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04.03.2010
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet zu: Hartz IV-Debatte versachlichen - Konzepte für öffentlich geförderte Beschäftigung ernsthaft prüfen

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn DIE LINKE noch nicht gesprochen hat, bin ich doch schon ein bisschen überrascht über den großen parteipolitischen Konsens, der sich in drei Punkten manifestiert. Herr Rock, Sie haben das tatsächlich sehr präzise dargestellt. Wir alle wollen eine Grundgesetzänderung. Wir alle wollen, dass die Arbeitsgemeinschaften und die Optionskommunen gesichert werden. Und drittens wollen wir auch, dass es zukünftig mehr Optionskommunen geben darf. Das ist der Konsens, der hier besteht. – Herzlichen Dank. Jetzt könnte ich mich eigentlich wieder setzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Das ist im Prinzip die Message. Da aber erst 36 Sekunden meiner Redezeit vorbei sind, habe ich mir gedacht: man muss auch einmal über das reden, was ansonsten noch zu diesem Thema zu sagen ist.

(Lachen bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Sie jubeln. Herr Kollege, Sie machen das zum Setzpunkt. So richtig verstanden habe ich das nicht. Denn natürlich müssen wir – und das haben wir GRÜNE in derselben Stunde auch schon getan – der Hessischen Landesregierung dafür dankbar sein, dass sie mit dem Signal, im Bundesrat mit Nein zu stimmen, sozusagen die Grätsche angesetzt hat und Frau von der Leyen kurz vor Schluss noch weggegrätscht hat. Das war richtig. Aber es hat keine Überzeugungsarbeit gegeben. Herr Banzer, das werden Sie nachher wahrscheinlich bestätigen können. Sondern die schlichte Erkenntnis, dass, wenn das Bundesland Hessen mit Nein votiert, dann keine Mehrheit mehr im Bundesrat vorhanden ist, hat wahrscheinlich zu einem unglaublichen Erkenntnissprung geführt, nämlich dass es nur noch über eine Grundgesetzänderung geht. Aber lieber so als gar nicht.

Wir danken noch einmal der Hessischen Landesregierung. Wundern tut mich in Ihrem Antrag nur, den die CDU ja auch mitunterschrieben hat, dass Sie so bejubeln, wie toll das da jetzt ablief. Dabei gerät völlig in Vergessenheit, dass es die CDU-Bundestagsfraktion war, der wir den ganzen Schlamassel eigentlich zu verdanken haben. Seit über einem Jahr warten wir darauf, dass es schon längst zu einer Grundgesetzänderung hätte kommen können.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Merz, ich danke Ihnen, dass Sie das auch noch gemerkt haben. Offensichtlich will das heute keiner mehr hören. Aber wir sollten nicht so viel zurückschauen. Sie haben schon recht. Wir sollten nicht zu viel zurückschauen. Da wurden Fehler auf vielen Seiten gemacht. GRÜNE haben mitgestimmt, die FDP über den Bundesrat, CDU und SPD waren alle damals dabei, als wir Hartz IV ins Leben gerufen haben. Damals wurden Fehler gemacht. Es wurden Fehler dabei gemacht, wie wir Regelsätze berechnen. Es wurden Fehler bei der Organisationsform gemacht. Diese Fehler wurden alle gemacht. Die CDU-Bundestagsfraktion hat das lange blockiert.

Ich glaube, dass es auch ein Baustein war, dass die SPD im Bund lange Zeit nicht der Meinung war, dass man Optionskommunen aufweiten und für mehr Optionskommunen eintreten soll. Da hat die hessische SPD in ihrem Antrag für mich zum ersten Mal schriftlich nachvollziehbar den Willen gezeigt, nicht nur den Bestand zu sichern, sondern auch mehr Optionskommunen zuzulassen. Das finden wir auch richtig.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Applaus und herzlichen Dank an die SPD. Herr Decker hat es angedeutet: Ich glaube, dass zu einer guten Betreuung von Arbeitslosen nicht nur die Trägerschaft von Bedeutung ist. Die Trägerschaft, die bestimmt, wer so ein Jobcenter leitet und organisiert, ist mit Sicherheit sehr wesentlich. Aber zur guten Qualität von Betreuung von Langzeitarbeitslosen gehört eine Menge mehr. Da sage ich den antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP – auch dem Herrn Rock –: Sie müssen sich im selben Moment, in dem Sie über Berlin jubeln, natürlich auch die Frage gefallen lassen, was Sie eigentlich in Ihrem eigenen Bundesland, in dem Sie regieren, machen. Vielleicht sollten wir noch wenige Augenblicke darauf verwenden, wie die hessische Bilanz bei der Frage aussieht, wie gut die Qualität bei der Betreuung von Langzeitarbeitslosen in Hessen ist. Ich habe das schon einmal bei der letzten Debatte angekündigt. Ich finde, wir sollten das auch relativ häufig wiederholen. Die Bilanz der Hessischen Landesregierung ist bei der Qualität der Umsetzung der Jobcenter äußerst mäßig. Ich komme zu den einzelnen Punkten. Schauen wir uns zunächst einmal die Eingliederungs- und Vermittlungsquoten des Bundeslandes an. Die Eingliederungsquote beschreibt diejenigen, die tatsächlich aus dem Bezug herausfallen. Dort liegt das Bundesland immerhin auf Platz 7 oder 8. Das schwankt.

Aber es ist auf jeden Fall nicht das Land Nr. 1. Bei der Aktivierungsquote, also derjenigen, die die Langzeitarbeitslosen in Qualifizierungsmaßnahmen hineinbringt, liegt das Bundesland Hessen sogar nur auf Platz 13. Es ist alles andere als ein Vorzeigebundesland, und es ist alles andere als ein Signal dafür, zu sagen, es laufe alles prima.

(Zuruf von der CDU)

Wenn wir uns weiterhin der Bilanz widmen und fragen, was die Hessische Landesregierung eigentlich als politischer Motor für eine gute Betreuung macht, dann können wir uns auch die Frage nicht ersparen, wie eigentlich die Qualität der Betreuung ist. Bei den Eingliederungsvereinbarungen wissen Sie, dass in den Jobcentern vieles nicht gut läuft. Wir haben eine hohe Fluktuation an Fallmanagern. Wir haben ein großes Problem dabei, sie in gute und sinnvolle arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu vermitteln.

Herr Dr. Bartelt, wenn Sie wissen, dass das Land Hessen 330 Millionen Euro für Eingliederungstitel zur Verfügung hat, also für sinnvolle arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, und wieder nur 270 Millionen Euro ausgeschöpft wurden, dass also über 60 Millionen Euro an den Bund zurückgegangen sind, weil Jobcenter nicht in der Lage waren, gute Betreuung, gute Eingliederung, gute Qualifizierung und gute Fortbildung zu machen, dann sollten Sie aufhören, zu jubeln, und in Hessen Ihre Hausaufgaben machen, meine lieben Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Wenn Herr Koch die Diskussion angeschoben hat, wollen wir ihm einmal unterstellen, dass er in der Sache auch tatsächlich ein Ziel hatte. Die Frage, wie man Langzeitarbeitslose schneller betreut, ist im Kern die, wie man die Mittel, die für diesen Personenkreis eingesetzt werden, auch tatsächlich benutzt. Wenn diese so mangelhaft benutzt werden, dann ist das ein Kritikpunkt. Diesen wiederholen wir seit fünf Jahren. Frau Lautenschläger kann ihn wahrscheinlich auch schon auswendig.

Herr Banzer, jetzt geht es an Ihre Adresse: Sorgen Sie dafür, dass die Mittel, die für die Langzeitarbeitslosen bestimmt sind, tatsächlich auch ausgegeben werden. Wenn Sie sagen, Langzeitarbeitslose wollten eigentlich nicht richtig, und wenn Sie sich auch sagen, dass wir ein Problem mit Alleinerziehenden haben, die auch gar nicht vermittelt werden können, fragen wir Sie: Was tun Sie beim Ausbau der Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen. – Sie haben magere 19 Prozent. Nötig wären 35 Prozent. Auch diese Kritik haben wir schon einmal geäußert. Machen Sie doch bitte Ihre Hausaufgaben. Dann dürfen Sie jubeln.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann kommen wir zum letzten Punkt. Ich bin der Meinung, dass man bei der Qualität der Betreuung auch die Frage von öffentlicher Beschäftigung stellen muss, und der Ministerpräsident hat gesagt, er wolle eine massive Ausweitung öffentlicher Beschäftigung. Daher müssen sich die Kolleginnen und Kollegen, die nicht Mitglieder des Ausschusses für Arbeit, Familie und Gesundheit sind, diese Nummer einmal anhören:

Wir GRÜNE haben einen Antrag gestellt, mit dem wir im Hessischen Landtag eine Anhörung zur hessischen Beschäftigungspolitik durchführen wollen. Herr Koch hat gesagt, wir bräuchten eine massive Ausweitung des öffentlichen Beschäftigungssektors; und wir wollen eine Anhörung, um über die Zukunft öffentlicher Beschäftigung zu diskutieren, mit Wirtschaftsexperten, Wissenschaftlern, mit dem DGB und mit Bürgermeistern. CDU und FDP lehnen diesen Antrag ab. Sie verweigern die Diskussion über die Zukunft öffentlicher Beschäftigung. Was ist eigentlich Ihr Interesse, da Sie nicht über die gute Betreuung von Langzeitarbeitslosen reden wollen? Ich wiederhole: Machen Sie doch Ihre Hausaufgaben. – Danke.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Herr Kollege Bocklet.

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