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22.05.2014

Mürvet Öztürk: Flüchtlinge in Europa und Hessen gerecht behandeln

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen im Hessischen Landtag! Bevor wir in die flüchtlingspolitische Diskussion einsteigen, die auch etwas mit der europäischen Wahl zu tun hat, möchte ich an dieser Stelle noch einmal alle Menschen in Hessen, die am Sonntag zur Wahl gehen, dazu aufrufen, demokratische Parteien zu wählen, damit auch im Europaparlament die Stimme der Vielfalt – die Stimme gegen Rassismus und Ausgrenzung – gestärkt wird und dort keine Parteien Einzug finden, die Europa spalten statt versöhnen wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wenn wir von dieser Stelle aus diesen gemeinsamen Appell nach draußen senden, haben wir, glaube ich, auch unserer Pflicht als Abgeordnete dieses Hauses Genüge getan. Ich glaube, dass das sehr wichtig ist.

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Europa ist für mich und für uns alle immer noch ein Projekt des Friedens, der Versöhnung und der Vereinigung, in dem Menschen- und Minderheitenrechte hochgehalten und geschützt werden sollen. An den Stellen, an denen sie nicht geschützt werden und in Gefahr geraten, sind wir Demokraten als Erste da, mahnen sie an und rufen auch dazu auf, die Dinge zu benennen und – immer wieder – vor allem die Menschenrechte zu schützen; denn das ist keine Selbstverständlichkeit. Das merken wir auch. In manchen europäischen Ländern lässt das zu wünschen übrig. Wir sind selbstbewusst genug, dass wir das hier benennen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Wir halten in diesem Hause die universellen Menschenrechte ebenso wie die Freizügigkeit von Personen, Waren und Dienstleistungen in der Europäischen Union sehr hoch; denn Humanität ist für uns eine Pflicht, der wir auch in Hessen Genüge tun wollen. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag gezielt viele einzelne Punkte genannt, für die wir in Hessen eine Zuständigkeit haben.

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Ich habe keine Zweifel daran, dass wir gemeinsam mit dem Innenminister, dem Sozialminister, dem Wirtschaftsminister und auch dem Bildungsminister unserer Aufgabe gerecht werden, die Menschen aufzunehmen, sie zu versorgen, ihnen Zugang zu Arbeit und Bildung zu verschaffen, ihnen aber auch ein gerechtes Leben in Hessen zu ermöglichen. Daran habe ich keine Zweifel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Es ist uns allen noch sehr bewusst, wie Papst Franziskus und auch unser Bundespräsident Gauck anlässlich der Bootsdramen in Lampedusa gewarnt und gesagt haben: Wir in Europa müssen aufpassen, dass wir uns nicht abschotten; wir müssen in Europa aufpassen, dass wir den Menschen, die schutzbedürftig sind, auch eine Möglichketi geben, zu uns zu kommen; wir in Europa müssen auch darauf achten, dass wir für diese Menschen eine vernünftige Versorgung gewährleisten.

Wenn wir uns umschauen, stellen wir fest, dass – international gesehen – ein Großteil der Flüchtlinge nicht nach Europa gekommen ist. Das stimmt. Die im Antrag der LINKEN erwähnten Zahlen, wonach Länder wie Libanon, Jordanien oder auch die Türkei sehr hohe Lasten tragen, beispielsweise durch die Aufnahme der syrischen Flüchtlinge, nehmen wir zur Kenntnis. Wir möchten uns mit diesen Ländern solidarisieren, und wir möchten auch so gut, wie wir es können, versuchen, sie bei deren Unterbringung oder Versorgung zu unterstützen.

Wir stellen auch fest, dass aufgrund der Dublin-Verordnung innerhalb der Europäischen Union die Mittelmehranrainerstaaten eine große Last tragen. Es ist uns aber auch klar, dass wir in Hessen nicht alle Aufgaben lösen können. Wir wollen uns gern auf das konzentrieren, was wir bei uns verändern können. Dazu gibt es einige Hinweise im Koalitionsvertrag, auf die ich eingehen will.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich finde es wichtig, dass wir es geschafft haben, in den Nachtragshaushalt 60 Millionen € zusätzlich einzustellen, die den Kommunen dabei helfen sollen, mit der Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden klarzukommen. Einen Streit darüber, ob das ausreicht, möchte ich an dieser Stelle nicht führen. Ich glaube, ein Gespräch im Sozialministerium mit den kommunalen Vertretern oder auch den Vertretern der Träger ist der richtige Weg. Da sucht man gemeinsam nach einer Lösung. Ich bin zuversichtlich, dass im Jahr 2015 eine gute Lösung gefunden wird.

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Humanität kostet nämlich durchaus Geld. Das ist auch in Ordnung. Dazu sind wir bereit; denn wir nehmen unsere humanitären Pflichten ernst und wollen hier nicht Menschenschutz gegen Kosten aufrechnen. Wir wollen den Kommunen vor Ort helfen.

Wir wollen aber auch nicht suggerieren, wir könnten alle Probleme allein lösen. Dazu brauchen wir den Bund, den Europäischen Rat und die Europäische Kommission. Mit unseren Aufgaben gehen wir ernsthaft um, und wir werden das auch in der Koalition umsetzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich möchte erwähnen, dass es uns ein besonderes Anliegen ist, die EU-Richtlinie für die Schutzbedürftigen aktiv umzusetzen. Wir haben hineingeschrieben, dass wir, soweit es geht, traumatisierten Menschen, alten Menschen oder kranken Menschen, die nach Hessen kommen, schon in der Erstaufnahme Unterstützung gewähren und Hilfe leisten wollen, was die Versorgung und beispielsweise die medizinischen Bedarfe angeht.

Wir haben auch geschrieben, dass wir im Landesaufnahmegesetz die Evaluierung aufnehmen wollen, denn das sind die konkreten Zuständigkeiten, die wir in Hessen haben. Dabei möchten wir die Kommunen weder alleinlassen, noch möchten wir auf dem Rücken der Menschen eine niedrige Qualität, wie ich es jetzt einmal nenne, umsetzen. Wir wollen uns Mindestbedingungen überlegen, wie wir diese Menschen versorgen können. Das alles soll aber, wie gesagt, nicht bedeuten, dass mehr Geld ausgegeben wird. Das Geld wird ausgegeben; es muss sinnvoll ausgegeben werden, und wir müssen uns vor Ort, in den Kommunen, neue Konzepte überlegen.

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Wir haben die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in unserem Koalitionsvertrag explizit benannt. Das ist eine Gruppe, die auf europäischer Ebene auch eines besonderen Schutzes bedarf. Uns ist wichtig, dass wir diesen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, wenn sie zu uns kommen, die Möglichkeit geben eine Ausbildung zu machen, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden oder eben eine ausreichende Beratung zu bekommen. All diese Punkte sind Dinge, auf die wir in den nächsten Jahren peu à peu hinarbeiten und die wir umsetzen werden. Mir ist es wichtig, dass wir in diesem Punkt nicht den alten Graben zwischen Opposition und Regierung aufmachen, sondern dass wir gemeinsam im Interesse der betroffenen Menschen arbeiten, denn wir haben vieles angekündigt, was wir auch umsetzen wollen. Wenn das in nächster Zeit, in Zukunft nicht mit Streit geschieht, sondern in Kooperation und mit gemeinsamen Konzepten, dann erreichen wir, glaube ich, was die Menschen draußen von uns erwarten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir haben bereits einen Vertrag mit den Landesverbänden der Sinti und Roma geschlossen, weil uns auch bewusst ist, dass wir diesen Gruppen in Hessen dabei helfen wollen, ihre Kultur, ihre Identität und ihre Sprache weiterhin pflegen zu können. Dass wir hierzu schon so früh, in den ersten 100 Tagen, bereits einen Vertrag unterschrieben haben, ist keine Selbstverständlichkeit. In der nächsten Zeit folgt natürlich auch der Wille, sowohl des Parlaments als auch der einzelnen Abgeordneten, diesen Vertrag mit Leben zu erfüllen. Da werden wir, glaube ich, sehr kreativ sein. Der Wille ist da, und ich habe auch keine Bedenken, dass damit keine Erfolge erzielt werden sollten.

Syrische Kriegsflüchtlinge. Wir alle haben in der Vergangenheit Diskussionen geführt und gesagt, dass wir diese Menschen aufnehmen wollen. Wir wollen sie aufnehmen; wir wissen aber auch, dass die Zahlen, die wir uns vorgenommen haben, bei weitem noch nicht erfüllt sind. Wir wissen, dass es in der Praxis die einen oder anderen Probleme gibt. Dafür sind sowohl das Innenministerium als auch das Sozialministerium sensibilisiert. Wir wissen, dass auch die Kommunen vor Ort Hilfe brauchen. Daher ist auch hierzu ein Gespräch begonnen worden, weil wir den Menschen, die Schutz brauchen, eine reelle Chance geben wollen, zu uns nach Hessen zu kommen und versorgt zu sein. Auch daran arbeitet diese Koalition fleißig und versucht, die Situation für diese Menschen zu verbessern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Meine Damen und Herren, in der Vergangenheit ist oft der Eindruck erweckt worden, als ob die Europäische Union – wie soll ich das sagen? – eine Union sein muss, die ihre Grenzen nicht schützen darf. Ich möchte hier festhalten, dass es legitim ist, wenn Europa die Grenzen kontrollieren und schützen möchte. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, dass das menschenrechtskonform geschieht und dass dabei die europäischen Menschenrechte nicht außer Acht gelassen werden können. Von daher ist es schon einmal gut, dass beispielsweise Frontex auf europäischer Ebene weiterentwickelt wurde.

Das ist für viele nicht ausreichend und nicht zufriedenstellend. Ich möchte aber festhalten, dass diese Diskussionen von den jeweiligen Parteien auf europäischer Ebene sehr gut geführt werden. Diese Diskussion würde ich nicht hierher tragen wollen, weil wir die Aufgabe haben, die Flüchtlinge in Hessen unterzubringen und zu versorgen. Auf diese würde ich mich gern – auch gemeinsam mit der Opposition, wenn Sie das will – konzentrieren. In unserem Antrag haben wir viele dieser Punkte benannt. Ich bin froh, dass wir auch im Ausschuss noch einmal darüber diskutieren werden und möchte zum Schluss noch ein paar Einzelfälle nennen.

In Hessen, beispielsweise in Wetzlar, gibt es syrische Flüchtlinge, die wir aufgenommen haben. Diese haben es geschafft, zu uns zu kommen, und jetzt sitzen die syrischen Flüchtlinge dort und wollen ihre Familien hierherholen. Es gibt z. B. eine Nachbarin Layla, die gern ihren Bruder aus Bulgarien hierherholen möchte, einen Nachbar Halit, der gern seine Familie aus dem kurdischen Gebiet Syriens hierher holen möchte, einen Alan, dessen Familie es nicht geschafft hat, über die türkische Grenze zu fliehen, sondern nach Saudi-Arabien geflohen ist, und Mohammed, dessen Familie ebenfalls noch in Syrien, in Homs, feststeckt. Liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren, das sind alles Einzelfälle, um die wir uns ausführlich kümmern müssen, und um diese werden wir uns, glaube ich, ausführlich kümmern. Wenn dazu konstruktive Vorschläge kommen, wird diese Regierung diese konstruktiven Vorschläge niemals abwehren. Im Gegenteil – –

Vizepräsident Wolfgang Greilich:

Frau Kollegin, die Redezeit ist abgelaufen.

Mürvet Öztürk:

Herr Greilich, ich sehe gerade, es ist bei null. – Wir haben bei der CDU als christlicher Partei immer versucht, das C hochzuhalten. Die Menschenrechtsintensität und Humanität, die bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU gemeinsam hochgehalten werden, sind die Ebenen und Werte – –

Vizepräsident Wolfgang Greilich:

Frau Kollegin, dann bitte aufhören.

Mürvet Öztürk:

Deswegen glaube ich, dass wir eine erfolgreiche Arbeit leisten werden. Daran habe ich keinen Zweifel. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Vizepräsident Wolfgang Greilich:

Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk.