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16.11.2011
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir: Haushaltgesetz 2012

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich in die Haushaltsdebatte einsteige, will ich noch ein Wort zu dem sagen, was seit letztem Freitag ans Licht gekommen ist; denn was seit letztem Freitag ans Licht gekommen ist, ist ungeheuerlich.

Wir haben es bei dieser Mordserie mit der schlimmsten rassistischen Mordserie seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland zu tun.

(Zuruf von der CDU)

Ich will vielleicht noch einmal sagen, dass ich glaube, dass wir darauf nicht parteipolitisch reagieren sollten. Zuallererst einmal sollten wir uns auch in diesem Landtag darüber klar sein, dass es momentan bei vielen zugewanderten Menschen in dieser Republik eine Verunsicherung gibt. Es stellt sich nicht nur die Frage, wieso so etwas geschehen konnte und nicht früher aufgedeckt wurde. Es geht jetzt auch um die Frage, wie der Staat darauf reagiert, dass Neonazis kaltblütig mordend durch die Gegend ziehen und insgesamt zehn Menschen erschießen.

Und ich glaube, dass wir auch den Opfern im wahrsten Sinne des Wortes Namen geben müssen. Diese Opferserie fing mit Enver Simsek an, der übrigens aus Schlüchtern im Main-Kinzig-Kreis stammte und dessen Familie dort noch lebt, und sie endete mit Michèle Kiesewetter in Heilbronn. Das vorletzte Opfer war Halit Yozgat aus Kassel.

Ich glaube schon, jenseits der Frage der Aufklärung, die mich ganz persönlich interessiert, so wie sie hier alle interessiert, muss ich Ihnen diesen Satz aber schon sagen, Herr Ministerpräsident: Wenn mir 2006 einer gesagt hätte, dass bei irgendjemand zu Hause Auszüge aus „Mein Kampf“ gefunden wurden und er in seinem Dorf als Klein-Adolf bezeichnet wurde, dann können Sie sicher sein, dass ich die Frage gestellt hätte, was der Mann eigentlich beim Verfassungsschutz macht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber ich sage ausdrücklich, wir werden noch einmal auf alle Fraktionen zugehen und einen Textvorschlag machen, damit völlig klar ist, dass dieses Parlament – hoffentlich sehr einmütig und klar – sagt, dass ein Angriff auf jedes Mitglied dieser Gesellschaft ein Angriff auf die Gesellschaft insgesamt und auf die Grundwerte dieser Gesellschaft ist.

(Allgemeiner Beifall)

Was in der Frage der Aufklärung folgt, das interessiert uns sicherlich alle, hoffe ich. Dann können wir uns im Zweifel auch wieder streiten. Aber zumindest bei dem Davor sollten wir uns nicht streiten.

So schwer es zur diesjährigen Generaldebatte, zur Haushaltsdebatte fällt: Herr Ministerpräsident, Sie sind nun fast 15 Monate im Amt. Das ist Ihr erster Haushalt, den Sie in kompletter Eigenverantwortung mit von Ihnen ausgesuchtem Finanzminister und ganzem Kabinett zu verantworten haben. Wir können jetzt nicht nur vorausschauen aufs nächste Jahr, sondern wir können auch auf ein Jahr Ihrer Amtszeit seit der letzten Generaldebatte zurückschauen. Sprichwörtlich wohnt ja jedem Anfang ein Zauber inne.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)

– Herr Bouffier, aber Sie können sicher sein, und ich glaube, Sie selbst würden kaum sagen, dass diesem Anfang im letzten Jahr ein Zauber innegewohnt hätte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)

Die Erklärung dafür ist relativ einfach. Es war ja auch kein Neuanfang, sondern es ist ein schlichtes Weiter so.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)

Dass Sie wesentliche Teile Ihrer Haushaltsrede darauf verwenden, Geschichten vom Amtsübergang von Evelies Mayer auf Christine Hohmann-Dennhardt zu erzählen, ist ein Beweis dafür, dass Sie eigentlich selber überhaupt nicht wissen, was Sie in der Zukunft machen wollen, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU – Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)

Sie sind als Landesregierung, Sie sind als Koalition ratlos.

(Lachen des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Sie sind mutlos. Sie haben keine Perspektive für das Land, und das gilt für die Landesregierung, und das gilt für Schwarz und Gelb.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Herr Wagner, schauen Sie nicht so überrascht. Man merkt Ihrer Fraktion und Ihnen ganz persönlich an,

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

dass Sie 2008 eigentlich schon einmal abgewählt waren.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Das macht es nicht besser,

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

weil Sie in diesen drei Jahren weiterhin keinerlei Perspektive und Ideen entwickelt haben, warum Sie eigentlich regieren. Das ist auf die Dauer ein Problem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Der FDP merkt man an, dass sie inzwischen um die parlamentarische Existenz fürchtet

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

und sich so verhält, wie sich Ertrinkende eben verhalten. Das ist aus persönlicher Perspektive nachvollziehbar, aber eben nicht rational. Beides tut der Landespolitik nicht gut. Beides ist schlecht für Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, ich muss Ihnen sagen, ich habe gerade 2008 angesprochen. Damals ging hier die Ausschließeritis um, Herr Wagner.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Ich bin immer dagegen, dass die Ausschließeritis – Herr Wagner, selbst wenn ich Sie anschaue, bin ich immer noch dagegen – fröhliche Urstände feiert.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Ministerpräsident, aber die Ausschließeritis, die jetzt in Hessen hoffentlich weg ist,

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

darf nicht durch die Sprechblaseritis ersetzt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Das war nicht das Unwort des Jahres. Wenn Sie das noch einmal nachlesen und sich überlegen, was denn eigentlich die Perspektive des Hessischen Ministerpräsidenten für das nächste Jahr und die Zukunft des Landes Hessen ist, dann schreiben Sie das bitte aus dem heraus, was der Ministerpräsident hier gesagt hat.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Es wird die kürzeste Geschichte, die es in der hessischen Landespolitik jemals gegeben hat.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU)

Herr Ministerpräsident, nein, aus unserer Sicht ist es anders. Als Bundesland Hessen verlieren wir in vielen Bereichen gerade den Anschluss an andere Bundesländer. Wir verspielen Chancen für ein lebenswerteres, für ein sozialeres Hessen und übrigens auch für zukunftsfähige Arbeitsplätze in diesem Land.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Lothar Quanz (SPD))

Herr Ministerpräsident, zu Ihren Zahlen. Sie rühmen sich dafür, dass wir im ersten Halbjahr des Jahres das höchste Wachstum in der Geschichte des Landes Hessen hatten. Der spannende Punkt ist aber, dass jedes Bundesland im ersten Halbjahr dieses Jahres das höchste Wachstum der jeweiligen Geschichte hatte, weil wir nämlich im Jahre 2009/10 eine Wirtschaftskrise und eine Rezession hatten, wie es sie noch nie in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt gegeben hatte. Insofern ist der Vergleich am Ende das Spannende.

Sie rühmen sich eines Beschäftigungsrekords. Auch da ist es die spannende Frage, wie das in den anderen Bundesländern aussieht. Wir stellen fest, die Bundesrepublik Deutschland hat insgesamt so viel sozialversicherungspflichtige Beschäftige wie noch nie in ihrer Geschichte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darüber freuen wir uns miteinander. Nur ist die spannende Frage, wie es eigentlich im Vergleich ist. Ich muss Ihnen sagen: Bayern und Baden-Württemberg, wo wir früher immer darum gekämpft haben, wer unter diesen dreien der Beste ist, sind inzwischen bei der Arbeitslosenquote meilenweit voraus. Rheinland-Pfalz, das immer hinter uns war, hat uns inzwischen auf Dauer überholt. Dort ist die Situation sehr viel besser. Das hat es früher nicht gegeben, Herr Ministerpräsident.

Zur Arbeitslosenquote will ich noch einen Punkt nennen. Wir freuen uns darüber, wenn die Quote niedrig ist. Aber was uns umtreibt, ist, dass in dieser Arbeitslosenquote nicht die ganze Wahrheit steckt. Wir haben nämlich inzwischen viele, viele Arbeitslosengeld-II-Empfänger, die erwerbstätig sind, die teilweise Vollzeit arbeiten und die trotzdem Geld vom Amt bekommen.

Da müsste sich doch eigentlich eine Hessische Landesregierung – Sie haben so viel von der Vergangenheit geredet – einmal die Frage stellen, was sie dazu beitragen kann, dass diese Situation besser wird. Ich kann mich erinnern, dass Roland Koch einmal hier stand und das Optionsmodell gepriesen hat. Er hat gesagt, dass sich gerade im Bereich der Langzeitarbeitslosen hier in Hessen jemand etwas vorgenommen hat. Die spannende Frage ist doch, wo wir jetzt stehen. Was ist eigentlich Ihre Antwort auf diesen Punkt? Ich habe dazu nichts gehört.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben auch an diesem Punkt die Frage, was eigentlich passiert und was in der Realität Ihre Antwort ist. Sie haben den Energiegipfel angesprochen. Ich stelle fest, Hessen hat bei der Energiewende zwölf Jahre verloren. Weil wir nicht wollen, dass Hessen noch weitere Jahre verliert, sind wir bereit, in der Sache inhaltlich mitzuarbeiten, damit wir diesen Rückstand, in den wir Dank Ihrer Politik geraten sind, jetzt nicht noch größer werden lassen, sondern aufholen.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Ministerpräsident, aber die spannende Frage haben Sie nicht beantwortet, ob nämlich noch zwei weitere Jahre verloren gehen, oder ob Sie sich jetzt einmal durchsetzen und das, worauf sich der Energiegipfel geeinigt hat, dass nämlich die Kommunen eine Rolle bei dieser Energiewende übernehmen, auch seine Entsprechung in der realen Umsetzung der hessischen Landespolitik findet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Herr Wagner, gestern hat im Innenausschuss der Kollege Greilich in der ihm eigenen Bescheidenheit gesagt, man könne keine Anhörung machen, weil nichts vorliege.

Ich bin gespannt darauf, was Schwarz-Gelb nach sieben Monaten Diskussion, nach zwölf verlorenen Jahren in dieser Frage auf die Reihe bringt. Herr Ministerpräsident, dann kommt es wirklich darauf an, nicht mehr nur Sprechblasen abzusondern, sondern sich vielleicht einmal gegenüber einem Koalitionspartner durchzusetzen, der nur noch im Angstbeißen gut ist, der sich verhält wie ein Ertrinkender und nichts mehr hinbekommt, was am Ende dazu führt, dass diese Energiewende endlich auch in Hessen stattfinden kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Denn wir wollen, dass die Wertschöpfung in diesem Land stattfindet, wir wollen, dass die Arbeitsplätze in diesem Land existieren, und wir wollen auch unseren Beitrag zur Energiesicherheit in diesem Land leisten.

Herr Ministerpräsident, Sie haben über zukunftsfähige Wirtschaftspolitik geredet. Da will ich sagen: Ihr Zukunftsfonds macht uns ein bisschen Sorgen. Denn das Erste, was Ihnen dazu immer einfällt, ist der Landesstraßenbau. Da können Sie einen Schwarzen und einen Gelben in Hessen wecken und sagen: zukunftsfähige Wirtschaftspolitik. – Dann sagt er: Beton ausgießen in der Landschaft hilft. – Herr Wagner, das ist keine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Nein, das ist nicht uralt. Ich will Ihnen sagen, was uralt ist. Uralt ist Ihr Verständnis von Wirtschaftspolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Wenn das – das war der einzige Bereich, wo Sie über Zukunft geredet haben –, was Sie in diesem Haushalt an Zukunft haben, allein am Zukunftsfonds hängt, haben wir ein Problem. Denn was machen Sie, wenn die Einnahmen nicht kommen? Ich kenne das alte Polizeipräsidium Frankfurt ziemlich genau. Denn das haben wir zu unserer Regierungszeit – das ist nun leider wirklich schon lange her – dreimal im Haushalt verkauft. Das Problem ist: Es hat leider nie stattgefunden. Die spannende Frage ist doch: Herr Ministerpräsident, was machen Sie, wenn dieser Verkauf nicht stattfindet, wenn alles, was Sie über Zukunft erzählt haben, nur an diesem einen Immobilienverkauf hängt? Darauf hätten wir gerne eine Antwort gehabt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)

– Ich kann gerne das LOEWE-Programm nehmen. Aber wenn die ganze Finanzierung von dem, was Sie für Zukunft halten, daran hängt, dass ein Immobiliengeschäft klappt, dann haben wir ein Problem in diesem Bundesland.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zur zukunftsfähigen Wirtschaftspolitik. Herr Wagner hat gerade dazwischengerufen: „uralt“. Wir haben hier vor zehn Jahren angefangen, uns den Mund fusselig zu reden, dass die Breitbandinfrastruktur und die Datenautobahnen die Autobahnen der Zukunft sind. Sie haben das damals für Unsinn gehalten. Sie haben uns sogar in Person und Gestalt von Alois Rhiel die Sprechblasen vorgesetzt, die wir heute noch von der FDP hören, nach dem Motto: „Alles Privat vor Staat“. Das Problem ist nur: Wir haben im ländlichen Raum ein Marktversagen, weil die Privaten nur dahin gehen, wo es sich lohnt. Jetzt stellen wir uns vor, wir hätten vor zehn Jahren, sagen wir, 10 Prozent des Geldes, das Sie völlig ohne Sinn und Verstand in Kassel-Calden verbuddeln, für die Breitbandinfrastruktur in diesem Land ausgegeben. Wir wären heute das Flächenland mit der besten Breitbandvernetzung in der Bundesrepublik Deutschland – wenn man damals das Richtige getan hätte. Deswegen erzählen Sie uns bitte nicht, was zukunftsfähige Infrastrukturpolitik ist, sondern lösen Sie sich von Ihren Glaubenssätzen aus den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben viel über die Bildungspolitik gehört. Herr Ministerpräsident, da haben Sie gesagt, ich solle sagen, wie das damals war – Ihre Geschichten aus dem Kartoffelkrieg – mit den Stellenstreichungen, usw. Das kann ich Ihnen relativ deutlich sagen: Wir haben die Schulabteilung beim RP aufgelöst und haben gesagt, es würde reichen, Stellen in diesem Bereich aus der Verwaltung herauszunehmen. Ich habe schon vor zehn Jahren gesagt: „Das war ein Fehler.“ Wir waren in der Lage, diesen Fehler im Nachhinein einzugestehen. Jetzt ist die spannende Frage: Herr Ministerpräsident, sind Sie in der Lage, Ihre Fehler einzugestehen?

(Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

Herr Generalsekretär der Hessen-CDU, die Bundes-CDU hat gestern einen historischen Beschluss gefasst.

(Zuruf der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie hat sich im Kern für ein Zwei-Säulen-Modell aus Gymnasium auf der einen Seite und einer Oberschule auf der anderen Seite entschieden. Bei allen Unterschieden im Detail: Wir fühlen uns ein wenig an eine Grundidee der hessischen GRÜNEN erinnert,

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

hier Gymnasium, dort die neue Schule. Das hat Herr Irmer noch als die Vorstufe des Kommunismus bezeichnet. Jetzt vertritt es Angela Merkel.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Wir könnten jetzt also theoretisch zu dem kommen, was um uns herum passiert, was in Nordrhein-Westfalen passiert, was in Bremen passiert, was im Saarland passiert: dass wir jetzt nämlich zu einem Schulfrieden kommen könnten, der diesen jahrzehntelangen Schulkampf beendet, der endlich dafür sorgt, dass wir uns um die inhaltlichen Probleme im Bildungswesen kümmern und keine ideologischen Schlachten mehr von vorgestern schlagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Möglichkeit bestünde jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir nicht in Hessen wären.

(Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

Denn in Hessen sitzen in der CDU-Fraktion leider die letzten versprengten Haufen der sich in Auflösung befindlichen Armeen des Schulkampfes. Die sitzen da immer noch in ihren Schützengräben und singen: „Dem Alfred Dregger, dem haben wir es geschworen.“

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihr Problem ist, dass Sie damit keines der Probleme von heute lösen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

Die Kühlerfigur auf dem Rolls-Royce heißt Emily. Die Kühlerfigur auf Hans-Jürgen Irmers rostigem Bollerwagen heißt Doris. Das Ergebnis von zweieinhalb Jahren schwarz-gelber Bildungspolitik ist: Sie machen die schwarze Verweigerungshaltung für jede Zukunftsfrage in der Bildungspolitik mit, und Sie geben nur noch die Kühlerfigur für das ab, was Hans-Jürgen Irmer mit seinem rostigen Bollerwagen an bildungspolitischen Schulkämpfen der Vergangenheit weiterführt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Das hat ein großer Staatsmann in einem anderen Zusammenhang gesagt. Das Leben wird Sie nicht bestrafen. Aber die Wählerinnen und Wähler werden Sie bestrafen. Das Problem ist nur: In der Zwischenzeit bestrafen Sie Hessen. Das ist das Traurige an der gegenwärtigen Agonie schwarz-gelber Landespolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben keine Perspektiven für das Land. Sie haben nichts erreicht, und Sie haben offensichtlich auch nichts mehr vor.

(Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

– Herr Kollege Beuth, da hilft es Ihnen auch nichts, die ständigen Beschwörungen vermeintlicher Erfolge der Vergangenheit weiter zu betreiben. Da haben Sie es inzwischen – um ein Lieblingswort von Roland Koch zu benutzen – eher mit einstürzenden Leuchttürmen zu tun.

Wir blicken einmal zurück. Ich nenne jetzt alles, was Sie nicht angesprochen haben.

(Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

Uniklinik Gießen-Marburg: Alles sollte großartig werden, verfassungswidrige Überleitung des Personals, groß angekündigte Partikeltherapie – Leuchtturm eingestürzt.

Die European Business School, ein typischer Koch-Leuchtturm: große Klappe, am Ende ein Skandal nach dem anderen, inklusive Zweckentfremdung von Landesgeld – Leuchtturm eingestürzt.

Kassel-Calden: der verrückteste Flughafen, seit es Regionalflughäfen gibt, kein Betreiber, keine Flüge, kein Konzept, aber am Ende fast 300 Millionen Euro sinnlos vergraben.

Ferienanlage Beberbeck: Europas größtes Luftschloss – Leuchtturm eingestürzt.

Finanzpolitik insgesamt. Schauen wir einmal in den Haushalt des Jahres 2012. Sie haben in zwölf Jahren kein einziges Mal den Haushalt ausgeglichen. Sie haben stattdessen in schlechten Jahren Rekordneuverschuldungen gemacht und in guten Jahren hohe Neuverschuldungen. Der Gesamtschuldenstand ist jetzt von 22 auf 40 Milliarden Euro angestiegen.

Herr Ministerpräsident, ich fand es geradezu abenteuerlich, dass Sie sich gerade hierhin gestellt und gesagt haben: Freut euch doch einmal. Wir haben die Neuverschuldung reduziert. – Denn Sie haben in einer Situation, in der Sie selbst gesagt haben: „Wir haben fast 5 Prozent Wirtschaftswachstum“, es noch nicht einmal geschafft, im Entwurf des Haushalts 2012 die hessische Verfassungsgrenze einzuhalten, wie sie immer galt, nämlich weniger Neuverschuldung als landeseigene Investitionen. Dafür kann man sich doch nicht allen Ernstes feiern lassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Dafür kann man sich doch nicht feiern lassen!

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dafür kann man sich doch nicht allen Ernstes feiern lassen.

Übrigens ein weiterer Leuchtturm: neue Verwaltungssteuerung. Alles sollte besser werden, alles sollte günstiger werden. Inzwischen haben wir da wahrscheinlich 1 Milliarde Euro versenkt – und große Teile der Verwaltung sind jetzt damit beschäftigt, aufzuschreiben, was sie gearbeitet haben, statt zu arbeiten.

Herr Ministerpräsident, dass Sie als ehemaliger Innenminister sich ernsthaft trauen, hier die Innenpolitik zu loben, das ist ein besonders starkes Stück.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn noch nie in der Geschichte des Landes Hessen gab es eine solche Anhäufung von Polizeiskandalen, von Mobbingvorwürfen, von Entlassungen höchstrangiger Beamten – vom Landespolizeipräsidenten über die LKA Chefin –, von Zuständen, wie wir sie in den vergangenen Jahren niemals erlebt haben. Sich dann hierhin zu stellen und zu sagen: „Alles toll, alles prima!“ – dafür muss man schon ein gehöriges Maß an Realitätsverweigerung haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Reden wir doch einmal darüber, was man in diesem Haushalt machen könnte. Wir haben Ihnen zusätzliche Einsparungen von über 300 Millionen Euro vorgeschlagen. Wir haben Ihnen Rücklagenauflösungen von 250 Millionen Euro vorgeschlagen. Wir haben Ihnen – das gehört zur Ehrlichkeit dazu – ausdrücklich Mehreinnahmen von über 200 Millionen Euro vorgeschlagen, und wir haben auch gesagt, in Sachen Bildung, Umwelt, Soziales, Kinderbetreuung und zukunftsfähige Infrastrukturpolitik brauchen wir Mehrausgaben von über 200 Millionen Euro. Zieht man darunter einmal einen Strich, dann wird Ihnen meine Fraktion zwischen der zweiten und der dritten Lesung des Haushalts Vorschläge machen, die es ermöglichen, eine in der Sache bessere Politik zu machen und gleichzeitig die Nettoneuverschuldung um 500 Millionen Euro zu senken und damit die Verfassungsgrenze wirklich einzuhalten.

Die spannende Frage, die Sie dann beantworten müssen, ist: Warum lehnen Sie eigentlich diese Anträge immer alle ab – selbst dann, wenn Ihre eigenen Fachleute sagen, so doof sind die gar nicht? Auch dies ist eine der Fragen, die Sie, Herr Ministerpräsident, in Ihrer Rede nicht beantwortet haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir reden über die Zukunft. Herr Finanzminister, Sie sind jetzt 15 Monate im Amt.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

– Schön für ihn. Die spannende Frage ist aber doch: Was hat Hessen davon?

Herr Rentsch, wissen Sie, Sie haben lange nicht mehr über den Länderfinanzausgleich geklagt.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

– Sie kommen gleich dazu? Sehen Sie, Sie sind so ausrechenbar.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Sie sollten sich überlegen, ob das auf die Dauer hilft. Ich wollte heute Herrn Güllner nicht zitieren – aber Sie wissen, was ich meine.

Herr Finanzminister, Sie müssen sich überlegen, wo eigentlich Ihr Zukunftskonzept für die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs bleibt. Immer nur zu sagen, so geht es nicht weiter, im Notfall klagen wir, aber keinen einzigen eigenen Vorschlag zu machen, das funktioniert auf die Dauer nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir schon über fehlende Konzepte reden: Wo ist eigentlich Ihr Vorschlag für eine Verbesserung der desolaten Lage der hessischen Kommunen? An den Rettungsschirm glaube ich erst dann, wenn er wirklich da ist. Die spannende Frage ist doch eigentlich, ob die Neuverschuldung, die die Kommunen auf ihre alten Schulden aufgetürmt haben, bis er da ist, nicht sogar das Volumen dieses Rettungsschirms übersteigt.

Bis heute haben Sie keinerlei Antwort auf die Frage, was wir eigentlich tun, damit das nicht zunehmend auseinanderdriftet. Auf der einen Seite von Frankfurt existiert eine Gemeinde – das habe ich neulich in der Zeitung gelesen –, die 170 Millionen Euro oder sogar 270 Millionen Euro liquide Mittel auf dem Konto hat; auf der anderen Seite von Frankfurt existiert eine Gemeinde, die jedes Jahr 80 Millionen Euro Defizit macht. Darauf haben Sie keine Antwort. Aber Sie müssen dringend eine geben – denn so, wie es jetzt ist, kann es auf die Dauer nicht weitergehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Herr Schäfer, wir haben einen Vorschlag gemacht. Wenn Sie den falsch finden – was Ihr gutes Recht ist –, dann erwarten wir aber, dass es endlich einmal einen Gegenvorschlag gibt, statt immer nur diese komische Arbeitsteilung: Die Opposition legt Konzepte auf den Tisch, die Regierung mäkelt daran herum, macht aber selbst nichts. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das funktioniert nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Herr Wagner, es ist eben keine reine Erfindung. Aber da Sie gerade dazwischenrufen, liefern Sie mir mein nächstes Stichwort.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Es kommt noch eines hinzu: Die politische Kultur in diesem Land ist auf den Hund gekommen. Sie ist wirklich auf den Hund gekommen. Diese Regierung löst keines ihrer Wahlversprechen ein.

(Widerspruch des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Es ist ihr sogar völlig egal, was sie in der Vergangenheit versprochen hat – nach dem guten alten Adenauer-Motto „Was kümmert mich mein dummes Geschwätz von gestern?“ wird hier Landespolitik betrieben.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU) – Gegenruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

– Herr Wagner, ich will Ihnen das an bestimmten Punkten verdeutlichen.

Sie stellen sich hin und versprechen ein Nachtflugverbot. Wie oft haben wir das diskutiert: Ist ein Ausbau vertretbar? Was kommt als Gegenleistung? Kommt diese Gegenleistung – mit allem was dazugehört?

Wir haben dazu unterschiedliche Positionen. Es ist aber unbestreitbar, dass es dieses Versprechen gab.

Jetzt sind Sie in der Situation, dass Sie Ihr Versprechen halten können. Was aber tun Sie? Sie klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht dafür, dass Sie Ihr eigenes Versprechen nicht halten müssen. Die politische Kultur in diesem Land ist auf den Hund gekommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Herr Wagner, jetzt können Sie sagen: Das alles haben wir schon vor zwei Wochen in einer Sondersitzung besprochen.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Wagner, ich sage Ihnen einmal, was gestern passiert ist: Die Lufthansa Cargo hat gesagt, dass sie den nächsten Flugplan ohne Nachtflüge plant.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

– Jetzt fragen Sie: „Was denn sonst?“ Ich begrüße es außerordentlich, dass die Lufthansa Cargo ihren nächsten Flugplan ohne Nachtflüge aufstellt. Völlig richtig.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

– Regen Sie sich gar nicht auf. Ich wollte die Lufthansa Cargo heute ausnahmsweise gar nicht kritisieren. Ich finde es gut, dass sie den nächsten Flugplan ohne Nachtflüge aufstellt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Aber ich finde, Sie sollten sich einmal überlegen, warum Sie eigentlich Ihr Versprechen gebrochen haben – wegen eines angeblich unabweisbaren Bedarfs für Nachtflüge –

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

und gesagt haben, wenn es die nicht gibt, dann bricht hier alles zusammen.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Jetzt kommen wir in eine Situation, in der es innerhalb von zehn Tagen möglich war, auf die Nachtflüge zu verzichten und jetzt sogar für das nächste Sommerhalbjahr eine ordentliche Planung zu machen.

Offensichtlich braucht es diese Nachtflüge nicht. Deswegen sage ich an dieser Stelle – und werde es in jeder Sitzung wiederholen, bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts –: Ziehen Sie endlich Ihre Revision zurück, Ihre Klage gegen Ihr eigenes Versprechen und akzeptieren Sie wenigstens die jetzige Situation.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Damit kommen wir zum nächsten Bereich. Im Jahr 2000 und seitdem immer wieder haben Sie einen Anti-Lärm-Pakt gegen den Fluglärm versprochen. In der letzten Woche tagte dann zum ersten Mal diese Arbeitsgruppe.

Wie immer, wenn man wenig zu sagen hat, aber viel Wind machen muss, nennt man die dann „Taskforce“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie sich betrachten, was da passiert, wenn Sie einmal ein bisschen in das Flughafenumfeld hineinhorchen, dann müssten Sie sehen, dass das, was wir hier debattieren, nicht vorbei ist, sondern dass es gerade wieder neu anfängt – und zwar in einer Art und Weise, die Sie sich gar nicht vorstellen können. Wenn Sie weiterhin denken, Sie könnten den Anwohnerinnen und Anwohnern des Frankfurter Flughafens mit Sprechblasen kommen, dann wird sich das rächen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das wird sich für Sie rächen. Es wird sich aber auch für das Ansehen von Politik insgesamt rächen. Deswegen sage ich Ihnen, Herr Ministerpräsident: Schluss mit den Sprechblasen und endlich reale Handlungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN– Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Reihenweise vergeben Sie Aufträge in rechtswidriger Art und Weise. Komischerweise profitieren davon oft Leute, die Ihnen politisch nahestehen. Unrechtsbewusstsein? Fehlanzeige. Konsequenzen? Leider auch Fehlanzeige.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

– Das ist nicht wahr? Herr Bellino, diese Aufträge waren alle rechtskonform? Profitiert haben nicht Leute, die Ihnen politisch nahestehen? – Das ist ja interessant, was Sie da erzählen. Ich finde das alles sehr interessant. Danke, dass Sie bestätigen, dass es bis heute bei Ihnen kein Unrechtsbewusstsein gibt. Vielen Dank für diese Bestätigung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU) – Heiterkeit bei der SPD – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD)– Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

– Sehr gut. Ich bin nicht sprachlos. Ich wundere mich, dass Sie als parlamentarischer Geschäftsführer und bekannter Versöhner andere Leute „Spalter“ nennen. Aber bitte sehr, geschenkt!

Wenn wir schon bei der Frage sind, was da auf den Hund gekommen ist, und wie wir miteinander umgehen, kann man nur sagen: Natürlich gibt es eine Arbeitsteilung zwischen Regierung und Opposition. – Machen Sie sich eigentlich Gedanken darüber, wie die Aufarbeitung Ihrer Skandale vorankommt, und wie Sie sogar in der Aufarbeitung dieser Skandale versuchen, diese Aufarbeitung zu behindern?

Wir sind bei der Frage Steuerfahnderuntersuchungsausschuss vor den Staatsgerichtshof gegangen. Wir werden heute Mittag wieder vor dem Staatsgerichtshof sein. Kann es eigentlich auf Dauer richtig sein, dass eine Mehrheit mit allen Mitteln versucht, die Aufklärung zu behindern und dabei sogar die Rechte der Minderheit einschränkt?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Wagner, alles eigene Erfindung. Ich weiß, die Hessen-CDU in Ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Es funktioniert leider so nicht.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Die Menschen sind klüger als Sie denken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man sich über den Zustand der Koalition Gedanken macht, kommt man zu der Feststellung, es hat lange keiner mehr gesagt – Herr Kollege Rentsch, das war lange Ihr Standardsatz neben dem Länderfinanzausgleich –, dass Schwarz-Gelb in Berlin nicht so gut regiert, aber dass Schwarz-Gelb in Hessen umso sachgerechter und einiger regieren würde. – Das hat schon lange keiner mehr behauptet.

Wir müssen uns jetzt für die nächsten zwei Jahre – denn diese Agonie wird noch die nächsten zwei Jahre andauern – Gedanken darüber zu machen, wie wir zu sachgerechten Lösungen in diesem Land kommen. Diese Frage stellt sich bei der Gemeindeordnung, beim Energiegipfel, diese Frage stellt sich in der Bildungspolitik, diese Frage stellt sich in der Wirtschaftspolitik, diese Frage stellt sich in der Umweltpolitik insgesamt, und diese Frage stellt sich bei der Sozialpolitik.

Die Frage ist, ob der Zustand der FDP es noch möglich macht, in diesem Land zu sachgerechten Lösungen zu kommen, oder ob die FDP in ihrer Existenzangst dazu führt, dass in diesem Bundesland gar nichts mehr geschieht. Diese Frage wird sehr spannend sein. Diese Frage wird die CDU beantworten müssen, die einen Koalitionspartner in einem solchen Zustand hat.

In einem der wichtigsten Themenfelder der Landespolitik, wenn nicht dem wichtigsten Themenfeld, nämlich in der Bildungspolitik, haben Sie sich in den letzten Wochen und Monaten ein Schauspiel und die Demontage der Kultusministerin geliefert. Ich habe es in diesem Land noch nie erlebt, dass eine Kultusministerin nur noch als Kühlerfigur im Schaufenster steht, hinten ein Aufpasser ist, der von der Sache nicht viel Ahnung hat, und ansonsten die inhaltliche Politik keinen Millimeter weiterkommt. Das ist schlicht Verweigerung vor den Aufgaben, die auf der Tagesordnung stehen. Das können wir uns nicht leisten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt für eine Oppositionsfraktion zwei Möglichkeiten, mit diesem Zustand einer Koalition umzugehen. Man kann es sich entweder gemütlich machen, zuschauen, wie die Regierung vor sich hinwurstelt, sich dabei die Hände reiben und auf die nächste Landtagswahl warten. Das ist die eine Möglichkeit. Die zweite Möglichkeit, das ist die bessere Möglichkeit, ist, immer und immer wieder auf die Tagesordnung zu bringen, wie es in der Sache gehen könnte. Man muss jeden Tag zeigen, was die Alternativen sind.

Deswegen sage ich sehr deutlich: Wir könnten in diesem Bundesland eine andere Bildungspolitik machen, wenn endlich, endlich die Ideologie über Bord ginge, und die sachgerechte Lösung im Vordergrund stünde.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir könnten mehr Chancengerechtigkeit bekommen. Wir könnten uns endlich um die Risikogruppe kümmern, die seit PISA nicht deutlich kleiner geworden ist. Wir könnten uns endlich um die Zahl der Schulabbrecher kümmern, um die wir uns wirklich kümmern müssten. Wir könnten uns mit der Sache beschäftigen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir tun es leider nicht. Das ist falsch.

Wir könnten uns in diesem Land mit einer anderen Umwelt- und Energiepolitik auseinandersetzen. Wir könnten sie umsetzen, wenn Sie in der Sache wirklich Interesse daran hätten. Herr Ministerpräsident, in den nächsten Wochen wird auf Sie eine sehr spannende Frage zukommen: Sind Sie in der Lage, sich in der Sache gegen die Ideologen von der FDP durchzusetzen? – An dieser Frage wird sich das Wohl der Energiepolitik in diesem Land entscheiden. Wir wünschen uns sehr, dass Sie sich durchsetzen und die Sache in den Vordergrund stellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, wir könnten eine andere Sozialpolitik machen. Ich fand es sehr spannend, was Sie in Ihrer Rede mit der Familienkarte angesprochen haben. Manche Leute freuen sich, wenn sie Rabatt im Supermarkt bekommen. Andere Leute freuen sich auch, wenn sie bei der Toilettenbenutzung an einer Autobahnraststätte nicht so viel zahlen müssen. Die spannende Frage ist, ob es das ist, was Familien in diesem Bundesland brauchen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die spannende Frage ist, ob wir nicht z. B. bei der Betreuung der unter Dreijährigen in diesem Bundesland angesichts eines Rechtsanspruchs, der ab 2013 gilt, genug tun, um die Kapazitäten auszubauen, ob wir als Land Hessen genug tun, um die Kommunen dabei zu unterstützen, zusätzliche Betreuungsplätze zu schaffen, und genug tun, um zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher auszubilden, oder sie im Job zu halten. Auf diese Fragen haben Sie keine Antwort. Herr Ministerpräsident, da hilft Ihnen auch eine Rabattkarte nichts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir könnten in diesem Bundesland eine andere Sozialpolitik machen. Sie müssten eine Antwort auf die Frage geben, wie viele Menschen in diesem Land arbeiten, aber von dieser Arbeit nicht mehr leben können. Ich fand es sehr spannend, dass Sie in einem Interview zum Beschluss des CDU-Bundesparteitags gesagt haben, in der Sache werde sich nichts ändern, dass sei nur, um ein Symbolthema abzuräumen. – Herr Ministerpräsident, das ist keine Antwort.

Das, was momentan im unteren Drittel der Gesellschaft passiert, ist ein Angriff auf die soziale Marktwirtschaft. Die soziale Marktwirtschaft und die alte Bundesrepublik haben immer von einem Leitsatz gelebt, den Sie eigentlich teilen müssten: Leistung muss sich lohnen. – Wenn Menschen den ganzen Tag arbeiten, und am Ende des Monats zum Amt gehen müssen, weil sich ihre Leistung nicht lohnt, dann legen Sie die Axt an die soziale Marktwirtschaft. Das müsste doch eine CDU umtreiben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir könnten eine andere Wirtschaftspolitik machen. Dazu gehört, dass wir endlich Schluss machen mit der Vorstellung, das sinnlose Ausgießen von möglichst viel Beton sei schon eine gute Infrastrukturpolitik.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Ja, ich habe es schon mehrfach gesagt. Ich werde es auch noch öfters sagen. Ich werde es so lange sagen, solange Sie eine Wirtschaftspolitik machen, die immer noch aus der Perspektive von Georg Leber – um jetzt einmal einen Sozialdemokraten zu nennen – ausgeht, nach dem Motto: Kein Bürger, der nicht in zehn Minuten am nächsten Autobahnanschluss ist, …

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Wagner, ich glaube, dass das im Jahr 2011 keine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik ist. Solange Sie diese falsche Wirtschaftspolitik betreiben, werde ich es immer wieder sagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Danke für den Zwischenruf. Wir haben doch vor zwei Jahren ein Konjunkturprogramm gehabt. Ein großer Teil dieses Konjunkturprogramms war Straßenbau.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Ich kann mich erinnern, dass damals Karlheinz Weimar, als zuständiger Finanzminister, vor dem Parlament gesagt hat, dass das, was jetzt gemacht werde, ein Vorziehen von Investitionen sei, die später nicht mehr gemacht würden, ansonsten würden die Zusatzausgaben nicht mehr reingeholt.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Jetzt frage ich mich, warum Sie eigentlich jetzt schon in der Situation sind, dass Sie jedes Jahr viele sagen: hurra, ein Rekordetat. – Wir hätten nichts dagegen, wenn Sie die existierenden Straßenschäden sanieren würden, damit wir keinen Wertverlust haben, und damit es nicht immer teurer wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren, möglichst viel Beton in der Landschaft auszukippen, ist noch keine Wirtschaftspolitik. Es wird auch keine sinnvolle Wirtschaftspolitik werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssten uns Gedanken über die Qualifizierung auf dem Arbeitsmarkt. machen Ich finde es ja gut, dass der Sozialminister wieder Sozialminister heißt. Das heißt aber nicht, weil das Ministerium jetzt nicht mehr Ministerium für Arbeit heißt, dass man überhaupt keine Arbeitsmarktpolitik mehr macht.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Man müsste sich Gedanken um die Städte machen, in denen die Langzeitarbeitslosen 80 % der Arbeitslosen ausmachen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe dazu nichts gehört.

Präsident Norbert Kartmann:

Herr Kollege, ich darf Sie an Ihre fraktionsinterne Redezeit erinnern.

Tarek Al-Wazir:

Herr Präsident, ich weiß, ich war auch bei meinem letzten Punkt. Vielen Dank für den Hinweis.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich glaube, dass am Ende das Warten darauf, dass in Berlin ein Wunder geschieht, und ansonsten das Warten darauf, dass man abgewählt wird, keine hinreichende Grundlage für erfolgreiche Landespolitik sind. Wir glauben, dass Hessen eine bessere Politik machen könnte. Wir glauben, dass Hessen eine bessere Politik verdient hat, und wir wollen, dass Hessen endlich mehr aus seinen Chancen macht.

Deswegen sagen wir: Wir wollen nicht einfach nur darauf warten, dass Sie endlich abgewählt werden, sondern wir wollen, dass die Politik in Hessen auch schon im nächsten Jahr besser wird. Deswegen hoffen wir darauf, dass Sie sich in den nächsten Monaten darauf besinnen, dass Sie hier einen Auftrag haben, der mehr ist, als sich selbst für vermeintliche Großtaten in der Vergangenheit zu loben

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

und ansonsten darauf zu warten, dass man abgewählt wird. Ich hoffe, dass diese Debatte dazu etwas beiträgt. – Vielen herzlichen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der SPD und der LINKEN)

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