Rhetorik, eine andere geworden ist. Wir beobachten sehr genau, dass auch die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutlich zugenommen hat. Wir werden auch sehr genau darauf schauen, ob am Ende eine andere Politik dabei herauskommt.

(Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wenn die dabei herauskommt, haben Sie unsere Unterstützung. Wenn nur Rhetorik dabei herauskommt, dann werden wir darauf hinweisen, dass die realen Handlungen fehlen. Aber bitte sehr, diese Möglichkeit haben Sie. Wir wünschen Ihnen gutes Gelingen bei der Durchsetzung gegenüber Ihrem Koalitionspartner.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Ernst-Ewald Roth (SPD))

Herr Ministerpräsident, Sie haben im Übrigen so schön gesagt, dass die Wählerinnen und Wähler CDU und FDP gemeinsam mit der größten Mehrheit ausgestattet hätten, die sie je gehabt hätten. Ich finde es spannend, dass die CDU bei dem Punkt dann anfängt, zu jubeln.

(Minister Jörg-Uwe Hahn: Sie freuen sich für die FDP!)

Die Union hat zweimal hintereinander in absoluten Zahlen an Stimmen verloren, und das, obwohl bei der zweiten Landtagswahl die SPD deutliche Verluste hatte, und die bei der anderen Volkspartei nicht angekommen sind. Dass Sie offensichtlich weiterhin nicht der Auffassung sind, einmal darüber nachdenken zu müssen, ob das vielleicht auch etwas mit Ihrer Politik zu tun hat, finde ich, ehrlich gesagt, ein wenig unterkomplex.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vierte Leitfrage. Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir in Hessen endlich den nötigen Aufbruch in der Bildungspolitik, und schaffen wir es in Hessen in der Schul- und Hochschulpolitik endlich, unabhängig von der Herkunft der Schülerinnen und Schüler und der Studierenden zu fördern? Antwort: leider immer noch nicht. – Die Proteste am gestrigen Tag zeigen Ihnen sehr deutlich, dass es weiterhin an den Schulen und Hochschulen grummelt. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Das ist der Punkt, wo viele Menschen Hoffnung in die FDP gesetzt haben. Die sind in der Schulpolitik bisher bitterlich enttäuscht worden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind deshalb bitterlich enttäuscht worden, weil auch die Beteiligung der FDP nicht dazu geführt hat, dass die Hessische Landesregierung endlich die Kraft zu einem nötigen Neuanfang in der Bildungspolitik hat. Wir befinden uns im Jahr 9 nach PISA. Wir haben in diesem Sommer beim Übergang von Grundschule zu weiterführender Schule Anmeldequoten von unter 4 Prozent für die Hauptschule gehabt. Wir haben weiterhin die Situation, dass 20 bis 25 Prozent der Schülerinnen und Schüler zur Risikogruppe gehören und die Schule ohne Abschluss oder mit einem schlechten Abschluss verlassen bzw. einem Abschluss, der im Zweifel dafür sorgt, dass sie auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben. Im nächsten Jahr wird das sicher nicht einfacher werden, wenn ich mir so die Arbeitsmarktentwicklung anschaue.

Das heißt, wir müssten uns alle miteinander die Frage stellen: Fördern wir so, wie wir fördern müssten, liebe Kolleginnen und Kollegen? Da sage ich Ihnen sehr deutlich: Ich wünschte mir – Stichwort: wie ist das in anderen Bundesländern? –, dass auch in Hessen die Regierungsfraktionen erkennen würden, dass man mit der Politik aus den Sechziger- und Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts nicht die Antworten für das Jahr 2010 ff. gibt. Das wünschte ich mir. Das bedeutet: keine ideologischen Debatten mehr, sondern schlicht die Anerkennung der Realität.

Wir haben die Situation, dass die Eltern und die Schülerinnen und Schüler die Hauptschule nicht mehr akzeptieren. Wir haben die Situation, dass wir die Risikogruppen, die schwächeren Schülerinnen und Schüler, nicht genug fördern. Wir haben die Situation, dass sich soziale Herkunft am Ende auch durch unser Bildungswesen fortsetzt, und das darf nicht so bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen, und zwar egal, wer regiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Frau Kühne-Hörmann, dass Sie zur Hochschulpolitik am Ende eine Losung aus der Oktoberrevolution zu Ihrer Losung machen und sagen: „Alle Macht den Räten“, wenn auch den Hochschulräten, das hätte ich nicht für möglich gehalten.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das hat in der Oktoberrevolution nicht funktioniert, und das sollten wir auch heute, im Jahre 2009, in Hessen nicht einführen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Fünfte Frage. Ziehen wir aus der Wirtschaftskrise die richtigen Konsequenzen, und machen wir endlich eine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik? Antwort: leider nein. Wir haben die Situation, dass, wenn man sich anschaut, was dieses Wirtschaftsministerium eigentlich macht, ein altes Lied mit dem Refrain „Beton, Beton“ angebracht wäre. Wir haben viele Straßen, wir haben viele Landebahnen, virtuelle wie in Kassel-Calden oder in Bau befindliche wie in Frankfurt, aber wir haben keine Situation, dass wir endlich einmal darüber nachdenken würden, was Wirtschaftspolitik der Zukunft ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da sage ich Ihnen ausdrücklich: Wir brauchen in der Umweltpolitik eine Effizienzrevolution, und wir haben allen Chancen, wenn ich mir Viessmann und Buderus anschaue. Wir brauchen bei den erneuerbaren Energien endlich ein Herausgehen aus der Geisterbahn, in der Herr Beuth immer nur Monster sieht, zu einer wirklich zukunftsfähigen Politik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen bei der Breitbandkommunikation wirklichen Fortschritt und nicht nur Modellprojekte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen bei der Kreativwirtschaft endlich ein Verständnis dafür, dass Wirtschaftspolitik der Zukunft eben nicht nur auf der Autobahn stattfindet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider zum größten Teil Fehlanzeige.

Stichwort nachhaltige Haushaltspolitik. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Wir können keine Situation weiter betreiben, in der wir immer mehr Schulden machen, gleichzeitig immer weniger Einnahmen haben, immer mehr Zinsen zahlen müssen für die Schulden, die wir dafür machen, und am Ende mehr Schulden aufnehmen, um die Zinsen zu bezahlen. Wer in einer solchen Situation ist, und zwar auch jenseits von Krisensituationen, der kommt irgendwann an den Rand – ich hätte fast schon gesagt – argentinischer Verhältnisse. Aber ich glaube, Sie wissen selbst, dass es auf die Dauer so nicht funktionieren kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die siebte Leitfrage für uns: Wie bleiben wir als Land und wie bleiben die Kommunen in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen, oder werden das Land und die Kommunen durch unverantwortliche Steuersenkungen faktisch in den Ruin getrieben?

Da wird das Jahr 2010 schon die Stunde der Wahrheit werden. Wir sehen mit großem Interesse, was der Landkreistag über die kommunale Finanzsituation sagt. Wir sehen mit großem Interesse, was Petra Roth als Vorsitzende des Städtetages über die Finanzsituation der großen Städte sagt. Wir sehen mit großem Interesse, was der Städte- und Gemeindebund über die Frage sagt, wie Daseinsfürsorge noch erfüllt werden soll.

Ich glaube, dass Sie alle sich Gedanken machen müssen, wie Sie vor Ort den Leuten erklären, was Sie alles zumachen oder welche notwendigen Aufgaben Sie nicht erfüllen, wenn Sie gleichzeitig auf Landes- und Bundesebene die Verantwortung dafür tragen, dass der Staat immer weniger Geld in der Kasse hat. Diese Frage müssen Sie beantworten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Diese Frage werden wir in den nächsten zwei Jahren stellen. Da ist genau wieder die Frage: Welchen Staat wollen wir? Wollen wir den Staat, den sich nur die gut Verdienenden leisten können, weil sie im Zweifel ausweichen können, weil sie auf die öffentlichen Angebote nicht angewiesen sind, oder wollen wir einen anderen Staat? Diese Debatte führen wir.

Herr Ministerpräsident, ich glaube, viele Menschen in diesem Land sind auf der Suche nach politischen Antworten, die sie mit ihrer Lebenswirklichkeit wieder in Einklang bringen können. Es gibt viele Menschen, die verstanden haben, dass man weder mit einer völlig unkritischen Huldigung der Kräfte des freien Marktes, wie die einen Radikalen, die Marktradikalen, es wollen, noch mit einem Wunsch zur Rückkehr in nationalstaatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts, wie die anderen Radikalen, die Staatsradikalen, es wollen, eine Gesellschaft der Zukunft baut, dass der Staat, den wir wollen, so nicht funktionieren kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen: Wir werden über die Frage debattieren, wie man Ökonomie, Ökologie und Gerechtigkeit zusammenbringt. Wir werden über die Frage debattieren, welche Aufgaben der Staat am Ende erfüllen muss. Wir werden über die Frage debattieren, ob wir in einer solidarischen Gesellschaft leben und arbeiten wollen. Wir werden auch über die Frage debattieren, wie viel Nachhaltigkeit wir zum wirtschaftlichen Erfolg brauchen. So herum wird ein Schuh draus, Herr Ministerpräsident. Es ist die Frage, wie viel Nachhaltigkeit wir dringend nötig haben für den wirtschaftlichen Erfolg. Das ist kein Gegensatz mehr. Wer immer noch so denkt, der ist in diesen Fragen leider von vorgestern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich wünsche mir, dass wir in den nächsten Jahren eine ernsthafte Debatte führen. Wir haben keine Landtagswahl, keine Bundestagswahl. Wir haben eine Kommunalwahl vor uns, aber bis dahin sind es auch noch eineinhalb Jahre. Das heißt, wir werden auf alle diese Fragen Antworten geben müssen. Wir werden das tun, die anderen werden es tun. Die Regierung muss es tun, und am Ende müssen wir alle miteinander vor die Bürgerinnen und Bürger treten und sagen: Das ist unser Konzept, wie wir uns eine wirtschaftlich erfolgreiche und ökologisch verantwortbare Zukunft dieses Landes Hessen vorstellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da bin ich gespannt darauf, ob die Debatten der Zukunft in diesem Landtag etwas mehr Substanz beinhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen, als immer nur die alten Platten abzuspielen, die am Ende keinerlei Zukunftsaussagen mehr haben, Herr Ministerpräsident. Das wird die spannende Frage sein.

Herr Finanzminister, wir reden hier über den Haushalt, und ich sage Ihnen: Wenn Sie noch einmal über den Länderfinanzausgleich jammern, ohne einen Vorschlag zur Veränderung vorzulegen, dann nennen wir Sie den Bruce Darnell der hessischen Landespolitik.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Immer nur „Drama, Drama!“ rufen, aber nie eine Antwort haben, das funktioniert nicht. Das funktioniert nicht bei Finanzen, und das funktioniert in der Politik insgesamt nicht.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD)

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