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17.09.2010
Portraitfoto von Jürgen Frömmrich vor grauem Hintergrund.

Jürgen Frömmrich: Vergabe der öffentlichen Aufträge

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, der uns hier von der Fraktion DIE LINKE vorgelegt wird, ist meiner Meinung nach gut gemeint. Aber gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wie sieht die aktuelle Rechtlage aus? Frau Kollegin Wissler, da muss man in der Tat den Blick auch auf die Landesregierung werfen, da Gesetze nicht umgesetzt werden, obwohl sie vom Hessischen Landtag beschlossen worden sind. Das gegenwärtig geltende Vergabegesetz geht auf einen Entwurf der CDU-Fraktion zurück und ist seit dem 1. Januar 2008 in Kraft. Die Landesregierung hat es bis heute unterlassen, die anzuwendenden Tarifentgelte im Staatsanzeiger für das Land Hessen bekannt zu geben, obwohl dies in § 2 Abs. 2 des Gesetzes vorgesehen ist. Deshalb kann dieses Gesetz nicht angewendet werden.

Die Landesregierung zieht sich auf die Argumentation zurück, dass das Rüffert-Urteil des EuGH im April 2008 ergangen ist. Das bezieht sich aber auf das niedersächsische Vergaberecht. Nach diesem Urteil dürfen Unternehmer nur zur Zahlung eines national festgelegten Mindestlohns und eines für allgemein verbindlich erklärten Tariflohns verpflichtet werden. Wir sehen die Landesregierung aber nach wie vor in der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass das bereits jetzt geltende hessische Vergabegesetz nicht nur auf dem Papier besteht, sondern endlich europafest umgesetzt werden kann. Das ist eine Forderung, die wir an die Landesregierung stellen. Dann wären wir einen Schritt weiter. Da ist die Landesregierung am Zug.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Kollegin Wissler hat auf das Urteil des EuGH verwiesen und in diesem Zusammenhang davon gesprochen, dass das Urteil „skandalös“ sei. Frau Kollegin Wissler, diesen Ausdrucks halte ich für nicht angemessen. Man kann Urteile von Gerichten nicht gut finden, man kann sagen, man hätte es gerne anders gehabt, aber es gehört zum Rechtsstaat, dass man akzeptiert, dass oberste Gerichte, wie das EuGH, Urteile fällen. Ich denke aber, dass dieses Urteil für die Exekutive Anlass sein müsste, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der dem Urteil des EuGH Rechnung trägt.

Jetzt zum Gesetzentwurf der Kolleginnen und Kollegen der LINKEN. Der Entwurf ist sicherlich gut gemeint. Das sage ich ausdrücklich, und ich habe für viele Ihrer Vorschläge Sympathie. Wer sollte denn keine Sympathie dafür haben, dass man darauf achtet, dass die Betriebe, die von einer Vergabe letztendlich profitieren, ausbilden – und zwar in die Zukunft des eigenen Handwerks, ihrer eigenen Profession? Wer könnte dagegen sein, dass man eine umweltverträgliche Beschaffung im Gesetz festschreibt? Wer könnte nicht dafür sein, bei der Vergabe darauf zu achten, dass eine Mittelstandsförderung stattfindet? Wer könnte dagegen sein, zu verlangen, dass die ILO-Kernarbeitsnormen erfüllt werden: Beseitigung der Zwangsarbeit, gleiche Entgelte für Männer und Frauen, Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, Einhaltung eines Mindestalters, Abschaffung von Kinderarbeit. Die Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen wird im Gesetzentwurf der LINKEN gefordert. Das ist alles gut gemeint, aber es ist schlecht gemacht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der LINKEN)

Natürlich sind auch wir als Fraktion gegen Kinderarbeit. Natürlich sind wahrscheinlich alle in diesem Haus gegen Diskriminierung. Wir sind natürlich für eine umweltfreundliche Beschaffung in den kommunalen Betrieben oder auch beim Land. Wir sind natürlich auch dafür, dass wir den Mittelstand fördern. Aber glauben Sie wirklich, Frau Kollegin Wissler, dass alle diese Maßnahmen in ein Vergabegesetz gehören? Ich glaube das nicht.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Ich will Ihren Blick auch einmal auf die Leute lenken, die im Bereich der Vergabe tätig sind. Ich weiß nicht, ob Sie es machen – wir machen es oft –: Sprechen Sie einmal mit einem Handwerksmeister oder mit dem Inhaber eines kleinen Betriebes. Fragen Sie die, wie aufwendig bereits heute die Ausschreibungsverfahren sind, gerade für kleine und mittelständische Unternehmen. Der Handwerksmeister sitzt am Wochenende da und macht Angebote im Rahmen von Ausschreibungen. Bei vielen Angeboten, die er einreicht, kommt er nicht zum Zug. Jetzt verlangen Sie zusätzliche Standards im Vergaberecht. Ich meine, der Handwerksmeister wäre vollkommen überfordert, die Vorgaben zu erfüllen, die Sie da hineinschreiben wollen. Das würde dazu führen, dass sich kleine Betriebe nicht mehr an Vergabeverfahren der öffentlichen Hand beteiligen. Das wollen wir nicht, Frau Kollegin Wissler.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, mit dem, was Sie hier machen wollen, würden Sie das Vergaberecht überfrachten, und Sie würden den kleinen und mittelständischen Unternehmen und insbesondere den kleinen Handwerksmeistern die Teilnahme am Wettbewerb unmöglich machen.

Ich will das Problem auch von einer anderen Seite her beleuchten, und zwar vonseiten derer, die als Vergabestelle dafür zuständig sind, die eingereichten Angebote zu werten. Das ist für eine Stadt wie Frankfurt kein Problem. Frankfurt hat eine Vergabestelle. Das ist auch für Darmstadt, Wiesbaden und Offenbach kein Problem. Diese Städte haben in der Regel Verwaltungen, die das leisten können. Bei den Standards, die Sie hier festschreiben wollen, wärre aber eine kleine Gemeinde – und davon haben wir viele – bei der Wertung der eingehenden Angebote, bei der Entscheidung, welche Parameter erfüllt oder nicht erfüllt sind, vollkommen überfordert. Das heißt, Sie würden die kleinen Kommunen überfordern. Auch deshalb denke ich, das ist nicht der richtige Weg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin sehr dafür, dass wir im Ausschuss darüber diskutieren. Ich bin auch dafür, dass wir zu diesem Thema eine Anhörung machen. Ich finde das ein ganz spannendes Thema. Ich will aber an Sie appellieren, einmal darüber nachzudenken, was das bedeutet, wenn sich verschiedene Unternehmen um einen Auftrag bewerben. Das eine erfüllt das Gleichstellungsgebot, das Sie in Ihren Gesetzentwurf hineingeschrieben haben. Das andere erfüllt das Gebot, dass der Betrieb ausbildet. Sie haben also mehrere Angebote, die verschiedene Parameter erfüllen bzw. nicht erfüllen. Jetzt müssen Sie abwägen, welchem Unternehmen Sie den Zuschlag geben. An diesem Beispiel sehen Sie, dass das Verfahren, das Sie hier vorschlagen, so kompliziert wird, dass Sie kleine und mittlere Unternehmen, denen Sie eigentlich helfen wollen – das setze ich einmal voraus –, vom Wettbewerb ausschließen. Das würde dazu führen, dass sich diese Unternehmen nicht mehr um öffentlich Aufträge bewerben. Deswegen sehen wir das sehr kritisch.

Präsident Norbert Kartmann:

Ihre Redezeit geht zu Ende.

Jürgen Frömmrich:

Ich bin sofort fertig, Herr Präsident. – Ich habe eben schon etwas zu den Themen Ausbildung und Mindestlöhne gesagt. Wir haben zurzeit einen Passus im Vergaberecht, den finde ich zu lasch. Darüber muss man reden, das muss man  „fester schreiben“. Ich glaube, dass man in dem Bereich Mindestlöhne festsetzen kann. Deshalb haben wir eher ein Vollzugsdefizit als ein gesetzgeberisches Defizit. Ich bin sehr dafür, dass man nicht nur darüber redet, im Baugewerbe Mindestlöhne festzusetzen, sondern auch auf die Baustellen geht und kontrolliert, ob diese Mindestlöhne auch wirklich bezahlt werden.

Darüber sollten wir im Ausschuss reden. Ich glaube, das kann eine sehr spannende Anhörung werden. Wenn Sie ein bisschen darüber nachdenken und die Situation der kleinen Unternehmer, der Handwerksmeister und der kleine Kommunen beleuchten, dann kommen Sie unter dem Strich zu einem anderen Ergebnis.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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