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27.06.2013
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir: Schwarz-gelbe Verkehrspolitik sind gescheitert – umdenken statt weiter so

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Anfang dreimal Danke an die FDP. Erst mal Danke dafür, dass Sie so viel Werbung für unsere Vorstellungen der Zukunft machen, wenn Sie sie auch etwas verkürzt wiedergeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Müller, zweitens Danke dafür, dass Sie keine einzige Idee für die nächsten fünf Jahre dargelegt und damit die Ratlosigkeit Ihrer Politik offenbart haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke dafür, dass Sie mir die Gelegenheit geben, die Realität in Hessen im Jahr 2013 nach 15 Jahren Schwarz-Gelb darzustellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, Sie wollten ein staufreies Hessen erreichen. Wenn Sie morgens Radio hören oder auf die Internetseiten von HR 3 oder FFH gehen, dann werden Sie montags so um die 30 Staumeldungen finden, wenn Sie Glück haben auch nur 15. Die Pendlerinnen und Pendler im Rhein-Main-Gebiet, die im Dauerstau auf der A 3 und der A 5 stehen, können noch nicht einmal mehr lachen, wenn Sie das Wort „staufreies Hessen“ hören. Sie müssen feststellen: Das Projekt ist gescheitert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der FDP)

Zweitens wollten Sie dafür sorgen, das steht sogar in Ihrem Antrag, dass die Infrastruktur erhalten und ausgebaut wird. Ich stelle fest, die Infrastruktur wird in Hessen in einem Ausmaß auf Verschleiß gefahren wie es selten in den letzten 50 Jahren der Fall war.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Herr Müller, Sie können alle Zahlen dazu aus dem Bericht „Mobilität in Hessen“ entnehmen. Diesen Bericht hat Verkehrsminister Rentsch vor zwei Wochen vorgestellt. Ich sage Ihnen einmal, wie die Lage ist.

Der Zustand der Autobahnen in Hessen: 2001 waren 74,2 Prozent der Autobahnen in Hessen in einem sehr guten Zustand, 2009 waren es nur noch 62,1 Prozent. Das hat natürlich Folgen.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

2001 waren 6,6 Prozent aller Autobahnen in sehr schlechtem Zustand, 2009 waren es schon 11,3 Prozent.

(Stefan Müller (Heidenrod) (FDP): Deswegen wollt Ihr die Mittel kürzen!)

Herr Kollege Müller, bei den Landesstraßen waren 55 Prozent gut oder sehr gut im Jahr 2001. Im Jahr 2008 waren es nur noch 48,6 Prozent. Das hat natürlich auch Folgen. Im Jahr 2001 waren 15,6 Prozent der Landesstraßen in einem sehr schlechten Zustand, im Jahr 2008 waren es schon 24,1 Prozent.

Genau deswegen haben wir bei den letzten Haushaltsberatungen beantragt, dass die Mittel für den Neubau gestrichen werden, weil wir endlich dafür sorgen müssen, dass hier eine Priorität gilt: Substanzerhaltung und Sanierung vor Neubau. Das ist absolut sinnvoll.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, mit Ihrer Infrastrukturpolitik haben Sie stattdessen dafür gesorgt, dass 270 Millionen Euro in einen Flughafen Kassel-Calden investiert worden sind, für den es offensichtlich keinen Bedarf gibt.

(Zurufe von der FDP)

Wenn wir über den Neubau reden, feiern Sie sich für die A 44. Die A 44 wird die teuerste Autobahn der Welt, die schon von Anfang an teilweise mit einem Tempolimit 80 versehen sein wird. Soviel zu den Vorstellungen zu 130. Auf der A 44, so wie Sie sie jetzt bauen, wird man niemals 130 fahren können, weil man dann aus den Spitzkehren fliegt.

Gleichzeitig haben wir die Situation, dass für die Brückensanierung im hessischen Autobahnnetz kein Geld da ist. Da frage ich Sie: Ist das eigentlich in den letzten 15 Jahren vernünftig gewesen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben richtigerweise darauf hingewiesen, dass die Verkehrsbelastung auf hessischen Autobahnen um 30 % höher ist als im Durchschnitt. Trotzdem wird das Geld aus dem Bundesetat weiter nicht nach dem Bedarf, sondern nach starrem Länderschlüssel verteilt. Ich stelle fest: 15 Jahre folgenloses Wehklagen schwarzer und gelber Verkehrsminister, aber keine Veränderung in die richtige Richtung auf der Bundesebene. Herr Kollege Müller, wer regiert da eigentlich?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich stelle fest, dass zwei Drittel des Personenfernverkehrs und über die Hälfte des Güterverkehrs auf der Schiene durch Hessen gehen. Weniger als 2 Prozent der Investitionsmittel für die Schiene gehen bundesweit nach Hessen. Das ist doch eine absolute Diskrepanz. Das hat etwas damit zu tun, dass sich diese Landesregierung in den letzten 15 Jahren weder für den Schienennahverkehr noch für den Schienenfernverkehr interessiert hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Folgen dieser falschen Politik baden wir jetzt aus. Ich stelle fest, dass die Verkehrsverbünde RMV und NVV Erfolgsgeschichten sind. Sie sind 1995 von Rot-Grün gegründet worden. Sie haben sich als Erfolgsmodell erwiesen.

Ich stelle allerdings fest, dass die Landesregierung seitdem sie von Schwarz und Gelb getragen wird, nicht mehr eigenes Geld für den ÖPNV in Hessen ausgibt, sondern nur noch Bundesmittel durchleitet. Teilweise werden von diesen Bundesmitteln noch Gelder abgezweigt für andere Projekte. Ich stelle fest: Das hat bei Ihnen absolut keine Priorität.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Herr Müller, das ist ein Problem. Das ist ein Problem für das staufreie Hessen. Die Verbünde stoßen an Kapazitätsgrenzen. Wenn Sie das nicht klären, werden Sie den Dauerstau im Ballungsraum nicht verhindern können. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, das ist das, was Sie bis heute nicht verstanden haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Herr Kollege Müller, was wir dringend bräuchten, wäre erstens: Wenn wir die Substanz unserer Straßen nicht gefährden wollen, dann muss ein konsequentes Prinzip gelten, das lautet: Sanierung vor Neubau.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Was machen Sie? – Sie machen genau das Gegenteil. Sie stellen ein neues KIM-2-Modell vor, Kommunales Investitionsmodell. Das geht im Prinzip so: Sie bauen neue Straßen, lassen die Kommunen die neuen Straßen bezahlen, stellen danach Schuldscheine für die Jahre 2020 später aus, weil Sie kein Geld haben dafür.

In letzter Konsequenz bedeutet das: Sie produzieren jetzt den Sanierungsstau für die Jahre 2020 ff. Sie erhöhen jetzt den Abschreibungsbedarf für die Landesstraßen. Sie machen das Gegenteil von dem, was nötig wäre.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Wir brauchen einen größeren Anteil der Bundesmittel für die Sanierung von Autobahnen und Bundesstraßen für Hessen, und dazu gehört es, dass wir eine Landesregierung brauchen, die Verbündete sucht. Ich habe da auch zwei im Auge, denn Baden-Württemberg und NRW befinden sich in einer ähnlichen Situation: Sie haben deutlich mehr Verkehr und Belastung, im Vergleich aber sehr wenig Bundesmittel, die dorthin gehen.

Wenn man dort allerdings Verbündete finden will, dann gehört hartnäckige und seriöse Arbeit dazu und nicht dauerndes Schreiben offener Briefe an die Bundeskanzlerin. Da braucht es dann schon ein bisschen mehr, wenn man da wirklich etwas erreichen will.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Drittens brauchen wir den Ausbau der Schieneninfrastruktur im Ballungsraum Rhein-Main. Der muss für die nächste Landesregierung absolute Priorität haben. Wir brauchen die S-Bahn Friedberg – Frankfurt. Wir brauchen die nordmainische S-Bahn. Wir brauchen die Regionaltangente West, denn die Schieneninfrastruktur im Rhein-Main-Gebiet stößt an ihre Kapazitätsgrenze. Aber diese Regierung hat in den letzten 15 Jahren nichts, aber auch gar nichts dafür getan, um dort voranzukommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wissen Sie, diese unfreiwillige Offenbarung hat mich ein bisschen gewundert: Die Überschrift dieses Antrags lautet: Hessen muss mobil bleiben. Schaut man dann in den Antrag hinein, dann stehen dort nur Straßenbauprojekte drin. Es steht noch nicht einmal etwas von der Vernetzung des Individualverkehrs mit anderen Verkehrsträgern drin.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen brauchen wir dringend eine moderne Mobilitätspolitik, die die unterschiedlichen Verkehrsträger intelligent vernetzt und unter Wahlfreiheit versteht, dass man unterschiedliche Verkehrsträger auswählen kann, und nicht, ob ich heute das eine oder das andere Auto nehme.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Herr Kollege Lenders, das ist nicht die Wahlfreiheit, die moderne Mobilitätspolitik ausmacht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Was Sie nicht verstehen – und da habe ich die Hoffnung inzwischen auch aufgegeben, ist: Das Scheitern von „Staufreies Hessen 2015“ zeigt doch ganz klar: Der Autoverkehr in einem wachsenden Ballungsraum, der der Fläche nach begrenzt ist, der aber immer mehr Pendlerinnen und Pendler hat, wird in Zukunft überhaupt nur noch möglich sein, wenn es uns gelingt, den öffentlichen Personennahverkehr leistungsfähiger zu machen und mehr Pendler auf die Schiene zu bringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dafür aber muss man was tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

In Ihrem Antrag steht aber nur der Straßenbau drin. Doch mehr öffentlicher Personennahverkehr ist die einzige Möglichkeit, um dem staufreien Hessen näher zu kommen.

Deswegen – Frau Präsidentin, mein letzter Satz –: Ich bedanke mich für diesen Antrag. Ich bedanke mich dafür, dass Sie offenbart haben, dass Sie immer noch Verkehrspolitik aus dem letzten Jahrhundert machen und keine Mobilitätspolitik der Zukunft. Ich bedanke mich dafür, dass Sie es so deutlich gemacht haben, wie dringend Hessen den Wechsel, auch in der Verkehrspolitik, braucht. Vielen Dank, liebe Herren von der FDP.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Vielen Dank, Herr Kollege Al-Wazir.

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