Inhalt

24.08.2011
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Änderung des Hessischen Kinder- und Jugendhilfegesetzbuches

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Rock, ich weiß nicht, warum Sie sich darüber beklagen, dass sich Herr Merz erlaubt, tatsächlich auch einmal einen Gedanken darüber zu verlieren, was in einem solchen Kinder- und Jugendhilfegesetz stehen könnte. Denn das, was die Landesregierung hier als Gesetzentwurf vorlegt, ist ein Klassiker: Das Problem ist nicht, was in dem Entwurf steht, sondern das Problem ist, was in diesem Gesetzentwurf fehlt – und das ist eine ganze Menge.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Der Gesetzentwurf ist ambitionslos, er ist belanglos, er hat materiell tatsächlich nur einen einzigen Punkt zum Thema, über den sich länger zu reden lohnt. Deshalb kann man sagen: Da hat sich die Landesregierung wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Mutiges Handeln sieht anders aus.

2006 waren wir uns hier im Saal einig, dass wir bei der Frage, ob ein Kind am Wohnort oder am Arbeitsort in den Kindergarten geht, eine Wahlfreiheit einführen wollen. Die Landesregierung hat es über Jahre unterlassen, eine klare rechtliche Regelung zu schaffen. Sie hat sich geradezu unmutig verhalten, indem sie gesagt hat: Wir warten ab, bis jedes einzelne Gerichtsverfahren abgeschlossen ist. – Nachdem es jetzt mehrere Gerichtsurteile gibt, vollzieht man eigentlich das nur nach, was fast schon zur rechtlichen Grundlage geworden ist. Mutig ist auch das nicht. Mittlerweile ist das nämlich durchgefochten. Dass das jetzt in dem Gesetzentwurf steht, dagegen kann niemand etwas haben.

Die Frage ist aber: Was könnte man von einem Kinder- und Jugendhilfegesetzbuch erwarten, das hier neu vorgelegt wird? Wie könnte eine qualitative Weiterentwicklung von Kinder- und Jugendhilfeangeboten in Hessen aussehen? Zu diesen Fragen gibt dieser Gesetzentwurf keine Antworten. Ich glaube, dass die Landesregierung, wenn man nicht die letzten 12 Jahre, sondern die letzten zweieinhalb Jahren betrachtet, an diesem Punkt keine Veränderungen mehr herbeigeführt hat, zumindest keine wesentlichen Veränderungen. Wenn man sich den Entwurf anschaut, wird auch offensichtlich, dass die Landesregierung keine Projekte mehr verfolgt.

Ich erlaube mir – entschuldigen Sie, dass ich das tue –, zu Anfang aus dem Koalitionsvertrag von CDU und FDP zu zitieren. Dort steht – wir befassen uns jetzt nur mit der Kinder- und Jugendhilfe, Herr Rock –:

Die Landesregierung wird alle Maßnahmen und Fördermöglichkeiten für Kinder und Jugendliche in der Tagespflege und in den Kindergärten und Kindertagesstätten zusammenfassen und bündeln.

Auf dieses Gesetz warten wir immer noch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Minister Grüttner hat gesagt, das komme noch, da gebe es einen Entwurf, der in der Schublade liege. Dazu möchte ich nur anmerken: Diese Schublade möchte ich mittlerweile einmal sehen. Dort liegen so viele Entwürfe für alles Mögliche. Es wird Zeit, sie endlich aus den Schubladen herauszuholen. Befassen wir uns in diesem Hause doch wieder einmal mit der Kinder- und Jugendhilfepolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

– Ja, Herr Minister, gemach, gemach. Wir haben Geduld: Es sind nur noch zwei Jahre, bevor wir das Problem vielleicht per Wahl lösen können.

Kommen wir zum nächsten Thema, das Sie großspurig angekündigt haben. Ich hatte die Ehre, im Februar 2010 eine Veranstaltung der FDP zum Thema Schulvorbereitungsjahr zu besuchen. Herr Minister Grüttner hat uns damals gesagt: „Sie werden noch vor der Sommerpause einen Vorschlag zur qualifizierten Schulvorbereitung bekommen.“ Sie sehen auf der linken Seite des Hauses ein staunendes Publikum mit großen Erwartungen. Herr Minister, gemach, gemach; Ihre Ankündigungen hören wir gerne, aber auch in die Schublade würden wir gerne einmal hineinschauen. Was liegt da eigentlich außerdem noch drin? Trauen Sie sich doch, legen Sie die Entwürfe vor.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gemach, gemach: Wir von der Opposition haben manchmal Meinungen, die sich in Nuancen davon unterscheiden. Nehmen wir einmal die Betreuungsgutscheine. Wir haben, als Sie hier die Bilanz vorgetragen haben – bei der Selbstbeweihräucherung von CDU und FDP –, gehört, was für großartige Leuchttürme Sie mit den Betreuungsgutscheinen schaffen wollen.

Gemach, gemach, Herr Minister: Wo sind denn Ihr Musterkreis und Ihre Musterstädte? Wo sind denn die Modellprojekte mitsamt der Evaluierung? Wo schalten Sie denn von Objekt- auf Subjektförderung um? Es will doch keiner etwas mit Ihnen zu tun haben. Sie haben die Vertreter aller Kommunen und Kreise in diesem Land vergrätzt. Wer will mit dieser Landesregierung noch zusammenarbeiten? Ich kann gut verstehen, dass das in der Schublade verschwindet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Holger Bellino)

Auch was das Thema Familienzentren betrifft: gemach, gemach. Sie wollten flächendeckend den Ausbau von Familienzentren forcieren, heißt es im Koalitionsvertrag von CDU und FDP. Herr Minister, Sie können sich sicher sein, wir würden Ihnen gern glauben. Aber haben Sie nicht den Eindruck, dass die Landesregierung die Ausstrahlung eines verschnarchten Vereins hat: ambitionslos, motivationslos, hat nichts erreicht und will auch nichts mehr erreichen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Wiesmann hat versucht, in ihrer Presseerklärung das zu feiern, was Sie bei der Kinderbetreuung hessenweit erreicht haben. Hessen liegt, was die Kinderbetreuung betrifft, bundesweit auf dem neunten Platz. Jeder, der mit Eltern spricht, weiß, dass wir bei der Hortbetreuung eine dramatische Situation haben.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Herr Kollege Bellino, viele Mütter haben mir geschrieben, dass sie ihren Arbeitsplatz kündigen mussten, weil ihre Kinder in der Grundschule keine Betreuungsplätze mehr hätten. Wenn man das weiß und sich darüber im Klaren ist, dass zwar nur 10 % der Grundschulen Ganztagsschulen sind, eine Ganztagsgrundschule aber ein großer Fortschritt wäre, was die Lösung der Hortproblematik betrifft, und im Kinder- und Jugendhilfegesetzbuch trotzdem nichts regelt, darf man sich nicht wundern, dass man über diese Landesregierung eigentlich nur entsetzt sein kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Redezeit ist begrenzt. Es hat mir richtig Spaß gemacht, Ihre Koalitionsvereinbarung zu lesen. „Versprochen – gebrochen“, „Versprochen – verschnarcht“ oder „Versprochen – wir haben keine Lust mehr“ – diese Aufzählung könnte man beliebig lange fortsetzen. Entscheidend ist, dass Sie den Entwurf für ein Kinder- und Jugendhilfegesetz vorlegen, in dem sich all diese Themen nicht wiederfinden. Die Geltungsdauer des Gesetzes wird verlängert; aber ansonsten regeln Sie nichts.

Ihre Kritik an SPD und/oder GRÜNEN konzentriert sich auf die Frage: Worüber regen Sie sich eigentlich auf? Ich habe versucht, es Ihnen darzulegen: Sie wollen nicht mehr. Ob Sie es noch können, weiß ich nicht. Wir warten sehr gespannt darauf und freuen uns über jede weitere Ankündigung. Vielleicht setzen Sie wieder einmal etwas um von dem, was Sie ankündigen. Vielleicht kommen Sie im Interesse des Kindeswohls wieder dazu, in diesem Land eine Kinder- und Jugendhilfepolitik zu machen, die diesen Namen auch verdient. Wir waren gespannt darauf. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet.

Kontakt