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28.02.2013
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir: Regierungserklärung der Hessischen Umweltministerin – „Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs zur Stilllegung des Kernkraftwerks Biblis“

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Frau Puttrich, Sie fangen jetzt langsam an, mir leid zu tun. Denn wenn das Ihre Verteidiger sind, dann braucht es kaum noch Angreifer.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das, was da gestern beschlossen wurde, ist ein Desaster. Man kann es nicht anders ausdrücken. Wir sind jetzt in die Situation gekommen, dass dem Land Hessen Schadensersatzzahlungen drohen. Ich sage ausdrücklich: drohen. Schadensersatzzahlungen drohen in Höhe von bis zu 187 Millionen Euro. Das ist eine katastrophale Nachricht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist noch nicht sicher, ob es zu diesen Schadensersatzzahlungen kommen wird. Es ist auch noch lange nicht sicher, ob die Höhe, die RWE angemeldet hat, wirklich in dieser riesigen Dimension Realität werden wird.

Ich finde schon, dass man sich in einer solchen Situation Gedanken darüber machen muss, wie es eigentlich dazu kommen konnte. Dazu will ich Ihnen sagen: Sie sind Opfer Ihrer eigenen bösen schwarz-gelben Tat geworden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen auch sagen, warum das der Fall ist. Es gab im Jahr 2001 einen sogenannten Atomkonsens. Gerade meine Partei musste sich für den Konsens mit diesen vier Unternehmen sehr beschimpfen lassen. Vielleicht haben manche, die damals geschimpft haben, jetzt verstanden, warum es besser war, einen solchen Konsens zu finden und das dann in das Atomgesetz zu schreiben. Denn in diesem Fall war das Risiko der Schadensersatzzahlungen nicht vorhanden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Schwarz-Gelb diesen Konsens akzeptiert hätte, dann wäre das Atomkraftwerk in Biblis im Jahr 2011 überhaupt nicht mehr am Netz gewesen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Denn RWE hat auf Zeit gespielt. Ab dem Jahr 2002 hat RWE auf Zeit gespielt. Es hat künstliche Stilllegungen vorgenommen, um die Reststrommenge nicht aufbrauchen zu müssen. Es hat dann in der Zeit der Großen Koalition die Dauer der Revisionen immer länger gemacht. Denn sie haben gehofft, dass Schwarz-Gelb die Wahl gewinnt. 2009 hat Schwarz-Gelb die Wahl gewonnen.

Sie haben dann einen zweiten riesigen Fehler gemacht. Sie haben nicht nur den ersten riesigen Fehler gemacht, den Konsens nicht zu akzeptieren. Sie haben einen zweiten Fehler gemacht. Sie haben den Ausstieg dann rückgängig gemacht.

Wenn Sie dies nicht getan hätten, dann wäre das Atomkraftwerk Biblis am 18. März 2011 rechtssicher stillgelegt gewesen. Denn dann wäre die Reststrommenge nach dem Atomgesetz aufgebraucht gewesen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie der Abg. Janine Wissler und Hermann Schaus (DIE LINKE))

Das heißt, das Problem, das jetzt allen hessischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern droht, wäre überhaupt nicht entstanden, wenn Schwarz-Gelb den Atomkonsens akzeptiert hätte.

Drittes Problem. Natürlich waren wir am 11. März 2011 allesamt der Meinung, das Unglück in Fukushima muss Konsequenzen haben. Frau Puttrich, wobei ich einen Widerspruch anmelden muss: Da ist nicht etwas passiert, was alle vor dem Unglück in Fukushima für unmöglich gehalten haben.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Da ist etwas passiert, was Sie vor dem Unglück in Fukushima für unmöglich gehalten haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie der Abg. Willi van Ooyen und Hermann Schaus (DIE LINKE))

Ich meine mich zu erinnern, dass es an dem Montag – das müsste dann der 14. März 2011 gewesen sein – oder spätestens am Dienstag ein Treffen in Berlin gab, bei dem auch der Ministerpräsident anwesend war.

Jetzt die spannende Frage: Warum reden Sie von „verbindlichen Vorgaben“ des Bundesumweltministeriums? Das Atomgesetz ist da relativ eindeutig. Es gibt auch die Möglichkeit einer bundesaufsichtlichen Weisung.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Die hat es offensichtlich nicht gegeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die spannende Frage ist jetzt: Was hat eigentlich der Ministerpräsident des Landes Hessen in den Gesprächen mit der Bundeskanzlerin eingefordert? Ist denn da jemals über das Risiko – ich spreche jetzt von den materiellen Fragen des Atomrechts – möglicher Schadensersatzzahlungen geredet worden? Hat der Ministerpräsident darauf bestanden, dass eine solche bundesatomaufsichtliche Weisung kommt oder nicht? Diese Frage wird gegebenenfalls zu klären sein. Vielleicht kann Herr Bouffier sie auch gleich beantworten.

Was aber Ihre ureigene Verantwortung anbetrifft, da muss ich sagen, da bin ich gestern wirklich negativ überrascht worden. Der Verwaltungsgerichtshof bezeichnet dieses Moratorium aus zwei Gründen als rechtswidrig, und zumindest einer dieser Gründe ist Ihr Fehler.

Dass ein materielles Problem besteht und wir uns da auf dünem Eis befinden, das wussten wir vorher; deswegen die Frage nach der Aufsicht. Dass aber der Verwaltungsgerichtshof sogar sagt, die Weisung war aus formellen Gründen rechtswidrig, weil auf die Anhörung verzichtet wurde, das – Frau Puttrich – ist Ihre ureigene Verantwortung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich kann Ihnen auch sagen, worin da das Problem liegt. Für Sie war RWE quasi ein Verbündeter. Offensichtlich konnten Sie es sich nicht vorstellen – –

(Widerspruch bei der CDU und der FDP)

– Aber natürlich war RWE ein Verbündeter,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

und zwar von der ersten Sekunde des Versuchsstadiums an, Biblis stillzulegen und die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verkürzen,

(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

war RWE ein Verbündeter von Schwarz-Gelb

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

und Schwarz-Gelb ein Verbündeter von RWE. So viel Geschichtsklitterung hätte ich noch nicht einmal Ihnen zugetraut.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Offensichtlich konnten Sie sich nicht vorstellen, dass das, was wir Ihnen immer über die Energiekonzerne gesagt haben – dass man denen nicht trauen darf –, wirklich stimmt. Offensichtlich konnten Sie es sich nicht vorstellen, dass einer Ihrer Verbündeten im Zweifel die Treue, die Sie ihm gegenüber gezeigt haben, nicht zurückzahlt, sondern im Zweifel selbst Sie verklagt.

(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

Frau Puttrich, meine sehr verehrten Damen und Herren von Schwarz-Gelb und auch Herr Ministerpräsident, insofern muss ich Ihnen sagen: Sie sind Opfer Ihrer eigenen bösen Taten im Vorfeld geworden. Das ist das Grundproblem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Wissen Sie, die GRÜNEN in Hessen haben eine lange Geschichte des Umgangs mit den Hanauer Atomfabriken und dem Atomkraftwerk in Biblis. Wir haben immer gesagt, wir machen einen sicherheitsorientierten Gesetzesvollzug. Sie haben diese Linie aufgegeben. Deswegen waren Sie nicht mehr in der Lage, eine ordnungsgemäße Stilllegungsverfügung zu schreiben. Das ist doch das Grundproblem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen von dieser Stelle aus: Die Landesregierung hat bei Ihrer Aufgabe, eine rechtssichere Stilllegungsverfügung zu schreiben, ganz offensichtlich versagt. Jetzt sind wir in der Situation, dass dem Land Schadenersatzforderungen drohen. Dabei will ich an dieser Stelle nochmals sagen: Ich fordere auch RWE auf, den gesellschaftlichen Konsens endlich zu akzeptieren und nicht auf Schadenersatz zu klagen. Ich weiß, RWE ist eine Aktiengesellschaft. Aber auch E.ON ist eine Aktiengesellschaft, und offensichtlich gab es dort aktienrechtlich kein Problem, auf eine Klage zu verzichten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich füge ausdrücklich hinzu: Die politische Verantwortung gilt. Wir haben in Hessen auch dazu eine lange Geschichte. Als es politische Verantwortung noch als Kategorie in der hessischen Landespolitik gab, da sind Ministerinnen und Minister wegen sehr viel weniger zurückgetreten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wir müssen jetzt mit den Ergebnissen Ihrer fehlerhaften Politik leben. Ich kann nur hoffen, dass die Folgen nicht in der Höhe eintreten, hoffentlich gar nicht eintreten. Dass wir aber eine Landesregierung haben, die den Atomausstieg jahrelang nicht wollte und alles dafür getan hat, dass er nicht kommt, dann den Atomausstieg rückgängig gemacht hat und dabei erst dafür gesorgt hat, dass Biblis überhaupt noch am Netz war, es dann aber nicht geschafft hat, wenigstens eine formell korrekte Stilllegungsverfügung zu erlassen: das ist wirklich ein starkes Stück. Das muss Konsequenzen haben.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank.

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