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08.10.2009

Sigrid Erfurth zu Steuereinnahmen sichern – Steuersystem modernisieren

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Entschuldigen Sie den zweimaligen Weg, aber ich habe dummerweise mein Manuskript auf dem Platz liegen lassen.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Es ist vielleicht doch ganz schön, sich nach der Mittagspause ein wenig zu bewegen.

Lieber Willi van Ooyen, der Wahlkampf ist vorbei, und wir erwarten jetzt ein bisschen die Wiederkehr des Realitätsbezugs in die Politik. Zum Ende Ihrer Rede haben Sie gesagt, Sie freuten sich, dass die GRÜNEN jetzt auf dem Wege seien, auf den richtigen Pfad einzuschwenken. Wir alle haben uns in der Vorbereitung der Bundestagswahl redlich an unseren Konzepten abgearbeitet. Wir haben alle Steuerkonzepte aufgestellt, und diese kann man vergleichen. Daher ist es auch überhaupt keine Geschichtsklitterung, wenn man sagt: Die GRÜNEN haben ein sehr durchgerechnetes und, wie ich finde, gutes Steuerkonzept vorgelegt.

Es ist natürlich um Längen besser als das, was wir von Ihnen zu Gesicht bekommen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben uns natürlich von der Idee leiten lassen, dass wir umverteilen müssen. Wir müssen zugunsten derer umverteilen, die nicht so viel haben. Wir haben dieses Konzept auch durchgerechnet und sind nicht nach dem Modell „Wünsch dir was“ oder „Was ich schon immer einmal versprechen wollte“ vorgegangen. Sondern wir haben hier ein sehr solides Konzept vorgelegt.

Ich denke, dass wir dieses Konzept in dem Antrag, der Ihnen vorliegt, in den wesentlichen Punkten hier dargestellt haben. Das muss ich nicht im Einzelnen hier noch einmal darstellen. Wir führen hier ein bisschen die Debatte von heute Morgen weiter. Ich betrachte diese Debatte ein bisschen als Teil zwei der finanzpolitischen Debatte, die wir heute Morgen geführt haben. Wir müssen doch einmal betrachten, wo wir in Hessen stehen und wo wir in Hessen die Möglichkeiten haben, Einnahmen so zu generieren, dass wir auch die nötigen Ausgaben in Hessen weiter vornehmen können.

Wenn wir einen vergleichenden Blick in die Steuerprogramme aller Fraktionen werfen, die uns vorliegen, dann können wir feststellen, dass die beiden Fraktionen, die jetzt gerade in Berlin verhandeln, sich redlich bemüht haben, den Wettlauf der Steuersenker zu gewinnen. Wir wollen nicht hoffen, dass diese beiden Fraktionen in diesem Wettlauf weitermachen. Bisher hat man Gott sei Dank noch nicht gehört, zu welchem Zeitpunkt Steuersenkungstermine ausgemacht worden sind.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Im Moment, Herr Kollege Milde, ist es erstaunlich ruhig. Heute Morgen im Radio hörte ich, man habe Einigungen im Bereich der Finanzpolitik erzielt. Da habe ich gedacht: Oh, jetzt musst du mal schnell zuhören. Dann war aber überhaupt nichts darüber zu hören, in welchen Bereichen hier schon große Übereinstimmungen erzielt worden sind. Ich glaube, das ist auch ein bisschen der Realität geschuldet. Die Realität ist nämlich, dass wir überhaupt keinen Spielraum zu Steuersenkungen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie brauchen sich doch nur einmal die aktuellen Zahlen des Arbeitskreises Steuerschätzung zu Gemüte führen. Mitte Juni wurde das Steueraufkommen für das laufende Jahr auf insgesamt 527 Milliarden € geschätzt. Im Jahr davor waren es 561 Milliarden. Das sind 34 Milliarden weniger. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Innerhalb eines Jahres ist das wahrscheinliche Steueraufkommen um 34 Milliarden zurückgegangen. Das ist das Anderthalbfache des hessischen Haushalts. Das fehlt im Moment. Vor diesem Hintergrund können wir doch überhaupt nicht in weitere Steuersenkungsrunden einsteigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Ich sage in Richtung der Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN: Wir müssen uns doch jetzt auf das besinnen, was im Moment realistisch ist.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Sie schlagen uns hier vor – das ist die gleiche Rhetorik wie im Wahlkampf –, wir machen jetzt ein bisschen Millionärsteuer, wir erhöhen die Erbschaftsteuer, und wir erhöhen die Vermögensteuer.

Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass sich in Berlin die Vorzeichen geändert haben. Jetzt müssen wir einmal schauen, was wir unter diesen geänderten Vorzeichen machen können. Ich glaube, da reicht es nicht, wenn wir sagen, wir fordern die Millionärsteuer. Das klingt so schön, ist aber völlig frucht- und folgenlos. Dann sollten wir uns auch auf das Mögliche besinnen. Das Mögliche wäre aus unserer Sicht derzeit gut zu realisieren. Ich hoffe, dass sich da auch die FDP und die CDU noch ein bisschen auf das Mögliche besinnen, wenn sie nämlich in die Steuerkassen gucken. Bei der Erbschaftsteuer müssen wir dafür sorgen, dass sich das Steueraufkommen verstetigt und stabil bleibt. Es wäre doch schlimm, wenn die Vorstellungen, die im Moment von der FDP verkündet werden, wahr würden, an der Erbschaftsteuer weiter herumzuschrauben und sie in der Hoffnung auf die Länder zu verlagern, dass sie dann ganz abgeschafft wird. Das hilft uns doch überhaupt keinen Meter weiter. Ich denke, wir müssen daran arbeiten, dass die Erbschaftsteuer dazu führt, dass leistungsloses Vermögen auch besteuert werden kann und dass dadurch ein weiterer Beitrag zur Sicherung der Landesfinanzen getan wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Wenn ich, ohne dafür gearbeitet zu haben, ein Erbe erlange, und zwar nur dadurch, dass ich zufälligerweise in eine reiche Familie geboren wurde, dann besteht meine Leistung ausschließlich in der Geburt. Ich glaube, da können wir mit Fug und Recht sagen, dass wir da mit der Erbschaftsteuer ansetzen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Natürlich – und darüber haben wir schon gestritten, Herr Milde – müssen wir zusehen, dass die Freibeträge so hoch sind, dass wir das berühmte Häuschen der Familie erhalten.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Natürlich müssen wir dafür sorgen, Herr Milde – auch da stimme ich Ihnen zu –, dass Betriebe im Übergang nicht abgewürgt werden. Da brauchen wir vernünftige Regelungen. Da sind wir uns auch einig. Wir brauchen Regelungen, dass Betriebe im Übergang nicht über die Wupper gehen und dass es da vernünftige Freibeträge gibt, um hier Arbeitsplätze zu erhalten. Das ist gar keine Frage. Aber dennoch finde ich, dass man es nicht riskieren kann, diese Steuer, die zu einem Großteil auch in den hessischen Haushalt fließt, völlig abzuschaffen.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Ich kann Sie nur auffordern, die Angriffe der FDP an diesem Punkt, diese Steuer abzuschaffen oder in die Länderhoheit zu geben, erfolgreich abzuwehren. Da hätten Sie uns an Ihrer Seite.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Ein weiterer Punkt betrifft die Einführung der europäischen Finanzumsatzsteuer. Auch das ist ein Punkt, den die LINKE in ihrem Programm hat und den auch die GRÜNEN schon immer in ihrem Programm haben. Dieses Punktes hat sich jetzt sogar – man höre und staune – Angela Merkel angenommen. Sie hat gemeinsam mit Steinmeier auf dem letzten G-20-Gipfel in Pittsburgh einen ähnlichen Vorschlag unterbreitet. Ich finde, das ist ein guter Weg.

Hier muss man versuchen, das Volumen der internationalen Finanztransaktionen zurückzufahren und Spekulationen zu begrenzen. Das ist ein guter Weg. Ich denke, an diesem Weg müssen wir weiterarbeiten. Es wäre schon einmal ein großer Erfolg, wenn wir allein im Bereich der G-20-Staaten die internationale Börsenumsatzsteuer einführen könnten. Das würde schon einmal dazu führen, dass hier eine Spekulationsmasse begrenzt wird und dass wir auch weitere Einnahmen im Landeshaushalt haben.

Insgesamt kann ich nur dazu aufrufen, dass wir es schaffen müssen, von Hessen aus ein Signal zu setzen, dass Einnahmen gesichert werden. Wir haben heute Morgen darüber gestritten, wie wir es schaffen können, den hessischen Landeshaushalt auszugleichen. Das werden wir nur hinbekommen, wenn wir auch an verantwortlicher Stelle in Berlin dafür sorgen, dass die Einnahmen des Bundeshaushalts insgesamt nicht wegbrechen. Da erwarte ich mir von den Regierungsfraktionen dieses Hauses einen wertvollen Beitrag und dass sie nicht dazu beitragen, dass der im Wahlkampf angekündigte Steuersenkungswettbewerb jetzt noch weiter fortgesetzt wird und dass wir zu vernünftigen Lösungen kommen, die die Steuereinnahmen sichern und dafür sorgen, dass wir das Steuerrecht insgesamt modern weiterentwickeln. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Frau Kollegin Erfurth.

Zweite Wortmeldung:

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin dem Finanzminister dankbar, dass er einen Teil des Eindrucks, der sich hier vorhin breitgemacht hat, wieder aufgehoben hat. Sowohl von der FDP als auch von Herrn Caspar für die CDU wurde erklärt, man müsse das Steuerrecht jetzt nur einmal ganz schnell einfach und transparent machen, dann sei alles gut.

Es wäre schön, wenn man das einfach und transparent hinbekommen würde. Ich habe über 25 Jahre in der Finanzverwaltung gearbeitet. Ich habe jede Steuerrechtsreform erlitten. Das wollte ich nur einfach hier einmal sagen. Es ist nie einfacher und transparenter geworden.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Ich glaube, dass ist ein hoher Anspruch, der einmal erfüllt werden sollte, das einfach und transparent zu machen.

Herr Caspar, ich wollte Sie vorhin fragen, ob Sie denn die Unternehmenssteuerrechtsreform und insbesondere die Neuregelung mit der Zinsschranke, die unter Schwarz-Rot eingeführt worden ist, für einfach und transparent halten. Das wäre doch einmal eine Messlatte gewesen. Da hätte man sich transparente und einfache Regeln einfallen können.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Was ich damit sagen will, ist: Einfach und wenig ist ein hoher Anspruch, der nicht immer durchgesetzt werden kann.

Herr Kollege Caspar hat hier mit dem Steuerrecht der DDR argumentiert. Ich habe kurz nach der Wende das Vergnügen gehabt, Aufbauhilfe in Sachsen-Anhalt zu leisten. Ich habe das sehr gerne gemacht. Damals habe ich mir das Steuerrecht der ehemaligen DDR angesehen. Das war sehr einfach. Das war überschaubar. Das Einkommensteuergesetz stand in einer ganz dünnen Broschüre.

Was will ich damit sagen? – Einfach und transparent ist nicht immer gut.

(Zuruf des Ministers Karlheinz Weimar)

Sie hatten auch ganz wenig Verwaltung. Es gab fast keine Finanzverwaltung. Was will ich damit sagen? – Auch das ist nicht immer gut.

Ich glaube, wir müssen uns nicht in die Tasche lügen. Packen Sie doch endlich einmal die Mär vom Bierdeckel ein, der vielleicht irgendwann zum Klodeckel wird, weil wir nicht alles auf den Bierdeckel bekommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie verdummen damit die Menschen. Sie alle wissen: So einfach geht das nicht. Das Steuerrecht ist nun einmal etwas komplizierter. Herr Weimar, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie einen Teil dieser Mär eingesammelt haben.

Ich möchte noch auf zwei Punkte inhaltlich eingehen. Sie haben gesagt, für eine Erhöhung des Grundfreibetrags bestünde kein Raum. Da sind wir GRÜNEN dezidiert anderer Meinung. Wir denken, dass man im System des Einkommensteuerrechts so umverteilen kann, dass die schwachen Schultern ein bisschen mehr entlastet werden. Man könnte den Grundfreibetrag moderat anheben. Man muss dabei nicht ganz so weit gehen, wie die Kollegen der LINKEN es wollen. Man müsste ihn nur auf 8.500 € anheben. Innerhalb der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts könnte man dann auch den Splitting-Tarif umgestalten. Das ginge, wenn man den Fokus nicht zu sehr darauf hätte, dass man beim Ehegattensplitting absolut nichts machen will.

Ich möchte noch eine Bemerkung zur Gewerbesteuer machen. Das wird wahrscheinlich zu einem großen Zankapfel zwischen den neuen Koalitionsfraktionen in Berlin werden.

(Zuruf)

Bürgermeister quer durch alle Parteien sagen: Wackelt nicht bei der Gewerbesteuer. Sie ist die Steuer, die den Kommunen Luft verschafft und aus der die Kommunen ihre Einnahmen herbekommen.

Wichtig wäre es, die Gewerbesteuer weiterzuentwickeln. Sie sollte nicht dableiben, wo wir sie jetzt haben. Vielmehr sollte man die Gewerbesteuer so weiterentwickeln, dass sie nicht so schwankungsabhängig ist. Wir sollten sie zu einer stabilen Einnahmequelle entwickeln. Die Bemessungsgrundlage sollte ein paar ertragsunabhängige Elemente mehr enthalten.

(Minister Karlheinz Weimar: Grundsteuer!)

– Für die Grundsteuer gilt das genauso. Auch da haben wir sehr viele schwankende Elemente. Auch da müssen wir dazu kommen, dass wir mehr Sicherheit beim Aufkommen haben.

Ich glaube, daran müssen wir arbeiten. Jenseits der ideologischen Grabenkämpfe müssen wir da zu mehr Stetigkeit und zu mehr Zuverlässigkeit bei den Einnahmen der Kommunen kommen. Das würde dann auch dazu führen, dass wir auf Landesebene eine ganz andere Planungssicherheit hätten. Ich setze darauf, dass sich dann die Menschen, die sich die Steuerschätzung angeguckt und gesehen haben, dass wir für unvernünftige Vorschläge keinen Raum haben, an der richtigen Stelle einbringen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Frau Kollegin Erfurth, schön Dank.