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15.12.2011

Sigrid Erfurth: Europäische Integration fortführen – Wirtschafts- und Währungsunion stärken

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der uns vorliegende Antrag von CDU und FDP beschreibt aus meiner Perspektive ziemlich genau das Dilemma, in dem sich die beiden Regierungsfraktionen befinden. Die Europäische Union wird aus der Perspektive der FDP wahrgenommen, nämlich nur als Instrument, in dem man nur über Geld redet, über Euro und Cent.

Frau Osterburg, ich war Ihnen sehr dankbar, dass Sie auch die historische Dimension von Europa aufgemacht haben und das vorgetragen haben, was jenseits des Geldes eine wichtige Rolle für Europa spielt, denn das darf nicht vergessen werden. Leider ist es in Ihrem Antrag untergegangen. Das haben Sie in dem Antrag nicht erwähnt, ich bin Ihnen aber dankbar, dass Sie es hier gesagt haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vielleicht können Sie an der Stelle unseren Antrag unterstützen, der holt das ganz klar nach.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Herr Rentsch, ich habe schon gesagt, dass ich nicht so ganz verstehe, warum der Antrag so auf die Perspektive der FDP reduziert ist. Ich habe auch nicht so ganz verstanden, warum die FDP diesen Antrag zu ihrem Setzpunkt erhebt. Möglicherweise wollten Sie damit eine Chance nutzen, nach dem verunglückten Mitgliederentscheid auf Bundesebene eine klare Botschaft zu senden.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Herr Rentsch, das gelingt Ihnen mit so einem Antrag im Hessischen Landtag nicht. Damit können Sie den Schaden, den Sie angerichtet haben, keineswegs begrenzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie legen uns einen Antrag vor, der Europa auf Ihr Weltbild einer sparsamen Haushaltsführung reduziert. Eine Vision von Europa, eine Weiterentwicklung der Europäischen Union, bleiben Sie uns leider schuldig.

Sie haben vergessen, was Europa für uns Deutsche und auch für uns Hessen bedeutet. Wenn Sie den Versuch unternehmen, den Hessinnen und Hessen Europa nahe zu bringen, so wie es neulich Europaminister Hahn getan hat, in dem er eine gemeinsame Pressekonferenz mit Frau Puttrich, Herrn Posch und Herrn Grüttner gemacht hat, dann geht es auch wieder nur um Geld. Es geht nur um die Frage, was an Geld in Hessen ankommt. Meine Herren von der FDP, ich kann Ihnen nur sagen: Geld ist vieles, aber nicht alles, und Europa ist viel, viel mehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Ich kann verstehen, dass die Diskussion um den Mitgliederentscheid in der FDP, die zu tiefen Zerwürfnissen und zum überraschenden Verlust des Generalsekretärs geführt hat, den Blick für wesentliche Fragen in Europa verstellt. Das kann ich ja verstehen. Es ist schwer für eine Partei, aus diesem Sog, der sich entwickelt hat, ohne Schaden herauszukommen, sich davon zu lösen und den Blick wieder frei zu bekommen, so wie es eine Regierungspartei braucht. Sie regieren in Berlin mit. Da müssten Sie schon ein bisschen weiter gucken als über den Tellerrand eines Mitgliederentscheids und des Interesses, wie Sie Ihre Mitgliedschaft wieder einfangen und Sie die Wählerinnen und Wähler dazu bekommen, dass sie Ihnen das Trikot bei der nächsten Wahl nicht ausziehen. Das interessiert Sie viel mehr im Augenblick als die Europäische Frage.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann diesen Spagat und ich kann diese Schwierigkeiten gut nachvollziehen, das können Sie mir glauben.

(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

Herr Müller, wir haben als GRÜNE eine lange Erfahrung damit, wenn man in der Regierung eine weitreichende Entscheidung für ein Land treffen muss und trotzdem seine Mitgliedschaft mitnehmen muss.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Da haben wir eine weite Erfahrung. Ich kann nachvollziehen, wie schwer das ist. Man darf aber den Blick nicht verlieren, regierungsfähig zu bleiben. Den haben Sie verloren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Unter Punkt 3 Ihres Antrages machen Sie, Kollege Quanz hat darauf hingewiesen, einige Vorschläge, damit sich die Schuldenkrise nicht wiederholt. Darüber kann man diskutieren. Sie reden über Schuldenhöchstgrenzen, Sie reden über Koordinierung der Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Darüber kann man sprechen. Aber das sind doch alles Fragen für die Zukunft. Es handelt sich doch um Fragen, wie Grenzen und Regelungen eingezogen werden, dass das, was wir gerade erlebt haben, sich nicht wiederholt.

Die spannende Frage ist doch aber: Was machen wir jetzt? – Da haben Sie keine Antwort. Sie müssen doch zugestehen, dass Staaten wie Griechenland, Italien, Irland und möglicherweise auch Portugal massive Probleme haben, sich am Finanzmarkt zu refinanzieren. Das müssen Sie doch ernst nehmen. Da bleiben Sie jegliche Antwort schuldig. Da gibt es überhaupt keine Antwort von Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Herr Reif, ich habe auch von Ihrer Fraktion keine Antwort dazu gehört. – Der Oberbegriff, um den es gehen muss, ist Vertrauen. Wir müssen Vertrauen haben in Staaten, dass sie sich wieder refinanzieren können, wir müssen Vertrauen in Staatsanleihen haben. Wir müssen auch Vertrauen in Anleihen haben, die jetzt der EFSF herausgibt und später der dauerhafte Rettungsschirm. Es muss doch Vertrauen dafür geben, dass nicht wieder gegen die Finanzkraft von Staaten spekuliert wird. Da bleiben Sie jegliche Antwort schuldig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Sie lassen alles offen und bestätigen in Ihrem Antrag auch noch einmal, und haben es hier auch noch einmal gesagt, dass die EZB auf keinen Fall eingreifen soll. Herr Rentsch, nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis, dass die EZB eingegriffen hat. Dass war auch richtig und wichtig.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Die EZB hat bereits für über 200 Milliarden € Staatsanleihen aufgekauft. Das war gut und war richtig so. Wenn Sie jetzt ständig die Signale dafür setzen, dass das alles nicht sein darf, und ob Sie als FDP den ESM überhaupt gut finden und das auch noch in Frage stellen und dazu erst einmal einen Mitgliederentscheid durchführen

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

– Herr Rentsch, wir haben eine lange Erfahrung, wie man Mitglieder in demokratische Verfahren einbindet. Das können wir Ihnen gerne einmal erklären. Das machen wir gerne.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SDP – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich gebe Ihnen einen gut gemeinten Rat: Es ist immer schlecht, wenn Vorsitzende vor Ablauf einer demokratischen Mitgliederentscheidung sagen, es sei alles schon gelaufen, der Entscheid sei verloren. Das kommt immer ganz schlecht, das kann ich Ihnen aus langjähriger Erfahrung als GRÜNE sagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Von daher tun wir so etwas auch nicht und binden unsere Mitgliedschaft frühzeitig ein. Das ist manchmal schmerzhaft und kostet viel Kraft und viel Zeit. Wir haben auch unser Lehrgeld zahlen müssen. Ich bin an diesem Punkt überhaupt nicht überheblich. Das muss man machen und Kritikerinnen und Kritiker so einbinden, dass es nach außen nicht zerschießt. Sie haben diesen Punkt verpasst, und die Glaubwürdigkeit nach außen verloren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wenn es Zweifel daran gibt, dass eine Regierungspartei in Berlin den Rettungsschirm gar nicht will, von dem die Bundeskanzlerin verkündet, er werde vorgezogen, wer soll Ihnen denn dann noch etwas glauben?

Sie stellen zur Abstimmung, dass Sie diesen Rettungsschirm vielleicht gar nicht wollen. Die Bundeskanzlerin verkündet unterdessen, er werde um ein Jahr vorgezogen. Was sollen denn die Anlegerinnen und Anleger machen? – Die kaufen doch dann die Anleihen nicht.

Damit haben Sie ein Stück Schuld daran, dass diese Anleihen nicht so wirken, wie sie hätten wirken können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie bleiben uns also eine Antwort schuldig, wie Sie kurzfristig mit dem Problem der Staaten umgehen wollen, die sich jetzt am Kapitalmarkt nicht finanzieren. Sie haben keine Antwort, wie Sie Vertrauen schaffen wollen in Staatsanleihen, wie Sie Vertrauen schaffen wollen in die Anleihen des vorübergehenden und des dauerhaften Rettungsschirms.

Mittelfristig – da bin ich mir ganz sicher, und ich denke, auch die Bundeskanzlerin sieht es so – werden wir Eurobonds brauchen. Die lehnen Sie jetzt aus purer Ideologie ab. Aber wir werden sie brauchen unter klaren, fest umrissenen Bedingungen. Wir werden sie brauchen unter der Voraussetzung, dass die Staaten konsolidieren. Wir werden sie brauchen unter der Voraussetzung, dass die Staaten ihre Ausgabenpolitik überprüfen, aber nicht nur. Sie werden auch ihre Einnahmepolitik überprüfen müssen. Wie sie das machen, ist Sache der Mitgliedsstaaten. Da bin ich nicht so nahe bei der SPD. Unser Steuerrecht ist ein gutes, aber ich würde es nicht auf jedes Land überstülpen wollen. Das muss das Land für sich entscheiden, aber es muss passieren.

Außerdem muss etwas passieren, was Sie immer in das Reich des Undenkbaren verweisen: die Finanztransaktionssteuer. Auch die wird es geben müssen. Ich bin mir sicher, es wird sie in verantwortlicher Position geben müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

In diesem Sinne kann ich Ihnen nur empfehlen: Schauen Sie sich unseren Antrag noch einmal an. Er sagt das Richtige. Stimmen Sie ihm zu. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Frau Kollegin Erfurth.