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05.10.2011
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir: Schwarz-gelbe Zerstrittenheit „lähmt“ Hessen – landespolitischen Stillstand überwinden

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute Morgen schon die zweite denkwürdige Debatte erlebt. Jetzt geht es um die Frage, was Schwarz-Gelb eigentlich zusammenhält. Hintergrund des Antrages der SPD ist diese Seite in der Frankfurter Rundschau.

(Redner zeigt eine Zeitungsseite.)

Ich will ausdrücklich sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, besser gut abgeschrieben, als schlecht selbst geschrieben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Heiterkeit bei der CDU)

– Lachen Sie nicht. Es ist ja alles richtig, was darin steht.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Herr Kollege Wagner, ich habe heute Morgen mehrere Auftritte erlebt, bei denen ich mir gedacht habe: Mensch, wenn du am Rummelplatz in die Geisterbahn gehst, musst du Eintritt zahlen; aber im Hessischen Landtag gibt es das alles für umsonst.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Es ist geradezu surreal, was wir hier erlebt haben.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Da stellt sich der Vorsitzende der Regierungsfraktion der CDU angesichts dieser Bilanz von Schwarz-Gelb nach zweieinhalb Jahren, angesichts der Bilanz von Schwarz-Gelb auf Bundesebene nach zwei Jahren, angesichts der Konflikte, die hier jeden Tag das Regierungshandeln lähmen, hin und sagt: alles prima, alles toll. – Herr Kollege Wagner, nichts liegt mir ferner, als Sie mit Erich Honecker vergleichen zu wollen. Sie haben wirklich nichts von Erich Honecker.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Sie sollten sich aber einmal überlegen, warum Erich Honecker am 7. Oktober 1989

(Fortgesetzte Zurufe des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

noch zum 40. Geburtstag der DDR sagte: Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Nein, Herr Kollege Wagner. Sie haben sich gerade ein altes sozialistisches Motto zu eigen gemacht. Sie vertreten hier das alte sozialistische Motto: Wo wir sind, ist vorne, und wenn wir hinten sind, ist eben hinten vorne.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, so kann man doch nicht allen Ernstes Politik machen. Herr Kollege Wagner, Sie haben gesagt, in der Sicherheit sei in Hessen alles prima. Ich stelle fest, wenn wir schon bei dieser Debatte sind und Sie das Thema angesprochen haben, dass ich noch nie in den 16 Jahren, in denen ich diesem Parlament angehöre, ein Mehr von Katastrophenmeldungen aus der hessischen Polizei gehört habe als in den letzten Wochen und Monaten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie sagen, in der Wirtschaft sei alles in Ordnung und in Hessen alles toll. Ich sage Ihnen, wir freuen uns ausdrücklich, wenn die Arbeitslosenzahlen sinken. Allerdings stellen wir fest, dass die Arbeitslosenzahlen, obwohl das Wirtschaftswachstum teilweise besser ist, in Hessen unterdurchschnittlich sinken. Zu unserer Regierungszeit hätten wir uns geschämt, wenn Rheinland-Pfalz bei der Arbeitslosenzahl ein Prozentpunkt vor uns gewesen wäre.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU)

Das muss man doch einmal wahrnehmen. Bei den Finanzen sagen Sie: „Alles toll“.

Die Schuldenbremse haben wir ausdrücklich gemeinsam in die Verfassung aufgenommen. Allerdings, Herr Kollege Wagner, haben nicht Sie die Schuldenbremse erfunden, sondern die Schuldenbremse stand schon vorher im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf der Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU) und Holger Bellino (CDU))

Herr Kollege Wagner, die spannende Frage ist, wie Sie damit umgehen, dass zu dem Zeitpunkt, als Sie die Regierungsverantwortung übernommen haben, der Schuldenstand bei 22 Milliarden € war und jetzt 40 Milliarden Euro erreicht hat. Was ist Ihre Antwort auf diese Situation? Dem Haushalt kann man sie nämlich nicht entnehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Nein, Herr Kollege Wagner, so hervorragend kann dieser Haushaltsentwurf nicht sein.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Denn in den letzten zwölf Jahren hat es etliche Bundesländer gegeben, die ihren Haushalt ausgeglichen haben. Auch im nächsten Jahr wird es andere Bundesländer geben, die ihren Haushalt ausgleichen.

(Zuruf der Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU) und Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Die Einzigen, die das seit 1999 nie geschafft haben, sind Schwarz und Gelb in Hessen, Herr Kollege Wagner. Da können Sie doch nicht sagen: „Alles prima, alles toll.“

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Kollege Wagner, dann kommt allen Ernstes immer der Hinweis auf den Länderfinanzausgleich. Insofern frage ich Sie: Wo ist denn das Konzept der Hessischen Landesregierung für eine Reform des Länderfinanzausgleichs? Wo ist es? – Es gibt keines.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Ja, Baden-Württemberg und Bayern arbeiten an einem Konzept zur Reform des Länderfinanzausgleichs. Der Kollege Kretschmann hat, als er noch Fraktionsvorsitzender der GRÜNEN-Fraktion im Landtag in Stuttgart war, gemeinsam mit der hessischen Landtagsfraktion der GRÜNEN ein Konzept bei einer Finanzwissenschaftlerin in Auftrag gegeben. Wir haben ein Konzept, wie aus unserer Sicht der Länderfinanzausgleich umstrukturiert werden soll. Sie haben gar nichts. Herr Kollege Wagner, das ist Ihr Problem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU) und Florian Rentsch (FDP))

Sie sagen, die Bildungspolitik sei so toll. Herr Kollege Wagner, zehn Jahre nach PISA haben wir die Situation, dass immer noch 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler im Alter von 15 Jahren in der Risikogruppe sind. Die werden auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft riesengroße Probleme bekommen. Jetzt ist die spannende Frage: Was macht Schwarz-Gelb? – Das kann ich Ihnen sagen: kraftvoll ein neues Türschild an die Hauptschule schrauben, aber an den realen Problemen nichts verändern. – Herr Kollege Wagner, darauf kann man doch nicht stolz sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Nein, keine reine Polemik.

Ich erinnere mich an Ihren Koalitionsvertrag. Frau Lautenschläger war noch da. Es hieß: Bildungs- und Erziehungsplan von 0 bis 10, kraftvoll gestartet. Im Koalitionsvertrag steht etwas von einem verpflichtenden Vorschuljahr. Man kann dafür sein, man kann dagegen sein, man kann es Kinderschule nennen. Die spannende Frage ist: Was ist nach zweieinhalb Jahren passiert?

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Ergebnis: nichts; 0,0.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Aber Sie werden wahrscheinlich weiterhin sagen: „Alles prima, alles toll.“

Wir haben zehn Jahre, nachdem der Integrationsbeirat des Landes gesagt hat: „Wir sind für den islamischen Religionsunterricht in Hessen“, die Situation, dass nichts, aber auch gar nichts passiert ist. Sie stellen sich immer hin und heulen, dass – zu Recht; wir regen uns gemeinsam darüber auf – Fundamentalisten versuchen, junge Muslime zu indoktrinieren. Da frage ich Sie: Was ist Ihr Angebot für diese jungen Muslime, damit sie nicht in die Fänge der Fundamentalisten fallen? – Ergebnis: keines; 0,0.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Noch nicht einmal bei der Frage, wie ein Spielhallengesetz auszusehen hat, sind Sie in der Lage, zu irgendeiner Entscheidung zu kommen.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Wo ist es denn? Warum ist es nicht im Landtag?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Wagner, nichts bekommen Sie auf die Reihe und stellen sich dann hierhin und sagen: „Alles prima, alles toll.“ Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die Energiepolitik soll mein letzter Punkt sein. Die nächsten vier Wochen werden spannend werden. Da müssen Sie nämlich entscheiden, ob Sie weiterhin wollen, dass Hessen, dank Ihrer im negativen Sinne wegweisenden Politik, das Energieimportland der Bundesrepublik Deutschland ist, ob Hessen von diesem letzten Platz bei den erneuerbaren Energien wegkommen soll, oder nicht. Wenn ich mir Ihre Bilanz nach zwölf Jahren Energiepolitik betrachte, muss man schlicht feststellen, dass wir inzwischen das Bundesland sind, das den geringsten Anteil der hier verbrauchten Energie selbst erzeugt. Das liegt an Ihrer Politik, den Kopf in den Sand zu stecken.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

– Nein, das liegt nicht an der Höhe des Energieverbrauchs. Denn es gibt auch andere Bundesländer, die viel Energie verbrauchen, Herr Kollege Arnold. Das liegt vielmehr daran, dass Sie auf Vergangenheit gesetzt haben und dass wir jetzt in der Situation sind, uns entscheiden zu müssen, wie viel Prozent unserer Energie in diesem Bundesland selbst produziert werden soll.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin gespannt, ob Sie in der Lage sind, zu entscheiden, ob Sie in der Lage sind, eine klare Position zu vertreten, oder ob Sie weiter surreale Debatten führen wollen.

Wir haben in den letzten Monaten erlebt, dass das normale Handeln auf den Kopf gestellt ist. Normalerweise heißt es nämlich: Die Regierung handelt, die Opposition kritisiert.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Manchmal: Die Regierung handelt, die Opposition kritisiert und legt eigene Vorschläge vor. – Aber in Hessen ist es inzwischen so: Die Opposition legt Vorschläge vor, die Regierung kritisiert die Vorschläge der Opposition, macht aber selbst nichts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Insofern wundere ich mich, wie Sie glauben, dieses Siechtum noch zweieinhalb Jahre fortsetzen zu wollen, Herr Kollege Wagner. Da bin ich nun wirklich gespannt.

(Lachen und Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU) – Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

– Nein, das ist kein Geschwätz.

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Al-Wazir, die Redezeit ist zu Ende. Kommen Sie bitte zum Schluss.

(Beifall bei der FDP)

Tarek Al-Wazir:

Die Redezeit ist zu Ende. – Ich finde es total toll, dass Sie sich schon freuen, wenn meine Redezeit zu Ende ist. Als Vertreter des Projekts 1,8 haben Sie ja sonst keine Freude.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

In diesem Sinne bin ich gespannt, wie der Kollege Rentsch jetzt erklärt, was in den letzten zweieinhalb Jahren, in denen die FDP hier noch mit 20 Abgeordneten sitzt, noch gemacht werden soll. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke, Herr Al-Wazir.

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