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06.09.2012

Monika Lentz: Änderung des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich denke, wir alle kennen die extremen Fälle von Komasaufen unter Jugendlichen. Wir wissen auch alle, dass übermäßiger Alkoholkonsum ein ernst zu nehmendes Problem bei Kindern und bei Erwachsenen ist. Ich denke, es ist auch klar, dass nicht toleriert werden kann, dass in öffentlichen Einrichtungen mutwillig etwas kaputt gemacht wird von Menschen, die unter Alkoholeinfluss stehen oder manchmal auch nicht unter Alkoholeinfluss stehen. Aber Kaputtmachen ist erst einmal ein No go.

Aus dieser Sicht scheint es plausibel, dass ein Alkoholverkaufsverbot die Antwort auf dieses Problem sein könnte. Ich will das an dieser Stelle auch nicht gänzlich in Abrede stellen. Dieses Gesetz kann tatsächlich genau die Antwort auf das Problem sein. Aber das wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Da verstehe ich die SPD tatsächlich nicht. Denn mit Baden-Württemberg hat sich 2010 ein Land auf den Weg gemacht, mit diesem Alkoholverkaufsverbot von 22 bis 5 Uhr diesem Problem entgegenzutreten. Es hat sogar gesagt, dass wir nächstes Jahr eine Evaluation von ihnen vorgelegt bekommen. Aus dieser Perspektive heraus macht es für mich keinen Sinn, an dieser Stelle über diesen Gesetzentwurf zu diskutieren. Denn selbst wenn wir es jetzt beschließen und sagen: „Wir machen in drei Jahren auch eine Evaluation“, dann kommen wir erst 2015 zu Ergebnissen, die wir 2013 bereits haben könnten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen werden wir uns bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf heute enthalten und darauf warten, was die Evaluationsergebnisse sagen. Städte-, Landkreistag, Drogensuchthilfe und Kinderschutzbund: Alle sind sich in der Anhörung einig gewesen, dass dieses Gesetz nur ein Baustein in einem Gesamtkonzept sein kann. Alle sind der Auffassung, dass die Prävention das wichtigste Element ist, wenn es um eine Strategie bei der Problematik von Alkoholsucht, Alkoholkonsum oder Komasaufen geht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt, Prävention ist die Antwort, und alle anderen Maßnahmen müssen ergänzend stattfinden. Prävention muss im Vordergrund einer jeden Strategie stehen und kann nicht hinterher schlussendlich Beiwerk werden, nur weil man sagt: Wir werden jetzt ein Gesetz verabschieden, das alle Probleme löst.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mir ist bei dem Durchlesen der Anhörungsunterlagen aufgefallen, dass keine Jugendlichen befragt wurden. Das finde ich bemerkenswert. Im Grunde ist es nicht nur bemerkenswert, sondern es ist bedauerlich. Denn die Jugendlichen werden bei der Begründung der Gesetzesinitiative als eine Ursache angeführt, warum ein Gesetz notwendig ist. Das heißt, momentan sagt die SPD: „Wir entscheiden, was dazu beitragen könnte, dass Jugendliche weniger Alkohol trinken“, ohne sie zu fragen, was Jugendliche selbst sagen würden, was sie schützen würde, damit sie kein Interesse mehr haben, mehr Alkohol zu saufen.

(Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Das heißt, wir kommen im Grunde nicht darum herum, Jugendliche einzubeziehen, wenn wir ein solches Gesetz verabschieden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu zitiere ich einen Bekannten von mir, der das Phänomen ziemlich gut auf den Punkt bringt und von dem ich weiß, dass er ziemlich viel Alkohol getrunken hat und häufiger über das Limit gegangen ist.

(Zuruf des Ministers Michael Boddenberg)

– Den Namen werde ich jetzt nicht sagen.

(Zuruf der Abg. René Rock (FDP) und Horst Klee (CDU))

Er sagte:

Nee, dieses Verbot würde mich net davon abhalten. In den Staaten und Kanada ist dies längst schon Tagesordnung. Aber es ist eher lästig wie hilfreich. Wir haben immer einen Weg gefunden, um Alkohol zu kriegen und zu trinken.

Dann schrieb er in einer weiteren Mail

(Zuruf des Abg. Minister Michael Boddenberg:)

– ich bekomme selten zwei Mails von ihm –:

Soll es dieses Verbot wirklich geben? Unterhaltet euch lieber mehr über Streetworker, soziale Einrichtungen und z. B. Breakdance, Tanzen oder Schauspiel zu lernen oder bringt soziale Projekte, um den Jugendlichen etwas zu bieten, was eben nicht nur Feiern und Trinken ist. Es muss eben nur etwas Cooles sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg. Peter Seyffardt (CDU))

An dieser Stelle sage ich: Verbote sind dermaßen uncool unter Jugendlichen, dass es wohl nicht überzeugt, wenn man dieses Gesetz auf den Weg bringt. Cooler ist es für Jugendliche vielmehr, Verbote zu brechen. Von daher könnte dieses Gesetz, wenn man Pech hat, die Problematik nur noch verschärfen, statt sie zu lösen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich denke, zudem muss man darauf hinweisen, dass wir im Grunde mit dem Jugendschutz eine Gesetzesregelung haben, die es verbietet, dass Alkohol an unter 18-Jährige vergeben wird. Ich denke, dass man auf härtere Kontrollen setzen sollte, damit über 18-Jährige zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie Alkohol an unter 18-Jährige herausgeben.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das heißt, ohne Kontrollen würde auch dieses Verkaufsverbot überhaupt nichts nutzen. Ich sehe noch nicht, wie diese Verkaufskontrollen in dem Maße durchgeführt werden können, dass sie tatsächlich effektiv wären.

Mir ist ein weiterer Punkt aufgefallen. Dieser Gesetzentwurf hat den ländlichen Raum wenig im Blick. Im ländlichen Raum gibt es ebenfalls Komasaufen, ebenfalls Alkoholprobleme, und es gibt auch Gewaltdelikte – aber mit dem Unterschied: Im ländlichen Raum gibt es weit weniger Tankstellen und noch weniger Läden, die noch dazu nach 22 Uhr offen haben. Das heißt, das Komasaufen, das dort stattfindet, wird völlig unabhängig von jeglichen Ladenöffnungszeiten durchgezogen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daher gehe ich davon aus, dass wir dieses Thema heute nicht abschließend diskutiert haben werden und uns noch häufiger damit auseinandersetzen müssen. Ich hoffe, dass wir bei zukünftigen Diskussionen die Evaluation aus Baden-Württemberg mit im Blick haben, dass wir berücksichtigen, welche besonderen Herausforderungen der ländliche Raum mit sich bringt, dass wir berücksichtigen, was Jugendliche selbst davon überzeugen würde, nicht so viel zu saufen, und dass wir eventuell auch andere Problemgruppen berücksichtigen. Denn in der letzten Ausschusssitzung sagte die SPD: Der Gesetzentwurf richtet sich an alle, oder er ist eine Einschränkung für alle. Aber ich sage: Die anderen Problemgruppen, die nicht Jugendliche sind, sondern die zwischen 50 und 55 Jahren oder zwischen 70 und 75 Jahren, gehören wirklich nicht zu der Kaufgruppe, die morgens um 3 Uhr zu REWE läuft und sich eine Flasche Wodka kauft.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt, wenn man diese Gruppe tatsächlich erreichen möchte, muss man sich sowieso andere Konzepte überlegen. – In diesem Sinne vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich freue mich auf die Diskussionen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)