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12.03.2014
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir: Meisterbrief als Qualitätssiegel erhalten – Handwerk durch Bürokratieabbau stärken

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuallererst stelle ich einmal fest, dass in dieser Frage bei allen Unterschieden in Einzelheiten offensichtlich doch in der Grundfrage Einigkeit im Hessischen Landtag besteht. Ich finde, das ist diesem Thema auch wirklich angemessen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich möchte vorab sagen, dass das grundsätzliche Ziel der EU-Kommission, sich einmal anzuschauen, wie die nationalen Reglementarien im Berufszwang sind, eigentlich auch grundsätzlich richtig ist, wenn es das Ziel ist, mehr Beschäftigung durch den Abbau nicht gerechtfertigter – ich betone: nicht gerechtfertigter Berufsschranken – und durch eine größere Transparenz zu erreichen.

Allerdings – es ist angesprochen worden – sehen wir durch die Novelle der Handwerksordnung im Jahre 2004 wesentliche Forderungen der Europäischen Kommission in Deutschland bereits als erfüllt an, weil die Novellierung der Handwerksordnung im Jahre 2004 ein großer Einschnitt in die bis dato geltenden Regelungen war.

Es wurde damals eine grundsätzliche Einteilung der Handwerksberufe in zulassungspflichtige und zulassungsfreie Berufe unternommen, also in gefahrgeneigte und weniger gefahrgeneigte Berufe. Ich finde, auch die Haarpracht des Kollegen Lenders spricht jetzt nicht gegen die Novelle, die im Jahr 2004 vorgenommen wurde.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zulassungspflichtige Handwerke unterliegen weiterhin der Meisterpflicht. Das bedeutet, dass nur Handwerksmeister und Handwerksmeisterinnen oder ihnen Gleichgesetzte entsprechende Betriebe leiten dürfen. Zulassungsfreie Handwerke unterliegen diesem Zwang nicht. Dadurch wird eine Existenzgründung in diesem Segment deutlich vereinfacht.

Bis 2004 hatte die Meisterprüfung als gute Qualifikation für die berufliche Selbstständigkeit für bestandsfeste Unternehmensgründungen mit einer auf fünf Jahre betrachteten Überlebensrate von rund 70 Prozent gesorgt. Dieser Wert gilt nach aktuellen Untersuchungen auch bis heute annähernd fort, soweit es sich um zulassungspflichtige Handwerke, also nach der Anlage A der Handwerksordnung, handelt, die nach wie vor auf den Meisterbrief verpflichtet sind.

Das heißt und das zeigt, dass ausgewiesene Experten, Handwerksmeisterinnen und -meister, bei allen Diskussionen über Wettbewerbs- und Zulassungsbeschränkungen auch weiterhin für Fachexpertise in der ganzen Europäischen Union stehen. Ich will ausdrücklich sagen, es ist natürlich so, dass sich in den letzten zehn Jahren viel verändert hat, Stichwort: zehn neue EU-Mitgliedstaaten in Osteuropa. Dadurch ist natürlich auch die Konkurrenz härter geworden. Doch Konkurrenz sollte man nicht durch Senkung bewährter Qualitäts- und Qualifizierungsstandards begegnen, sondern durch Erhalt dieser Qualitätsstandards am oberen Ende der Qualifizierung auch und gerade den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher gewährleisten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Es gibt – auch das ist angesprochen worden – natürlich auch Folgen der Novelle des Jahres 2004, die uns nicht so ganz gefallen dürfen und die zeigen, worauf wir jetzt bei den noch zulassungspflichtigen Handwerken auch achten müssen. Es ist klar, die Ausbildungsfunktion hat in den letzten zehn Jahren gelitten.

Vor der Novelle im Jahr 2004 bildeten in den B-1-Handwerken, die bis dahin mit der Meisterpflicht verbunden waren, 20 Prozent der Existenzgründer aus. Heute sind es nur noch 3 Prozent. Und das ist ein Problem, denn wir sind darauf angewiesen, dass das Handwerk seine Ausbildungsleistung weiterhin erfüllt, weil das ein Beitrag zu einer nachhaltigen Arbeitsmarktpolitik ist.

Wir sollten nicht vergessen, dass 19 Prozent aller Betriebe in der deutschen Wirtschaft Handwerksunternehmen sind. Das Handwerk gibt in Deutschland über 5 Millionen Menschen Arbeit. Es gibt über 1 Million kleine und mittlere Handwerksbetriebe, die Jahr für Jahr über 500 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften. Was für mich ein ganz entscheidender Punkt ist: All diese ganz verschiedenen Betriebe beschäftigen derzeit über 400.000 Auszubildende.

Das bedeutet, dass die Ausbildungsquote beim Handwerk bei 10 Prozent liegt. In der Großindustrie liegt sie bei 3,5 Prozent bis 4 Prozent. Im Ergebnis kann man sagen, dass das Handwerk über 30 Prozent aller Ausbildungsplätze in Deutschland stellt. Es bildet weit über den eigenen Bedarf hinaus aus, und zwar hoch qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das soll auch so bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn die EU-Kommission jetzt die Meisterqualifikation auch in den Berufsgruppen der Anlage A der Handwerksordnung infrage stellt, dann greift sie, vielleicht auch mehr oder weniger unbeabsichtigt – da muss man ein Fragezeichen machen –, das duale System an. Das ist genau jenes duale System, das die gleiche EU-Kommission europaweit lobt und den Krisenländern der EU gerade als Beispiel hinsichtlich dessen preist, was man gegen die dortige hohe Jugendarbeitslosigkeit tun sollte. Ich glaube deswegen, dass wir sehr gute Argumente haben, die wir gegenüber der EU-Kommission auch vorbringen können, die besagen, warum wir da gegen eine Änderung sind.

In diesen 41 Gewerken der Anlage A mit Meisterpflicht findet 95 Prozent der handwerklichen Ausbildung statt. Im zulassungsfreien Bereich sind es nur 5 Prozent.

Ich sage ausdrücklich: Wir wollen, dass das Handwerk mit seiner durchdachten, praxis- und betriebsbezogenen dualen Ausbildung weiterhin die Funktion erfüllt, die es in Deutschland hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Andere Länder beneiden uns um die Qualität unserer Ausbildung und um unsere Meisterbetriebe. Die EU-Kommission macht Best-Practice-Beispiele, wie man das Neudeutsch nennt, um zu zeigen, wie sich auch andere Länder an diesem Modell ein Beispiel nehmen können, um ihre hohe Jugendarbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen.

Es ist völlig klar: Eine gute duale Ausbildung funktioniert nur, wenn es nicht nur gute Berufsschulen, sondern auch qualifizierte Ausbilder gibt, also Meisterinnen und Meister. Ich glaube, dass die Krisensicherheit der handwerklichen Berufe sicherlich auch darauf zurückzuführen ist, dass man, wenn man eine Meisterausbildung gemacht hat, besonders gut auf die Existenzgründung vorbereitet ist. Das ist ein weiterer Beweis für die hohe wirtschaftliche Bedeutung der Meisterprüfung.

Die Gefahr der Insolvenz minimiert sich. Bei den zulassungsfreien Handwerken, für deren Ausübung seit dem Jahr 2004 der Meisterbrief nicht mehr verlangt wird, brach die Überlebensrate seit Inkrafttreten der Novelle auf unter 50 Prozent ein. Das bedeutet, dass nach fünf Jahren fast 60 Prozent der Gründungen vom Markt wieder verschwunden sind.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Das zeigt: Der Meisterbrief im Handwerk ist nach wie vor ein Qualitätssiegel. Es ist auch kein Zufall, dass ausgerechnet die Berufe mit Meisterbrief nach wie vor die begehrtesten Berufe sind. Deswegen kann ich Ihnen versichern, dass die Hessische Landesregierung keinesfalls will, dass die Meisterberufe infrage gestellt oder weiter aufgeweicht werden. Da werden wir uns mit Ihrer Unterstützung auch in Zukunft in Berlin und in Brüssel in diesem Sinne einsetzen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Herr Minister, vielen Dank.

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