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21.05.2014
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir: Hessisches Vergabe- und Tariftreuegesetz

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben hier eine muntere Debatte zu den beiden vorliegenden Gesetzentwürfen. Ich zitiere den Ministerpräsidenten: Vertiefte Sachkenntnis ist der munteren Debatte hinderlich. – Ich versuche darüber zu reden, was in diesen bei- den Gesetzentwürfen wirklich steht. Ich hoffe, dass wir dann in der Anhörung darüber reden können, ob wir in der einen oder anderen Frage noch etwas besser machen können. Zuallererst einmal geht es aber um die Frage, was heute vorliegt.

Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, das ist die Auffassung der Landesregierung,

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

ist ein Gesetzentwurf, der die Vergabe in Hessen fairer machen wird. Es wird dafür gesorgt, dass die Auftraggeber ihre Beschäftigten ordentlich bezahlen. Ich glaube, dass das eigentlich im Sinne des gesamten Hauses sein müsste.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens ist es ein Gesetzentwurf, der die Vergabe in Hessen nachhaltiger machen wird. Erstmals werden im Gesetz soziale und ökologische Kriterien konkret benannt. Auch dies müsste, bei allem Streit, auch im Interesse der meisten im Haus sein.

Weiterhin ist es ein Gesetzentwurf, der die Vergabe in Hessen transparenter machen wird. Die Vergabeentscheidungen werden für jeden nachvollziehbar und nachprüfbar.

Frau Kollegin Barth, Sie haben ausdrücklich Lohndumping angesprochen und haben auch Beispiele genannt, die aber, wenn wir ehrlich sind, auch jetzt schon illegal sind. Wir haben aber in diesem Gesetzentwurf ausdrücklich vereinbart, dass wir klarmachen wollen: Wer in Zukunft bei öffentlichen Aufträgen den Zuschlag bekommen will, der muss sich verpflichten, seine Beschäftigten nach Tarif zu bezahlen. Da, wo es keinen Tarif gibt, muss in Zukunft der bundesweite Mindestlohn bezahlt werden.

Wir haben außerdem den öffentlichen Personennahverkehr neu in das Vergaberecht hineingenommen. Das bedeutet, in Zukunft wird es beim ÖPNV nur noch Auftragsvergaben auf der Grundlage von Tarifverträgen geben. Ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht, wie man das kritisieren kann, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die sozialen und ökologischen Kriterien, die die öffentlichen Auftraggeber in ihre Vergabeentscheidungen einbeziehen können, können natürlich nach einem Grundsatz an- gewendet werden. Niemand wird gezwungen, diese Kriterien alle anzuwenden. Die öffentlichen Vergabestellen haben die Möglichkeit, nachhaltig zu beschaffen. Wir sind sicher, dass diese Möglichkeiten auch genutzt werden.

Das bedeutet, dass der Preis damit nicht mehr zwingend das alleinige entscheidende Kriterium sein muss. Wenn ein Unternehmen z. B. Langzeitarbeitslose beschäftigt oder besonders ressourcenschonende Materialien verwendet, kann es damit unter Umständen den Vorzug vor einem billigeren Anbieter bekommen. Es ist sinnvoll, dass diese nachhaltigen Kriterien mit dem Auftragsgegenstand oder dem Produktionsprozess der beschafften Sache in Verbindung stehen sollen. Es ist ausdrücklich gewollt, dass in der Bekanntmachung genannt ist, nach welchen Kriterien entschieden wird und welche Gewichtung diese Kriterien bei der Vergabeentscheidung bekommen sollen, damit von Anfang an für denjenigen, der sich darum bewirbt, transparent ist, um was es geht und was gewünscht ist.

Das schafft Rechtssicherheit, übrigens auch dadurch, dass wir einen abschließenden Katalog dieser Kriterien ins Gesetz aufgenommen haben. Das macht das Ganze auch handhabbarer.

Es ist klar, dass man sehr unterschiedliche Meinungen zu den Vergabegrenzen haben kann. Da gab es in der Vergangenheit sehr unterschiedliche Vorstellungen. Im SPD-Gesetzentwurf stehen sehr viel niedrigere Grenzen. Aber es ist absolut richtig und wichtig, dass wir auch an diesem Punkt völlig sicher sind, die Transparenz zu erhöhen. Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen sieht vor, dass bei Interessenbekundungsverfahren bei Dienstleistungen nicht mehr erst ab 80.000 Euro, sondern ab 50.000 Euro ein solches Verfahren durchgeführt werden muss. Das bedeutet gerade für kleine und mittlere Unternehmen eine größere Chance, sich an diesen öffentlichen Aufträgen zu beteiligen.

Wenn Sie sehen, dass auch bei freihändiger Vergabe nicht mehr nur drei, sondern fünf Firmen zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden, dann bedeutet das mehr Transparenz. Wenn Sie sich zusätzlich betrachten, dass alles, was vergeben wird, bei der Vergabe auch veröffentlicht wird – selbst, wenn es freihändig ist –, bedeutet es, dass diese Transparenz auch eine Garantie dafür ist, dass im Zweifelsfall jemand, der mit guten Angeboten nie zum Zuge kommt, nachsehen und prüfen lassen kann, was dort schiefläuft. Ich glaube immer noch, dass der größte Feind der Korruption der unterlegene Bewerber ist, der sich im Zweifelsfall an die vergebende Stelle wendet und sagt, dort gehe etwas nicht mit rechten Dingen zu. Ich glaube sogar, dass das am Ende des Tages effektiver ist, als wenn es eine Behörde gäbe, die so etwas nachprüft. Die Mitbewerber schauen im Zweifelsfall ganz genau hin, was dort passiert oder nicht passiert.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Deshalb können wir wohl mit Fug und Recht sagen, dass dieses Gesetz handhabbar und damit in seiner Anwendung auch mittelstandsfreundlich ist. Herr Kollege Lenders, ich will das hier nicht bewerten, aber Sie müssten sich schon entscheiden, wer sich bei diesem Gesetz durchgesetzt hat. Wenn Sie im Laufe von sieben Minuten beiden Koalitionsfraktionen bescheinigen, sich jeweils nicht durchgesetzt zu haben, kann ja irgendetwas nicht stimmen.

(Beifall bei dem BÜNDNS 90/DIE GRÜNEN – Zu- ruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Ein wichtiger Punkt ist natürlich die Kontrolle. Dieses Gesetz schafft erstmals die Rechtsgrundlage, damit sich Vergabestellen anlassbezogen alle notwendigen Unterlagen von ihren Auftragnehmern vorlegen lassen können, um zu überprüfen, ob die Regelungen in diesem Gesetz eingehalten werden oder nicht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das gilt selbstverständlich auch für Nach- und Verleihunternehmen. Das ist in diesem Zusammenhang wichtig. Wer dagegen verstößt, muss mit Vertragsstrafen oder -sperren rechnen.

Ich will ausdrücklich sagen, dass ich davon überzeugt bin, dass bei Vorliegen von Verdachtsmomenten derjenige, der den Auftrag vergibt, sehr viel schneller und konkreter nachprüfen kann, ob sich derjenige, der den Auftrag erhalten hat, auch an die Regeln gehalten hat, als eine von uns geschaffene Prüfbehörde irgendwo weit weg, im Zweifelsfall im Wirtschaftsministerium. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, was Sie da vorschlagen, ist schlicht praxisuntauglich.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Präsident Norbert Kartmann:

Die Redezeit der Fraktionen ist überschritten.

Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung:

Ich komme gleich zum Schluss, Herr Präsident. – Frau Kollegin Barth, zu Ihrem Gesetzentwurf: Versuchen Sie einmal auf Anhieb zu verstehen, welche Vergabefreigrenzen jetzt gelten würden, wenn wir den SPD-Gesetzentwurf beschließen würden. In § 2 haben Sie zehn unterschiedliche Freigrenzen in Fließtextform, teilweise unterschiedlich für Land und Kommunen. Glauben Sie ernsthaft, das wäre für denjenigen, der sich dort bewirbt, am Ende verständlich?

(Zuruf von der SPD)

Oder wenn Sie sagen, eine neue Behörde gründen zu wollen: Sie wollen eine neue Prüfbehörde mit neuen Vergaberegeln gründen. Dazu steht im Vorspann zu Ihrem Ge- setz so schön, zusätzliche Kosten seien zu erwarten, könnten aber nicht genau beziffert werden. Weiter steht dort, 5 Prozent aller öffentlichen Vergaben sollen von dieser Behörde kontrolliert werden. – Haben Sie eine Ahnung, wie viele öffentliche Vergaben wir eigentlich haben? Von 426 Städten und Gemeinden, von 21 Landkreisen, von Zweckverbänden, Verwaltungsgemeinschaften, die Landesbeschaffungsmaßnahmen, von Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts – man stelle sich vor, 5 Prozent all dieser Ver- gaben sollten anlasslos überprüft werden. Wie groß soll diese Behörde Ihrer Meinung nach eigentlich werden?

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

An diesem Punkt muss ich es wirklich ernsthaft sagen – ich versuche ja, in dieser Frage ganz ruhig zu bleiben –, aber ich gehe jeden Tag sozusagen an der Ahnengalerie der Wirtschaftsminister vorbei, wenn ich auf dem Weg in mein Büro im Ministerium bin. Direkt neben der Eingangstür hängen Ernst Welteke und Lothar Klemm. Die Stärke der SPD in den letzten Jahren und Jahrzehnten bestand auch darin, erstens klare Kriterien und Punkte zu haben, an denen man sie erkennen kann. Dazu gehörte natürlich auch die soziale Gerechtigkeit. Aber die Stärke und vor allem auch die Mehrheitsfähigkeit bestand zweitens darin, auch eine gewisse Verbindung zur Praxis zu haben und sozusagen das, was man im Prinzip wollte, so zu machen, dass es anwendbar war und nicht jeder Handwerker gesagt hat: Das funktioniert doch gar nicht.

Ich glaube, Sie sollten über diese Frage einmal nachdenken. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD) – Gegenruf)

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