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23.06.2016
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Erneuerbare Energien weiter ausbauen und Einbeziehung Hessens in ein Netzausbaugebiet verhindern

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor wir uns im „Klein-Klein“ – das auch wichtig ist – verlieren, möchte ich doch am Anfang sagen, was unsere gemeinsame Aufgabe ist: Wir brauchen eine sichere, umweltschonende, bezahlbare und gesellschaftlich akzeptierte Energieversorgung. Wir wollen, dass Hessen bis zum Jahr 2050 sich bei Strom und Wärme zu 100 % aus erneuerbaren Energien versorgen kann.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Ziel wird von 82 Prozent der Hessinnen und Hessen unterstützt. Das ist das Ergebnis unserer repräsentativen Umfrage vom Herbst 2015.
Da gibt es auch Zwischenziele, nämlich, dass wir bis zum Jahr 2019 ein Viertel unseres Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen decken wollen – denn wir befinden uns in Hessen bei der Energiewende auf einer Aufholjagd.
Herr Rock, ich will es nochmals ausdrücklich sagen: Ich will – und ich bin sicher: wir werden – zeigen, als Landesregierung wie als Land, dass eine Energiewende in einem wirtschaftsstarken Land möglich ist, dass sie neue Arbeitsplätze schafft, innovative Unternehmen anzieht und nicht – wie Sie das immer an die Wand malen – ein Beitrag zu einer Schwächung, sondern am Ende des Tages zur Stärkung unseres Landes sein wird.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Zu Ihrem Stichwort „Antiwirtschaftsminister“ vorhin: Herr Rock, man müsste doch ein bisschen aus der Vergangenheit lernen. Im Jahr 1998 gab es eine heftige Auseinandersetzung um die Ökosteuer. Damals hat auch noch die CDU gesagt: alles eine Katastrophe.
(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))
– Also bitte schön, jetzt passen Sie einmal auf: Werfen Sie jetzt bitte nicht der CDU vor, dass sie ihre Positionen ändert. Sie wissen doch: Nichts dreht sich schneller als die FDP.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Noch einmal: 1998 Diskussion um die Ökosteuer. Ich gebe zu, damals waren die GRÜNEN alles andere als kommunikativ geschickt. Im Hinterkopf ist bei manchen davon noch „5 Mark“ übrig geblieben. Allerdings steckte ein wirtschaftspolitisches Konzept dahinter: Ressourcenverbrauch besteuern, Lohnnebenkosten senken.
Was die meisten Leute vergessen, ist – – Ja, ja, ich weiß, Guido Westerwelle hat damals „Rasen für die Rente“ gemacht.
Frau Kollegin Beer, man müsste aber einmal anerkennen, dass das funktioniert hat. Wir hatten damals einen Rentenversicherungsbeitrag von 20,5 Prozent; jetzt haben wir einen Rentenversicherungsbeitrag von 18,7 Prozent. Inzwischen sind alle versicherungsfremden Leistungen steuerfinanziert. Wir haben nämlich den Ressourcenverbrauch besteuert und die zusätzlichen Einnahmen in die Rentenversicherung gegeben. Damals hat Herr Rock gesagt, das werde das Ende des Industriestandorts Deutschland sein, das werde das Ende der Automobilindustrie in Deutschland sein. Heute stellen wir fest: Deutschland ist so wettbewerbsfähig wie noch nie, wir sind, was die Exportstärke angeht, stärker, als wir es jemals zuvor waren.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP)
Das müsste Ihnen doch zu denken geben, Anlass für Zweifel sein, ob das, was Sie da sagen, eigentlich richtig ist.
Beim EEG gibt es genau die gleichen Debatten. Herr Großmann, Ihr ehemaliger Freund von RWE, hat gesagt: Eher wachsen Ananaspflanzen am Südpol, als dass Deutschland einen wesentlichen Teil seines Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien deckt. – Herr Rock, Herr Großmann ist nicht mehr bei RWE, die FDP ist nicht mehr im Bundestag, und trotzdem – oder gerade deswegen – kann ich sagen: Bundesweit decken die erneuerbaren Energien rund 33 Prozrnt des Bruttostromverbrauchs in Deutschland, und kein Licht ist ausgegangen, im Gegenteil.
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)
Das müsste Ihnen doch zu denken geben. Deswegen noch einmal sehr ausdrücklich gesagt: Wir sind momentan in der Situation, dass die Markteinführung der erneuerbaren Energien geglückt ist; jetzt kommt deren Marktintegration. Wir sind natürlich bereit, in einer solchen Situation konstruktiv über den Übergang von einer festen Vergütung zu Ausschreibungen zu diskutieren. Wir wollen allerdings das EEG so verändern, dass die Energiewende weitergehen kann. Das ist wichtig. Wir wollen darauf achten, dass durch das EEG die kostengünstigen erneuerbaren Energien besonders gefördert werden.
Lieber Thorsten Schäfer-Gümbel, zum Stichwort Offshore. Ich verstehe – gerade aus hessischer Sicht – nicht, dass die SPD, die inzwischen auch intern über die Kosten nachdenkt, weiterhin sagt, Offshorewindparks müssten ausgebaut werden, und bei der Windkrafterzeugung an Land auf die Bremse tritt.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Unter Kostengesichtspunkten sind Offshorewindparks doppelt so teuer wie Windenergieanlagen an Land. Hinzu kommen dramatisch hohe Netzanbindungskosten.
(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))
Wenn es allein um die Kosten ginge, müsste man eigentlich bei den Offshorewindparks bremsen. Aber leider muss ich sagen: An der Stelle ist in der Ministerpräsidentenkonferenz nichts zu erreichen gewesen. Noch eine kurze Anmerkung zur Ministerpräsidentenkonferenz. Ehre, wem Ehre gebührt: Es sind schon viele genannt worden, aber auch Kollege Wintermeyer hat bei dieser Frage heftig und kräftig mitgearbeitet.
In der Ministerpräsidentenkonferenz gibt es entweder einstimmig gefasste Beschlüsse oder keine Beschlüsse.
(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))
Inzwischen haben wir die Situation, dass im Bundesrat 16 Bundesländer mit elf unterschiedlichen Koalitionsvarianten vertreten sind, und wir stehen vor der Situation, dass es kein EEG mehr geben wird, wenn nicht bis zum 31. Dezember über eine EEG-Novelle befunden wurde.
(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))
– Sie finden das super. Das ist toll. Aber im Bundestag gibt es keine FDP-Fraktion. Deshalb fragt Sie keiner, Herr Rock.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Deswegen müssen wir uns am Ende des Tages Gedanken über die Frage machen: Wie bekommen wir es angesichts der unterschiedlichen Interessen hin, das aus hessischer Sicht Schlimmste zu verhindern und dabei die Gesamtsituation im Auge zu behalten?
Genau das haben wir getan. Ich finde, wir sind dabei auf einem bisher ganz guten Weg, wobei wir an manchen Punkten nach wie vor unzufrieden sind. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Ich verstehe z. B. nicht, warum es keinen Ausbaudeckel bei der Offshorewindenergienutzung geben soll, bei der Energieerzeugung aus Windkraft an Land, die kostengünstiger ist, hingegen schon. Ich verstehe ebenfalls nicht, warum die Bundesregierung, obwohl wir uns 2014 auf einen Ausbaukorridor mit einer Nettoleistung von 2.500 MW geeinigt haben, diesen Wert einfach auf eine Bruttoleistung umstellt, obwohl man weiß, dass es in den nächsten Jahren sehr viele Repowering-Maßnahmen geben wird.
(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))
– In Hessen nicht ganz so viele.
(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))
– Allerdings wird das im Vogelsbergkreis an manchen Stellen passieren.
Ich verstehe übrigens auch den nachträglichen Eingriff in die 2016 erteilten Genehmigungen nicht. Es ist das Gegenteil von Vertrauensschutz, wenn man einfach sagt: „Wir nehmen da 5 Prozent heraus.“
(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))
Der Vertrauensschutz ist für die Investitionssicherheit – egal, worum es geht – das A und O. Auch an dieser Stelle sind wir daher nicht zufrieden.
Aus meiner Sicht ist es ebenfalls falsch, dass man bei der Fotovoltaik an dem Ausbaudeckel von 52 Gigawatt festhält. Man hat diesen Ausbaudeckel zu einem Zeitpunkt in das EEG geschrieben, als die Fotovoltaik ein Kostentreiber war. Die Fotovoltaik ist inzwischen aber so günstig geworden, dass sie kein Kostentreiber mehr ist. Vielleicht haben Sie wahrgenommen, dass wir im letzten Jahr weltweit einen Solarboom hatten – außer in Deutschland. An dieser Stelle müssen wir also etwas verändern.
(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))
An der Stelle sind wir mit dem, was die Bundesregierung vorgelegt hat, nicht zufrieden.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt zu einer weiteren Frage, die wichtig ist und wo wir darum kämpfen, dass auf der Bundesebene etwas verändert wird, zur sogenannten De-minimis-Regel. Ich bin dafür, dass wir dafür sorgen, dass es weiterhin eine regionale Verankerung der Energiewende gibt und dass sich die Bürgerinnen und Bürger an der Energiewende beteiligen können. Wir müssen natürlich aufpassen, dass sich keine Umgehungstatbestände entwickeln. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger weiterhin die Chance haben, sich zu beteiligen, und wir müssen sicherstellen, dass die Energiewende eine Wertschöpfung vor Ort mit sich bringt und damit auch eine Akzeptanz vor Ort erzeugt. Daher hoffen wir darauf, dass sich in den nächsten Wochen auf der Bundesebene etwas ändert.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich komme zum Thema Netzausbau. Herr Rock, an einer Stelle will ich Ihnen recht geben. Es ist natürlich ein Riesenproblem, dass wir 1 Milliarde € für sogenannte Redispatch-Kosten ausgegeben haben. Ich muss Sie aber ein bisschen korrigieren: Es ist nicht nur für die Abregelung von Windkraftanlagen bezahlt worden, sondern auch für das Hochfahren konventioneller Kraftwerke im Süden. Das musste man machen, weil die nötigen Energienetze fehlen. Früher hat die FDP den GRÜNEN vorgeworfen, der Strom komme nicht aus der Steckdose. Sie wollten uns damit sagen, dass der Strom erst produziert werden muss. Das wissen wir. Ich sage Ihnen jetzt: Man muss zwischen der Produktionsstätte des Stroms und der Steckdose eine Leitung haben, sonst nützt es auch nichts, Herr Kollege Rock.
(Heiterkeit und Zurufe)
Deswegen sind wir darauf angewiesen, dass wir an den richtigen Stellen eine Vernetzung bekommen, um den Strom von A nach B bringen zu können.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Herr Minister, ich erinnere an die Redezeit der Fraktionen.

Tarek Al-Wazir:

Deswegen sage ich an dieser Stelle ausdrücklich: Ich kann mich mit dem Gedanken anfreunden, dass man, solange der Netzausbau noch nicht den Stand erreicht hat, den wir brauchen, den Ausbau der Windkraftnutzung an den Orten reduziert, wo Abregelungen zu erwarten sind, wo also klar ist, dass man viel Geld dafür ausgeben muss, dass kein Strom produziert wird. Es wäre aber absurd, auf die Idee zu kommen, Hessen zu solch einem Ort zu erklären.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
In Hessen sind keine Abregelungen zu erwarten, denn der Strom, der in Hessen produziert wird, wird in Hessen auch verbraucht. Ich habe vor einigen Wochen in Hessisch Lichtenau einen Windpark eröffnet. Von den Anlagen, die dort stehen, wird der Strom direkt in das Verteilnetz der Stadt Kassel geliefert. Dieser Strom sieht niemals ein Übertragungsnetz. Wir Hessen sind also nicht Teil des Problems.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Wenn wir nicht Teil des Problems sind, dann können wir auch nicht Teil der Lösung sein. Deswegen sagen wir: Eine Drosselung des Ausbaus muss dort erfolgen, wo das Problem entsteht. Deswegen wollen wir, dass sich an dieser Stelle etwas verändert, und setzen dabei auf allseitige Unterstützung.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)
Ein letzter Punkt, der mir an dieser Stelle wichtig ist. Am Ende wird auch ein Großprojekt durch viele kleine Maßnahmen umgesetzt. Dass es an der einen Stelle ein Problem gibt, dass man an einer anderen Stelle etwas verändern muss, dass man an einer dritten Stelle nachsteuern muss, ist völlig normal, wenn man ein ganzes System umstellt. Wir sollten aber nicht vergessen, dass es ein Ziel gibt, nämlich die Produktion von Energie aus erneuerbaren Energien. Die ist kein Selbstzweck, sondern hat etwas damit zu tun, dass wir unsere Ressourcen nicht weiter so verbrauchen können, wie wir das in den letzten 100 Jahren gemacht haben. Deshalb müssen wir die Energiewende zu einem Erfolgsprojekt machen. Wir werden das auch erreichen, selbst wenn die FDP weiterhin gegen Windmühlenflügel kämpft.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Danke, Herr Staatsminister.

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