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08.07.2009

Sigrid Erfurth zum hessischen Konjunkturpaket

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Norbert Schmitt dankbar, dass er ein bisschen die Weihrauchschwaden hier vorne niedergekämpft hat, die aufgestiegen sind,

(Beifall und Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

nachdem der Kollege Milde das Konjunkturprogramm begrüßt und bejubelt hat.

(Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir haben den Setzpunkt der CDU, also den Punkt, den die Regierungsfraktionen für den wichtigsten Punkt in dieser Plenarwoche halten – ich frage Sie allen Ernstes: Gibt es wirklich nichts Wichtigeres in der Regierungskoalition, als dieses Programm zu bejubeln? Ist das die identitätsstiftende Klammer Ihrer Koalition? Gibt es da nichts, was wir wirklich an Wichtigerem in diesem Landtag zu besorgen haben?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

– Frau Lannert, wir haben vor vier Monaten und drei Tagen ein Gesetz verabschiedet. Ein Gesetz, das richtig und wichtig war. Ein Gesetz, mit dem wir die Schulen in einen besseren baulichen Zustand bringen wollten. Und ein Gesetz, bei dem noch abzuwarten bleibt, ob Zukunftsweisendes an Baumaßnahmen für das Land wirklich dabei herauskommt.

Ich sage Ihnen, das Timing für diesen Antrag, für diesen Setzpunkt ist bemerkenswert. Wir haben seit der Verabschiedung vor vier Monaten fünf Presseerklärungen des Finanzministers zur Kenntnis nehmen können. Wir haben gestern eine Pressekonferenz des Finanzministers gehabt. In all diesen Erklärungen und Pressekonferenzen wurde uns das segensreiche Wirken der Landesregierung vorgestellt. Gestern hatten wir die Pressekonferenz unter dem Motto: „Hessen bei der Umsetzung der milliardenschweren Investitionsprogramme Spitze“.

Vor drei Wochen erklärte der Finanzminister: „Landesregierung setzt Konjunkturprogramme von Bund und Land zügig um.“ – Die wohlklingenden Titel der anderen Presseerklärungen erspare ich Ihnen. Heute also eine neue Jubelarie in diesem Konzert: „Hessisches Konjunkturprogramm kommt an“.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Meine Damen und Herren, natürlich haben sich die Kommunen landauf, landab in den letzten Monaten intensiv mit dem Konjunkturpaket beschäftigt, Projekte ausgewählt und geprüft, wie es umgesetzt werden kann. Natürlich ist es wichtig und richtig, dass der Finanzminister darüber informiert.

(Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Wir hätten uns auch gefreut, wenn er das im Haushaltsausschuss getan hätte und wir dann darüber hätten sprechen können. Aber müssen wir uns wirklich heute Morgen – zu einem Zeitpunkt, an dem man noch gar nicht sagen kann, ob dieses Konjunkturprogramm ankommt – hierhin stellen und sagen, es ist alles prima?

(Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Ich sage Ihnen: Dieser Antrag ist ziemlich inhaltsleer. Er zieht eine voreilige Bilanz, die Sie jetzt noch gar nicht ziehen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Axel Wintermeyer (CDU))

Sie begrüßen in Punkt 3 – lesen Sie den einmal richtig – die Erhöhung der Grenzen für die freihändige Vergabe und die beschränkten Ausschreibungen.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU) – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Ja, das begrüßen Sie, und Sie schreiben, das stärkt den Mittelstand und schafft die Grundlage für Wachstum und Beschäftigung.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Ja, Herr Irmer, Frau Lannert, woher wissen Sie das?

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Gestern hat uns der Finanzminister erzählt, jetzt könnten die Aufträge vergeben und die Bescheide übergeben werden. –  Es ist noch überhaupt kein Auftrag vergeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Axel Wintermeyer, Hans-Jürgen Irmer und Judith Lannert (CDU))

Es ist doch noch gar kein Auftrag vergeben. Gestern hat uns der Finanzminister – Sie wollen ihn doch nicht Lügen strafen – erklärt, jetzt würden die Bescheide übergeben, und jetzt könnten die Ausschreibungen für die Bauvorhaben beginnen.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Herr Irmer, im Interesse der Konjunktur erwarte ich auch, dass die Kommunen das zügig tun. Aber woher wissen Sie denn, wo diese Aufträge ankommen?

(Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Woher wissen Sie denn, ob das der Handwerker, der Mittelstand vor Ort bekommt?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Hans-Jürgen Irmer und Judith Lannert (CDU))

Offensichtlich sind Sie Hellseherinnen und Hellseher und haben eine Kristallkugel.

(Beifall bei der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Vizepräsident Lothar Quanz:

Ich darf um etwas Duldsamkeit bitten.

(Zuruf des Abg. Axel Wintermeyer (CDU))

Sigrid Erfurth:

Dann gehen Sie raus, wenn Sie das nicht aushalten mögen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Antrag der SPD ist da ein bisschen weitsichtiger. Er sagt, wir wollen erst einmal schauen, wie es wirkt, und dann prüfen wir.

Ich finde, das ist ein richtiges Vorgehen: Wir schauen erst einmal, wie es wirkt, und dann können wir verlässliche Aussagen machen – ehe wir uns hier in Jubelarien ergehen.

Sie schreiben:

Der Hessische Landtag begrüßt im Rahmen der Umsetzung der beiden Konjunkturprogramme die schnelle und reibungslose Umsetzung vonseiten der Landesregierung.

Ja, aber platter geht es doch nun wirklich nicht. Das habe ich erwartet: Wenn dieser Landtag ein Konjunkturprogramm verabschiedet, das noch in diesem Jahr wirken soll, dann muss es schnell gehen.

Dieses Lob kann man nur dann verstehen, wenn es Ihr Bild von der Regierung wäre: Das ist eine Schnecke, da tut sich nie etwas.

Hier ganz normales Handeln zu belobigen – ich finde, da hätten Sie sich etwas Besseres aussuchen sollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Dann noch zum letzten Punkt Ihres Antrags. Sie bejubeln „die enorme Nachfrage der Kommunen nach den finanziellen Angeboten aus den Konjunkturprogrammen“. Ja, mein Gott, was haben Sie denn erwartet? Sollen die Kommunen warten? Die Kommunen wissen doch, dass die konjunkturelle Lage bergab geht. Sie wissen, wenn sie jetzt nicht zugreifen, wird alles das, was wünschbar oder auch notwendig ist, in Zukunft nicht mehr zu finanzieren sein.

Außerdem wissen die Kommunen auch, dass sie die Zinsen bezahlen müssen. Denn die Zinsen werden über den Kommunalen Finanzausgleich finanziert. Jeder Bürgermeister und jedes Gemeindeparlament weiß: Wenn ich meinen Anteil nicht ausschöpfe, zahle ich für die Nachbarkommune mit.

Was haben Sie denn erwartet? Die Kommunen müssen hier mitziehen und an diesem Programm mitarbeiten.

Strich drunter: Ihr Antrag ist inhaltsleer und nimmt im Hinblick auf die Erhöhung der Vergabegrenzen Beurteilungen vorweg, die Sie noch gar nicht ziehen können.

Stattdessen wäre eine kritische Begleitung des Konjunkturprogramms sinnvoll. Die Grundanforderung an ein jedes Konjunkturprogramm muss es doch sein, die Folgen im Abschwung abzudämpfen. Der Staat greift hier ein, um die Delle in der Konjunktur abzumildern. Alle öffentlichen Investitionen, die die private Nachfrage ersetzen, müssen lang- und mittelfristig Perspektiven entwickeln, um dann, wenn die Rezession zu Ende ist, wieder am Aufschwung mitzuwirken, um dann für die Zukunftsfragen gerüstet zu sein.

Stichpunkt Klimawandel: Hier könnte man Ökonomie und Ökologie staatlich gefördert gut zusammenbringen, und dann wären wir für die Fragen der Zukunft gerüstet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für uns GRÜNE heißt das, Hessen muss auf dem Weg zur Wissensgesellschaft und auf dem Weg zum nachhaltigen Wirtschaften vorankommen.

Bei der Verabschiedung der Konjunkturprogramme haben wir GRÜNE es bereits deutlich ausgesprochen: Die Investitionen in die Schulen und Hochschulen können uns auf diesem Weg voranbringen. Sie sind richtige und gute Investitionen.

Das Sonderinvestitionsprogramm im Straßenbau ist es leider nicht. Herr Milde, das sehen wir völlig anders als Sie. Unser Versuch, das Programm an diesem Punkt ein bisschen zukunftsfähiger zu machen und es für den öffentlichen Personennahverkehr zu öffnen, ist an Ihnen gescheitert.

Ein weiterer unserer Kritikpunkte ist es, die Mittel zielgerichtet für die sonstige kommunale Infrastruktur zu verwenden und hier Ausgaben einzusetzen, die später Einnahmen sichern und dazu führen, dass Ausgaben gesenkt werden – an diesem Punkt sind Sie uns nicht gefolgt.

Bei diesen Mitteln besteht die Gefahr der Beliebigkeit. Diese Gefahr ist nicht aus dem Weg geräumt. Es ist richtig, wenn Nötiges oder Wünschbares passiert, aber was ist bei Projekten, bei denen die Folgekosten nicht durchgerechnet worden sind und den Folgenutzen überschreiten? Solche Investitionen sind nicht in Ordnung. Die sind aber durchaus möglich. Hier warten wir noch den Beweis ab, dass das nicht passiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie können sich also sicher sein: Wir werden die Umsetzung dieser Konjunkturprogramme Schritt für Schritt kritisch begleiten. Wir werden die positiven Beispiele und die Erfolge registrieren – natürlich wird es auch die geben. Aber wir werden auch Investitionsruinen und Misserfolge benennen – auch die werden nicht ausbleiben. Diese Umsetzung wird viel Stoff für den Rechnungshof bringen, und sie wird viele Beispiele für das nächste Schwarzbuch des Bundes für Steuerzahler liefern.

Bei der Aufgabe, die Umsetzung dieser Konjunkturprogramme kritisch zu begleiten, werden wir Landespolitikerinnen und -politiker auch in die Kommunalparlamente schauen. Ich bin mir sicher, quer durch alle Parteien wird die große Mehrheit der kommunalpolitisch Engagierten inzwischen auch das Thema Folgekosten ein bisschen ernster nehmen und genau hinschauen. Hier werden wir GRÜNE unseren Beitrag leisten. Denn wir alle haben Erfahrungen mit maroden Schulen oder zu groß dimensionierten Bürgerhäusern, mit Prestigeobjekten, die zu groß dimensioniert werden, oder auch mit Fehlplanungen anderer Art.

(Zurufe der Abg. Holger Bellino und Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Wir alle werden also noch Stoff haben, über den wir uns unterhalten müssen.

Meine Amen und Herren, denken Sie daran: Fiskalisch betrachtet sind Konjunkturprogramme unsichere Wetten. Konjunkturprogramme müssen nachhaltig wirken. Das sagte ich bereits.

Vizepräsident Lothar Quanz:

Frau Erfurth, Sie müssen zum Schluss kommen.

Sigrid Erfurth:

Herr Präsident, ich danke Ihnen. Ich bin auch gleich fertig.

Sie müssen sich durch Investitionen in Bildung und Nachhaltigkeit nicht nur für die Volkswirtschaft auszahlen, sondern letztlich auch für Staatskasse. Bleibt aber dieser Nutzen für die Staatskasse aus, dann werden wir vollends handlungsunfähig, denn dann wird sich die Schere zwischen ausbleibenden Steuereinnahmen und dem Verschuldungsverbot vollends schließen, und wir werden manövrierunfähig. Meine Damen und Herren von der CDU und meine Herren von der FDP, vielleicht bleibt Ihnen dann der vorzeitige Jubel von heute noch im Halse stecken. – Ich danke Ihnen.