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28.01.2010
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet zu: Sofortiger Stopp des Rechtsbruchs bei Arbeitslosengeld II

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Abstimmung steht der Antrag der LINKEN zum Thema Rechtsbruch beim Arbeitslosengeld II.

Ich werde mich bemühen, zur Sache zu reden.

Dieser Sache besteht aus drei Punkten. Unter Punkt 2 geißeln Sie „die immer noch von einigen hessischen Landkreisen und kreisfreien Städten (…) betriebene rechtswidrige Praxis der Pauschalierung“ für ALG-II-Empfänger.

Wir haben beim Hessischen Landkreistag, beim Hessischen Städtetag und in den vermuteten verdächtigen Kommunen herumtelefoniert. Es gibt die eindeutige Erklärung, dass es beim Wohngeld und bei den Heizkosten keinerlei Pauschalierung im Lande Hessen gibt außer bei der Stadt Kassel.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

– Nein, Herr Willi van Ooyen, komm mal ans Pult und gib es zu Protokoll, dann sehen wir uns wieder. Es gibt keine weitere Kommune und keinen weiteren Landkreis in Hessen – außer Kassel –, die beim Wohngeld und bei den Heizkosten pauschalieren. Punkt, Ende der Durchsage. Das sind offizielle Stellungnahmen, und deswegen glaube ich dem Hessischen Landkreistag mehr als dem Verdacht irgendeines Flurgerüchts.

Wenn man das weiß, dann ist Punkt 2 Ihres Antrags falsch.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Das entspricht unseren Informationen: Pauschalierung in Hessen findet nur in Kassel statt. Willi, deswegen ist Punkt 2 falsch. Es tut mir leid, aber wenn Ihr recherchiert, dann macht das richtig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Zweitens. Frau Schott, der dritte Punkt in Ihrem Antrag sagt, wir sollen doch bitte die Stadt Kassel dazu anhalten, verfassungsmäßigem Recht und Gesetz gerecht zu werden.

Dazu nochmals: Dieser Punkt hat sich erledigt. Denn die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel hat beschlossen: Der Magistrat wird aufgefordert, zu prüfen, ob die derzeitige Praxis der Bewilligung von Unterkunftskosten und Leistungen zum Heizen mit diesem Gerichtsurteil in Einklang steht. Diese Prüfung soll schnellstmöglich erfolgen, sobald die Entscheidungsgründe für dieses Urteil vorliegen. Das war im Dezember 2009, also vor rund fünf Wochen.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Decker (SPD))

Diesem Antrag der Stadtverordnetenversammlung hat die Mehrheit des Stadtparlamentes zugestimmt – und DIE LINKE.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Decker (SPD))

Jetzt kann man fragen: Sie haben doch eine solch zentralistische Organisation – hat sie hier vielleicht nicht so gut funktioniert?

Aber von unten hätte es doch funktionieren können – das hätte Ihnen ja einmal jemand aus Kassel herauffunken können.

(Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Haben Sie jemanden aus Kassel oder aus Nordhessen bei sich in der Fraktion? Dann hätte man Ihnen von der LINKEN KASSEL sagen können, dass es bereits unter Zustimmung der LINKEN KASSEL einen solchen Stadtverordnetenbeschluss gibt.

(Clemens Reif (CDU): Aber die sprechen doch gar nicht mehr miteinander!)

– Herr Reif, was immer sie auch tun: In diesem Punkt 3 hat sich der Antrag der LINKEN erledigt.

Der Magistrat ist aufgefordert – und der Beschluss geht weiter, wenn ich das so sagen darf: Sollte die Prüfung zu dem Ergebnis kommen, dass die Praxis der Stadt Kassel nicht im Einklang steht, soll sie das Anerkannte verändern.

Frau Schott, Herr Fraktionsvorsitzender der LINKEN, jetzt bringen Sie so einen Antrag ein,

(Zuruf von der CDU)

bei dem der zweite Punkt falsch ist und sich der dritte erledigt hat. Was machen wir hier denn eigentlich? So kann man es doch auch nicht machen, sobald das Wort Hartz fällt, sozusagen immer und immer wieder die Hartz-Reflexe zu aktivieren und zu sagen: Wir beißen, wir beißen mal. Mittlerweile muss man ja fürchten, dass Sie bei sich in der Fraktion ein Parteiausschlussverfahren bekommen, wenn Sie einen Harzer Käse kaufen.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Wenn es Ihnen um die Sache geht, dann setzen wir uns auseinander. Willi van Ooyen, du bist schon lange auf der Piste, wenn es um die Frage geht: Wie gehen wir mit der Pauschalierung gerecht um? Wir sind beide schon lange dabei und wissen, wie diese Frage in den sozialpolitischen Kreisen diskutiert wurde. In der alten Sozialhilfegesetzgebung haben wir lange dafür gekämpft, dass dieses entwürdigende Einzelverfahren abgeschafft wird, wo man Wintermäntel, Küchenstühle und alles einzeln beantragen musste. Wir haben dafür gekämpft, dass wir eine Pauschalierung bekommen wie beispielsweise bei den ALG-II-Sätzen. Wir stellen nun fest: Diese sind zu niedrig. Diese muss man anheben, das ist keine Frage.

Wir sind in diesem Zusammenhang natürlich dafür, dass es im Wesentlichen eine Pauschalierung gibt. Bei den Wohngeldkosten, der Unterkunft und der Heizung muss doch klar sein, dass den armen Menschen tatsächlich entstehende Kosten ersetzt werden müssen.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

– Richtig. – Da hat eine Pauschalierung natürlich eine gewisse Ungenauigkeit. Ich gebe Ihnen gerne ein Beispiel: Sie bekommen als Alleinstehender eine Pauschale von 200 Euro für Ihre Wohnung. Wenn Sie aber 220 Euro kostet, dann sind Sie der Gekniffene. Dann müssen Sie die 20 Euro von Ihrem ALG-II-Satz abziehen. Kostet Ihre Wohnung aber nur 180 Euro, dann haben Sie 20 Euro zusätzlich bekommen. Insofern ist eine Pauschalierung ungenau. Die real anfallenden Kosten sind präziser, und dann werden die Kosten auch so erstattet. Sie geben den Bescheid darüber ab, wie viel Ihre Wohnung kostet, wie hoch Ihre Heizkosten sind und bekommen das erstattet. In diese Richtung laufen im Kern auch – dieses Feld ist kompliziert genug – die Bundesurteile der Sozialgerichte. Wir GRÜNE sagen auch: Wir wollen, dass die Hartz-IV-, die ALG-II-Empfänger auch tatsächlich ihre Kosten erstattet bekommen. Sie dürfen nicht darunter leiden. Das ist zweifelsfrei richtig.

Nun zur Pauschalierung und zur Frage, wie es weitergeht. Die Kasseler Stadtverordnetenversammlung hat selbst gesagt: Wenn es so ist und wenn wir keine andere Wahl haben, dann werden wir das ändern. So, jetzt verstehe ich das ganze Gejammer nicht mehr. Wir sagen: Die Pauschalierungsdebatte ist eine sehr komplexe. Sie hat Vor- und Nachteile. Wir sind grundsätzlich der Meinung, dass man mit Pauschalierungen Verwaltungsabläufe vereinfachen kann. Man kann mit Spitz- und Knopfabrechnungen auch andere Ergebnisse erzielen.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Decker (SPD))

In Frankfurt, in Offenbach und in Darmstadt wird auf Spitz und Knopf abgerechnet. Wir können uns gern darüber unterhalten, wie die Zukunft der Pauschalierung aussieht. Das können wir gern fachspezifisch diskutieren. Die Sozialpolitische Offensive Frankfurt diskutiert pro Pauschalierung. Die Liga der Wohlfahrtsverbände will auch eher eine Pauschalierung. Es gibt GRÜNE, die sagen: Wir brauchen es eher genau. Und es gibt GRÜNE, die sagen: Pauschalierung macht Sinn. Selbst Sie fordern z. B. ein Grundeinkommen, egal wie hoch es ist. Das ist am Ende auch eine Pauschalierung.

Deswegen ist dies eine Fachdebatte, die man abkoppeln sollte. Diese sollte man in Ruhe genießen, und man sollte sich auch externen Sachverstand hineinholen. Worin wir uns aber einig sein sollten, ist, dass Kassel erstens ganz offensichtlich seine Praxis überprüfen und ändern will und dass es zweitens in Hessen keine weiteren Kommunen oder Landkreise gibt, die das tun. Deswegen bitten wir Sie: Ziehen Sie Ihren Antrag zurück. Wir jedenfalls werden dagegen stimmen. Wer in wesentlichen Teilen seines Antrags so falsch liegt, dem kann man keine Zustimmung erteilen. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Herr Bocklet.

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