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09.05.2012

Kai Klose: Mindestlohngesetz

Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! DIE LINKE hat dem Landtag ein Landesmindestlohngesetz vorgelegt, das – Frau Wissler, Sie wissen es selbst, Sie haben es in Ihrer Presseerklärung gesagt – in der Tat nur sehr begrenzt wirksam sein kann, weil wir in diesem Land endlich einen echten, allgemein verbindlichen und bundesweiten Mindestlohn brauchen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Deshalb ist dieser Gesetzentwurf vor allem Anlass, wieder über die ausbleibende Bundesregelung zu sprechen.

Herr Schork, Sie haben kritisiert, dass DIE LINKE diesen Weg gegangen ist, hier ein Landesmindestlohngesetz vorzubringen. Ich will Ihnen sagen: Solange Sie in Ihrer etwas auf den Hund gekommenen Bundesregierung überhaupt nichts in dieser Richtung hinbringen, ist es grundsätzlich legitim, das für unser Bundesland regeln zu wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Dass in Deutschland über eine Millionen Menschen für weniger als 5 € Stundenlohn arbeiten, muss ein Ende haben. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Dieses Zitat stammt von Hermann Gröhe, dem CDU-Generalsekretär. Er hat es vor einer Woche gesagt. Er hat recht, aber er zieht nicht die richtigen Konsequenzen. Herr Schork, was die Union tut, ist leider nur eine Scheinbewegung.

Es mag ja sein, dass das, was Sie Ende April als Mindestlohnmodell vorgelegt haben, als großer Schritt erscheint. Für die Beschäftigten ist er allerdings zu klein. Ihr windelweicher Kompromiss lässt Millionen Niedriglohnbeschäftigte im Regen stehen. Ihr Mindestlohn light ist nämlich keine wirksame Lohnuntergrenze.

Er soll nämlich nur in Branchen ohne Tarifvertrag gelten. Da können wir wieder über die bereits viel zitierte sächsische Friseurin reden, die zum tarifvertraglich vereinbarten Stundenlohn von 3,06 Euro schuften muss. Wir können uns genauso gut den vielen Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengewerbe, im Gartenbau und in der Landwirtschaft widmen.

Im Gegenteil: Sobald es einen Tarifvertrag gibt, wollen Sie in Ihrer Regelung die Betriebe von der allgemeinen Lohnuntergrenze ausnehmen. Damit öffnen Sie Tür und Tor – das wissen Sie – für Dumpingtarifverträge mit Scheingewerkschaften. Meine Damen und Herren, das hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Herr Schork, die eine Bemerkung muss ich jetzt schon noch machen: Sie haben gesagt, dass diejenigen, die in Teilzeit oder in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen sind, es so wollen.

Ich weiß nicht, ob Ihnen klar ist, dass diese Menschen häufig gar nicht anders handeln können, z. B. weil sie die Kinderbetreuung mit einer Arbeitstätigkeit zusammenbringen müssen und weil es an Kinderbetreuungsplätzen fehlt. Es sind meist die Frauen, die das trifft. Auch dafür tragen Sie die Verantwortung. Da kann von „wollen“ überhaupt keine Rede sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wenn Sie in Ihrem Vorschlag vorsehen, dass in dieser Lohnuntergrenzenkommission der Tarifpartner im Streitfall per Losverfahren ein Schlichter eingesetzt werden soll, dann überlassen Sie die Frage fairer Löhne dem Zufallsprinzip. Die Niedriglöhner brauchen aber keine Mindestlohnlotterie, sondern sie brauchen endlich einen flächendeckenden Schutz vor Lohndumping.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

1,3 Millionen Menschen in unserem Land sind trotz Erwerbslosigkeit auf ALG II angewiesen. Ein Viertel von ihnen arbeitet sogar in Vollzeit und braucht diese Aufstockung trotzdem. Armut trotz Arbeit – in einem der reichsten Länder der Welt. Das ist schlicht und einfach beschämend. Dennoch tun CDU und FDP in Berlin nichts dagegen.

Meine Damen und Herren, ein allgemeiner Mindestlohn ist eine elementare Grundlage sozialer Gerechtigkeit. Schwarz-Gelb ist dazu nicht in der Lage. Ihr jahrelang vorgetragenes Mantra, Leistung müsse sich wieder lohnen, galt offensichtlich ohnehin immer nur für Spitzenverdiener. Der kleine Mann hat Sie da nie interessiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Gleichzeitig ist der Niederiglohnsektor in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren so dramatisch angewachsen, dass wir in Europa unrühmlich an der Spitze stehen. Schauen Sie sich einfach einmal an, wie das in Europa aussieht. Das ist an einem Bild häufig leichter klarzumachen.

(Der Redner hält ein Schaubild in die Höhe.)

In allen hier grün eingefärbten Staaten gibt es gesetzlich festgeschriebene Mindestlöhne oder wenigstens vergleichbare Regelungen, die die Beschäftigten vor Lohndumping schützen und für fairen Wettbewerb sorgen.

(Zurufe von der CDU)

Sonst sind Sie immer ganz schwer dafür, in Europa zu harmonisieren und gemeinsam zu handeln. Hier könnten Sie das in der Praxis beweisen. Aber auch das passt Ihnen wieder nicht in den Kram.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Auch für die Wirtschaft ist diese Situation ein Problem. Immer mehr Unternehmen beklagen unlautere Wettbewerbsbedingungen durch Dumpinglöhne. Darauf kann man nicht bloß mit einem Schulterzucken reagieren. Das dürfen wir alle nicht hinnehmen. Sie wissen, wir GRÜNEN wollen einen generellen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro pro Stunde. Wir wollen einen Mindestlohn, der jährlich angepasst wird, und zwar – wie in Großbritannien – von einer Kommission von Vertreterinnen und Vertretern der Sozialpartner und der Wissenschaft. Wer es mit der sozialen Marktwirtschaft ernst meint, der sagt Ja zu einem Ordnungsrahmen, der eben auch für faire Arbeitsbedingungen sorgt und der sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze erhält, und der sagt dann eben auch Ja zu einem echten Mindestlohn und nimmt endlich den Bleifuß von der Gerechtigkeitsbremse.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zurufe von der CDU)

Frau Lannert, solange Sie aber auf der Bremse stehen und die FDP zusätzlich noch die Handbremse fest umklammert hat,

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

bewegt sich im Bund nichts. Das haben die Debatten in den letzten Wochen im Bundestag leider wieder bewiesen. Deshalb hat sich die Freie Hansestadt Bremen als Erste auf den Weg begeben, einen Mindestbruttolohn von 8,50 € für alle Bereiche festzulegen, auf die die dortige öffentliche Hand Einfluss hat. Sie haben es bereit gesagt, Herr Kollege Decker: Die hessische LINKE hat diesen Gesetzentwurf im Wesentlichen in Bremen abgeschrieben.

Ein Landes-Mindestlohngesetz – ich sage es eingangs bereits – kann nur eine begrenzt wirksame Krücke sein. Wir werden den Gesetzentwurf dennoch konstruktiv begleiten und sind gespannt, wie ernst es insbesondere die hessische Union tatsächlich meint. Stehen Sie an der Seite Ihres nordrhein-westfälischen Kollegen Karl-Josef Laumann, der sagt, wer arbeite, müsse auch auf einen grünen Zweig kommen, oder sortieren sich an der Seite Ihres designierten Wirtschaftsministers ein, der den Mindestlohn in der „HNA“ vor wenigen Monaten als „Schwachsinn“ tituliert hat?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Vielen Dank, Herr Kollege Klose.