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18.11.2010

Sigrid Erfurth: EU-Steuer ablehnen

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, in dieser spannenden Debatte reden zu dürfen. Das Thema Europa ist auf dem Weg, dem Thema Gleichberechtigung bei der Beteiligung den parlamentarischen Rang abzulaufen. Das merkt man, wenn man einmal in die Reihen guckt.

Herr Kollege Krüger, Sie haben gesagt, Einsparungen, Europa und die FDP. Das waren drei Dinge, die ich mir aus Ihrem Redebeitrag mitgeschrieben habe. Wenn ich die drei Begriffe zusammenbringe – Einsparungen, Europa und FDP –, dann muss ich kurz überlegen: Was ist denn passiert?

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

– Nein, die habe ich mir dazugeschrieben. Sie können gerne gucken, wenn Sie das möchten. Wir können das aber auch nachher regeln.

Wenn ich mir anschaue, was passiert ist, seit die FDP in der Regierung ist: Wir haben eine neue Staatssekretärin für den Bereich Europa mit der gesamten Entourage dazu.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Das ist der Beitrag der FDP zum Thema Einsparungen: eine neue Staatssekretärin plus eine weitere Abteilung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

– Ich komme zu der Wichtigkeit, Herr Rentsch. – Dann ein Beitrag, was passiert bei Einsparungen, FDP und Europa: sehr aufwendiger Umbau der Landesregierung, auch das ein Beitrag zum Thema.

(Zuruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn)

– Der Landesvertretung. Entschuldigung, Sie haben recht, Herr Minister Hahn. – Es war ein aufwendiger Umbau der Landesvertretung in Brüssel. Natürlich musste da etwas passieren. Aber muss es so aufwendig sein?

Dritter Punkt. Wir haben die richtige und wichtige Partnerschaft mit der türkischen Region Bursa gemeinsam verabschiedet.

(Zuruf des Abg. Fritz-Wilhelm Krüger (FDP))

– Klar. – Aber wir müssen Geld haben, damit wir diese Partnerschaft mit Leben füllen können. Da haben auf einmal die Kollegen von den Freidemokraten gemerkt, dass ohne Geld nichts funktioniert und dass man gucken muss, dass man, wenn man Aufgaben übernimmt, sie auch irgendwie finanziert. Ich finde, da sind Sie unehrlich.

(Zuruf des Abg. Fritz-Wilhelm Krüger (FDP))

Sie dürfen doch nicht so tun, als ob sich wichtige Aufgaben ohne Geld erfüllen ließen.

Wir haben uns in diesem Hause immer wieder gegenseitig versichert, wie wichtig doch Europa ist und wie wichtig das Europäische Parlament ist für eine gedeihliche und friedliche Zukunft der Bundesrepublik und auch Hessens. Da bin ich durchaus bei Ihnen, Herr Rentsch: Es ist wichtig.

Die FDP hat nun den Europaminister für sich reklamiert und sorgt damit dafür, dass Jörg-Uwe Hahn die mit Abstand meisten Presseerklärungen dieser Landesregierung in die Welt setzt. Wenn man sich allerdings anschaut, was der Kern der Europapolitik ist, der öffentlich wahrgenommen wird, dann kommt es bei mir ein wenig so an, als sei das für Sie Abwehrpolitik. Ich schaue nur in die letzte Vergangenheit: Abwehrpolitik, was Mutterschutzregeln angeht, Abwehrpolitik, was Klimaschutzregeln angeht. Ich kann mich an mannhafte Presseerklärungen erinnern, die Jörg-Uwe Hahn als Staatsminister, ich glaube, zusammen mit dem Wirtschaftsminister, in trauter FDP-Eintracht verkündet hat: CO2-arme Kleintransporter sind Gift für die Konjunktur. – Wo leben Sie denn? Sie müssen auch einmal zugestehen, dass man hier ein Stück vorankommen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Jetzt haben Sie ein neues Kritikfeld, die Europasteuer. Man könnte fast meinen, hier soll eine Debatte, die Sie in Hessen nicht mehr führen können, auf einem anderen Feld fortgesetzt werden. Sie haben gemerkt, sich hier in Hessen für eine Steuersenkung zu positionieren, eine Steuersenkungsdebatte zu führen, ist im Moment nicht ganz en vogue. Da sucht man sich ein anderes Feld, und das findet man in Europa. Und dann verkünden Sie mannhaft, jetzt dürfe man auf keinen Fall eine EU-Steuer bekommen.

Meine Herren von der FDP, nach meiner festen Überzeugung führen Sie da eine Stellvertreterdebatte. Sie ist kurzfristig und geht an den wahren Problemen vorbei. Sie wollen – den Eindruck könnte man haben – die EU-Steuer möglicherweise nur verhindern, weil Sie keine Chance haben, sie mitzugestalten.

Ich darf Sie an die Geschichte der Mehrwertsteuererhöhungen erinnern, weil sie immer wieder schön ist und immer wieder zeigt, wo die Schwerpunkte der FDP gelegen haben. Es gab seit 1968 – seitdem gibt es die Mehrwertsteuer – sechs Erhöhungen, und bei zwei konnte die FDP nicht mitwirken. Das war bei der ersten Erhöhung der Fall und dann bei der letzten. Das war die, die die Große Koalition gemacht hat. Da war die Empörung bei der FDP groß. Wenn man böswillig ist, könnte man unterstellen, Sie sind nur dann gegen Steuererhöhungen, wenn Sie daran nicht mitgestalten können.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Meine Herren von der FDP, rationale Argumente kann ich bei der FDP nicht entdecken, warum man gegen eine EU-Steuer ist. Das Europäische Parlament wollen wir alle stärken. Das haben wir uns hier immer wieder versichert. Das Europäische Parlament will diese Steuer.

Warum wollen Sie sich gegen das Europäische Parlament stellen, das nach neuen Wegen der Finanzierung sucht, neuen Wegen für die Staatengemeinschaft in der EU? Auch die Mehrheit der Mitgliedstaaten will diesen Weg gehen.

Das sind im Übrigen Wege – auch das bitte ich zu bedenken –, die sich aus dem Lissabon-Vertrag ergeben. Der Kollege Reuter hat darauf hingewiesen. Der Lissabon-Vertrag will stärkere Verantwortung im Budgetrecht und in Finanzfragen. Was spricht gegen ein verlässliches, demokratisch legitimiertes und transparentes neues Finanzsystem in der EU? Das frage ich Sie, meine Herren von der FDP.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Sie müssen doch zugeben, das derzeitige Geschacher, das immer um das EU-Budget stattfindet, hat nichts mit Demokratie zu tun. Das hat nichts mit Transparenz zu tun. Das hat nur zu tun mit Sitzfleisch, Pokerface und Kungelrunden.

Dreiviertel des EU-Haushaltes, einer so wichtigen Institution wie der Europäischen Union, hängen zusammen mit völlig irrationalen Beweggründen der Vertragspartner. Diesen Zustand sollten wir schnellstmöglich beenden

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und zu üblichen und demokratisch legitimierten Verfahren für den Haushalt der Europäischen Union kommen. Ich finde, das sind wir auch dem Europäischen Parlament schuldig. Das sollten wir da auch einführen.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

– durchaus, die Europaparlamentarier sind sich durchaus einig. – Das Märchen, das sie hier in die Welt zu setzen versuchen, die EU-Steuer würde unweigerlich zu Steuererhöhungen führen und zu Mehrbelastungen für die Bürgerinnen und Bürger, das hilft doch überhaupt nicht weiter. Natürlich sinken die nationalen Beiträge der Mitgliedsstaaten genau in dem Maße wie die eigene EU-Steuer zum tragen kommen soll.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU) – Weitere Zurufe von der CDU)

Das ist doch der Sinn der ganzen Übung, dass man zu transparenten und nachvollziehbaren Einnahmen kommt. Die nächtlichen Sitzungsrunden führen nur dazu, dass die Briten Rabatte bekommen und andere Geschichten ausgehandelt werden, die kein Mensch mehr nachvollziehen kann, das muss endlich der Vergangenheit angehören. Sie sollten auch dazu beitragen, dass wir zu vernünftigen Regelungen kommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Welche Regelungen das sein können, ist eine ganz andere Debatte. Herr Krüger und Herr Reuter haben Teile genannt, die zu eigenen Steueranteilen in der EU führen könnten. Denkbar sind Teile der Mehrwertsteuer, es könnte auch eine Steuer mit ökologischer Lenkungsfunktion sein, wie z.B. die Besteuerung von Kraftstoffen. Uns GRÜNEN wäre es am liebsten, wenn es eine Finanzumsatzsteuer wäre. Diese hätte gleichzeitig den Charme, Spekulationen einzudämmen

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

und würde dazu beitragen, die europäischen Finanzmärkte noch krisenfester zu machen.

Unterm Strich ist Ihr Antrag nicht weiterführend und führt nicht dazu, dass Europa angemessen gestärkt wird und eine solide finanzielle Grundlage erhält. Wir werden ihn daher ablehnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank Frau Kollegin Erfurth.