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16.12.2015
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Internationale Bauausstellung Rhein-Main

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer über Landesentwicklung und über Regionalentwicklung spricht, muss in langen Linien denken – nach vorne, aber es hilft auch, einmal ein bisschen nach hinten zu schauen.
Wie war die Situation vor 20, 25 Jahren in der Rhein-Main-Region? – Ich will einmal zwei Beispiele nennen, Stichwort: Müll. Müllnotstand war damals ein geflügeltes Wort. Die einen hatten keinen Deponieraum mehr, die anderen hatten viel zu teure Müllverbrennungsanlagen. Sie haben von diesem Problem lange nichts mehr gehört. Warum? – Weil es in der Rhein-Main-Region durch die Rhein-Main Abfall GmbH gelöst wurde. – Ich sehe Nicken von Menschen, die wissen, wo Flörsheim-Wicker ist.
Zweites Beispiel, öffentlicher Personennahverkehr: Vor 20, 25 Jahren gab es Kleinstaaterei. Es gab weder einen abgestimmten Fahrplan, noch ein gemeinsames Ticket der Tarifgebiete. Was man sich heute nicht mehr vorstellen kann: Zwischen Frankfurt und Offenbach hielt die Straßenbahn, und man musste entweder beim Fahrer einen Fahrschein für das jeweils andere Tarifgebiet kaufen oder aussteigen und zum Automaten gehen. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Es ist aber nur 20 Jahre her. Die Linie 16 wurde eingestellt, als ein gewisser Michael Siebel noch im Offenbacher Rathaus gearbeitet hat, wenn ich das richtig im Kopf habe.
(Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD))
Stichwort: Kulturregion, Stichwort: Wirtschaftsförderung, Stichwort: Regionalpark. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in den letzten 20, 25 Jahren in der Zusammenarbeit in der Rhein-Main-Region wahnsinnig viel erreicht.
(Beifall der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Natürlich entwickelt sich die Metropolregion – deswegen der Blick nach vorne – weiterhin ausgesprochen dynamisch. Das ist grundsätzlich erfreulich. Es führt aber auch zu neuen Herausforderungen. Am dringlichsten sind die Herausforderungen – das ist meine Überzeugung – in den Bereichen Mobilität und Wohnen.
Beispiel Mobilität. Wir haben am Tag 350.000 Fahrzeuge, die das Frankfurter Kreuz passieren, wir haben bis zu 450.000 Fahrgäste am Frankfurter Hauptbahnhof, wir haben jährlich knapp 60 Millionen Passagiere am Frankfurter Flughafen – Tendenz in allen Sektoren steigend.
Natürlich hat das Folgen für die Menschen in der Region – positive wie negative, welchen sich die Landespolitik stellen muss. Deswegen sage ich ausdrücklich: Eine intakte und funktionierende Verkehrsinfrastruktur zählt zu den wichtigsten Standortfaktoren und prägt maßgeblich die internationale Wettbewerbsfähigkeit, aber eben auch die Lebensqualität in der Region. Deswegen sind dies aus meiner Sicht die wichtigsten Themenfelder für die Regierung: Wie kommen wir zu einer an den künftigen Anforderungen ausgerichteten, strategischen Planungen für große Infrastrukturprojekte? Wie lassen sich kürzere Realisierungszeiträume und gleichzeitig bessere Bürgerbeteiligung miteinander vereinbaren? Wie können wir Logistik und Mobilität so weiterentwickeln, dass die Verkehrsströme in Zukunft noch bewältigt werden können und dabei negative Effekte wie Lärm- und Luftbelastung sowie CO2-Ausstoß begrenzt werden können?
(Vizepräsident Wolfgang Greilich übernimmt den Vorsitz.)
Ich komme zum nächsten Punkt, zum Wohnraum. Wir haben in der Rhein-Main-Region eine dynamische Entwicklung. Frankfurt wächst jedes Jahr um 15.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Das gilt für die anderen Kernstädte der Region genauso. Dementsprechend ist klar: Wir haben enorme Herausforderungen, die wir im Rahmen einer zukunftsorientierten Wohnungsbaupolitik bewältigen müssen. Es kommen aktuelle Transformationsprozesse hinzu wie die Energiewende, sich ändernde Mobilitätsgewohnheiten, die Digitalisierung und demografische Veränderungen. Wenn man 20 oder 30 km weit hinausgeht, dann ist die Situation oftmals eine völlig andere. Am Rande der Region haben wir es teilweise mit Schrumpfungsprozessen zu tun. Das heißt, wir brauchen für die Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main angepasste Konzepte für das Zusammenleben und die Infrastruktur.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen befindet sich die Landesregierung fortgesetzt in Gesprächen mit allen wichtigen Akteuren der Region, um gemeinsam Problemfelder zu identifizieren und Lösungen zu erarbeiten. Ich will Ihnen nur zwei Beispiele zu dem benennen, was in den letzten zwölf Monaten passiert ist:
Das Land ist wieder Mitglied in der Planungsgesellschaft für die Regionaltangente West geworden. Wir haben ausdrücklich gesagt, wir wollen auch als Land Hessen zeigen, dass das nicht nur ein Projekt der Region und von einzelnen Kommunen ist, sondern es ist im Interesse des ganzen Landes, wenn dieses wichtige Infrastrukturvorhaben vorankommt. Wir haben übrigens Erfolge erzielt. Die EU hat dieses Vorhaben als eines von zwei Projekten bundesweit als besonders förderungswürdig anerkannt und übernimmt die Hälfte der Planungskosten. Sie sehen, in diesem Bereich passiert etwas.
Das Land ist in diesen Tagen wieder offiziell Mitglied geworden von FrankfurtRheinMain GmbH International Marketing of the Region. Ich glaube, dass dies auch ein Beispiel dafür ist, dass wir handeln. Wir agieren. Wir sind dabei, gemeinsam mit der Region, mit den Städten und Kreisen der Region, die Zusammenarbeit zu verbessern. Ich will aber ausdrücklich sagen, das Netz unterschiedlicher Akteure mit verschiedenen Schwerpunkten entspricht auch der polyzentralen Struktur der Region. Diese polyzentrale Struktur der Region wollen wir auf keinen Fall negieren, sondern wir müssen mit ihr arbeiten. Wir können nicht von oben herab sagen: „So wird es gemacht“, denn das ist in Frankfurt/Rhein-Main schon immer schiefgegangen.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt die Initiative Frankfurt/Rhein-Main 2030, mit der bereits ein Strategiebildungsprozess für die Metropolregion auf den Weg gebracht worden ist und in der die Landesregierung über eine Mitgliedschaft in der Lenkungsgruppe mitwirkt.
Sie merken, ich habe bisher kein einziges Mal „IBA, IBAdu“ gesungen, sondern ich habe über die Probleme in der Region gesprochen und über die Frage: Was sind hierauf die richtigen Antworten? Daran merken Sie, dass eine einzelne Antwort aus drei Buchstaben vielleicht ein Teil einer Lösung sein kann; dies ist aber auf keinen Fall sicher. Deswegen stellt sich die Frage: Ist das eigentlich das richtige Format?
Deswegen: Ja, wir haben wahrgenommen – ich war auch bei einer der Auftaktveranstaltungen dabei –, dass der Architektursommer 2015 das Thema IBA auf die Tagesordnung gehoben hat. Ja, wir haben auch das Thesenpapier der IHK Frankfurt gelesen, und wir haben über die Frage diskutiert: Ist eine IBA das richtige Format? Es gibt viele Labels; es gibt viele mögliche Überschriften, aber vielleicht muss man an der Stelle einmal festhalten: Zuallererst brauchen wir doch einen Leitgedanken, und dann müssen wir uns überlegen, was das richtige Format ist, um diesen Leitgedanken in die Realität umzusetzen. Ich halte nichts davon, erst die Struktur zu schaffen und sich dann Gedanken über den Inhalt zu machen. Ich glaube, das wäre der zweite Schritt vor dem ersten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich will ausdrücklich sagen: Wir brauchen dazu einen engen Austausch mit der Region. Ich warne ein bisschen davor, dass uns der gedankliche Fehler unterläuft, weiterhin eine Strukturdebatte zu führen, dass man also quasi das Wort „Regionalkreis“ durch „Internationale Bauausstellung“ ersetzt, sich ansonsten aber nicht weiterhin gemeinsam mit der Region Gedanken über die Frage macht: Was ist eigentlich nötig? Ich will ausdrücklich sagen: Ja, wir wollen als Landesregierung, so wie es die SPD in ihrem Antrag fordert, als Initiator, Mediator und Moderator tätig sein. Aber wir wollen nicht diejenigen sein, die der Region erklären, wie sie sich entwickeln soll, weil das nur gemeinsam mit der Region und nicht gegen sie funktionieren kann.
Ich komme zum letzten Punkt, zur Frage: Sind wir bereits aktiv? Natürlich sind wir das. Herr Kollege Wintermeyer hat Anfang des Monats die Chefs der Staatskanzleien von Rheinland-Pfalz, Bayern und Baden-Württemberg zu einem Gedankenaustausch über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, zur Weiterentwicklung der Metropolregion eingeladen. Ich bin gespannt, wenn dieser Termin zustande kommt, inwieweit sich diese als Betroffene fühlen. Wir haben erst einmal die drei anderen Länder eingeladen; jetzt wollen wir einmal sehen, ob es beispielsweise Stuttgart als eigene Aufgabe ansieht oder nicht, Stichwort: „Rhein-Neckar“.
(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))
– Ja, das werden wir sehen. – Wir sind bereits im Gespräch; die sind eingeladen worden. Ich will an diesem Punkte sagen: Wir müssen mit der Region übereinkommen und fragen, was der beste Weg zur Erreichung dieser Ziele ist, egal, wie wir das Kind dann nennen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir jedenfalls gehen mit einer ergebnisoffenen Haltung in die Gespräche mit den Nachbarländern. Wir gehen mit einer ergebnisoffenen Haltung in die Gespräche mit den Institutionen der Region. Ich bin davon überzeugt: Wir brauchen eine Zusammenarbeit in der Region, die auch grenzüberschreitend ist. Wir müssen diese Zusammenarbeit stärken und gemeinsame Ziele entwickeln. Wenn wir uns dabei an der Sache orientieren, dann wird das, wie das die letzten 20 Jahre lang passiert ist, auch in den nächsten 20 Jahren eine gute Weiterentwicklung der Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main ergeben. – Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Greilich:

Vielen Dank, Herr Minister.

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