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15.09.2011
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Entwicklung am Arbeitsmarkt

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen von CDU und FDP, ja, in der Tat geht es der hessischen Wirtschaft nicht schlecht, und es geht uns auch besser als vor zwei Jahren. Ich finde, auch in der Opposition muss man die Größe haben, zu sagen, dass es genau so ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Aber die Frage, die Sie in Ihrem Antrag aufführen – –

(Zuruf von der FDP)

– Doch, genau das ist der Punkt. Wenn ich Ihren Antrag lese und wenn ich Ihr Verhalten hier im Plenum sehe, wie Sie hier in ein völlig unkritisches Bohei übergehen, dann fällt mir immer nur ein afrikanisches Sprichwort ein. Meine Kollegin Frau Schulz-Asche war sehr lange in Afrika. Sie sagt dann immer zu Recht: „Hohle Töpfe klingen laut“. Das fällt mir in diesem Zusammenhang ein.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie machen viel Lärm.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber wenn man das genau betrachten möchte, dann muss man nachsehen, was eigentlich in dem, was Sie so sagen, enthalten ist. Lassen Sie mich meine Redezeit dazu nutzen, Ihnen klarzumachen, dass all das, was da so glänzt, wenig Gold ist, und wie gut oder schlecht wir für die Zukunft aufgestellt sind.

Punkt eins. Wie sieht es denn mit der Arbeitslosenquote aus? – In der Tat war die Zahl von Herrn Schork von 5,8 Prozent richtig. Aber wie sieht denn der Vergleich mit anderen Bundesländern aus? – Das relativiert doch eigentlich Ihre Aussagen. Da sehen Sie, dass alle südlichen Bundesländer besser sind – sogar Rheinland-Pfalz und sogar Baden-Württemberg, wo jetzt GRÜNE aktiv beteiligt sind, die Sie so gern an Bushaltestellen besuchen.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Selbst die sind besser. Deswegen kann man sagen: Die aktuelle Arbeitslosenquote unserer südlichen Bundesländer ist besser.

(Zuruf von der CDU)

Deswegen, Herr Schork, versuchen wir alle einmal, gut durchzuatmen. Wir haben keine herausragende Stellung. Wir laufen im Durchschnitt.

Wie sieht es bei dem Bruttoinlandsprodukt im Vergleich mit anderen Bundesländern aus? – Auch da gestatte ich mir den Vergleich. Hessen liegt bei 3,6. Auch da sind uns unsere südlichen Bundesländer Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern voraus. Auch da relativiert sich diese herausragende und strahlende Stellung Hessens. Wir sagen Ihnen: Liebe Kollegen, wenn man nur im Durchschnitt schwimmt, sollte man doch vielleicht die Backen etwas weniger stark aufblasen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenden wir uns jetzt der Frage zu, was eigentlich dieser Aufschwung mit der hessischen Wirtschaftspolitik zu tun hat. Sie haben es schon gesagt: Dann geht bei uns in der Fraktion immer der sogenannte ABC-Alarm los. In Nordhessen glauben Sie, Sie hätten sich unglaublich damit profiliert. A steht für die Autobahnen A 44 und A 49, B steht für Beberbeck und C steht für Calden.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bei all diesen Projekten geht der ABC-Alarm reflexartig los, für die Sie sich in Nordhessen massiv einsetzen. Lassen Sie mich das noch einmal als Frankfurter Abgeordneter explizit sagen: Ich bin froh darüber – auch als stellvertretendes Mitglied der Kommission für demografischen Wandel –, dass in den Landkreisen Werra-Meißner oder Hersfeld-Rotenburg oder Waldeck-Frankenberg die Wirtschaft so anspringt und dass der Druck auf das Rhein-Main-Gebiet geringer wird. Gott sei Dank ist dem so. Aber was um Himmels willen haben Sie dazu beigetragen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Weder die Autobahn, noch Beberbeck, noch Calden sind fertig. Sie sind aufgegeben. Man kann nur sagen: Gut, dass das noch nicht vollstreckt ist.

(Zuruf von der SPD)

Das unterscheidet uns von der Sozialdemokratie. Aber jeder Tag ist dazu da, ein bisschen schlauer zu werden. Vielleicht gelingt das auch noch bei Kassel-Calden.

Jetzt kommen wir doch eigentlich zu der Kernfrage, die uns bei der Wirtschaftspolitik immer umtreiben muss, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU: Kommt der Aufschwung tatsächlich bei den Beschäftigten in dieser Republik an? Der Löwenanteil der hinzukommenden Beschäftigung der abhängig Beschäftigten macht prekäre Arbeitsverhältnisse aus. Es sind 322 000 Menschen mehr in abhängige Beschäftigung gekommen. Davon sind allein 234 000 in atypischen prekären Arbeitsverhältnissen. Das sind befristete, geringfügige oder Teilzeitjobs unter 20 Stunden oder aber auch Zeitarbeit. Wenn 75 Prozent dieser Zunahme bei prekären Jobs liegt, dann haben wir eine Weiche falsch gestellt. Das heißt, wir müssen als Politik stärker darauf achten, Zeitarbeit einzudämmen.

(Zuruf von der FDP)

Und wir müssen dafür sorgen – der Kollege hat das gesagt –, dass wir einen gesetzlichen Mindestlohn bekommen. Die Beschäftigten müssen endlich auch am Aufschwung teilnehmen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Dann möchte ich noch einmal die Frage ansprechen, ob der Aufschwung tatsächlich so ankommt, wie Sie es behaupten. Das Minus bei den Menschen mit Arbeitslosengeld I betrug minus acht. Bei den ALG-II-Beziehern, also den Langzeitarbeitslosen, war die Abnahme nur halb so stark. Und bei den Menschen über 50 Jahren – Herr Schork, ich weiß nicht, welche Zahlen Sie da hatten – gab es fast keinerlei Veränderungen. Ich weiß überhaupt nicht, warum Sie sagen, da komme der Aufschwung bei den Langzeitarbeitslosen an. Das ist doch ein Handlungsfeld für Politik. Ich möchte Ihnen etwas zum Thema Handlungsfeld und Politik sagen. Wie erreichen wir denn durch eine aktivierende Politik – das wird in Ihrem Antrag angesprochen –, dass mehr Arbeitslose wieder in Beschäftigung kommen?

Ich sage Ihnen: Dafür haben wir einen Eingliederungstitel für Fortbildung, Qualifizierung und Weiterbildung. Ich darf Ihnen das noch einmal vortragen. Bei den vermittlungsunterstützenden Leistungen hat die Bundesregierung 22 Prozent der Mittel eingespart. Bei Qualifizierung und beruflicher Weiterbildung sind es minus 33 Proznt. Bei der Förderung der Berufsausbildung sind es minus 36 Prozent. Dann gibt es 25 Prozent Kürzungen des Eingliederungstitels, und bei den Arbeitsgelegenheiten sind es minus 30 Prozent. Das ist so angesichts der Notwendigkeiten, dass wir die Langzeitarbeitslosen aktivieren müssen, damit Sie dem ersten Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung stehen. Ich kann da keine Erfolgsbilanz erkennen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt wird darüber gesprochen, was eigentlich das größte Problem der wirtschaftlichen Genesung ist. Kollege Decker hat es angesprochen. Auch ich war am zweiten Tag dieser Veranstaltung dort. Als größter Engpass für die zukünftige Entwicklung wird nicht etwa der Mangel an Großprojekten gehalten, sondern das Problem des Fachkräftemangels. Auch da würde ich es der Regierung nicht ganz so einfach machen wollen. Lassen Sie es uns doch einmal genau durchdeklinieren. Da haben wir mehrere Zielgruppen, die es zu aktivieren gilt.

Zum einen haben wir die Jugendlichen. In einer Kleinen Anfrage vom 15. Juli hat Kollegin Gnadl – sie ist gerade nicht im Raum – gefragt, wie viele Jugendliche sich im Übergangssystem befinden. 29 000 Jugendliche befinden sich allein in Hessen im Übergangssystem. Ziehen wir die Berufsfachschulen ab, sind es immer noch 17 000 Jugendliche, die ohne Abschluss in irgendwelchen Übergangssystemen hängen. Dazu kommen noch 3000 Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz haben. Herr Schork, das ist kein Widerspruch zu dem, was Sie sagen. Natürlich haben wir noch offene Stellen im Ausbildungsmarkt. Aber Fakt ist, wir haben einen riesengroßen Berg Jugendlicher ohne Abschluss. Das kann sich unsere Wirtschaft nicht mehr leisten. Diese Landesregierung muss etwas dafür tun, dass sich das ändert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Schork, das Ausbildungsbudget lag bei 17 Millionen Euro, die Landesregierung hat es um 7 Millionen Euro auf 17 Millionen Euro gekürzt.

(Zuruf des Abg. Günter Schork (CDU) – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

– Ja und, ich sage es Ihnen gerne. Vielleicht können Sie eins und eins zusammenaddieren. Wenn Sie auf der einen Seite 17 Millionen Jugendliche haben, die ohne Ausbildung sind und andererseits das Ausbildungsbudget um 7 Millionen Euro kürzen, da muss einem doch einfallen, dass etwas falsch gemacht wird – und zwar extrem falsch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Zweiter Punkt. Es wird dringend angemahnt, dass wir mehr qualifizierte Frauen auf dem Arbeitsmarkt brauchen. Wir waren auf derselben Veranstaltung zum Fachkräftemangel. Da gab es einen Stand des Netzwerks Wiedereingliederung von Frauen. 40 Prozent aller erwerbslosen Frauen – wir reden von einer Größenordnung von 45 000 Frauen – wollen wieder in das Berufsleben eingegliedert werden. Sie schaffen es aber aus unterschiedlichsten Gründen nicht. Ein Teil liegt sicher in der Verantwortung der Arbeitgeber, bessere Teilzeitmöglichkeiten zu schaffen. Aber bei dem anderen Teil liegt es auch daran, für eine Kinderbetreuung zu sorgen, die es diesen Frauen erst möglich macht, wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Wiesmann, da können wir gerne noch einmal über das Erziehungsgeld II schwadronieren, oder wie wir es nennen: die Herdprämie. Fakt ist, diese 2 Millionen Euro für die geplante Herdprämie fehlen an anderer Stelle zum Ausbau der Kinderbetreuung, damit erwerbslose Frauen wieder arbeiten gehen können. Das ist Fakt, und das ist die falsche Entscheidung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ich erwähne es noch einmal und explizit, bis Sie es nicht mehr hören wollen: Für 11 800 alleinerziehende Frauen, die gerne wieder arbeiten gehen möchten, fehlen Kinderbetreuungsmöglichkeiten und damit die Möglichkeit, wieder in das Berufsleben einzusteigen. Wir können das durchdeklinieren, wir haben es von der Bundesagentur für Arbeit gehört, bei den Älteren über 60 Jahren ist nur einer von vieren noch in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis. Wir können uns das nicht mehr leisten. Wenn ich dann sehe, wie diese Landesregierung und diese Bundesregierung die Mittel für Wiedereingliederung kürzen und die Weiterbildungsmittel kürzen, dann merken wir, dass diese Landesregierung nicht gut aufgestellt ist.

Der Titel Ihres Antrags lautet: Hessen ist gut aufgestellt. – Dazu können wir GRÜNE nur sagen: Erstens stehen wir nicht so gut da, dass wir die Backen so dick aufblasen können. Zweitens müssen wir feststellen, dass die Aktivierung der Potenziale, die wir beim Fachkräftemangel haben, längst nicht ausgeschöpft ist. Drittens stellen Sie nicht die Weichen für eine nachhaltig gute Wirtschaftspolitik.

Insofern können wir nicht unterstreichen, was Sie sagen. Sie können nicht sagen, Hessen sei gut aufgestellt. Wir machen uns ernsthaft Sorgen um die Zukunftsfähigkeit der hessischen Wirtschaft, wenn wir mit dem Fachkräftemangel weiter so umgehen. Herr Wirtschaftsminister, Herr Sozialminister, machen Sie Ihre Hausaufgaben. Dann gelingt es uns vielleicht auch eines Tages sagen zu können: Hessen ist gut aufgestellt. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Herr Bocklet.

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