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05.03.2009
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet zum Thema Neuorganisation des SGB II umsetzen

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die rätselhaften Blicke meiner Kollegen und Kolleginnen haben minütlich zugenommen. Sie haben sich gefragt, worum es bei diesem Setzpunkt der Sozialdemokraten eigentlich geht. Ich kann das gut verstehen. Wenn wir die Probleme der Großen Koalition in jeder Plenarsitzung behandeln würden, hätten wir nichts anderes mehr zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Es geht um ein Problem, das die Große Koalition in Berlin nicht gelöst bekommt. Da verhalten sich zwei Partner wie zwei Kinder im Sandkasten und schieben sich gegenseitig die Schuld zu, wem nun – –

(Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

– Herr Dr. Spies, ein paar Tage bin ich auch schon da. – Die Große Koalition benimmt sich wie zwei Kinder im Sandkasten, die sich ums Förmchen streiten und nicht zu Lösungen kommen. Das ist bedauerlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Herr Dr. Spies, in so einem Fall – da kennen Sie sich vielleicht ein bisschen besser aus – empfehlen wir GRÜNE eine Paartherapie. Das würde Ihnen wahrscheinlich weiterhelfen.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Norbert Kartmann (CDU))

Es sind auch ein paar Zuschauerinnen und Zuschauer da, die gerne wissen wollen, worum es eigentlich geht. Vielleicht hätte man das noch einmal in Erinnerung rufen sollen. Seit gestern Abend steht fest: Die Große Koalition in Berlin konnte sich in der letzten Nacht nicht auf eine Lösung der Zukunft der Jobcenter einigen. Das ist der Tatbestand. Der CSU-Landesgruppenchef Ramsauer sagte: Das Ende der Koalition wirft seine Schatten voraus.

(Zuruf des  Abg. Norbert Kartmann (CDU); Zuruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn)

Ich gehe noch einen Schritt weiter und sage: Die Große Koalition ist am Ende, sie ist gescheitert, und die dringend notwendige Reform der Arbeitsmarktpolitik wird nicht kommen. Das ist das Bedauerliche.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

– Ich verstehe Sie ganz schlecht. Aber Sie können noch einmal nach vorne kommen.

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Für eine fristgerechte Umsetzung bis Ende 2010 hätte das Gesetzgebungsverfahren aufgrund der Bundestagswahl und des notwendigen Vorlaufs vor Ort vernünftigerweise bis zur Sommerpause abgeschlossen sein müssen. Angesichts der schnell steigenden Arbeitslosenzahlen infolge der Konjunkturkrise wäre eine zügige Lösung dringend notwendig gewesen. Jetzt wird die Lösung auf die lange Bank geschoben. Angesichts der unsicheren Perspektiven werden die bisherigen Mitarbeiter der ARGEn die ARGEn verlassen. Auch das passiert schon jetzt. In vielen Arbeitsgemeinschaften gibt es eine unglaublich hohe Fluktuation. Offene Stellen werden nicht neu besetzt werden können. Ich kann hinzufügen: Viele ARGEn, z. B. im Werra-Meißner-Kreis – darüber haben wir erst gestern gesprochen –, stehen vor dem Problem, dass die Verträge zwischen den Kooperationspartnern auslaufen. Das Ganze schadet der Sache. Die arbeitslosen Menschen, die auf eine Grundsicherung angewiesen sind, werden die Leidtragenden sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Unrechtmäßigkeit der aktuellen Konstruktion der ARGEn haben wir GRÜNE unmissverständlich eine Grundgesetzänderung gefordert, die es ermöglicht, dass auch in Zukunft Hilfen für Langzeitarbeitslose aus einer Hand und unter einem Dach möglich sind. Wir haben erklärt, dass wir auch eine Stärkung der kommunalen Verantwortung wollen, damit ein Zurückdrängen, unter anderem des Einflusses der Bundesagentur aus Nürnberg, und dass wir auch eine stärkere Öffnungsklausel – Achtung, FDP und CDU – für mehr Optierer für richtig halten, wenn die Kommunen vor Ort das wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Der Antrag, den Sie eingebracht haben, ist bei uns zwar noch nicht diskutiert. Aber ich kann Ihnen sagen: Sie stoßen mit Ihren inhaltlichen Forderungen auf große Sympathie.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung lag nun vor. Er lag vor, ausgehandelt von zwei Ministerpräsidenten und dem Bundesarbeitsminister. Man hätte jetzt die Diskussion im Gesetzgebungsverfahren um die besten Lösungsansätze beginnen können, darüber, was die besten Lösungen für Langzeitarbeitslose sind, wie Langzeitarbeitslosen Hilfen aus einer Hand bekommen, wie Hilfen unter einem Dach besser organisiert werden können, wie ihnen unbürokratischer, schneller und effektiv geholfen werden kann. Diese Lösungen werden vor der Bundestagswahl nicht mehr zustande kommen. Das ist für die Sache in hohem Maße schädlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich komme noch einmal auf das Erstgesagte zurück. Darum ging es der hessischen SPD in diesem Fall ja nun auch offensichtlich nicht. Der Antrag der SPD zielt unzweideutig auf die CDU in Berlin, die in letzter Minute den ausgehandelten Kompromiss zwischen Rüttgers, Beck und Scholz hat scheitern lassen. Die SPD will damit in Hessen Wahlkampf machen. Das ist vielleicht nicht illegitim, nach dem Motto: Schaut her, die CDU blockiert etwas. – Aber die gestrige Nacht ist ein Bild des Desasters für Große Koalition. Sie hat 16 Punkte nicht durchbekommen, nicht zu Ende verhandelt und sich nicht einigen können. Wenn wir das jedes Mal hier aufrufen – ich habe das schon zu Beginn gesagt –, dann haben wir nichts anderes mehr zu tun. Ich möchte dringend davon abraten, dass wir uns mit den Problemen der Großen Koalition von CDU und SPD beschäftigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zurufe von der SPD)

Liebe Sozialdemokraten, wenn es Ihnen um die Sache geht, – –

(Zurufe der Abg. Dr. Thomas Spies und Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU) – Unruhe)

Ich habe mir den Spaß gemacht: Was bedeutet eigentlich, dass wir uns um die Langzeitarbeitslosen kümmern?

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Meine Damen und Herren, darf ich Sie ganz kurz darauf hinweisen, dass Herr Kollege Bocklet hier das Wort hat und niemand anderes. Ich möchte Sie bitten, im Saal etwas ruhiger zu sein und nicht so viel dazwischenzurufen. Herzlichen Dank.

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Marcus Bocklet:

Danke. – Die Neuorganisation der Trägerschaft der Jobcenter ist ein Problem. Ein anderes Problem ist – da war ich noch Mitglied dieses Landtages; es war eine meiner ersten Aktivitäten, danach zu fragen –: Wie werden eigentlich die Eingliederungsmittel für die Langzeitarbeitslosen vor Ort ausgegeben? Kommen sie tatsächlich dort an? Eines der wichtigsten Ziele der Hartz-IV-Gesetzgebung waren Hilfen für Langzeitarbeitslose vor Ort.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Weil Sie da so hochgefahren sind, beziehe ich mich auf nur vier SPD-regierte ARGEn, nämlich die Landräte Groß-Gerau, Gießen, Wetterau und Lahn-Dill.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Das sind die aktuellen Zahlen der Landesdirektion, von Herrn Forell. Ich darf Sie Ihnen gerne zitieren. Die ARGE Groß-Gerau hat im Jahr 2008  4 Millionen Euro zurückgegeben, die ARGE Gießen 3,5 Millionen Euro, der Wetteraukreis 3,4 Millionen Euro und der Lahn-Dill-Kreis 3 Millionen Euro. Das waren Ausschöpfungsgrade von knapp über 70 Prozent. 30 Prozent der Mittel für Langzeitarbeitslose wurden nicht ausgeschöpft und wurden zurückgegeben, so Olaf Scholz, der diesen Titel zur Sparbüchse des Bundeshaushaltes macht. Sie sollten lieber vor Ort Ihre Hausaufgaben machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Ich wiederhole: Was wir uns wünschen, ist – –

(Lebhafte Zurufe der Abg. Dr. Thomas Spies, Thorsten Schäfer-Gümbel und Gerhard Merz (SPD))

– Ist die Stimmung gut?

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Meine Damen und Herren, noch einmal: Herr Kollege Bocklet hat das Wort. Ich darf Sie bitten, ihm zuzuhören und sich mit den Zwischenrufen etwas zurückzuhalten. Herr Kollege Merz, ich darf Sie bitten, sich mit den Zwischenrufen etwas zurückzuhalten und Herrn Kollegen Bocklet zuzuhören. Herzlichen Dank.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Marcus Bocklet:

Ich möchte damit nur klarmachen: Wer mit einem Finger nach Berlin zeigt, zeigt mit vier Fingern auf sich selbst. Machen Sie Ihre Hausaufgaben in Berlin. Bringen Sie diesen Gesetzentwurf als Große Koalition zustande und machen Sie vor Ort Ihre Hausaufgaben.

(Zurufe der Abg. Petra Fuhrmann und Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Helfen Sie den Langzeitarbeitslosen, indem Sie diese Mittel sinnvoll zur Wiedereingliederung verwenden. Geben Sie die Gelder nicht zurück zum Sparen in diesem Haushalt. Diese Große Koalition muss enden, und diese Arbeitsmarktpolitik muss beendet werden. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

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