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02.04.2009

Mürvet Öztürk zum Thema: kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger

Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Reißer lassen mich nicht nur verwundern, sondern auch erschrecken. Was für ein Ton ist das hier? – Ich habe gedacht, das haben wir hinter uns. Das ist hinterwäldlerisch, mittelalterlich und unmöglich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben heute das Thema Kommunales Wahlrecht, das nicht zum ersten Mal debattiert wird. Das haben wir hier alle gemeinsam festgestellt. Dieses Thema ist in der Vergangenheit – auch im Hessischen Landtag – schon mehrmals angesprochen worden. Wir haben alle gemeint, es gebe neuerdings in diesem Land einen Integrationsminister, und es würde sich etwas ändern, aber mit diesem Koalitionspartner vermag ich das zu bezweifeln, und ob Frau Angela Merkel hört, welche Töne Sie von sich geben, auch das wage ich zu bezweifeln, meine Damen und Herren von der CDU.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, heutzutage kann es nicht mehr sein, dass wenn man Integration möchte, diese nur mit Worten oder leeren Hülsen versucht umzusetzen. Hier ist Handeln gefragt, und eine Handlung wäre z. B. die Unterstützung dieses Antrags. Es ist nicht der letzte Schritt, aber es ist einer der tausend Schritte, die gemacht werden müssen. Nur mit der Verweigerungshaltung der Politik der CDU und der FDP hier in Hessen, wie es in der Vergangenheit war, kommen wir nicht mehr weiter. Hier müssen wir unbedingt etwas ändern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Es ist meines Wissens wichtig, dass dieser Antrag auch noch im RIA debattiert wird. Also, dass dieser Antrag im Rechts- und Integrationsausschuss debattiert wird. Dafür plädiere ich, denn diese Themen nur aus der innen- und ausländerrechtspolitischen Perspektive zu diskutieren, ist zu wenig. Wir müssen schauen, dass wir dies im Rechts- und Integrationsausschuss debattieren.

Sie haben eben die LINKEN angesprochen, dass es ein Antrag der LINKEN aus dem Jahr 2005 sei. Wir GRÜNE haben das ebenfalls schon lange gefordert, und wir haben das sogar schon vor 30 Jahren gefordert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da hat man uns noch als verrückte Exoten bezeichnet. Wenn wir uns die Debatte heute anschauen, stellen wir fest: Alle Parteien sind sich einig, dass Integration nicht irgendwo im luftleeren Raum stattfindet, sondern vor Ort in den Kommunen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vor Ort in den Kommunen bedeutet eben, diese Menschen teilhaben zu lassen. Teilhabe bedeutet eben auch das Wahlrecht. Da dies in zahlreichen EU-Ländern schon längst gängige Praxis ist, dann ist es peinlich, dass wir in Deutschland – einem Gründungsland Europas – heute immer noch über diese uralte Forderung streiten und sie nicht umsetzen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Die Praxis sieht beispielsweise so aus, dass heute in Deutschland lebende Franzosen, Polen oder Menschen aus anderen EU-Ländern an den Wahlen in Stadt- und Gemeinderäten teilnehmen dürfen. Wenn man aber einen türkischen, marokkanischen, indischen oder amerikanischen Pass hat, dann darf man nicht darüber entscheiden, wer der Bürgermeister oder Landrat sein soll. Man darf nicht darüber entscheiden, wo ein Kindergarten entstehen soll. Man darf nicht darüber entscheiden, wo ein Fahrradweg oder Freizeitangebote entstehen sollen. Und in die Schwimmbäder, in die sie die ganzen Migrantenfrauen mit muslimischem Hintergrund bringen wollen – egal ob mit deutschem oder türkischem Pass –, gehen auch nicht nur Deutsche, sondern auch Migranten, und daher sollen sie mitentscheiden, wo sie entstehen sollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir müssen mit dieser unsinnigen Einteilung in Ausländer erster und zweiter Klasse Schluss machen. Das ist Quatsch. Das ist mittelalterlich. Wir sollten das Abschaffen. Da wir diese zwei Drittel Mehrheit für die Grundgesetzänderung brauchen, von der fast alle Parteien sprechen, dann dürfte das meiner Meinung nach theoretisch überhaupt kein Problem sein, wenn sich die CDU und die FDP im Bundestag oder Bundesrat nicht immer querstellen würden. Unsere Unterstützung hätten Sie da auf jeden Fall, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP.

Herrn Hahn, unseren Integrationsminister, hätte ich mir heute hier gewünscht. Er ist vor kurzem bei den AGAS in Hessen gewesen und wird dort vor Ort mitbekommen haben, dass es eine Initiative gibt. Wenn man da herumspaziert und den neuen Integrationsmeister gibt, dann muss man aber auch etwas umsetzen, und man muss handeln und nicht nur leere Sprüche klopfen. Unterstützen Sie die Initiative unseres Nachbarn in Rheinland-Pfalz. Nur so kriegen wir die Demokratie gestärkt. Nur durch die Teilhabe können wir die Demokratie langfristig sichern. Das ist mir wichtig. Darauf bin ich stolz. Das, was wir hier zurzeit beim Wahlrecht haben, ist weder demokratie- noch integrationsfördernd. Es ist Murks, und wir sollten das gemeinsam abschaffen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

(…)

Zweite Wortmeldung:

Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Es tut mir leid, ganz so kann ich das jetzt nicht stehen lassen. Ja, alle Gewalt geht vom Volke aus – aber eben nicht vom Volker, sehr verehrter Herr Minister.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Der war gut!)

Wenn es in zahlreichen EU-Staaten genau dieses Recht gibt, sehr verehrter Herr Innenminister Volker Bouffier, dann können Sie sich nicht hierhin stellen und behaupten, dass damit das kommunale Wahlrecht disqualifiziert würde. Denn auf der anderen Seite würden Sie im Umkehrschluss behaupten, dass die Menschen, die seit Jahren und Jahrzehnten hier leben, Bürger zweiter, dritter oder wer weiß wievielter Klasse sind. Das kann wohl auch nicht sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Diese Menschen verantworten auch das, was sie hier machen, denn sie zahlen Steuern. Wenn sie Straftaten begehen würden, würden sie genauso verknackt werden – das ist auch in Ordnung so.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Ja eben, das gilt für alle Bürger. – Diese Menschen sind zwar keine Staatsbürger, sondern eben Mitbürger, und sie tragen diese Verantwortung. Wenn sie auf kommunaler Ebene auch bei Entscheidungen über kleinste Dinge, die die Menschen direkt betreffen, mitgestalten können, dann verstehe ich nicht, warum so getan wird, als ob das eine Wahlrecht damit abgewertet würde. Ganz so neu ist die Fo nicht. Ich kann mich daran erinnern, dass es 1997 bereits einmal eine Vorlage im Bundesrat gab. Wenn da die Legislaturperiode nicht zu Ende gegangen wäre, wäre wahrscheinlich diese Bundesratsinitiative auf eine Mehrheit gestoßen, und wir hätten wahrscheinlich schon längst das kommunale Wahlrecht.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Einen Hinweis möchte ich an den Kollegen von der FDP richten, an Herrn Blechschmidt. Herr Blechschmidt, Sie als Landesregierung haben hier durchaus die Möglichkeit, durch Bundesratsinitiativen an der Gesetzgebung mitzuwirken.

(Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sehr richtig!)

Das können Sie auch nachlesen. Ich denke, dass Sie das auch wissen. Wenn Sie sich bei Ihrem CDU-Partner da aber nicht durchsetzen können, sind wir bereit, Ihnen zu helfen und Sie dabei zu unterstützen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Sie sollten sich aber nicht von diesen Argumenten, von der doch sehr alten Leier – Herr Bouffier, das tut mir leid –, immer wieder abschrecken lassen. Das ist eine Forderung, die mittlerweile von so vielen zivilgesellschaftlichen Gruppierungen und Menschen unterstützt wird, dass man nicht so tun kann, als ob das eine Recht gegenüber dem anderen disqualifiziert würde. Dagegen wehre ich mich. Integration findet nicht im luftleeren Raum statt. Das kostet also auch ein bisschen Engagement und Handlung der Landesregierung. Unterstützen Sie die Bundesratsinitiative von Rheinland-Pfalz. Lassen Sie uns das einmal ausprobieren.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Denn auf der einen Seite wollen wir Nachwuchs bei der Feuerwehr fördern und Nachwuchsförderung in verschiedenen Bereichen durchführen.

(Zuruf des Ministers Volker Bouffier)

Wenn wir aber auf der kommunalen Ebene demokratisch gesinnte Menschen nicht fördern, dann ist das ein Fehler. Wir sollten diese Bundesratsinitiative umsetzen, wir sollten sie unterstützen. Gerne können wir uns bei den anderen europäischen Staaten erkundigen, wie das funktioniert. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)