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13.05.2009
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir zu: Kreditsperre verhindern - Krisenbekämpfung ermöglichen - Bundesland Hessen erhalten

Herr Ministerpräsident, Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Koch, in unseren Reihen herrschte schon ein bisschen Verwunderung.

(Zurufe von der CDU)

– Ja, unbestritten. – Wir führen diese Haushaltsdebatte in der schwersten Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Das ist so. Herr Koch, die spannende Frage ist nur, ob man aus dieser Krise eigentlich herauskommt, wenn man in der Debatte dieselbe Platte aus dem letzten Jahrhundert auflegt, die man auch schon vor der Krise abgespielt hat, inklusive der Kommunistenfurcht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg.Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Wir feiern in diesen Tagen das 60-jährige Bestehen der Bundesrepublik. Herr Wagner, Konrad Adenauer hat seinen verdienten Platz in der Geschichte. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, es ist wirklich nicht angebracht, wenn man im Jahr 2009 versucht, Politik mit den Plakaten aus den Fünfzigerjahren zu machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nebenbei: Natürlich befinden wir uns in einer Generaldebatte. Aber wir reden auch über den Haushalt des Landes Hessen für das Jahr 2009. Ich sage ausdrücklich: Natürlich ist es so, dass sich die Finanzlage als Folge der Wirtschaftskrise dramatisch entwickelt hat. Ich glaube, dieses Wort ist angebracht. Das wäre für jeden so, egal wer die Landesregierung stellt. Die Finanzlage und die Einnahmesituation wären für jeden gleich.

Aber die spannende Frage ist: Was folgt eigentlich aus der Krise? Diskutieren wir darüber, wie wir herauskommen? Diskutieren wir auch noch darüber, wie wir eigentlich in die Krise geraten sind, meine Herren von der FDP? Auch das ist eine spannende Debatte, die man nicht unter den Tisch fallen lassen sollte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Frage ist, ob das, was wir jetzt machen, eigentlich dazu beiträgt, dass wir, erstens, aus der Krise herauskommen und, zweitens, nach der Krise besser dastehen als zuvor. Das ist die entscheidende Frage.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Es gibt für uns keine größere Enttäuschung als diese Landesregierung nach den ersten 100 Tagen im Amt.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Wagner, das sage ich nicht, weil ich in der Opposition bin, sondern weil ich selten eine Landesregierung erlebt habe, die nach 98 Tagen im Amt einen solch verbrauchten Eindruck gemacht hat wie die, die die Mehrheit des Parlaments gewählt hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Natürlich ist eine Nettoneuverschuldung in Höhe von 2,5 Milliarden Euro dramatisch. Herr Weimar weiß es sehr genau: Jetzt, zur Stunde, sitzen die Steuerschätzer zusammen und stellen fest, wie die Wirklichkeit im Jahr 2009 aussieht. Wenn das, was man so hört, halbwegs stimmt, kommen wir auf insgesamt 48 Milliarden Euro Steuermindereinnahmen.

Es gibt eine alte Faustregel. Ich hoffe, dass sie diesmal nicht zutrifft. Die Faustregel lautet: Die eine Hälfte ist für den Bund, die andere für die Länder, und von dem, was für die Länder ist, gehen 10 Prozent an Hessen. Wenn man bei dieser Berechnung 48 Milliarden Euro zugrunde legt, kommen 2,4 Milliarden Euro für Hessen heraus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das stimmt – ich hoffe, dass das an uns vorübergeht –, werden wir im Jahr 2009 eine Nettoneuverschuldung haben, die eher an die 5 Milliarden Euro grenzt. Das heißt, ungefähr ein Viertel der Ausgaben wird dann über neue Kredite gedeckt. – So viel zu der Frage, wie dramatisch die Finanzlage des Landes Hessen ist.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Ich finde, deswegen dürfen wir nicht nur über die Frage reden, wie wir in diese Wirtschaftskrise geraten sind und wie wir wieder herauskommen, sondern wir müssen auch darüber reden, wie wir dafür sorgen, dass wir nach der Überwindung der Wirtschaftskrise nicht noch eine Krise des Staats bekommen, weil wir mit unseren Ausgaben nicht mehr zurechtkommen.

Wir können jetzt nicht gegen diese Krise ansparen. Man muss investieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Mehrheit, man muss allerdings richtig investieren.

(Zuruf des abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Vieles von dem, was hier läuft, ist falsch. Dazu komme ich später.

Aber wir müssen auch über die Frage reden, wie wir die Handlungsfähigkeit des Staats, auch des Landes Hessen, langfristig gewährleisten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die FDP nimmt in diesem Fragen niemand ernst. Deren Rezepte haben erst dafür gesorgt, dass die Wirtschaft an die Wand gefahren ist, und deren Rezepte würden dafür sorgen, dass danach auch noch der Staat an die Wand fährt.

(Zurufe von der FDP)

– Mit ihren Steuerkonzepten können sie sich selbst beschäftigen. An diesem Punkt nimmt Sie wirklich niemand mehr ernst, der sich mit der jetzigen Lage befasst.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber ich frage mich: Wo waren die Aufschreie des Hessischen Ministerpräsidenten, als in der CDU angesichts dieser Lage ernsthaft mit einer Steuersenkungsdebatte begonnen wurde? Herr Ministerpräsident, ich frage Sie: Wo ist Ihr Aufschrei?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wissen doch, dass wir angesichts der größten Finanzlöcher in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit Steuersenkungen nicht nur nicht weiterkämen, sondern dass wir in letzter Konsequenz nach der Wirtschaftskrise auch eine Staatskrise hätten.

Sie haben gefragt, ob wir dafür seien, die Gesamtbelastung zu erhöhen. Herr Koch, ich bin nicht dafür, die Gesamtbelastung zu erhöhen.

Aber im Prinzip ist es doch so: Das, was heute zu der Überschrift in der „Bild“-Zeitung geführt hat, bestätigt doch das, was gerade wir seit Jahren gesagt haben. Wir haben in Deutschland nicht das Problem einer zu hohen Steuerquote. Wir haben das Problem einer zu hohen Abgabenquote, einer zu hohen Lohnnebenkostenquote.

(Zuruf des Abg Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Kollege Wagner, weil die Lohnnebenkosten nicht progressiv sind, sondern weil sie alle gleich treffen, haben wir das Problem, dass diese Abgabenquote besonders die Geringverdiener und nicht die hoch Verdienenden trifft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Deswegen sage ich ausdrücklich: Wir werden in diesem Land keine Debatte darüber führen müssen, wie wir die Steuer- und Abgabenquote insgesamt erhöhen, sondern wir werden eine Debatte darüber führen müssen, wie wir dafür sorgen, dass die Geringverdiener, die in Deutschland besonders betroffen sind, entlastet werden, und wie wir das darüber kompensieren, dass auch diejenigen, die in den letzten Jahren besonders entlastet worden sind, und dass auch diejenigen – seien wir einmal ehrlich –, die von den so genannten Finanzprodukten besonders profitiert haben, ihren Teil dazu beitragen, dass auch der Staat aus dieser Krise handlungsfähig hervorgeht. Darum geht die Debatte, die wir führen müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Da würde ich mir wünschen, dass die Leute, die wissen, wie die Realität aussieht, endlich einmal zu einer wirklichen Einschätzung der Lage zurückkehren und sich von diesen Wolkenkuckucksheimdiskussionen, die auch in den USA und in Großbritannien niemand mehr führt, endgültig verabschieden. Irgendwann, wenn dieser Teil der Geschichte vorübergegangen ist, werden es auch die Mitglieder der FDP verstehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen sage ich Ihnen: Herr Koch, ich würde mir eines wünschen. Sie haben in der ersten Hälfte Ihrer Rede den Weltökonomen gegeben, um nicht über die bittere Realität des Landeshaushalts reden zu müssen.

(Heiterkeit der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Aber, erstens, endet das mit den selbst ernannten Weltökonomen meistens bitter. Ein Blick auf Oskar Lafontaine zeigt, wohin das führt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Zweitens, finde ich, muss man schon einmal genau hinschauen und fragen: Was machen Sie denn jetzt konkret? – Denn Sie geben immer nur den Weltökonomen. Aber in der Realität, da wo Sie selbst Verantwortung tragen, machen Sie genau das Gegenteil. Das lassen wir Ihnen nicht mehr durchgehen. Das lässt Ihnen auch die Bevölkerung nicht mehr durchgehen.

Heute ist der 13. Mai 2009. Sie sind jetzt zehn Jahre und etwas über einen Monat im Amt. Herr Ministerpräsident, da müssen Sie es sich schon gefallen lassen, dass Sie die Frage gestellt bekommen: Was haben Sie denn gemacht? – Diese Frage stellen wir. Die werden wir Ihnen immer wieder stellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Petra Fuhrmann und Reinhard Kahl (SPD))

Ich glaube, die Wiederkehr des Keynesianismus ist gerade für die Hessische Landesregierung etwas ganz Besonderes. Gerade jetzt in der Krise rächt es sich, dass Sie in den Jahren, in denen wir exorbitant hohe Steuermehreinnahmen hatten, es nicht geschafft haben, den Haushalt auszugleichen. Wir hatten im Jahr 2006 in Hessen Steuermehreinnahmen in Höhe von 15,3 Prozent. Im Jahr 2007 hatten wir Steuermehreinnahmen in Höhe von 13,1 Prozent. In diesen Jahren haben Sie nicht nur den Haushaltsausgleich nicht geschafft, sondern Sie haben gleichzeitig noch Landesvermögen verschleudert, um das Ausmaß der Krise zu verschleiern. Das rächt sich jetzt, und zwar ganz bitter.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Herr Koch, Sie rufen ständig: Holt mich hier raus. – Sie hatten das Pech, dass der Müllermeister Glos Ihnen den Sessel nicht lange genug warmgehalten hat. Herr Koch, Sie werden noch eine Zeit lang mit der hiesigen Situation leben müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Koch, ich sage Ihnen ausdrücklich: Dann schauen wir – –

(Zuruf des Abg. Volker Hoff (CDU))

– Herr Hoff, wissen Sie – –

(Zuruf des Abg. Volker Hoff (CDU))

– Ja, ich werde hier noch eine Zeit lang leben. Aber der Unterschied zwischen Roland Koch und mir besteht darin,

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

dass nach ihm niemand gerufen hat. Das ist doch sein Problem.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Volker Hoff (CDU))

Wir werden da sehr konkret werden. Wir werden Ihnen zwischen der zweiten und der dritten Lesung Änderungsantrag für Änderungsantrag vorlegen, die zeigen, wie wir auch im hessischen Landeshaushalt dazu kommen könnten, eine Änderung der Richtung zu erzielen.

Natürlich gibt es ein großes Investitionsprogramm. Herr Finanzminister, die 2,5 Milliarden Euro Nettoneuverschuldung, die jetzt noch im Haushaltsplan stehen, werden am Ende nicht die Realität sein. Das hat in Wahrheit auch nichts mit den 2,4 Milliarden Euro für Investitionen zu tun. Hinsichtlich des Investitionsprogramms haben wir das zusätzliche Problem, dass die Aufnahme der Schulden in die Zukunft verschoben wurde. Was uns heute aber an Einnahmen fehlt, ist jetzt schon Realität. Das heißt, unser strukturelles Defizit ist eigentlich noch viel größer als das, was wir momentan im Entwurf des Haushaltsplans lesen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man schon Geld ausgibt, dann muss wenigstens die Richtung stimmen. Hinsichtlich des Themas Bildung und hinsichtlich des Themas Schulbauten sind sich hier alle einig. Ich habe niemanden getroffen, der da eine andere Auffassung vertritt.

Aber bei dem, was es nebenher noch so gibt, da muss schon die Frage erlaubt sein: Stimmt die Richtung eigentlich, oder ist es nicht noch viel mehr von der Medizin, die nicht wirkt? Mit Ihrem: „Hurra, noch mehr Straßenbau“, kommen Sie mir manchmal vor wie ein Arzt im Mittelalter. Wenn der Aderlass nicht gewirkt hat, hat er noch etwas mehr Blut abgelassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht zukunftsfähig. Da stimmt die Richtung nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

Deswegen sage ich Ihnen ausdrücklich: Wir reden über die Frage, ob die Richtung der von Ihnen getätigten Investitionen stimmt. Herr Ministerpräsident, ich war Ihnen geradezu dankbar für Ihren Ausflug in die Energiepolitik. Denn das hat eines deutlich gemacht. Es ist jetzt ungefähr ein Jahr her, dass Sie hier standen und gesagt haben, Sie würden Hessen zum Musterland der erneuerbaren Energien machen.

(Heiterkeit des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ein Jahr später steht hier der alte Atom-Koch. Herr Ministerpräsident, vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie sagen, Sie würden beides machen. Ich stelle Ihnen dazu die Frage: Wo findet sich das in Ihrer realen Politik? Wo findet sich das in Ihrem Investitionsprogramm? Wo findet sich das in dem Entwurf dieses Landeshaushalts?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben in der letzten Woche den Umweltatlas 2008 vorgestellt bekommen. In diesem Umweltatlas 2008 steht ein sehr interessantes Ergebnis. Zwischen 2008 und 2009 rechnen die Unternehmen der Umweltbranche in Deutschland mit einem Mitarbeiterzuwachs von 19 Prozent. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nennen Sie mir irgendeine andere Branche, die im Jahr 2008 und im Jahr 2009 mit einem Mitarbeiterzuwachs von 19 Prozent rechnet. Nennen Sie mir irgendeine andere Branche.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die spannende Frage ist doch folgende. Sie könnten jetzt sagen: Okay, das ist irgendeine Nische. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist es aber nicht mehr. Dieser Bereich macht inzwischen 8 Prozent des Bruttoinlandprodukts der Bundesrepublik Deutschland aus.

Es gibt Leute, die das inzwischen erkannt haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht das Magazin von Greenpeace,

(Der Redner hält die „Wirtschaftswoche“ hoch.)

sondern das ist die „Wirtschaftswoche“. Die hat letzte Woche mit dem Titel aufgemacht:

Grün aus der Krise – Wie Öko-Technik die deutsche Industrie revolutioniert und 1 Million neue Jobs schafft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle haben es verstanden, nur die Mitglieder der Hessischen Landesregierung nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Langfristig gesehen ist das, was hier passiert, ein wirtschaftspolitischer und ein arbeitsmarktpolitischer Skandal. Herr Ministerpräsident, es ist keine fünf Monate her, dass das Land mit Plakaten zugekleistert war, auf denen stand:

In Zeiten wie diesen kämpfen wir um jeden Arbeitsplatz.

Die reale Politik ist: Blockade der erneuerbaren Energien.

(Zuruf)

– Aber natürlich ist das so. – Der Herr Ministerpräsident hat gerufen: „Quatsch!“. Wie verhalten sich denn die Mitglieder der CDU und der FDP in den Regionalversammlungen real?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wie sieht denn dort die Realität aus? Wie können Sie es sich in Zeiten wie diesen leisten, Tausende Arbeitsplätze nicht entstehen zu lassen? Das ist mir unbegreiflich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben Ihnen vorgeschlagen, umzuschichten. Ich sage Ihnen: Hinsichtlich der Investitionen werden wir die Frage neu debattieren müssen, wie man die Prioritäten setzt.

Sie sind stolz darauf, den größten Straßenbauetat in der Geschichte des Landes Hessen zu haben. Ich sage Ihnen: Nach unserer Auffassung wäre es wirklich sinnvoll, die Hälfte dieses Rekordetats anders zu verwenden. Ganz nebenbei gesagt: So viele Firmen, die Straßen bauen, gibt es gar nicht. Angesichts der ganzen Konjunkturprogramme wage ich mir nicht, vorzustellen, was das für die Preise bedeuten wird, und ob Sie, Herr Arnold, noch genügend Bagger finden werden. Ich weiß, Sie finden immer welche. Aber Sie verstehen schon, was ich meine. Im Gegensatz zu anderen verstehen Sie etwas davon. Sie verstehen ganz genau, was ich meine.

Wir glauben, dass es sinnvoller ist, aus den eher kapitalintensiven Bereichen heraus in die Bereiche zu gehen, die erstens arbeitsplatzintensiver sind und bei denen man, zweitens, am Ende nicht Folgekosten, sondern Folgeeinsparungen aufgrund der höheren Energieeffizienz und Folgenutzen im Sinne zusätzlicher Arbeitsplätze hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir schlagen es Ihnen vor. Wie Sie im Haushaltsausschuss damit umgehen, das ist Ihre Sache. Aber wir werden an diesem Punkt nicht locker lassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Wir glauben, dass das zweite Megathema, nämlich die Frage der Bildungspolitik, auch nach zehn Jahren neu auf den Prüfstand kommt.

Herr Koch, wenn man jetzt zehn Jahre und einen Monat im Amt ist – ich erinnere mich manchmal gern zurück an Koalitionsrunden zwischen Rot und Grün, an Streitigkeiten zwischen Hartmut Holzapfel und Maria Marx. Ich habe mich gestern nett mit Hartmut Holzapfel unterhalten und mit ihm einen Kuchen gegessen.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Wagner, manchmal erinnere ich mich sogar daran, dass Sie Kultusminister waren. Da war ich noch in der Schule.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Wagner, sehen Sie, das wollte ich ja gerade sagen: Das sind alles Geschichten aus dem Kartoffelkrieg. Wir leben nämlich im Jahr 2009.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die spannende Frage ist, ob das, was wir jetzt real in dieser Situation im Haushalt 2009 machen – es ist etwas aus mir geworden, trotz Ihnen als Kultusminister, Herr Wagner –,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

wirklich die Schulen zukunftsfähig macht. In einem müssten wir uns einig sein. Dieses Land kann es sich nicht leisten, diese Republik kann es sich nicht leisten, jedes Jahr 80.000 Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss von der Schule gehen zu lassen – übrigens in der jetzigen Situation noch viel weniger als vorher.

Das war schon vor Jahren ein Skandal. Aber wenn man sich jetzt anschaut, wie die Arbeitsmarktsituation der Zukunft aussieht, wie die Anforderungen der Zukunft aussehen werden, können wir es uns noch viel weniger leisten. Die spannende Frage ist, ob aus dieser Erkenntnis irgendwann auch einmal folgt, dass man seine Ideologie über Bord wirft und sich um die realen Probleme kümmert. Genau da ist im Haushalt 2009 leider nichts zu erkennen. Auch bei dieser Koalition ist leider nichts zu erkennen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Mehrheit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie müssen nur einmal die Zeitungen von gestern lesen. In Frankfurt kämpfen die Hauptschulen ums Überleben – nicht, weil ihnen irgendwelche Ideologen den Hahn zudrehen wollen, sondern weil die Eltern mit den Füßen abstimmen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Selbst wenn einen das wie ein Mantra sozusagen seit den Zeiten von Dregger und von Friedeburg auf der einen Seite im Schützengraben geprägt hat, muss man irgendwann einmal feststellen  und den Mut haben zu sagen: Die Zeit hat gezeigt, was funktioniert und was nicht.

Dann muss man aus dieser Erkenntnis auch irgendwann eine Konsequenz ziehen. Das heißt, Sie müssen in diesem Bereich endlich mutiger werden, den Elternwillen respektieren und die Ergebnisse einmal zur Kenntnis nehmen, die wir in diesem Land haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir stimmen bei der Frage 105 Prozent Lehrerversorgung, bei der Frage Autonomie von Schule mit Ihnen überein. Das Problem ist nur, in diesem Haushalt 2009, den wir gerade debattieren, findet sich davon überhaupt nichts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Das Einzige, was sich findet, sind 1.000 Lehrerstellen. So weit so gut. Nur werden die teilweise gebraucht, um die 100 Prozent Versorgung – Herr Ministerpräsident –, die Sie schon im Wahlkampf 2003 als gegeben angesehen haben, im Schuljahr 2009/2010 herzustellen. So sieht die Wirklichkeit an hessischen Schulen aus. Es muss dringend eine andere Politik gemacht werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dritter Bereich, Sozialpolitik. Nachdem das Ministerium jetzt nicht mehr so heißt, was ich immer noch für eine skandalöse Namensgebung halte, dass man in Zeiten wie diesen als einziges Land kein Ministerium mehr hat, wo im Titel das Wort „sozial“ vorkommt, das ist wirklich ein Armutszeugnis im wahrsten Sinne des Wortes.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir müssen in der Arbeitsmarktpolitik überlegen, was funktioniert und was nicht. Auch da warte ich auf den Aufschrei der Hessischen Landesregierung. Herr Ministerpräsident, Sie haben jahrelang gesagt: Das Optionsmodell ist das einzig wahre, mehr Freiheit für die Kommunen bei der Arbeitsförderung. – Wir haben gemeinsam über die Frage gestritten, wie wir Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegen.

Es war allen klar, es geht in diesem Zusammenhang auch um das Fördern. Herr Banzer, ich warte. Frau Lautenschläger, vielleicht könnten Sie aus alter Verbundenheit im Kabinett etwas sagen. Herr Ministerpräsident, ich warte auf Sie. Wo bleibt Ihr Aufschrei, wenn die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Großen Koalition verhindert, dass die Jobcenter eine gesicherte Zukunft haben? Wo bleibt Ihr Aufschrei?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Man kann sagen: Na gut, nach der Bundestagswahl machen wir das irgendwie. – Aber für die Qualität ist es jetzt, jeden Tag, schon ein Riesenproblem. Wenn Sie gute Arbeitsvermittler und gute Förderer suchen und nur befristete Verträge bis Ende 2009 oder höchstens Ende 2010 anbieten können, gehen die guten Leute oder kommen gar nicht erst. Herr Ministerpräsident, das, was Sie wollten, und zwar egal, ob Optionskommune oder Jobcenter, dass das ein Schwerpunkt von Politik wird – passgenaue Vermittlung –, das gefährdet gerade die CDU auf Bundesebene mutwillig. Wo ist Ihr Aufschrei?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir machen Ihnen konstruktive Vorschläge, wie man hier etwas verändert. Wir brauchen so etwas wie einen sozialen Arbeitsmarkt jetzt noch viel mehr als vor zwei Jahren, weil wir die Situation haben, dass jetzt, wo die Unternehmen mit Mühe ihre Stammbelegschaft halten, der Sprung aus der Langzeitarbeitslosigkeit in den ersten Arbeitsmarkt sehr, sehr schwierig ist und es nicht sein kann, dass die Betroffenen von Warteschleife zu Warteschleife gehen.

Wenn man einmal das Geld von Kosten der Unterkunft, Regelsatz, Arbeitslosengeld plus die Mehraufwandsentschädigung, also der sogenannte 1 Euro oder 1,50 Euro plus den Aufwand für den sozialen Träger zusammenzählt, dann kommen Sie in die Nähe einer Summe für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Deswegen sage ich Ihnen ausdrücklich: Wir schlagen Ihnen etwas vor. Aber dazu müsste man sich für das Thema wirklich einmal interessieren und etwas tun, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Ministerpräsident, ich habe ein gewisses Verständnis für die Amtsmüdigkeit und auch für den Ärger darüber, dass niemand ruft. Aber dann muss man eben im wahrsten Sinne des Wortes aus der Karrierekrise eine Chance machen und sich wieder auf seinen eigentlichen Job konzentrieren. Ich habe auch Verständnis dafür, dass Sie, nachdem zweimal hintereinander die CDU bei Landtagswahlen absolut an Stimmen verloren hat, sich zuerst einmal um den Aufstand in Ihrem eigenen Laden kümmern müssen.

Aber irgendwann muss es auch gut sein. Ich verstehe auch – die magische Zahl vier scheint in diesem Hessischen Landtag eine komische Bewandtnis zu haben –, wenn einem bei der Wahl zum Ministerpräsidenten vier Stimmen fehlen, dass man sich Gedanken macht und einmal nach innen schaut.

Aber ich glaube, dass am Ende des Tages, egal, wer die Mehrheit und die auch noch viereinhalb Jahre hat, die Frage erlaubt sein muss und von uns als Opposition immer wieder gestellt wird: Ist das, was Sie hier tun, dazu geeignet, am Ende das Land Hessen nach vorne zu bringen, oder verwalten Sie sich hier nur selber?

Wir können es uns in dieser Zeit nicht leisten, dass wir eine Regierung haben, die sich nur selbst verwaltet und sich selbst genug ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden Ihnen in jedem einzelnen Punkt, in jedem einzelnen Einzelplan dieses Haushalts immer wieder vier Fragen stellen und danach die Politik dieser Regierung bewerten. Kriegen wir den notwendigen Aufbruch in der Bildungspolitik? Antwort im Haushalt 2009: leider nein.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Machen wir in dieser Legislaturperiode endlich den dringend nötigen Aufbruch in der Energiepolitik? Antwort: leider nein. Hier gilt: zurück in die Zukunft, Teil drei. Das können wir uns wirklich nicht leisten, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Werden wir, wenn man in diesen Haushalt hineinschaut, ein gerechteres Bundesland gerade in der Krise mit mehr Teilhabechancen für alle haben? Ich sage Ihnen: bisher leider Fehlanzeige. Machen wir eine wirklich zukunftsfähige Wirtschaftspolitik oder sorgen wir in der Krise mit noch mehr Medizin von der, die nicht gewirkt hat, sondern die Krise teilweise erst hervorgerufen hat, eigentlich genau das Gegenteil von dem, was wir machen müssen?

Herr Ministerpräsident, diese Regierung und dieser Koalitionsvertrag haben von Anfang an einen so uninspirierten Geist ausgeatmet. Das setzt sich bis zum heutigen Tag fort.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Herr Wagner, sehen Sie, man konnte sich über den Koalitionsvertrag, den wir ausgehandelt haben, wenigstens streiten, weil er wenigstens etwas wollte. Herr Wagner, das war der Unterschied.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Finanzministers Karlheinz Weimar – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Das ist genau Ihr Problem. Ich frage mich die ganze Zeit: Wo kommt denn die Selbstzufriedenheit dieser Mehrheit her?

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Herr Wagner, nein. Mir ist irgendwann klar geworden, woran es liegt und woher es kommt. Wenn man keine Ziele hat, dann ist jeder Weg der richtige. Das genau ist Ihr Problem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Ich sage Ihnen, dieses Land hat es verdient, dass sich alle miteinander konstruktiv darüber streiten, wie wir diese vier Punkte erreichen: Aufbruch in der Bildung, zukunftsfähige Energiepolitik, ein gerechteres Hessen und eine wirklich zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik. Aber bei diesen vier Punkten haben bisher leider weder dieser Haushalt noch die ersten 98 Tage dieser Regierung etwas gebracht.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Herr Arnold, es gibt ein einzig Gutes: Wir werden in diesem Jahr nochmals Haushaltsberatungen haben, und dann schauen wir einmal, ob Sie dann die konstruktiven Verbesserungsvorschläge zum Haushalt 2009 nutzen und beim Haushalt 2010, zu dem es nicht mehr weit hin ist, endlich Ihre Aufgaben machen. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall bei Abgeordneten der SPD)

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