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24.06.2015
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Fahrradland Hessen – Radverkehr als zentraler Mobilitätsbestandteil

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte auch mit einem Zitat beginnen, übrigens auch mit einem von Albert Einstein:

Das Leben ist wie ein Fahrrad. Man muss sich vorwärts bewegen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

Ich bin den Koalitionsfraktionen ausdrücklich dankbar, dass sie uns, dem Hessischem Landtag, heute hier die Gelegenheit geben, über das Fahrradland Hessen zu diskutieren.

Ja, wir sind es noch nicht. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen und werden es. Ich glaube, das ist ein guter Tag für die Verkehrs- und Mobilitätspolitik im Lande Hessen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will ausdrücklich sagen: Der Radverkehr ist zentraler Bestandteil einer modernen Mobilitätspolitik, und die Menschen sind schon viel weiter als manche Debattenbeiträge im Hessischen Landtag. Sie sind nämlich intermodal unterwegs; sie wechseln die Verkehrsmittel; sie schauen, wie sie am besten von A nach B kommen. Diese Gegensätze, die hier teilweise aufgebaut werden, gibt es nicht. Aber es ist auch klar: Wir müssen das Fahrrad nach vorne bringen und damit die Verkehrs- und Mobilitätpolitik wieder ins Gleichgewicht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich muss eine Opposition, obwohl, sie muss es eigentlich nicht immer tun, zumeist kritisieren, dass irgendetwas nicht weit genug gehe. Ich will es einmal so sagen: Janine Wisslers Kritik war für die üblichen Verhältnisse der Links-Partei geradezu eine Liebeserklärung an Schwarz-Grün und an mich; insofern vielen Dank dafür.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Günter Schork (CDU) und Janine Wissler (DIE LINKE))

– Ich habe ja gesagt: „für ihre Verhältnisse“. Ich bekomme andere Liebeserklärungen, aber für Ihre Verhältnisse war es eine.

(Heiterkeit)

Herr Kollege Weiß, ich will Ihnen sagen: Sie haben mehrfach den ADFC als Kronzeugen zitiert; der ADFC hat jedoch den Antrag, den Sie hier in Grund und Boden verdammt haben, gestern als „historisch“ und „richtungsweisend“ bezeichnet. Sie müssen sich schon einmal überlegen, ob Sie eigentlich daran interessiert sind, in der Sache voranzukommen oder eben nicht.

Ja, wir haben noch viel zu tun. Aber ich will ausdrücklich auch in Richtung der Sozialdemokratie sagen: Wenn man das Bild Hessens als Fahrradland so schrecklich zeichnet, muss man aufpassen, ob man damit nicht auch ein bisschen sich selbst kritisiert. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, mir die Parteizugehörigkeit der Verkehrsminister seit 1946 anzuschauen.

(Zurufe von der SPD)

Es gab einen parteilosen, dann gab es ein Mitglied des Bundes der Heimatvertriebenen, also Gesamtdeutscher Block. Es gibt einen grünen; das bin ich. Es gibt nur zwei von der CDU, sechs von der FDP, aber 11 von der SPD. Wenn es hier also so schrecklich ist, dann müssten Sie einmal überlegen, was daran nicht auch Ihr Anteil ist.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Aber, bitte sehr, wenn Sie der Auffassung sind, dass Sie tätige Reue zeigen wollen: Wir nehmen jeden Sünder auf.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Radverkehr wurde lange Zeit als Freizeitbeschäftigung belächelt. Ich will ausdrücklich sagen – es sind auch Herr Kollege Posch und die Radfernwege angesprochen worden –: Wir sind in einem Punkt, nämlich beim Fahrradtourismus, beim Fernradweg, da sind wir in Hessen nicht schlecht. Aber das Fahrradfahren ist zunehmend viel mehr als der sonntägliche Ausflug in das Eiscafé oder das Fernradfahren. Der Fahrradverkehr wird zunehmend Teil des Alltags.

Vor über 20 Jahren war Tom Koenigs Kämmerer und Umweltdezernent in Frankfurt und hat dort gesagt, dass er die Vision vom radelnden Banker habe. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie er damals ausgelacht worden ist. Wenn Sie heute einmal versuchen, in den Main Tower hineinzugehen, dann werden Sie feststellen, dass Sie dort den Eingang vor lauter abgestellten Fahrrädern nicht finden. Also auch dort sind manche schon sehr viel weiter, als manche so denken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was hinzukommt, ist: Fahrradfreundliche Städte haben eine hohe Aufenthalts- und Lebensqualität, nicht nur für die Radfahrerinnen und Radfahrer, sondern auch für alle anderen. Für die eingefleischten Autofahrer unter Ihnen, auch für die Herren von der FDP: Jeder Weg, der mit dem Rad statt mit dem Auto zurückgelegt wird, bedeutet nicht nur weniger Lärm- und Schadstoffemissionen. Er ist auch ein Beitrag zum mobilen Hessen, weil jeder Radfahrer eben nicht im Auto sitzt. Er macht also mehr Platz für Sie, Herr Kollege Rock.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Es ist klar, dass wir eine große Aufgabe vor uns haben. Ja, es ist richtig: Beispielsweise beträgt der Anteil an Radwegen an hessischen Landesstraßen nur 11 Prozent. Aber ich will – weil der Kollege Lenders gesagt hat, das liege daran, dass wir so ländlich seien – ausdrücklich sagen: Schleswig-Holstein hat einen 61-prozentigen und Niedersachsen einen 54-prozentigen Anteil. Das sind nicht gerade Metropolregionen, die Sie dort überall sehen. Es muss etwas mit den Schwerpunkten der letzten Jahre und Jahrzehnte zu tun gehabt haben, und genau das wollen wir hier ändern.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu den im Landeshaushalt vorgesehenen Mitteln für Radwege: Ja, Frau Kollegin Wissler, und ja, Herr Kollege Weiß, es standen schon immer vier Millionen Euro drin. Das Problem ist nur, dass niemals 4 Millionen Euro ausgegeben wurden, sondern im Durchschnitt 2,-irgendetwas. Ich glaube, das ist genau der Punkt, wo wir jetzt sagen: Wir wollen das Geld, das dort am Anfang des Jahres immer hineingeschrieben wird, am Ende des Jahres für diesen Zweck ausgegeben haben. Das wird den Radwegebau an Landesstraßen voranbringen. Wir wollen damit das Radfahren attraktiver machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, wir können das nicht alleine. Wir brauchen auch die Kommunen. Wir wollen die kommunale Radverkehrsinfrastruktur auch in Zeiten knapper Kassen fördern. Dafür geben wir jährlich etwa acht Millionen Euro aus. Dieses Niveau wollen wir beibehalten. Es kommt aber nicht nur auf den Radwegebau an. Es kommt auch darauf an, die Wahrnehmung des Fahrrads als gleichberechtigtes Verkehrsmittel zu unterstützen. Das heißt, genau hinzuschauen und zu fragen: Wo wird viel Fahrrad gefahren? Wo kann man prüfen, wo noch mehr Fahrrad gefahren werden könnte – auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen, zur Schule und in der Freizeit? Das sind Wege, die größtenteils innerhalb oder zwischen benachbarten Kommunen liegen. Für Strecken von bis zu fünf Kilometern ist das Fahrrad sogar zumeist das schnellste Verkehrsmittel.

Viele Landkreise, Städte und Gemeinden haben sich schon auf den Weg gemacht. Es gibt Landkreise und Städte, die bereits anspruchsvolle Radverkehrskonzepte und -ziele haben. Es gibt Gemeinden mit einer hervorragenden Bürgermitwirkung und Engagement. Es gibt aber auch Gemeinden, die beim Radverkehr dringend unsere Unterstützung brauchen. Dazu gehört übrigens auch die Landeshauptstadt. Ich glaube, dass wir die hessischen Städte und Gemeinden nicht allein lassen sollten. Ich möchte den Kommunen eine Plattform anbieten, um sich über die guten Beispiele auszutauschen, und ich will diejenigen, die in diesen Bereichen schon aktiv sind, zusammenbringen.

Wir haben Menschen und Organisationen, die sich für den Radverkehr engagieren. Wir haben auch auf kommunaler Ebene teils schon eine hervorragende Zusammenarbeit. Es gibt Unternehmen, die sich engagieren und das Radfahren fördern. Es sind auch Hochschulen dabei sowie Verbände wie der ADFC, der FUSS e.V. und der VCD. Diese Aktivitäten will ich zu einem Netzwerk zusammenführen. Das bedeutet, dass wir mit der Vorbereitung der landesweiten Arbeitsgemeinschaft „Nahmobilität“ zu einem Ergebnis gekommen sind. Es wird sich im nächsten Monat auf unsere Einladung hin der Lenkungskreis treffen, um die konkrete Arbeit dieser Arbeitsgemeinschaft zu starten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass die landesweite AG bald wahrgenommen werden wird und dass sie einen echten Beitrag für ein fahrradfreundliches Klima leisten wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Ein wichtiger weiterer Punkt: Zur Mobilitätssicherung sind das Fahrrad und die Bahn ein unschlagbares Team. Deshalb fördern wir an Bahnhöfen Bike & Ride-Anlagen. Im Nahverkehr sorgen die hessischen Verkehrsverbünde zunehmend für Fahrradmitnahmemöglichkeiten und bieten diese übrigens anders als anderswo kostenlos an. Auch für Verbesserungen im Fernverkehr setze ich mich gegenüber der DB-AG ein. Die DB wird sukzessive von 2016 bis 2030 insgesamt 250 neue Züge in Betrieb nehmen, die die Fahrradmitnahme erlauben und niedrigere und breitere Einstiege aufweisen. Auch die Anzahl der Züge und Verbindungen mit Fahrradmitnahmemöglichkeiten wird deutlich ausgeweitet und durch die Einbeziehung des ICE-Netzes, zwar schrittweise, aber bald deutlich bessere Verbindungen bieten.

Ich fasse zusammen: Bessere Bedingungen für den Radverkehr sind wichtig. Ich bedanke mich ausdrücklich für die Unterstützung der Koalitionsfraktionen. Der Opposition sage ich: Wenn man „historische“ und „richtungsweisende“ Anträge debattiert, wie unser Antrag vom ADFC genannt wurde, dann könnte man auch einfach einmal zustimmen, ohne dass man sich dabei einen abbricht. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Vielen Dank, Herr Staatsminister, das war eine Punktlandung.

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