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20.04.2016
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Situation des Handwerks in Hessen – Bedeutung des Meisterbriefs für die Qualität und die Ausbildungsleistung

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die wirtschaftliche Situation des Handwerks in Hessen ist gut. Wir haben im letzten Jahr die Situation gehabt, dass in über 75.000 Betrieben rund 338.000 Beschäftigte gearbeitet haben, darunter mehr als 25.000 Auszubildende. Die Handwerksbetriebe in Hessen haben im letzten Jahr einen Umsatz von rund 33 Milliarden Euro erwirtschaftet, und gut 85 Prozent der hessischen Handwerksunternehmen haben eine insgesamt mindestens zufriedenstellende Geschäftslage gemeldet. Das sind gute Nachrichten für das Handwerk und damit auch gute Nachrichten für unser Bundesland.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Barth, bis September 2015 konnten 10.080 neue Lehrverträge bei den drei hessischen Kammern eingetragen werden. Wenn ich es recht gesehen habe, sind das mehr als 2014. In aller Regel kommen noch ein paar hinterher, die dann noch gemeldet werden. Das heißt, wir haben auch in diesem Bereich eine positive Bilanz. Das ist gerade in diesen Zeiten, in denen wir uns mit der Frage des Fachkräftemangels auseinandersetzen, ebenfalls eine gute Nachricht für die Zukunftsfähigkeit sowohl des Handwerks als auch unserer Gesellschaft.
Für die erste Hälfte dieses Jahres rechnen die Unternehmer aller Handwerksgruppen mit einer ähnlich guten Geschäftslage wie 2015. Ich will ausdrücklich hinzufügen, weil es angesprochen wurde: Dazu trägt auch bei, dass wir mit dem Haushalt ein Kommunales Investitionsprogramm beschlossen haben, wo wir die Pi mal Daumen 300 Millionen Euro des Bundes um 700 Millionen Euro aufgestockt haben. Damit haben wir ein 1 Milliarde Euro schweres Kommunales Investitionsprogramm aufgelegt.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dabei haben wir die Kriterien so festgelegt, dass gerade die Schutzschirmstädte – Frau Kollegin Barth, wenn ich es recht im Kopf habe, ist in absoluten Zahlen der Gewinner die Stadt Kassel mit rund 40 Millionen Euro, und ich glaube, auf den zweiten Platz kommt die Stadt Offenbach mit gut 30 Millionen Euro –, die in der Vergangenheit aufgrund ihrer schwierigen Finanzlage weniger investiert haben, in die Lage versetzt werden. Ich bin sicher, das wird gerade dem örtlichen Handwerk helfen.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind überzeugt davon, dass das Handwerk eine unverzichtbare Stütze unserer Wirtschaft ist. Ich will ausdrücklich sagen – es ist schon angesprochen worden –, dass dazu auch der Meisterbrief gehört. Die besonders qualifizierte Vorbildung der Meisterinnen und Meister im Handwerk bürgt für diese hohe Qualität, schafft qualifizierte Ausbildungsplätze und macht meistergeführte Betriebe krisenfest. Natürlich hilft da auch ein Blick zurück.
Natürlich ist es so, dass die Aufhebung des Meisterzwangs für bestimmte Bereiche im Handwerk, wenn man jetzt zwölf Jahre später zurückblickt, keine besonders positiven Auswirkungen hatte. Wir haben in diesem Bereich zwar einen Gründungsboom erlebt. Aber die Überlebensrate dieser neuen Handwerksbetriebe, die jetzt B1-Betriebe genannt werden, ist drastisch verringert. Das heißt, diese Betriebe sind nach fünf Jahren zu fast 60 Prozent wieder vom Markt verschwunden.
Was ganz besonders negativ ist: Von ehemals 20 Auszubildenden auf 100 Betriebe im Jahr 2004 sank die Anzahl der Auszubildenden bis zum Jahr 2014 auf fünf Auszubildende pro 100 Betriebe, also ein Rückgang von 75 Prozent. Das muss man an dieser Stelle sagen. Ich sage das auch als jemand, der einer Partei angehört, die 2004 im Bund die Mehrheit hatte und dies mit auf den Weg gebracht hat. – Im Gegensatz dazu blieb die Überlebensrate der nach wie vor meisterpflichtigen A‑Handwerke konstant hoch, ebenso die Ausbildungsleistung.
Um vielleicht den Unterschied klarzumachen. Wir haben beim nächsten Tagesordnungspunkt eine Debatte über die Vergabe. Gestern war in der Frankfurter Rundschau ein Interview mit dem Geschäftsführer des Zentralverbands des Baugewerbes zu lesen, der darauf hinweist, dass es vorher 17.000 Fliesenleger in Deutschland gab und jetzt 72.000. Das ist übrigens ein Teil des Problems bei der Durchsetzung der Bekämpfung von Schwarzarbeit. Wir haben es da sicherlich oft mit Scheinselbstständigkeit zu tun, und das macht manches komplizierter, als es vorher war.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen setzt sich die Landesregierung nach wie vor uneingeschränkt für den Erhalt des großen Befähigungsnachweises in den verbliebenen, so will ich sie einmal nennen, Berufen ein. Es ist für die Zukunft des Handwerks ganz besonders wichtig.
Meine Damen und Herren, wir reden auch über Gründen und Nachfolgen. Für eine vitale und stabile Wirtschaft sind gerade Existenzgründungen unerlässlich. Das unterstützen wir auf vielfältige Weise, nicht nur bei Neugründungen, sondern auch bei der Nachfolge bestehender Betriebe. Das wird in den nächsten Jahren eine ganz besonders große Rolle spielen.
Es gibt Zuschüsse, es gibt Beratung, es gibt Förderdarlehen, es gibt Bürgschaften, es gibt Beteiligungen. Es gibt sozusagen nichts, was es nicht gibt, wo wir darum kämpfen, dass wir neue Betriebe bekommen und bestehende erhalten bleiben.
Ganz besonders wichtig ist uns die Frage, wie wir die große Herausforderung der Integration von jungen Flüchtlingen in die Arbeitswelt bewerkstelligen. Da haben wir im Handwerk einen starken Partner; denn auch an diesem Punkt ist Baustein für gelingende Integration eine gelingende berufliche Erstausbildung.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, schon heute haben Schätzungen zufolge über 20 Prozent aller Auszubildenden im Handwerk einen Migrationshintergrund, 11 Prozent einen ausländischen Pass. Das heißt, das Handwerk ist auch ein Motor für die Integration und für die Frage, wie wir Integration zu einer gelingenden Sache machen.
Ich will ausdrücklich sagen, dass auch wir als Landesregierung verstärkt auf den Faktor Ausbildung für gelingende Integration setzen. Wir richten die Förderprogramme auch auf die Gruppe junger Flüchtlinge aus. Wir stocken die finanziellen Mittel in diesem Bereich um über 11 Millionen Euro in zwei Jahren auf und initiieren konkrete Projekte, wie z. B. „Wirtschaft integriert“, wo das Handwerk ein unverzichtbarer Partner ist. An dieser Stelle sage ich ausdrücklich vielen Dank dafür, dass wir da Menschen haben, die nicht fragen, was alles nicht funktioniert, sondern die sagen: Wir haben ein Problem, wir lösen es, wir machen einfach. – Vielen Dank dafür.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ausbildungsleistung ist erwähnt worden. Man muss es noch einmal sagen: Rund 26 Prozent aller neuen Ausbildungsverträge sind im Bereich des Handwerks. Die Ausbildungsquote im Handwerk liegt bei 8 Prozent. Das liegt deutlich über dem allgemeinen Schnitt von 4,8 Prozent.
Ich will an dieser Stelle etwas zum Stichwort Ausbildungsplatzumlage sagen. Was vielleicht eine Forderung war, über die man zu einem Zeitpunkt diskutieren konnte, als es ein deutliches Überangebot an Ausbildungswilligen gab und ein deutliches Missangebot an Ausbildungsplätzen, wird immer schwieriger, wenn sich dieser Markt dreht und es teilweise so ist, dass Betriebe Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, aber keine Auszubildenden finden. Wollen Sie dann einen solchen Betrieb bestrafen und sagen, dass er sich nicht genug bemüht hat? Ich glaube, an dieser Stelle wird es etwas schwierig, wenn wir in eine Situation kommen – da sind wir teilweise schon –, wo es unbesetzte Ausbildungsplätze gibt. Dann wird es ein bisschen absurd. Deswegen glaube ich, dass das, was man immer schon gefordert hat, nicht richtig sein muss, wenn die Wirklichkeit sich verändert.
(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
Ich will aber ausdrücklich sagen: Ich bin dafür, dass das Handwerk sich kräftig bemüht, um Auszubildende zu werben und die Ausbildungsbedingungen attraktiv zu machen und auch dafür zu sorgen, dass es weniger Ausbildungsabbrüche gibt.
Auch das hat etwas mit Attraktivität zu tun. Das wird für die Zukunft ganz besonders wichtig sein.
Ich will ausdrücklich einmal Folgendes sagen: Das Handwerk bietet vielen einen Ausbildungsplatz, die es anderswo schwerer hätten, einen Ausbildungsplatz zu finden. Auch das ist ein Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Wir wollen das vonseiten der Landesregierung unterstützen. Wir tun das. Wir verbessern die Strukturen bei der landesweiten Strategie OloV, also bei der Optimierung der lokalen Vermittlungsarbeit. Wir haben neue Förderprogramme wie „gut ausbilden“ aufgelegt, die insbesondere die Ausbildungsqualität und -fähigkeit der Kleinstunternehmen stärken sollen. Wir haben wieder ein „Bündnis Ausbildung Hessen“, bei dem alle mitmachen, auch die Gewerkschaften. Wir haben da gemeinsam das Ziel, die duale Ausbildung attraktiver zu machen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
An dieser Stelle sage ich ausdrücklich: Es steht Neues bevor. Wir sind hinsichtlich der Digitalisierung in der Situation, dass in Zukunft auch im Handwerk Themen eine Rolle spielen werden, die in der Vergangenheit keine Rolle gespielt haben. So ähnlich wie der frühere Schlosser inzwischen – ich habe den Begriff nicht genau im Kopf – CNC-Dreher heißt, mit allem, was dazugehört, und mit vielem, was am Ende noch dazukommt, ist es sicherlich so, dass wir auch in anderen Bereichen erleben werden, dass die Digitalisierung die Ausbildungsberufe verändern wird. Wir werden uns Gedanken darüber machen müssen, was das für die nötige Qualifikation der Auszubildenden bedeuten wird.

Vizepräsidentin Heike Habermann:

Herr Staatsminister, die für die Fraktionen vorgesehene Redezeit ist um.

Tarek Al-Wazir:

Ich komme zum Schluss meiner Rede. – Auch da ist es so, dass uns vieles bevorstehen wird. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir, wenn wir in der Gesellschaft, in der Politik und im Handwerk zusammenhalten, diesen Herausforderungen gemeinsam begegnen werden.
Eines will ich als meine letzten Sätze noch sagen, da ich auch Energieminister bin: Ich finde es schön, dass das Handwerk vor einigen Jahren damit begonnen hat, sich als offizieller Ausrüster der Energiewende zu bezeichnen. Ich will sie ausdrücklich darin bestärken, das weiterhin zu tun.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vielen Dank. Grüße an das Handwerk. Ich danke für die Debatte. Ich danke vor allem auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium für die viele Arbeit zur Erstellung der Antwort zu dieser Großen Anfrage. – Danke sehr.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsidentin Heike Habermann:

Vielen Dank.

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