Inhalt

25.03.2015
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Bündnis Ausbildung Hessen – sichert Chancengleichheit, Wohlstand und Fachkräfte in Hessen

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als in der Vergangenheit an den Hauptschulen, den Realschulen und den Gymnasien zentrale Abschlussprüfungen eingeführt wurden, gab es in der Öffentlichkeit sehr unterschiedliche Wahrnehmungen. Es gab eine sehr unterschiedliche Heftigkeit der Debatte und ein sehr unterschiedliches Pro und Kontra. Um es einmal so herum zu sagen: In den Hauptschulen und in den Realschulen hat das in der öffentlichen Wahrnehmung fast keinen interessiert, aber über das Zentralabitur gab es monatelange Diskussionen. Woran liegt das? Es könnte daran liegen, dass sowohl die Abgeordneten als auch die Journalisten in aller Regel eher ein Abitur haben und die Kinder der Abgeordneten und der Journalisten in aller Regel eher den gymnasialen Bildungsgang einschlagen.

Ich will darauf hinweisen, es ist jetzt als große Neuigkeit dargestellt worden, dass wir letztes Jahr erstmals mehr Studienanfänger hatten als Jugendliche, die eine duale Berufsausbildung begonnen haben. Aber das heißt, dass in allen Jahrzehnten zuvor immer mehr Jugendliche in Richtung duale Berufsausbildung gegangen sind als an die Hochschulen. Das war umgekehrt proportional zur öffentlichen Wahrnehmung.

Ich will ausdrücklich sagen: Die duale Berufsausbildung ist aus meiner Sicht der Grund, warum, erstens, Deutschlands Wirtschaft wettbewerbsfähig ist

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und wir, zweitens, eine vergleichsweise niedrige Jugendarbeitslosigkeit haben. Sie ist auch einer der Schlüssel zur sozialen Teilhabe an der Gesellschaft. Deswegen haben wir im letzten Jahr mit allen Beteiligten so heftig daran gearbeitet, das Bündnis Ausbildung Hessen hinzubekommen. Ich bin wirklich dankbar, dass alle mitgearbeitet haben.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Ziel ist, dass in Hessen kein ausbildungswilliger Jugendlicher mehr ohne Ausbildungsplatz bleibt. Das ist das Hauptziel. Das ist es, worauf wir uns geeinigt haben: mit der Wirtschaft, mit den Gewerkschaften, mit der Arbeitsverwaltung und mit den Kommunalen Spitzenverbänden. Die enge Verzahnung von Theorie und betrieblicher Praxis ist aus meiner Sicht eine der Voraussetzungen für eine am Bedarf der Wirtschaft orientierte und qualitativ hochwertige Ausbildung.

Auch das ist einer der Gründe, warum wir gesagt haben: Vorrang soll die duale Berufsausbildung haben. Das Übergangssystem soll nur dann zum Zug kommen, wenn es nicht gelingt, jemanden direkt in die duale Ausbildung zu vermitteln.

Warum das so wichtig ist, ist klar: Eine abgeschlossene berufliche Ausbildung ermöglicht soziale Teilhabe, und sie gibt Sicherheit im späteren Erwerbsleben. Gleichzeitig ist sie eine – eine, Herr Lenders – der Säulen der zukünftigen Fachkräftesicherung, ebenso wie die Ausweitung der Erwerbsarbeit, das Zurückgreifen auf die sogenannte stille Reserve, womit vor allem die gut ausgebildeten Frauen gemeint sind und die Zuwanderung. Man soll nicht glauben, dass eine allein funktionieren würde, sondern wir brauchen alle drei Säulen. Aber wir reden heute über die erste Säule, und das sind die Ausbildung und die Nachqualifizierung.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will ausdrücklich sagen, dass beides wahr ist. Es gibt unbesetzte Ausbildungsstellen. Dort hat man es nicht mit irgendwelchen unwilligen Menschen zu tun, die die Jugendlichen alle für blöd halten, sondern das sind Ausbildungsstellen, auf die sich wirklich niemand bewirbt. Gleichzeitig gibt es Jugendliche, die wollen und auch qualifiziert sind, aber keinen Ausbildungsplatz bekommen.

Deswegen ist es unsere Aufgabe, das Problem des Matching – wie man auf Neudeutsch sagt; „wie der eine zum annern find“, würde der Hesse sagen – zu lösen. Deshalb müssen wir dafür kämpfen, dass die duale Ausbildung für alle Jugendlichen attraktiver wird und dass allen Jugendlichen, die das möchten, ein dualer Ausbildungsplatz angeboten werden kann.

Ich begrüße ausdrücklich die Zusage der Wirtschaft, in diesem Jahr 1.500 zusätzliche Ausbildungsstellen, mindestens 1.500 Plätze für die Einstiegsqualifizierung und darüber hinaus ausreichend Praktikumsplätze zur Verfügung zu stellen. Dafür sind wir dankbar.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegin Gnadl hat in ihrer Rede behauptet, das Land würde keine konkreten Maßnahmen ergreifen. Das ist einfach falsch.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Gnadl, ich bin Ihnen dankbar für diesen Vorwurf; denn ich kann Ihnen nun ausführlich sagen, was wir machen. Die qualifizierte Ausbildungsbegleitung – das Projekt QuABB – wird weiter ausgebaut und in Hessen zukünftig flächendeckend angeboten. Wir wollen die Methode der Früherkennung weiterentwickeln. Ziel ist es, Ausbildungsabbrüche zu verhindern. Die flächendeckende Ausweitung ist eine Neuigkeit.

Die Zahl der Ausbildungsgänge in Teilzeit soll erhöht werden, um besonders Menschen mit Familienverantwortung oder Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen die Ausbildung zu erleichtern.

Frau Gnadl, wir starten eine neue Initiative – ich werde sie nach Ostern vorstellen –, die „Pro Abschluss“ heißt. Wir wollen damit mehr Menschen dazu bringen, dass sie einen Berufsabschluss nachholen. Dafür wollen wir ebenfalls eine flächendeckende Beratungsstruktur aufbauen.

Um Ihnen zu zeigen, wie nötig das ist: Wir haben in Hessen 400.000 Menschen zwischen 15 und 65 Jahren, die nicht in Ausbildung sind und trotzdem keinen Berufsabschluss haben. 60.000 davon bilden den harten Kern der Langzeitarbeitslosen. Die anderen 340.000 arbeiten. Sie sind aber tendenziell viel gefährdeter als andere, langzeitarbeitslos zu werden. Deswegen wollen wir in dieser Legislaturperiode einen großen Schwerpunkt auf die nachholende Qualifizierung setzen. Deswegen starten wir die Initiative „Pro Abschluss“.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Übergang von der Schule in den Beruf soll mehr Jugendlichen gelingen. Unser Ziel ist, dass wir bis 2020 höchstens noch 10.000 – 2013 waren es 17.270 – Schulabgängerinnen und Schulabgänger eines Jahrgangs im Übergangssystem haben. Ich will ausdrücklich sagen: Wir diskutieren auf dem Bildungsgipfel gerade darüber. Wir wollen bis zum Sommer 2015 ein mit dem Bildungsgipfel abgestimmtes Konzept zur Neugestaltung des Angebots von Übergangsmaßnahmen vorlegen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich setze auch auf Ihre konstruktive Mitarbeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das neue Programm zur Stärkung der Ausbildungsfähigkeit und -qualität von kleinen Unternehmen, das wir starten werden – Frau Kollegin Wissler, Stichwort: Ausbildungsverbünde –, soll ab Sommer 2015 Kleinstunternehmen, d. h. solche mit neun oder weniger Mitarbeitern, mit einem Zuschuss von maximal 4.000 Euro pro Unternehmen und Auszubildenden unterstützen, damit auch die wieder mehr ausbilden und in diesen Bereich gehen. Es ist ein großes Problem, dass in kleineren Unternehmen zum Teil gesagt wird: Wir bekommen die Ausbildungstiefe mit allem, was dazugehört, nicht hin. – Wir wollen sie dabei unterstützen.

Ich kann das ausdrücklich sagen. Auch ich war einmal Chef eines kleinen Unternehmens. Es hieß Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen. Wir haben heftig darüber diskutiert – das ist zehn Jahre her –, ob wir einen Ausbildungsplatz einrichten sollen. Da wurden genau die gleichen Argumente vorgebracht. Inzwischen haben wir die vierte Auszubildende. Drei haben die Ausbildung absolviert, alle haben die Prüfungen bestanden, und alle arbeiten. Auch da muss man also manchmal Widerstände überwinden, und nachher sind alle froh, dass man es gemacht hat.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Gnadl, Sie haben vorhin die Arbeitslehre angesprochen: Wir wollen ausdrücklich einen Ausbau der Berufs- und Studienorientierung in allen allgemeinbildenden Schulformen. Ob das dann „Arbeitslehre“ oder „PoWi“ heißt, ist völlig egal, denn es soll in allen Schulformen unterrichtet werden.

(Zurufe von der SPD)

Das soll verbindlich gemacht werden, indem das Kultusministerium es in eine neue Verordnung aufnimmt. Das Kultusministerium hat das zugesagt. Die Berufs- und Studienorientierung soll dabei in allen Fächern verankert werden und ein Ankerfach haben, nämlich entweder Arbeitslehre oder PoWi.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Ganz wichtig: Es soll struktureller Bestandteil der Lehrerausbildung werden, wobei wir natürlich auf dem Bildungsgipfel im Detail darüber reden werden, wie das aussehen soll.

Letzter Punkt Ihres Vorwurfs – Stichwort: Schulsozialarbeit –: Wir stellen jetzt jedes Jahr – also in jedem Haushalt – 60 zusätzliche Stellen im Bereich des Kultusministeriums ein, die nach dem Sozialindex verteilt werden. Jedes Jahr werden es 60 Stellen mehr sein: in diesem Jahr 360 Stellen, im nächsten Jahr 60 mehr usw. So geht es bis zum Ende der Legislaturperiode weiter.

(Zuruf der Abg. Lisa Gnadl (SPD))

Überlegen Sie sich einmal, über welche vergleichsweise lächerlichen Beträge wir bei der sogenannten Drittelfinanzierung der Schulsozialarbeit gestritten haben, und vergleichen Sie das mit den 60 zusätzlichen Stellen pro Jahr nach dem Sozialindex. Sie merken, dass auch das ein Punkt ist, an dem wir dafür sorgen, dass es besser wird und nicht schlechter.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Herr Minister, ich muss Sie an die Redezeit der Fraktionen erinnern.

Tarek Al-Wazir:

Vielen Dank. Ich bemühe mich. – Das Land hat seine Berufsorientierungsmaßnahmen im Rahmen von OloV mit der Initiative Bildungsketten verknüpft. Wir wollen die flächendeckende Anwendung eines einheitlichen Verfahrens zur Eignungsfeststellung wirksam mit der Berufsorientierung, der Akquise von Ausbildungsstellen und Praktikumsplätzen sowie dem sogenannten Matching und der Vermittlung nach einheitlichen Standards verzahnen.

Wir wollen diese Vereinbarung verlängern. Wir setzen auf die Förderung der vertieften Berufsorientierung in MINT-Berufen für Schülerinnen und Schüler der achten und neunten Klasse. Wir wollen Maßnahmen für 4.000 Schülerinnen und Schüler durchsetzen.

Letzter Punkt, der mir ganz besonders wichtig ist: Es muss völlig klar sein, dass es eine tatsächliche Gleichwertigkeit von beruflichem und schulischem Bildungsweg gibt, dass also berufliche Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt werden, damit sich mehr Jugendliche für eine berufliche Ausbildung entscheiden, damit eine berufliche Ausbildung die gleichen beruflichen Entwicklungschancen bietet und dafür auch die Durchlässigkeit durch einen angemessenen Hochschulzugang gegeben ist. Wir werden das im Rahmen der Novellierung des hessischen Hochschulgesetzes überprüfen. Völlig klar, das Ziel muss sein: Es gibt keine Sackgassen. „Egal, für welchen Weg du dich entscheidest, es gibt keine Sackgassen mehr“ – das muss am Ende bei den Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern ankommen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen zum Schluss: Wir werden diese und weitere Maßnahmen bis 2019 umsetzen. Wir werden gegebenenfalls noch zu erarbeitende weiterführende Ergebnisse des Bildungsgipfels berücksichtigen. Wir wollen gemeinsam mit unseren Bündnispartnern auf eine flächendeckende Versorgung mit Ausbildungsstellen in Hessen hinwirken. Wir schaffen damit faktisch eine Ausbildungsgarantie; nur so sichern wir unseren Fachkräftenachwuchs auch in Zukunft und schaffen berufliche Chancen für alle Jugendlichen. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Vielen Dank, Herr Staatsminister Al-Wazir.

Kontakt