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21.11.2012
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir: Haushaltsplans des Landes Hessen für die Haushaltsjahre 2013 und 2014 – Finanzausgleichsgesetz und des Besoldungsgesetz

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, was war das denn?
(Lachen bei der Opposition – Zuruf des Abg. Dr. Frank Blechschmidt (FDP))
Jetzt endlich habe ich verstanden, was all diese auf Lebenszeit verbeamteten Jung-Unionisten in der Staatskanzlei so tun: Sie lesen die Programme der SPD von 2008.
(Bravo-Rufe und demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Aber, Herr Ministerpräsident, das waren interessante Anmerkungen zum Programm der SPD, es waren auch ein paar interessante Anmerkungen zu den Haushaltsvorschlägen der GRÜNEN. Dazu muss ich nachher einiges zurechtrücken, darum streiten wir uns gerne. Aber eine Frage haben Sie nicht beantwortet: Was wollen Sie eigentlich?
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))
Herr Ministerpräsident, was wollen Sie eigentlich? Wohin wollen Sie eigentlich?
Das war eine Oppositionsrede nach dem Motto: Ich bin Ministerpräsident, aber ich weiß selbst nicht mehr, warum. – Herr Bouffier, das reicht am Ende nicht.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP)
Hoffentlich war das keine Bewerbungsrede für die Rolle des Oppositionsführers in der nächsten Legislaturperiode – denn das wissen Sie selbst, Herr Bouffier: Abgewählte Ministerpräsidenten werden nicht mehr Oppositionsführer. Schauen Sie sich Stefan Mappus an – ich weiß nicht, was er jetzt macht, aber Sie können ihm dann Gesellschaft leisten. Wenn Sie solche Reden auch im Wahlkampf halten, dann freue ich mich ganz besonders auf den Wahlkampf im nächsten Jahr.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir ziehen heute Bilanz, das stimmt. Wir beraten den Doppelhaushalt 2013/2014. Das werden also die letzten Haushaltsberatungen vor der Landtagswahl sein. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb und Ihre Landesregierung, Sie haben so viel Angst vor der Wahl, dass Sie es bis heute nicht geschafft haben, einen Termin dafür festzulegen. Es gibt Gerüchte, wonach es in der FDP Wünsche gibt, dass überhaupt nie wieder gewählt werden soll.
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Aber diese Landtagswahl wird stattfinden.
(Zuruf von der CDU)
Dann lassen Sie uns Bilanz ziehen.
Wir sind in der Haushaltsdebatte, fangen wir also mit der Finanzlage des Landes an.
Meine Damen und Herren, noch befinden wir uns in einer Phase guter Wirtschaftsentwicklung. Das drückt sich auch in den Steuereinnahmen aus. Gleichzeitig muss das Land Hessen – wie die anderen Länder der Bundesrepublik und der Bund – so wenig Geld für seine Zinsen zahlen wie noch nie. Da profitieren wir von der Krise in Südeuropa. Herr Ministerpräsident, trotzdem aber wollen Sie und Ihre Regierung auch in den beiden nächsten Jahren 2,5 Milliarden Euro zusätzlicher Schulden machen – und das, obwohl Sie die Grunderwerbsteuer erhöhen und nächstes Jahr kein Geld mehr in die Versorgungsrücklage stecken. – Wo ist denn eigentlich Karlheinz Weimar? Der war immer so stolz auf diese Versorgungsrücklage. Nächstes Jahr keine Zuführung mehr in diese Rücklage, obwohl Sie in der Vergangenheit – –
(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))
– Einmalig?
(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))
Lieber Gottfried Milde, das ist wirklich einmalig. Eine Versorgungsrücklage zu schaffen und zu sagen, wir wollen jetzt, dass in Zukunft für die Beamtinnen und Beamten nicht mehr nichts zurückgelegt wird, sondern dass es zum Prinzip erhoben wird, dass man für jeden, den man einstellt, etwas zurücklegt – dann aber zu sagen: „Im Jahr vor der Wahl setzen wir das aus!“, das ist wirklich einmalig.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber bitte sehr.
(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))
Das alles tun Sie, obwohl Sie in der Vergangenheit den Kommunen Geld entzogen haben, und zwar nicht in einem einmaligen Akt vor der Landtagswahl, nicht in einem einmaligen Ausrutscher, sondern als ein Markenzeichen von Schwarz-Gelb: Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie können schlicht nicht mit Geld umgehen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das wird besonders deutlich, wenn man Hessen mit anderen Bundesländern vergleicht. Ich will Ihnen einmal zeigen, wie sich das entwickelt hat.
(Der Redner hält ein Schaubild hoch.)
Das ist das letzte Jahr, 2011. Es ist schon abgeschlossen. Das sind die Anstiege der Verschuldung der Bundesländer, inklusive der Verschuldung der Kommunen im letzten Jahr. Es gibt Bundesländer, die haben im letzten Jahr insgesamt Schulden reduziert. Es gibt Bundesländer, die sind so bei plus/minus Null. Es gibt welche, die haben Schulden gemacht. – Wissen Sie, wo Hessen ist? Hier unten. Es gibt kein Bundesland, das inklusive seiner Kommunen seine Schulden im letzten Jahr derart erhöht hat wie das Bundesland Hessen. Sie aber stellen sich hierhin und sagen, Sie machen solide Finanzpolitik. – Herr Milde, wovon träumen Sie eigentlich nachts?
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Ministers Boris Rhein)
Wir haben einen Spitzenplatz: Hessen ist spitze – beim Schuldenmachen. Aber darauf sollte man nicht stolz sein.
Niemand sollte denken, das sei im letzten Jahr ein Ausrutscher gewesen. Wir haben uns einmal in den Haushaltsentwürfen der anderen Bundesländer für das nächste Jahr umgeschaut. Wissen Sie, was wir da feststellen? Wir sind wieder auf einem unrühmlichen Siegertreppchen. Wir sind nämlich jetzt auf Platz 3 der Flächenländer; nur das Saarland und Rheinland-Pfalz wollen einen noch größeren Anteil ihres Haushalts im nächsten Jahr schuldenfinanzieren. Und da stellen Sie sich hierhin und sagen, Sie machen solide Finanzpolitik? – Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir wollten Bilanz ziehen. Wir ziehen jetzt Bilanz. Im Januar 2014, wenn der neue Landtag zusammentritt, werden Sie knapp 15 Jahre regiert haben. In dieser Zeit werden Sie die Schulden des Landes Hessen fast verdoppelt haben. Ich will Ihnen das einmal zeigen, so sieht das aus.
(Der Redner hält ein neues Schaubild hoch.)
Das ist das Jahr 1998: 23 Milliarden Euro Schulden. Am Ende des Jahres sind wir schon über die 43 Milliarden Euro Schulden. Laut Ihrem Finanzplan sind wir im Jahr 2016 bei 45,4 Milliarden Euro Schulden, beinahe eine Verdoppelung in schlappen 15 Jahren. So sieht die Bilanz von Schwarz-Gelb in der Finanzpolitik aus. Das ist eine Bilanz, für die man sich schämen sollte, die sollte man nicht feiern.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel und Norbert Schmitt (SPD))
Herr Ministerpräsident, wie groß muss eigentlich die Not sein, wenn sich ein amtierender Ministerpräsident in der Haushaltsdebatte, in der Generaldebatte zum Haushalt des nächsten Jahres, hinstellt und über die Vorschläge der Opposition dermaßen die Unwahrheit erzählt wie über die Vorschläge, die die GRÜNEN-Fraktion zur Beihilfe der Beamtinnen und Beamten eingebracht hat? Wie groß muss eigentlich die Not bei Ihnen sein?
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)
– Herr Ministerpräsident, ich lese das selbst vor.
Wir haben gesagt, wir wollen, dass die Beamtinnen und Beamten – so wie in den anderen Bundesländern und beim Bund auch; inzwischen ist es fast überall wieder so – 40 Stunden in der Woche arbeiten. Wir wissen, das kostet Geld. Wir wissen, das geht nicht auf einmal. Deswegen haben wir gesagt, wir wollen im ersten Jahr damit bei denen anfangen, die im Schichtdienst arbeiten.
(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))
Das ist z. B. im Justizvollzug und bei der Polizei. Das wollen wir dann schrittweise ausweiten.
Wir wissen, wir brauchen dann mehr Personal; und wir wissen, das Personal gibt es teilweise gar nicht. Man muss das erst ausbilden. Deswegen sagen wir: Jahr für Jahr wächst das auf – im ersten Jahr sind es 10 Millionen Euro, im zweiten Jahr 20 Millionen Euro. Am Ende werden wir zu einer Summe kommen, die an die 100 Millionen Euro heranreicht. Das wissen wir.
Wir haben uns aber auch die Mühe gemacht, zu überlegen, wo es auf der anderen Seite Einsparmöglichkeiten gibt. Da sind wir auf die Beihilfe gestoßen. Denn im Bundesland Hessen existieren als inzwischen fast einzigem Bundesland noch Leistungen, die es beim Bund und in den anderen Ländern schon längst nicht mehr gibt.
Wenn Sie jetzt sagen, wenn man die Wahlleistung Chefarztbehandlung und die Wahlleistung Einzelzimmer streicht, so ist das ein Eingriff in das Menschenrecht der Beamtinnen und Beamten, dann wissen Sie überhaupt nicht, was in der Gesellschaft los ist, und beweisen eher, wie weit Sie von der Realität entfernt sind.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich lese es Ihnen jetzt einmal vor. Übrigens haben wir diese Zahlen aus dem hessischen Innenministerium unter Boris Rhein erhalten, denn der hatte das selbst vor, sich dann aber nicht mehr getraut. Das ist eine einmalige Ersparnis von 32 Millionen Euro – und zwar im ersten Jahr, im zweiten Jahr und im dritten Jahr. Das wird nicht mehr, das kann man nur einmal machen. Genauso steht es auch in unseren Haushaltsanträgen.
Herr Bouffier, wenn Sie sich jetzt hierhin stellen und einen solchen Unsinn erzählen, sollten Sie sich dafür schämen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) – Zuruf des Ministers Volker Bouffier)
– Herr Ministerpräsident, was heißt denn das, das sei Unfug? Sie stellen sich hierhin und sagen, die SPD – ich weiß nicht, ob das stimmt, Sie behaupten das so – wolle Fraunhofer IWES Geld streichen.
(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))
Wer hat denn mit der „Operation düstere Zukunft“ dem Vorgänger von Fraunhofer IWES, nämlich dem ISET, das Geld gestrichen? Das waren doch Sie.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
An diesem Punkt können Sie nicht ablenken. Sie haben die Finanzen des Landes Hessen in den letzten 15 Jahren ruiniert. Sie werden Ihren Nachfolgern eine gewaltige Erblast hinterlassen. In Hessen ist der endgültige Beweis erbracht: Schwarze und Gelbe können nicht mit Geld umgehen. – Wer das noch glaubt, der glaubt auch an den Weihnachtsmann, und dass er die Ostereier bringt, Herr Kollege Krüger.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Allein diese Bilanz wäre schon Grund genug, diese Regierung endlich abzuwählen.
(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))
Sie haben in dieser Zeit nichts, aber auch gar nichts strukturell verändert.
Herr Finanzminister Schäfer, es gab eine Haushaltsstrukturkommission. Es gab bei Ihnen Vorschläge zur Veränderung des Kommunalen Finanzausgleichs. Schon bei Ihrem Vorgänger gab es diese. Am Ende passiert immer nichts.
Diese Regierung ist verbraucht, sie ist erschöpft, sie hat keine Ideen mehr, was sie eigentlich will. Hessen braucht einen Neuanfang. Dazu muss diese Regierung abgewählt werden.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Wir haben schon vor drei Jahren ein Konzept vorgelegt, wie man durch Einsparungen, durch Effizienzsteigerungen und durch Einnahmeerhöhungen einen Neuanfang hinbekommen könnte und gleichzeitig in die wichtigsten Zukunftsausgaben investieren könnte. Dazu braucht es politischen Willen. Dazu braucht es Mut. Dazu braucht es ein Ziel. Dazu braucht es die Abwahl einer Regierung, die gar nicht mehr weiß, weshalb sie eigentlich regiert.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Herr Ministerpräsident, ich bin dankbar, dass Sie den Länderfinanzausgleich angesprochen haben. Es ist richtig, das gegenwärtige System ist leistungs- und anreizfeindlich. Es gibt sowohl bei den Geberländern als auch bei den Nehmerländern keinen Anreiz dafür, mehr Geld in die Kasse zu bekommen. Wenn die Geberländer mehr Geld in die Kasse bekommen, müssen sie mehr an die anderen zahlen. Wenn die Nehmerländer mehr Geld einnehmen, bekommen sie weniger von den anderen. So weit, so richtig.
Was Sie vergessen haben, ist, dass der gegenwärtig geltende Länderfinanzausgleich unter Vorsitz von Roland Koch in der Ministerpräsidentenkonferenz im Jahr 2000 in Wiesbaden im Nassauer Hof von Ihnen beschlossen wurde.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU) – Präsident Norbert Kartmann: übernimmt den Vorsitz.)
Es ist völlig richtig, dass wir eine Veränderung brauchen. Die spannende Frage ist doch: Was versprechen Sie sich eigentlich von einer Klage, wenn Sie gleichzeitig kein Konzept haben, wohin Sie eigentlich wollen?
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Glauben Sie denn ernsthaft, dass das Bundesverfassungsgericht Ihnen einen neuen Länderfinanzausgleich machen wird? – Im Gegenteil, wenn wir Glück haben, lautet die Entscheidung, es gibt neue Grundsätze, die uns im Zweifel helfen. Wenn wir Pech haben, wird einer dieser Grundsätze sein, dass in Zukunft auch die Finanzkraft der Gemeinden einbezogen wird. Wenn die Frankfurter Gewerbesteuer auf die Finanzkraft des Landes Hessen angerechnet würde, könnte das Ende vom Lied sein, dass wir mehr zahlen und nicht weniger.
Wir brauchen dringend ein Konzept, damit wir entscheiden können, ob eine Klage überhaupt Sinn macht. Selbst wenn sie Sinn macht und wenn sie erfolgreich ist, muss man wissen, wohin man will, sonst endet man genauso wie Roland Koch im Nassauer Hof.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch und gerade in der Bildungspolitik brauchen wir einen Neuanfang. Wir wollten Bilanz ziehen. Was wurde uns im April 1999 alles von Roland Koch und Karin Wolff versprochen: Schwarz-Gelb wird Hessen zum Bildungsland Nummer 1 machen. – Das war das Mantra. Davon habe ich schon lange nichts mehr gehört, Sie wissen warum.
14 Jahre später – einen Ministerpräsidenten und drei Kultusminister später – ist eine ganze Schülergeneration unter Ihrer Verantwortung für die Bildungspolitik von der Einschulung bis zum Abitur durch das hessische Schulsystem gegangen. Das Ergebnis jedes Schultests, egal in welcher Schulform, egal in welchem Fach, zeigt, dass wir nicht Bildungsland Nummer 1 sind, sondern Mittelmaß, wenn wir Glück haben, manchmal sogar deutlich darunter.
Soziale Herkunft bestimmt weiter den Bildungserfolg, viel stärker als in anderen Industriestaaten und als in anderen Bundesländern. Deswegen sage ich: Schwarz-Gelb ist in der Bildungspolitik schlicht gescheitert. Sie sind gescheitert und das hat Gründe, nämlich Ideologie und Arroganz.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Die Ideologie hat ihnen nicht erlaubt, die Anforderungen von heute zu erkennen. Wenn die Eltern die Hauptschule nicht mehr wollen, dann kann man diese Schulform, durch welche Maßnahmen auch immer, nicht künstlich am Leben erhalten, auch wenn Christean Wagner und Hans-Jürgen Irmer es Alfred Dregger geschworen haben sollten. Das funktioniert dann einfach nicht mehr, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Fast alle Bundesländer haben den ideologischen Kampf um die Schulformen beendet und befinden sich auf dem Weg zur Zweigliedrigkeit: Auf der einen Seite das Gymnasium und auf der anderen Seite eine leistungsfähige Schulform, die längeres gemeinsames Lernen und alle Abschlüsse anbietet. Beide Schulformen mit mehr individueller Förderung, beide Schulformen mit der Konzentration auf das eigentlich Wichtige in der Schule, nämlich das Lehren und das Lernen und nicht auf das Türschild, mit dem Sie immer noch die ideologischen Schlachten des vergangenen Jahrhunderts führen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir stehen für die Wahlfreiheit der Eltern statt für die Zwangsbeglückungen aus Wiesbaden. Herr Ministerpräsident, ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Sie gestern den Ausdruck „Zwangsbeglückungen aus Wiesbaden“, den meine Fraktion seit zehn Jahren verwendet, in einer Pressekonferenz selbst gebraucht haben. Sie haben nur nicht verstanden, dass Sie in den vergangenen 13 Jahren einer Landesregierung angehört haben, die eine Zwangsbeglückung nach der anderen beschlossen hat. Sie haben sich also gestern selbst kritisiert.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielleicht findet eine neue Generation von CDU-Abgeordneten die Kraft, sich vom Erbe Alfred Dreggers zu emanzipieren. Ich wünsche es der hessischen Bildungspolitik.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie müssen sich auch von der Arroganz Ihrer Bildungspolitik emanzipieren. Sie haben immer nur verfügt, Sie haben nie hingehört. Was die Eltern wollten, war Ihnen egal. Was die Schulen wollten, war Ihnen auch egal. Sie haben Ihre Vorstellungen brutalstmöglich durchgesetzt. Sie haben eine ganze Schülergeneration mit einer schlecht umgesetzten G 8-Reform gequält. Sie haben erst verfügt, dann nachgefragt, und dann die Antworten auf die Nachfragen ignoriert. So kann man Bildungspolitik nicht machen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich spreche an dieser Stelle auch die erneute G 8-Reform an. Die Wahlfreiheit ist richtig. Der Versuch, beides gleichzeitig an einer Schule zu machen, wird unter den gegenwärtigen Bedingungen scheitern. Sie müssen entweder die Bedingungen ändern, oder sich von diesem Versuch verabschieden.
Dass man den Schulen die Rückkehr zu G 9 ermöglicht, ist ausdrücklich richtig. Aber Sie müssen dann den Elternwillen auch wirklich ernst nehmen. Deswegen sage ich Ihnen: Richten Sie regionale Konferenzen ein, und sorgen Sie dafür, dass die Eltern, die G 9 für ihre Kinder wollen, auch die G 9-Schulen finden. Das ist wahre Wahlfreiheit, wenn man wirklich für Wahlfreiheit sorgt und kein Wahlfreiheitsverhinderungsprogramm macht.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es kann ausdrücklich nicht sein, dass Kinder, deren Eltern G 9 wollen, im nächsten Schuljahr zwangsweise in G 8 eingewiesen werden. Wahlfreiheit bedeutet, dass es auch wirklich eine Wahl gibt.
Ich sage Ihnen ausdrücklich: Wir wollen ein Ende der ideologischen Debatten. Wir wollen uns in der Schulpolitik endlich an der Sache orientieren. Wir haben zu Beginn dieser Legislaturperiode gesagt, dass wir uns auf die Inhalte konzentrieren und uns egal ist, von wem eine Idee kommt, wenn wir sie für richtig halten.
Ich muss Ihnen sagen, ich habe mich über manche Radio-, Zeitungs- und Fernsehberichte in den vergangenen Tagen ein wenig gewundert, um es einmal vorsichtig auszudrücken.
Wir waren immer für Wahlfreiheit und gegen Zwangsbeglückungen in der Bildungspolitik. Wenn man das konsequent durchhält, dann entstehen aus der Sache heraus sofort Koalitionsspekulationen, die bei Journalisten offensichtlich eine größere Erotik haben als der Inhalt des Schulgesetzes.
(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))
– Das sehen Sie auch so. Da bin ich ja beruhigt, Herr Wagner.
Ich erinnere aber einmal daran – manche können sich ja noch erinnern –: Es war ein Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der dazu geführt hat, dass es im Jahr 2008 den kooperativen Gesamtschulen ermöglicht wurde, zu G 9 zurückzukehren. Wir haben sie nicht zur Rückkehr gezwungen; wir haben sie aber auch nicht zwangsweise bei G 8 gehalten. Wir haben ihnen eine Wahlfreiheit gegeben. Die eine Hälfte hat sich für die Rückkehr entschieden, die andere Hälfte dagegen, und man hat aus den kooperativen Gesamtschulen keine Klagen mehr gehört. Das ist der Weg der Zukunft: wirkliche Wahlfreiheit zu ermöglichen, die Bedingen zu schaffen, dass das auch funktioniert, und die Schulen sich ansonsten auf ihre Aufgaben konzentrieren zu lassen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))
Manche Sozialdemokraten waren in den letzten Tagen ein bisschen mürrisch. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))
– ich entschuldige mich nicht –, wenn die bildungspolitisch blinden Hühner von der CDU auch einmal ein Korn finden und dieses Korn zudem noch grün ist, dann sage ich trotzdem: Es ist nur ein Korn. So viel Ehrlichkeit muss schon sein.
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU) – Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)
– Herr Bouffier, ich muss überhaupt nichts erklären. Das ist kein schwarz-grüner Flirt, sondern ein Flirt der GRÜNEN mit den Wünschen der Schulen und der Eltern. Es ist sozusagen eine Entdeckung der Wirklichkeit. Wenn auch Sie jetzt da ankommen, dann herzlichen Glückwunsch.
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)
Ich habe gestern gesehen, dass Frau Beer Angst bekommen und in der Pressekonferenz ungefragt gesagt hat, dass sie sich mit Ihnen in einer „stabilen Zweierbeziehung“ befindet.
(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir erleben gerade sehr lustige Zeiten in der hessischen Politik. Die Sache allerding ist ziemlich ernst. Wir hielten es für eine Katastrophe, wenn auf die Zwangsbeglückungen durch Schwarz-Gelb in den letzten Jahren nach der nächsten Landtagswahl erneut Zwangsbeglückungen erfolgen würden. Die Schulen sind es leid, bevormundet zu werden. Wir wollen den Schulkampf in Hessen endlich beenden.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)
Lieber Torsten Schäfer-Gümbel, im Zweifel werden wir befreundete Volksparteien dann davon abhalten, sich unglücklich zu machen – vor allem dann, wenn wir mit ihnen regieren wollen.
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben aber auch noch andere große Baustellen, bei denen wir dringend vorankommen müssen. Die Kinderbetreuung – ob bei den ganz Kleinen oder bei den Grundschulkindern – ist weiterhin unzureichend. Wir brauchen daher zur Erfüllung des Rechtsanspruchs für die unter Dreijährigen dringend ein Notprogramm Kinderbetreuung.
Wir brauchen aber auch den Mut, in den nächsten Jahren die letzte große Baustelle in der Kinderbetreuung in der Bunderepublik Deutschland anzugehen, nämlich die Betreuung der Grundschulkinder. Wir wollen, dass das Land und die Kommunen zusammenarbeiten, um in Zukunft jedem Grundschulkind einen Betreuungsplatz zu garantieren. Das wird ein großes Projekt. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen. Das wird für die Eltern übrigens nicht beitragsfrei sein, aber wir wollen jetzt damit beginnen. Wer sich anschaut, welch einen Zuwachs an Ganztagsbetreuungsplätzen für Drei- bis Sechsjährigen es in den letzten Jahren gegeben hat, und wer sich anschaut, welche Probleme die Eltern haben, deren Kinder eingeschult werden, dass viele Mütter – es sind ja meist die Mütter – ihren Arbeitsplatz kündigen oder ihre Arbeitszeit drastisch reduzieren müssen, der weiß: Hierin liegt ein riesengroßes gesellschaftliches Problem, das man eben nicht mit einem Betreuungsgeld, sondern nur mit einer besseren Betreuung bis zum Ende der Grundschulzeit lösen kann.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Auch hier gilt: Man muss ein Ziel haben. Man muss den Mut haben, es anzugehen. Man muss wissen, wo man hin will, und darf nicht immer nur über die Vergangenheit reden. Herr Ministerpräsident, das ist die Aufgabe der Politik.
Zu diesen Zukunftsaufgaben gehört auch die Energiewende. Wir haben in der letzten Woche in der Staatskanzlei eine zum Teil skurrile Veranstaltung erlebt. Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrem Eingangsstatement ungefähr dieselben Worte gebraucht, die Sie vor eineinhalb Jahren in der allerersten Veranstaltung des Energiegipfels verwendet haben.
(Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)
Ich stelle schlicht fest: Die Gelben wollen die Energiewende nicht, und viele Schwarze wollen sie auch nicht.
(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))
– Wer das sagt? Ihr Landesvorsitzender und stellvertretender Ministerpräsident hat das im September hier im Landtag von der Regierungsbank aus gesagt.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der FDP)
Ich finde es gut, Herr Greilich, dass jetzt auch die FDP Herrn Hahn nicht mehr in dem ernst nimmt, was er sagt. Es besteht also selbst bei Ihnen noch Hoffnung,
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Ministerpräsident, Sie klagen, dass alles so schwierig sei. Ich dachte eigentlich, die Klagemauer stehe woanders. Am Ende der Veranstaltung in der letzten Woche war aber klar: Seit Volker Bouffier in der Staatskanzlei in Wiesbaden regiert, gibt es auch dort eine Klagemauer.
(Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)
Sie sollten sich einmal ein bisschen damit beschäftigen, worüber wir in den letzten Wochen, Monaten und Jahren und auf dem Energiegipfel eigentlich gesprochen haben. Wir haben Ihnen prophezeit, dass der Block 6 am Standort Staudinger niemals kommen wird, weil nämlich unflexible Kohlekraftwerke nicht mehr in eine völlig veränderte Energielandschaft, zu den erneuerbaren Energien passen. Das war völlig klar. Wer sich ein bisschen mit der Sache beschäftigt, der weiß, so etwas wird in Zukunft nicht mehr gebaut. Wir brauchen eine andere Form der Energieerzeugung. Wir brauchen flexible Gaskraftwerke und keine Dinosaurier-Kraftwerke aus dem letzten Jahrtausend.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Man hätte es wissen können. Herr Ministerpräsident. Sie schienen mir in der letzten Woche aber ernsthaft überrascht zu sein, als mitten in die Sitzung die Nachricht platzte, dass sich E.ON von Staudinger 6 verabschiedet hat. Herr Ministerpräsident, wenn alles so schwierig ist, wenn Sie nicht so genau wissen, wo Sie hin wollen, wenn Sie gar nicht so genau wissen, wie man die Probleme eigentlich lösen soll, und immer sagen, die anderen seien schuld, dann lassen Sie doch einfach diejenigen die Energiewende machen, die sie wollen und die sie auch umsetzen können.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)
– Ich höre von halbrechts hinter mir den Satz: „Ich lache mich tot“. Ich hoffe, das ist nicht wahr geworden.
(Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)
Die Wende ist eine Herausforderung, eine Anstrengung, aber auch eine Chance für Hessen – für mehr Arbeitsplätze, für eine größere Unabhängigkeit von Rohstoffimporten, für mehr Wertschöpfung im ländlichen Raum, für Gewinne bei Kommunen, nicht bei Energiekonzernen. Sie sind aber schon wieder im Blockade- und Klagemodus angekommen – falls Sie ihn jemals verlassen haben.
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Herr Ministerpräsident, Sie haben gesagt: Wir ziehen heute Bilanz. – Auch ich ziehe jetzt Bilanz und stelle fest: Hessen ist bei den erneuerbaren Energien im Vergleich aller Flächenländer weiterhin auf dem letzten Platz. Sie haben vorhin den Satz gesagt, Sie würden eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik betreiben. Können Sie sich erinnern, dass Ihr Vorgänger im Jahre 2008 an diesem Pult gestanden und erklärt hat, das Land Hessen werde jetzt eine Nachhaltigkeitsstrategie in Gang setzen? Vier Jahre später stellen wir fest: Viele Stellen, viele hauptamtliche Mitarbeiter, viele Konferenzen, viele Broschüren. Ich kann mich sogar an einen Nachhaltigkeitssong erinnern, der bei der Zweitplatzierten irgendeiner Castingshow in Auftrag gegeben wurde.
(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Schauen Sie einmal in den Haushaltsplan. Leider haben Sie so viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht und so viel Personal zur Verfügung gestellt, dass für die Umsetzung der Maßnahmen im Haushalt für die nächsten zwei Jahre kein Cent vorgesehen ist. Das nennen Sie eine „erfolgreiche Klimaschutzpolitik“. Man könnte verrückt werden.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Auch in der Verkehrs- und Wirtschaftspolitik sprechen Sie von einer „erfolgreichen Klimaschutz- und Nachhaltigkeitspolitik“. In der letzten Woche flatterte uns – ich nehme an, auch Ihnen – der „Bundesländerindex Mobilität 2012“ ins Postfach.
Sie dürfen einmal raten, welchen Platz Hessen belegt: den 16. unter 16 Bundesländern. Die Überschrift lautet: „Rote Laterne im Fach ‚nachhaltige Mobilität‘“.
Wir wollten heute Bilanz ziehen. Seit 1999 haben wir eine Landesregierung, die bei der Verkehrspolitik nur an Autobahnen und Flughäfen denkt. Im Ergebnis haben Sie, was die A 44 betrifft, eine Strecke von ungefähr 6 km ins Nichts gebaut: ohne Anschluss nach rechts oder links an irgendeine andere Autobahn. Wir sind das Schlusslicht.
(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))
– Ich beklage mich an der Stelle nicht. Ihr habt eine andere Position dazu. Aber wenn man sich anschaut, was in einem Zeitraum von 14 Jahren geschafft worden ist, muss man schon sagen: Autobahnen bauen muss man nicht nur wollen, man muss es auch können.
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Wir sind auch bei den Investitionen in die Schieneninfrastruktur das Schlusslicht unter den Bundesländern. Beschleunigung der Bahnstrecke Hanau – Fulda: nichts passiert. Neubau und Beschleunigung der Bahnstrecke Frankfurt-Mannheim: nichts passiert. Der öffentliche Personennahverkehr in Hessen steuert auf eine dramatische Finanzlücke zu.
(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))
– Herr Müller, Sie kennen sich da ausnahmsweise sogar ein bisschen aus. – Maßnahmen aus Frankfurt RheinMain plus: nichts passiert.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Sie sich das anschauen und sich dann vergegenwärtigen, was für ein Transitland wir auch beim Schienenverkehr sind, können Sie wahnsinnig werden.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Ich habe gesagt, der ÖPNV in Hessen steuert auf eine dramatische Finanzlücke zu. Es gibt keinerlei Ideen, wie die Mobilität im ländlichen Raum für Leute ohne Auto – das werden im Zuge des demografischen Wandels immer mehr sein – sichergestellt werden soll. Das Jahr 2015 rückt für diejenigen bedrohlich nah – nicht für uns –, die das Projekt „Staufreie Hessen 2015“ beschlossen haben. Ich empfehle, eine Umfrage bei Autofahrern auf der A 5 vorzunehmen.
(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihre Verkehrspolitik ist von vorgestern. Wir brauchen endlich eine Mobilitätspolitik, die diesen Namen auch verdient. Wenn Sie sich fragen, warum Sie in Umfragen so schlecht dastehen und warum die Hessische Landesregierung die bei ihrem Volk unbeliebteste in der Bundesrepublik Deutschland ist, könnte ich Ihnen hiermit ein Paradebeispiel für Ihre arrogante Politik nennen, die die Leute so auf die Palme bringt.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Verkehrsminister Florian Rentsch hat zum Jahrestag der Inbetriebnahme der Nordwestbahn im hr ein Interview gegeben und dort gesagt, dass der Flughafenausbau ein Erfolg sei und dass es wegen des Nachtflugverbots auch leiser geworden sei.
Ich stelle fest: Erstens. Sie mussten erst von dem höchsten deutschen Verwaltungsgericht zur Einhaltung des von Ihnen selbst gegebenen und dann gebrochenen Versprechens eines Nachtflugverbots gezwungen werden. Glauben Sie eigentlich, die Leute haben das vergessen?
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Zweitens – Stichwort: Erfolgsgeschichte Ausbau –: Die Nordwestbahn ist selbst für diejenigen, die immer für den Ausbau waren, an der falschen Stelle geplant worden. Sie haben ein Chemiewerk übersehen und deshalb die für einen Flughafen dieser Größenordnung teuerste Landebahn gebaut, die es jemals gegeben hat. Sie haben damit die längsten Rollzeiten auf einem europäischen Flughafen produziert. Die versprochenen Arbeitsplätze sind in weite Ferne gerückt. Schauen Sie sich einmal die Statistiken an. Lesen Sie den Winterflugplan, und Sie werden erkennen, dass die Zahl der Flugbewegungen sogar zurückgeht.
Ich will das nicht beklagen. Aber sich hierhin zu stellen und zu sagen: „Das ist eine Erfolgsgeschichte“, zeugt angesichts der Tatsache, dass man damit eine ganze Region verlärmt und 100.000 Menschen zusätzlich zu vom Fluglärm Betroffenen gemacht hat, von einer Arroganz und einer Ahnungslosigkeit, was die realen Verhältnisse im Rhein-Main-Gebiet betrifft, die ihresgleichen suchen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb sage ich immer wieder nicht nur an Schwarz-Gelb, sondern auch an die hessische Sozialdemokratie gerichtet
(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))
– ach, Herr Bellino –: Die Belastungen durch den Frankfurter Flughafen haben ein erträgliches Maß überschritten. Wir brauchen eine Begrenzung der Zahl der Flugbewegungen. Wir brauchen einen Lärmschutz, der seinen Namen wirklich verdient. Wir brauchen auch ein echtes Nachtflugverbot. Die Nacht dauert in Deutschland übrigens nicht von 23 bis 5 Uhr, sondern von 22 bis 6 Uhr.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))
Die Interessen der Bewohner des Rhein-Main-Gebiets müssen endlich Vorrang bekommen vor denen der Lobbyisten der Luftverkehrswirtschaft, die hier auf der Regierungsbank sitzen.
Wir wollten heute Bilanz ziehen. Auch die schwarz-gelbe Wirtschaftspolitik ist gescheitert. Roland Koch wollte 1999 Hessen zum Land des Südens machen. Ein Jahr später haben wir gedacht, dass er damit vielleicht etwas anderes gemeint hat. Er hat offiziell an die Arbeitslosenstatistiken der Länder Bayern und Baden-Württemberg anknüpfen wollen.
Ich kann Ihnen 14 Jahre später sagen: Sogar das Land Rheinland-Pfalz, ein damals hoffnungsloser Fall, hat uns inzwischen, was die Arbeitslosenquote betrifft, überholt. Im Oktober 2012 betrug die Arbeitslosigkeit in Bayern 3,4 Prozent, in Baden-Württemberg 3,8 Prozent, in Rheinland-Pfalz 5 Prozent und in Hessen 5,5 Prozent. Herr Ministerpräsident, eine Arbeitslosenquote von 5,5 Prozent ist nicht schlecht; aber um einschätzen zu können, ob man gut oder schlecht war, muss man sich das im Vergleich zu den anderen anschauen. Die aber haben uns inzwischen abgehängt.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Ich finde es toll – vielleicht war das auch eine Form der Wirtschaftsförderung –, dass Sie in Ihrer Rede zweimal aus der „Frankfurter Rundschau“ zitiert haben. Aber als Sie die Überschrift „Die Hessen verdienen am meisten“ zitiert haben, haben Sie die Unterzeile vergessen. Herr Ministerpräsident, „im Durchschnitt“ hieß es da.
(Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)
– Natürlich, was denn sonst? Aber Sie können nicht sagen, das Land Hessen blüht, und die Hessen verdienen im Durchschnitt am meisten. Das ist zwar richtig, aber es hilft weder den entlassenen Schlecker-Mitarbeiterinnen noch den Mitarbeitern von Manroland oder denen von Neckermann. Ich sage Ihnen: Wenn Sie nicht sehen, was im Niedriglohnsektor los ist, sind Sie nicht nah bei den Menschen, sondern das Gegenteil davon: Dann sind Sie völlig abgehoben.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)
– Nein, nein. – Ihre Leuchttürme stürzen ein. Ich stelle mir vor, was man alles machen könnte. Wenn ich mir nur den Flughafen Kassel-Calden anschaue – es tut mir leid; ich sage das jetzt nicht, um die Abgeordneten der SPD zu ärgern, die da ebenfalls auf der falschen Spur sind –: Wir stecken fast 300 Millionen Euro in einen Flughafen, auf dem jetzt jeder Flug nach Nordzypern gefeiert wird, als ob er das achte Weltwunder wäre. Die Mitglieder armer nordhessischer Kegelklubs werden mit dem Lasso eingefangen, damit in den Flugzeugen endlich jemand sitzt.
(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir die Hälfte dieses Geldes in die Breitbandversorgung des ländlichen Raums gesteckt hätten, hätten inzwischen alle in Hessen einen schnellen Internetanschluss. Die Leute wären glücklich, und wir hätten im ländlichen Raum Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen bzw. gesichert. Die Menschen würden freiwillig und freudig Gebühren zahlen, und wir müssten diesem Nonsens-Flughafen nicht auch noch Subventionen hinterherwerfen. Das ist doch eine abenteuerliche Wirtschafts- und Verkehrspolitik, die Sie da machen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Ihre Leuchttürme stürzen ein – Stichwörter: Flughafen Kassel-Calden, European Business School, Universitätsklinikum Gießen-Marburg. In dem Zusammenhang will ich Ihnen sagen: Man kann über Investitionsförderung reden. Aber, Herr Ministerpräsident, wenn ein Betreiber gekauft und zunächst gesagt hat: „Wir brauchen das nicht“, jetzt aber auf einmal erklärt: „Wir wollen vom Land zusätzliches Geld“, muss man zumindest über die grottenschlechten Verträge nachverhandeln, die Sie abgeschlossen haben.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Ihre G-8-Reform ist gescheitert; sonst würden Sie jetzt keine Reform der Reform machen. Die neue Verwaltungssteuerung ist gescheitert. Da haben wir Milliarden von Euro verbrannt, mit dem Ergebnis, dass jetzt keiner mehr durchblickt und es übrigens auch nicht effizienter geworden ist.
Wir haben zu diesem Haushaltsentwurf knapp 90 Änderungsanträge eingebracht, in denen präzise beschrieben wird, was wir anders machen wollen: wo wir einsparen wollen, wo wir die Einnahmen erhöhen wollen und wo wir zusätzlich investieren wollen. Wir haben uns in den letzten Jahren in der Opposition nicht ausgeruht, sondern wir haben hart an unseren alternativen Konzepten gearbeitet.
Wir wissen, was diese Regierung falsch gemacht hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir trauen uns zu, es besser zu machen.
Diese Landesregierung hat keine Ideen mehr. Dieser Ministerpräsident hat keine Ideen mehr. Schwarz-Gelb ist erschöpft. Schwarz-Gelb ist verbraucht.
(Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)
Nach dann 15 Jahren brauchen wir einen Neuanfang für dieses Bundesland – einen Neuanfang, auf den viele Menschen hoffen, die sich eine solide Finanzpolitik, eine bessere Bildungspolitik, eine bessere Kinderbetreuung, eine andere Wirtschafts- und Verkehrspolitik wünschen, und die eine Landesregierung wollen, die noch Ziele hat, die nicht nur von der Macht und den Posten zusammengehalten wird, sondern die Politik machen will, die nicht arrogant über die Köpfe der Menschen hinweggeht, sondern mit den Menschen und für die Menschen gemacht wird. Herr Ministerpräsident, wenn man sich überlegt, was wir heute Nachmittag bei dem Haushalt des Rechnungshofs diskutieren: Dass bei Ihnen erst der Mensch, dann das Land und dann die Partei kommt, darüber müssen Sie doch selbst lachen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)
Herr Ministerpräsident, wir ziehen heute Bilanz von Schwarz-Gelb. Das Ergebnis dieser Bilanz ist: Das wird der letzte Haushalt von Schwarz-Gelb sein, und das ist auch gut so.
(Anhaltender lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

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