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22.11.2012
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner: Der „Dritte Weg“ dient zur Lohnabsenkung – gemeinsame tarifliche Standards für den sozialen Bereich

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn wir im Hessischen Landtag über Fragen der Kirchen und über Fragen des Glaubens reden, tun wir alle sehr gut daran, uns zu Beginn einer Debatte bewusst zu machen, dass das ein sehr sensibles Feld ist.
(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))
Wir alle tun gut daran, gleich zu Beginn einer Debatte klarzustellen, worum es geht und worum es nicht geht; denn wenn man sich als Politiker den Fragen von Kirche und Glauben nähert, ist man immer in der Gefahr, Menschen in ihrem Glauben zu verletzen, oder es entsteht der Eindruck, man wolle die Kirche infrage stellen. Um all das geht es in dieser Debatte nicht, und darum darf es auch nicht gehen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Holger Bellino (CDU))
Wenn wir über die Rechte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirchen und der kirchlichen Einrichtungen der Diakonie sprechen, tun wir das mit Respekt vor den Leistungen, die die Kirchen in diesem Land erbringen; mit Respekt vor den Menschen, die gläubig sind; mit Respekt vor dem, was Kirche und Diakonie zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft beitragen, und mit Respekt davor, was für ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Gesellschaft eben dies ist.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Die Kirchen haben in unserem Land eine besondere Stellung, auch was das Verhältnis des kirchlichen Arbeitgebers zu seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angeht. Herr Kollege Schaus hat darauf hingewiesen, dass das in der Verfassung so geregelt ist.
Jetzt könnte man sagen, das geht die Politik gar nichts an. Diese Auffassung teilen wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausdrücklich nicht. Wer in unserer Gesellschaft besondere Rechte hat, dem erwächst aus diesen Rechten nämlich auch eine besondere Verantwortung im Umgang damit.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Ja, die Kirchen haben die Möglichkeit, das Verhältnis zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu regeln. Ich würde sagen, in Bezug auf die innere Kirchenverwaltung ist es durchaus sinnvoll, dass man erklären kann: Wir erwarten von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr und anderes als von normalen Beschäftigten. – Wenn man in einem Betrieb arbeitet, der sich mit Glaubensfragen beschäftigt, ist es nun einmal so, dass von einem verlangt wird, sich mit dem zu identifizieren, wofür diese Glaubensgemeinschaft bzw. diese Kirche steht.
Politik darf dennoch den Dialog mit Kirchen suchen, wie weit diese Vorgaben für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen, und ob man das, was konstitutiv für den Glauben der Kirche ist, tatsächlich auch anwenden muss bis hin zur Sekretärin, zum Sekretär in einem Büro oder bis hin zu einer Haushaltshilfe in einem Pfarrhaus, oder ob irgendwann der Punkt erreicht ist, wo man sagt: Diese Menschen haben nicht unmittelbar etwas mit dem Glauben dieser Kirche zu tun. Also haben diese Menschen auch ein Anrecht darauf, so zu leben, wie sie es wollen, ohne hundertprozentig mit den Vorstellungen der Kirche übereinzustimmen. Diese Debatte gehört auch dazu, Stichwort: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Hier lohnt die Debatte mit den Kirchen, ob das wirklich alles so absolut sein muss, wie das die Kirchen im Moment handhaben.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)
Es lohnt auch, den Dialog mit den Kirchen in Respekt über die Arbeitsbedingungen im sozialen Bereich zu führen. Herr Kollege Schaus, da dürfen wir aber nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Die Arbeitsbedingungen im sozialen Bereich sind teilweise nicht sehr gut. Wir haben einen riesigen Kostendruck in dem sozialen Bereich. Wir haben eine sehr merkwürdige Schieflage in unserer Gesellschaft, dass ausgerechnet die Dienstleistungen und die Tätigkeiten, die unmittelbar mit den Menschen zu tun haben, in dieser Gesellschaft nicht sehr hoch geschätzt und nicht sehr gut bezahlt werden. Aber die Ursache dafür ist nicht das kirchliche Arbeitsrecht,
(Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))
Herr Kollege Schaus, sondern dafür ist die gesellschaftliche Entwicklung ursächlich. Deshalb dürfen wir hier Ursache und Wirkung nicht verwechseln.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gerhard Merz (SPD))
Die Diakonie bewegt sich in diesem Markt, so schwierig dieser Begriff ist, wenn es um die unmittelbare Hilfe für Menschen geht. Die Diakonie ist diesem Marktdruck und diesem Kostendruck ausgesetzt. Meine Damen und Herren, sie sollte sich aber nicht an diesem Kostendruck beteiligen. Deshalb lohnt auch hier das Gespräch mit den Kirchen, ob die Kirchen wirklich alles tun, um auf das gesellschaftliche Problem auch im Sinne der Kirche hinzuweisen. Denn wir wissen das von der Kirche und den Spitzen der Diakonie: Der Sinn ist, Menschen in Notsituationen zu helfen. Der Sinn ist auch, den Menschen, die Hilfe leisten, einen vernünftigen Arbeitsplatz zu bieten. Ich glaube, hier gibt es ein gemeinsames Interesse von Kirche, Politik und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, zu besseren Arbeitsbedingungen im sozialen Bereich zu kommen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Eine Frage, die Politik auch stellen darf und vielleicht auch stellen muss, ist: Wie weit geht das Recht der Kirchen, sich besonders zu organisieren, und welchen Sinn macht ein Recht, sich besonders zu organisieren in Bereichen der Diakonie, die zu 100 % fremdfinanziert sind, also wo die Kirche keine eigenen Mittel verwendet, wo die Kirche quasi ein Anbieter wie andere auch ist? – Diese Debatten lohnen: Warum gelten bei der Diakonie in Bereichen, die ihr Geld zu 100 % von woanders bekommen, andere Bedingungen als bei anderen Arbeitgebern? Ich finde, auch diese Debatte kann man in Respekt mit den Kirchen führen. Man muss es aus meiner Sicht auch tun.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Lothar Quanz (SPD) – Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)
– Bitte? Herr Minister, da gibt es eine ganze Reihe von Beispielen. Wenn Sie mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kirche reden würden, würden Sie diese Beispiele auch kennen.
Vizepräsidentin Ursula Hammann:
Herr Staatsminister, bitte keine Zwischenrufe.
(Zurufe von der FDP – Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))
– Was ist daran arrogant, wenn ich erwähne, dass es diese Beispiele gibt,
(Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))
und dass wir darüber das Gespräch suchen sollten?
(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) – Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP) – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)
– Ich habe wirklich versucht, dem Thema angemessen und ruhig zu reden. Ich hoffe, das wird die letzten zwei Minuten vonseiten CDU und FDP auch noch gelingen.
(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))
– Ich sage die ganze Zeit etwas zu dem Thema. Doch, ich sage etwas zu dem Thema. Ich sage etwas zu dem Kostendruck, den wir im sozialen Bereich haben, dem wir uns gemeinsam stellen sollten. Herr Kollege Rock, dazu habe ich sehr viel gesagt. Ich glaube, es lohnt auch das Gespräch mit den Kirchen beispielsweise über Kindertagesstätten, wo die Kirchen ein wichtiger Träger sind, wo sie einen wesentlichen Teil des Angebots an der Kinderbetreuung leisten. Auch da lohnt das Gespräch, ob es wirklich dauerhaft durchzuhalten sein wird, dass hier teilweise die Arbeitsbedingungen und die Lohnstruktur von Erzieherinnen und Erziehern deutlich von anderen Trägern in diesem Bereich abweichen, und zwar im Interesse der Mitarbeiter wie im Interesse der Kirche. Denn irgendwann wird es die Situation geben, dass man schlicht und ergreifend in diesem Bereich nicht mehr genug Menschen findet.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es lohnt sich also, nachdenklich in diesem Bereich zu sein. Es ist nicht für Klassenkampfrhetorik geeignet.
(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))
– Ich habe noch niemanden angegriffen. – Es gehört zur Wahrheit dazu, dass auch die Gewerkschaft ver.di in diesem Bereich nicht frei von eigenen Interessen agiert. Deshalb sollten wir eine ruhige und angemessene Debatte führen, ein Gespräch mit den Kirchen, und sollten versuchen, gemeinsam mit den Kirchen etwas gegen die wirklich nicht guten und nicht hinnehmbaren Arbeitsbedingungen im sozialen Bereich zu tun. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsidentin Ursula Hammann:
Vielen Dank, Herr Kollege Wagner.

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