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05.02.2015

Kai Klose: Freiheitsrechte verteidigen, Ängsten begegnen, Verantwortung wahrnehmen

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich gleich eingangs begründen, warum wir als Koalitionsfraktionen zwei andere Anträge eingebracht haben und Ihren Antrag ablehnen werden, Herr Greilich. Aus unserer Sicht ist die Vermischung der Themen von PEGIDA über Islamismus bis Links- und Rechtsextremismus in Ihrem Antrag falsch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Deswegen haben wir jeweils einen Antrag zu den Anschlägen in Paris und zu PEGIDA vorgelegt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, am vergangen Dienstag haben wir in einer sehr würdevollen Gedenkstunde an die Opfer der Attentate von Paris und Montrouge erinnert. Herr Prof. Agai hat von diesem Pult aus viele sehr bemerkenswerte Sätze ausgesprochen, denen wir gemeinsam applaudieren konnten.

Ich möchte zwei dieser Sätze heute besonders hervorheben, weil ich finde, dass sie sich sehr gut eignen, um auch in diese Debatte hineinzuwirken. Diese Sätze sind zum einen: „Pluralität dient dem Wohle der ganzen Gesellschaft“ und zum anderen: „Die freie Gesellschaft lebt, solange wir sie mit Leben füllen“.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Beide Sätze sind wahrhaftig. Beide Sätze sind mit Blick auf die Auseinandersetzung mit religiösen Extremisten richtig. Beide Sätze sind aber auch bestens geeignet, um sich differenziert mit dem Phänomen auseinanderzusetzen, dem wir seit einigen Wochen in Dresden und anderen Städten als PEGIDA begegnen. Das „GIDA“ haben alle diese Bewegungen von sehr unterschiedlicher Zahl gemeinsam. „GIDA“ steht überall für „gegen die Islamisierung des Abendlandes“.

Wir wissen alle, dass diese Befürchtung angesichts statistischer Zahlen objektiv völlig unbegründet ist. Dennoch gibt es unter den Teilnehmern dieser Demonstrationen Menschen, die diese Angst umtreibt. So falsch und unbegründet ich sie auch finden mag, als politischer Verantwortungsträger muss ich mich damit auseinandersetzen. Sie schlicht zu negieren wäre verantwortungslos.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Genauso verantwortlich setze ich mich mit der Angst auseinander, die manche Äußerung während dieser Demonstrationen bei anderen Menschen auslöst, bei denen, die als Flüchtlinge in unserem Land Schutz vor Krieg, Verfolgung und brutalen Menschenrechtsverletzungen suchen und denen signalisiert wird: Ihr seid hier unerwünscht. – Wer Verständnis für seine Angst einfordert, von dem müssen wir erwarten können, dass er auch die Ängste anderer wahrnimmt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Herr Prof. Agai hat uns am Dienstag sehr eindrücklich vor Augen geführt, dass die Unterscheidung zwischen „wir“ und „ihr“ stets nur die Spaltung der Gesellschaft zum Ziel hat, nie ihr Zusammenführen. Als die Bürgerinnen und Bürger der damaligen DDR 1989 „Wir sind das Volk“ skandiert haben, war das ein Ausdruck der Gemeinschaft, die sich gegen ihre Diktatoren gewehrt hat. Wenn jetzt aber mancherorts „Wir sind das Volk“ gerufen wird, dann heißt das leider allzu oft: Wir sind das Volk und nicht ihr.

Viele, die vor 25 Jahren auf die Straße gingen, empfinden das als Missbrauch und Verhöhnung ihrer damaligen friedlichen Revolution. Mir geht es auch so.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Damit kein Missverständnis aufkommt: Ja, es wäre falsch, alle, die in Dresden und anderswo demonstrieren, als islamfeindlich oder rechtsextrem zu brandmarken. Genauso falsch wäre es aber, über islamfeindliche oder rechtsextremistische Äußerungen aus deren Reihen hinwegzusehen. Nach wochenlanger Berichterstattung über diejenigen, die diese Kundgebungen anführen, muss jedem klar sein, wem er da folgt. Das gilt für Lutz Bachmann in Dresden, für den Flüchtlinge „Viehzeug“ und „Dreckspack“ waren. Das gilt aber auch für Frau Mund in Frankfurt, die von der „links versifften Presse und den links versifften Politikern, die alle zusammenstehen, um uns kaputt zu machen“ vom Leder zieht.

Wer so spricht, der will eben nicht nur Befürchtungen und Ängste ausdrücken. Wer so spricht, der will Hass in die offene und freiheitliche Gesellschaft tragen. Der hat kein Verständnis verdient, von welcher Seite auch immer, sondern dem stellen wir uns entschieden entgegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Dennoch gilt natürlich: Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit sind unveräußerliche Grundrechte. Eine friedliche Versammlung wird staatlich geschützt, auch wenn die Inhalte, die dort propagiert werden, sich geradezu nach Widerspruch sehnen. Auch das ist Teil der Pluralität, die dem Wohle der Gesellschaft dient, wie es am Dienstag angesprochen wurde, so schwer es gelegentlich fallen kann, das auszuhalten.

Ja, wir stellen uns auch unserer Verantwortung als politisch Handelnde. Als der am Samstag verstorbene Richard von Weizsäcker 1992 seine Kritik an der Rolle der Parteien in Deutschland formulierte, haben sich viele politische Akteure dagegen verwahrt, weil sie sich persönlich angegriffen gefühlt haben. Dennoch enthielt seine Kritik einen wahren Kern. Es ist unser Auftrag als Parteien – wir alle sind hier auch Parteipolitikerinnen und Parteipolitiker –, an der Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Das heißt auch, stets die eigene Position zu hinterfragen, in der jetzigen Situation z. B. darüber nachzudenken, was wir durch unser politisches Handeln dazu beitragen können, dass sich Bürgerinnen und Bürger aktiv an unserer Demokratie beteiligen.

Das heißt aber nicht, teilen zu müssen, was 80 Demonstrierende vor der Frankfurter Katharinenkirche von sich geben, so wenig wie wir teilen, was ein Dutzend missionierender Koranverteiler auf der Zeil verbreitet.

Die Frage, die sich uns aufgrund beider Phänomene aber stellen muss, ist eine tiefer gehende. Woher eigentlich kommt in einer Zeit des ständigen Zugriffs auf unendlich viel Information diese Sehnsucht nach einfachen Antworten auf komplexe Fragen? Wie begegnen wir ihr, damit Menschenfänger mit ihrer einfachen Antworten keine Chancen haben?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vermutlich ist es deshalb auch richtig, dass die Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen Gesprächsangebote für diejenigen eröffnet, die damit erreichbar sind. Aber es gibt in einer Demokratie eben nicht die da oben, die mit der Holschuld, und die da unten, denen keiner zuhört.

Es ist im demokratischen Staat auch Bürgerpflicht, sich einen Willen zu bilden und nicht nur seinen Unwillen auszudrücken, eben nicht nur auf die da oben zu zeigen, sondern sich an der Gestaltung der Gesellschaft zu beteiligen. Noch nie gab es dafür so viele Möglichkeiten wie gegenwärtig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh und glücklich, dass in den zurückliegenden Wochen in vielen deutschen, auch in zahlreichen hessischen Städten, Kundgebungen für Toleranz, Vielfalt und Offenheit stattgefunden haben. Viele tausend Menschen haben friedlich für Freiheit, für Vielfalt, für Internationalität, für Respekt vor unserer Unterschiedlichkeit und gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit demonstriert. Allen, die sich daran friedlich beteiligt haben, gilt mein ausdrücklicher Dank.

Gleichzeitig kann es aber an einem keinen Zweifel geben: Das Gewaltmonopol in unserer Demokratie haben wir den staatlichen Organen übertragen. Sie, und ausschließlich sie, üben es auf der Grundlage von Recht und Gesetz aus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Wer seinem Protest durch die Anwendung von Gewalt Ausdruck verleihen will, wer Teilnehmer oder journalistische Beobachter einer friedlichen Versammlung bedroht oder körperlich attackiert, wer Polizisten, die eine solche friedliche Versammlung schützen, angreift, der handelt gegen unsere demokratische Werteordnung. Der missbraucht das hohe Gut des grundgesetzlich garantierten Demonstrationsrechts, und er hat entsprechende Konsequenzen zu tragen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Meine Damen und Herren, wir stehen für eine Gesellschaft, die sich durch Respekt vor und Wertschätzung der Unterschiedlichkeit auszeichnet und in der Rassismus und Menschenfeindlichkeit so wenig wie religiösen Fanatismus und Diskriminierung Platz haben. Wir garantieren in der deutschen, aber auch in der hessischen Verfassung die Sicherheit aller Bürgerinnen und Bürger, wie wir auch die Ausübung aller Freiheitsrechte garantieren. Damit ist immer und untrennbar die Verantwortung für das verknüpft, was in Ausübung dieser Freiheitsrechte kundgetan wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Herr Klose, kommen Sie bitte zum Schluss.

Kai Klose:

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – „Die freie Gesellschaft lebt, solange wir sie mit Leben füllen“, hat Prof. Agai am Dienstag gesagt. Lassen Sie uns das Mahnung und Auftrag sein, als demokratische Bürgerinnen und Bürger stets dafür zu streiten, dass die Lust an der Freiheit stets die Oberhand über die Furcht behält und dass die Mutmacher lauter als die Angstmacher sind. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Danke, Herr Klose.