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27.09.2012
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Ausbau der Kinderbetreuung im U-3-Bereich – Ausbaustand, Bedarf und Bedarfsermittlung sowie Gebührenentwicklung

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Vorbemerkung sei mir gestattet. Wir haben jetzt noch elf Monate bis zum Inkrafttreten des Rechtsanspruchs für Kinder unter drei Jahren. Ich machen keinen Hehl daraus, dass meine Fraktion die Situation nicht auf die leichte Schulter nimmt, wie es Herr Mick eben angedeutet hat, sondern ich glaube, dass die die Betreuungssituation für Kinder unter drei Jahren angesichts der realen Zahlen in vielen Gemeinden tatsächlich dramatisch ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will das auch darstellen. Vorab will ich zwei Vorbemerkungen machen.

Wenn man eine Große Anfrage stellt und darin über 25 Fragen formuliert, dann ist es im Interesse aller Fraktionen hier im Hause, dass man auf alle 25 Fragen eine Antwort bekommt. Ich will es einmal so formulieren: Ich finde es einen schlechten Stil, wenn von 25 Fragen zehn nicht beantwortet werden. In dieser Feststellung sollten wir uns – zumindest wir von der Opposition – einig sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Frau Wiesmann, wenn Sie sagen, es sei zuvorderst eine kommunale Aufgabe, dann haben Sie zwar nicht Unrecht, aber Sie haben die Zeichen der politischen Diskussion völlig verkannt. Die Bundesregierung, die Landesregierung und die kommunalen Gebietskörperschaften haben gemeinsam festgestellt, dass die Kinderbetreuung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Dann, wenn es eine Krisensituation gibt, zu sagen, es sei eine kommunale Aufgabe, ist politisch natürlich völlig falsch.

Eine zweite Vorbemerkung. Wenn Sie davon sprechen, es gehe Ihnen um einen Wettstreit der Modelle, welche Betreuungsform die richtige sei, und Sie werfen der jeweils anderen Seite vor, sie habe das falsche Modell, dann muss ich sagen: Nein, darum geht es nicht. Frau Wiesmann und Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, es geht hier nicht um Modelle der besseren Betreuung, sondern um die Umsetzung der Wahlfreiheit für alle Eltern in diesem Land. Davon sind wir meilenweit entfernt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Mir ist völlig egal, welches Modell die Eltern wählen. Sie brauchen aber die Wahlfreiheit zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Jetzt komme ich noch einmal zu den Fakten. Wir haben – Stand Juni 2012 – rund 46.500 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Nachdem mich der Minister im März noch der „geistigen Armut“ bezeichnet hat, weil ich davon sprach, dass wir 58.000 Betreuungsplätze brauchen – Sie können es im Wortprotokoll nachlesen, ich habe es mitgebracht –, sagt er heute, man brauche 58.000 Plätze. Damals hat er gesagt, wir brauchten 52.000 Plätze. Wenn dem so ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, befinden wir uns elf Monate vor Inkrafttreten des Rechtsanspruchs in einem „Loch“ von 11.000 Plätzen. Nehmen Sie die Fakten doch einmal zur Kenntnis. Insoweit müssten wir eigentlich einer Meinung sein. Es fehlen rund 11.000 Plätze, und es sind noch elf Monate. Dann müssen wir doch auch zur Kenntnis nehmen, dass in den letzten Jahren die Steigerungsrate beim Aufwuchs von Betreuungsplätzen zwischen 1,9 und 3,4 Prozent lagen.

Das sind großzügig gerechnet ungefähr 1.000 Plätze. Da Sie es sind, gehen wir einmal von 2.000 Plätzen aus. Aber um auf 11.000 Plätze zu kommen, muss man schon verdammt optimistisch sein. Das Verhandeln dieser Landesregierung gefährdet die Umsetzung dieses Rechtsanspruchs massiv, und wir kritisieren das energisch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will auch sagen, warum sich die Landesregierung nicht eben elegant vom Acker machen kann. Ich habe das schon einmal betont und sage es hier noch einmal: Für eine Kommune, die die Kinderbetreuung umsetzen muss – die Betreuung unter Dreijähriger, die Betreuung Drei- bis Sechsjähriger und sogar die Betreuung in den Horten –, ist es eine existenzielle Frage, ob sie genügend Mittel zur Verfügung hat.

Dann hat man ihr aber 340 Millionen Euro aus dem Kommunalen Finanzausgleich vorenthalten und ihr eine Mindestverordnung im, wie wir jetzt hören, Gegenwert von 180 Millionen Euro aufgedrückt. Dafür hat sich der Herr Landesminister verklagen lassen und eine krachende Niederlage erfahren. Jetzt muss nachverhandelt werden. Den Kommunen sind damit 180 Millionen Euro vorenthalten worden.

Dazukommen fehlende Investitionsmittel im Jahr 2012, worüber wir auch schon einmal gesprochen haben. Sie haben bis zum Jahr 2011 viele Mittel zur Verfügung gestellt; denn das waren Bundesmittel, die Sie freundlicherweise weitergegeben haben. Als es im Jahr 2012 darauf ankam, adäquate Landesmittel zur Verfügung zu stellen, haben Sie die Situation verschlafen, und jetzt schieben zum Jahr 2013 hurtig einen nach. Das ist dringend notwendig. Aber Sie haben bei den Kommunen für ein finanzielles Loch gesorgt, das es ihnen unmöglich macht, die Situation bei der Kinderbetreuung schnell zu verbessern. Das ist der große Fehler. Sie haben die Situation jahrelang verpennt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ich wiederhole: Wir haben einen Krippengipfel gefordert, und wir fordern ihn jetzt erneut, weil wir glauben, dass es für die Kommunen unbedingt notwendig ist, dass man mit ihnen gemeinsam darüber spricht: mit den Vertretern des Städtetags und mit den Vertretern des Landkreistags. Wir müssen uns gemeinsam an einen Tisch setzen und uns überlegen, wie die Situation zu retten ist. Wir wissen auch um den Fachkräftemangel. Noch immer fehlen über 3.000 Erzieherinnen und Erzieher in diesem Land. Sie fehlen den Kommunen, wenn es darum geht, neue Plätze zu schaffen.

Es gibt – wenn ich das so einmal sagen darf – ein weiteres Relikt aus der Zeit der „Schwarzen Romantik“: In Frankfurt wird gerade die Ausstellung „Schwarze Romantik“ eröffnet. Morgen gehe ich einmal hin und schaue mir an, ob der Sozialminister Grüttner dort untergebracht ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist doch romantisch, zu behaupten, dieses Land verausgabe sich förmlich. Das ist doch überhaupt nicht wahr. Die Landesmittel, die Sie zur Verfügung gestellt haben, waren immer weit unterdurchschnittlich. Den Fachkräftemangel – die fehlenden Erzieherinnen und Erzieher – haben Sie nicht angepackt. Wenn Sie weiter so agieren, gefährden Sie den Rechtsanspruch. Das ist eine schlafmützige Politik. Ich wundere mich schon nicht mehr darüber, dass Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bundesländern sagen: Mittlerweile führt ihr eine Schnecke im Staatswappen und nicht mehr den Löwen.

Das ist von dieser CDU/FDP-Landesregierung zu verantworten. Dabei haben wir Ihnen mehrfach prognostiziert, dass Ihnen die Investitionsmittel und das Engagement fehlen, um für mehr Erzieherinnen und Erzieher zu sorgen, und dass Sie die Kommunen bei der Schaffung von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren alleingelassen haben. Genau vor diesem Dilemma stehen wir jetzt. Genau das haben Sie zu verantworten.

Die Antworten auf diese Große Anfrage ergeben in Teilen genau dieses Bild. Dafür, meine sehr verehrten Damen und Herren, tragen Sie die Verantwortung. Wenn Sie keine größere Geschwindigkeit an den Tag legen und hier nur immer wieder Ihre Sonntagsreden halten, werden Sie den Kommunen und damit den Eltern nicht helfen. Das werden die Leidtragenden sein. Sie brauchen heute dringend Betreuungsplätze. Sie sind kein Garant dafür.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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