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29.04.2010
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir: Neubau des Flugplatzes Kassel-Calden stoppen

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns in diesem Parlament mit den Neubauplänen für den Flugplatz Kassel-Calden beschäftigen. Aber es ist jetzt wirklich an der Zeit, die Notbremse zu ziehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen auch begründen, warum. Am 31. Januar 2001 hat der Verkehrsminister Posch in einer Regierungserklärung in diesem Parlament von den Neubauplänen berichtet und den Landesanteil auf 70 Millionen DM – 70 Millionen DM – beziffert. Das sind etwas mehr als 35 Millionen Euro gewesen. Es hat daraufhin die Beauftragung an einen unabhängigen Gutachter gegeben, nicht von der Landesregierung. Herr Prof. Bossel ist im Jahre 2002 zu dem Schluss gekommen, dass diese Zahlen nicht stimmen, sondern dass die Gesamtkosten ungefähr 250 Millionen Euro betragen würden und – das ist noch viel schlimmer – ein jährliches Betriebskostendefizit von 20 Millionen Euro drohen würde.

Wir haben daraufhin wiederholt gefordert, die Neubaupläne zu stoppen und stattdessen den vorhandenen Flugplatz zu sanieren, damit er die bisherigen Aufgaben erfüllen kann. Ich kann mich noch gut daran erinnern, was wir uns hier anhören mussten: Die 250 Millionen Euro wären Mondzahlen. Das hätte alles mit der Realität nichts zu tun.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht weiter. Am 13. Mai 2003 gab es die Antwort von Herrn Posch auf eine Kleine Anfrage. Da waren die Kosten nicht mehr auf 35 Millionen Euro beziffert, da waren wir bei 102 Millionen Euro. Am 19. Mai 2004 gab es die Antwort des Finanzministers Weimar auf eine Kleine Anfrage. Da waren wir schon bei 150 Millionen Euro angekommen. Im Oktober desselben Jahres hat der Finanzminister dann im Plenum gesagt, es gehe um 151,5 Millionen Euro, und darin seien dann garantiert alle Kosten enthalten.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Am 29. Januar 2010 haben die Abgeordneten Frank Kaufmann und Karin Müller eine Anfrage gestellt und gefragt, wie der bisherige Stand ist, was die Gesamtkosten angeht. Diese Anfrage wurde lange nicht beantwortet, hat aber offensichtlich etwas ausgelöst, nämlich das Eingeständnis, dass wir inzwischen nicht mehr bei den von mir am Anfang angesprochenen 35 Millionen Euro sind, sondern dass wir inzwischen bei 225 Millionen Euro angekommen sind.

(Zuruf der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist ziemlich nah an den 250 Millionen Euro, die Herr Prof. Bossel im Jahr 2002 prognostiziert hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Jetzt kommt das Schlimme. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie glauben immer, wir seien gegen diesen Flughafen, weil es ein Flughafen sei.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Nein, wir sind nicht aus ökologischen Gründen gegen diesen Flughafen, weil von diesem Flughafen niemand fliegen wird. Deshalb wird da auch niemand etwas ökologisch Nachteiliges produzieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU) – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Das ist das Problem. – Ich zitiere einen völlig unverdächtigen Zeugen, Herrn Gaebges. Herr Gaebges ist Generalsekretär der BARIG, der Interessenvertretung von mehr als 100 in Deutschland tätigen Fluggesellschaften. Der Vertreter der Fluggesellschaft sagt: „Aus Sicht der Fluggesellschaften spricht alles gegen den Standort. Keine seriöse Airline rechnet mit realistischen Chancen, sinnvolle Strecken mit einer vernünftigen Auslastung fliegen zu können.“

Er wird weiter zitiert: Er bezweifle, dass es überhaupt einen Bedarf für den Ausbau gebe. Er verweist darauf, dass im Umkreis von 1,5 Auto- bzw. ICE-Stunden die Flughäfen Frankfurt, Hannover, Paderborn und Erfurt zu erreichen seien, von denen nur Frankfurt ausgelastet sei.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kolleginnen von der CDU, der FDP und der SPD, jetzt sage ich Ihnen: Wenn Sie uns nicht glauben, warum glauben Sie dann noch nicht einmal den Vertretern der Fluggesellschaften. Diesen Flughafen braucht kein Mensch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Was noch viel schlimmer ist: Wir haben uns vor der Mittagspause über die Frage von Einsparnotwendigkeiten im Landeshaushalt unterhalten. Das, was Sie mal eben ausgeben wollen – übrigens nach Aussage des Finanzministers, ohne den Landtag befragen zu wollen –, ist mehr, als Sie im nächsten Jahr in Bildung und Hochschule einsparen wollen. Wann, wenn nicht jetzt, muss man die Notbremse ziehen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt ist der Zeitpunkt, um noch einmal nachzudenken. Wenn es um die Zukunft von Nordhessen geht, dann stelle ich Ihnen die Frage, ob Sie wirklich mit dem Flughafen und den Autobahnen ihr Ziel erreichen wollen.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Herr Arnold, ich habe mir die Arbeitslosenzahlen einmal angeschaut, um Sie zu erfreuen. 1998 – letztes Jahr der Regierung Kohl – hatten wir im Regierungsbezirk Darmstadt eine Arbeitslosenquote von 8 Prozent im Regierungsbezirk Kassel eine von 11,5 Prozent.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Wir haben eine lange Entwicklung, und die Zahlen von heute, jetzt halten Sie sich fest, lauten folgendermaßen: Regierungsbezirk Darmstadt – 6,6 Prozent; Regierungsbezirk Kassel – 6,9 Prozent.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Jetzt sagen Sie, es liege alles an Ihrer tollen Infrastrukturpolitik, sodass ich Sie frage: Wie kann das an Kassel-Calden liegen, wenn der noch gar nicht ausgebaut ist?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie kann das an der A 49 liegen, die in elf Jahren Ihrer Regierungszeit keinen Meter weitergebaut worden ist?

(Dr. Walter Arnold (CDU): Es gibt noch andere Investitionen!)

Wie kann das an der A 44 liegen, wo Sie in elf Jahren immerhin vier Kilometer hingekriegt haben, als So-da-Autobahn, die in der Mitte so da ist.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern kann das wirklich nicht an Ihrer Infrastruktur gelegen haben, sondern es hat an etwas ganz anderem gelegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Herr Kollege Arnold, es hat z. B. daran gelegen, dass es eine rot-grüne Bundesregierung gab, die mit kraftvollen Schritten ein Erneuerbare-Energien-Gesetz auf den Weg gebracht hat, die unter anderem dafür gesorgt hat, dass es allein bei der Firma SMA in Niestetal und in Kassel 3.000 Beschäftigte gibt, und das alles gegen Ihren Widerstand.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das zeigt, dass Sie eine Vorstellung von Wirtschaftspolitik haben, die aus den Sechziger- und Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts stammt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen sehr deutlich: Schauen Sie einmal nach Japan. Japan hat seit 20 Jahren mehr oder weniger Nullwachstum. Japan hat seit 20 Jahren ein Konjunkturprogramm nach dem anderen abgefeuert, mit dem Ergebnis, dass die inzwischen bei einer Staatsverschuldung von über 200 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sind. Was haben die gemacht? – Die haben Autobahnen und Flughäfen gebaut. Man hätte fast denken können, die Hessen-CDU ist am Werk.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Ergebnis ist jetzt, dass in Japan vor einem Monat der 98. Flughafen eröffnet worden ist und dass von den 98 Flughäfen sage und schreibe zwei nicht defizitär sind. Das heißt, was wir machen, ist: Wir geben unglaublich viel Geld aus. Verschwenden dieses Geld, gießen völlig sinnlos Beton in die Landschaft, mit dem Ergebnis, dass wir nachher noch mehr Geld ausgeben müssen, um die Betriebsdefizite zu decken, weil sich das nicht rechnet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen sage ich Ihnen sehr deutlich – ich zitiere einmal den Bundesumweltminister Dr. Norbert Röttgen –:

Es ist eine realistische und notwendige Vision, jedenfalls meine, dass wir bis 2050, das sind noch 40 Jahre, die Energieversorgung in unserem Land nahezu vollständig auf regenerative Energien stützen werden. Dieses Ziel müssen wir verfolgen.

Da hat er ausnahmsweise recht, der Herr Bundesumweltminister. Wenn Sie sich das z. B. einmal bei anderen anschauen, stellen Sie fest, dass die weiter sind. Herr Stemmann, der Fachsprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg sagt:

Die Gesundheitswirtschaft bildet mit über 100.000 Beschäftigten bereits jetzt ein elementares Standbein der Hamburger Wirtschaft und bietet als weltweit wachsender Zukunftsmarkt Steigerungspotenzial.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Herr Dr. Arnold, oder ich zitiere einmal den Bundespräsidenten, der hat im Focus-Interview von vor zwei Wochen, das Ihnen nicht gefallen hat, gesagt:

Wir müssen aufpassen, dass wir keine falschen Strukturen zementieren. Wissen Sie, das Auto wird bleiben. Aber es braucht Konkurrenz. Wir müssen nicht nur entschlossen umweltfreundlichere Autos entwickeln. Wir müssen auch rechtzeitig über neue Mobilitätskonzepte nachdenken. Die Welt wartet darauf.

Und der FDP-Wirtschaftsminister von Baden-Württemberg sagt, die Zukunft liege im „sanften Tourismus“.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

– Herr Dr. Arnold, im „sanften Tourismus“, nicht Beberbeck. Wir sagen Ihnen deswegen sehr deutlich: Hören wir in Zeiten wie diesen doch auf, das Geld ohne Sinn und Verstand zum Fenster hinauszuwerfen. Ich würde fast bitten, dass Sie das Geld doch vergraben, denn dann könnte man es nachher wenigstens wieder ausbuddeln, aber gießen Sie es nicht sinnlos in Beton.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Deswegen bitten wir den Landtag, die CDU, die SPD und die FDP darum, noch einmal in sich zu gehen und zu überlegen, ob nicht jetzt der Zeitpunkt ist, wo man nicht so viel schlechtem Geld noch gutes hinterherwerfen sollte. Wann, wenn nicht jetzt, muss man die Notbremse ziehen? Ich glaube daran, dass sich Sachen ändern, die man nie für möglich gehalten hätte.

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Schluss.

Tarek Al-Wazir:

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Ich habe gestern eine Presseinformation des Justizministeriums in die Hand bekommen, wo sich Herr Kollege Staatsminister Jörg-Uwe Hahn unter dem Standbild des großen Vorsitzenden Mao ablichten lässt.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Herr Hahn sich unter Mao ablichten lässt, dann könnten Sie doch auch einmal zugeben, dass sinnloser Beton in der Landschaft keine gute Wirtschaftspolitik ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

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