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09.05.2012
Portraitfoto von Jürgen Frömmrich vor grauem Hintergrund.

Jürgen Frömmrich: das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Demonstrationsfreiheit sind fester Bestandteil einer lebendigen Demokratie – Gewalt ist nicht hinnehmbar

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Grumbach außerordentlich dankbar dafür, dass er hier – in diesem Fall ging es wieder einmal um das ritualisierte Aufeinanderprallen der LINKEN und der CDU – eine sachliche Debatte geführt, sich mit den Grundrechtsnormen auseinandergesetzt und diese einander gegenübergestellt hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir erleben es im Hessischen Landtag schon seit einigen Sitzungen, dass man sich gegenseitig braucht, um ein Thema zu setzen.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wir haben das eben schon wieder erlebt. Wenn man sich die Anträge durchliest, stellt man fest, sie sind so angelegt, dass sie morgen früh – schlimmstenfalls – zu einer verspäteten Kaffeepause führen werden, weil sich der Ältestenrat mit diesen Dingen beschäftigen muss. Ich danke dem Kollegen Grumbach ausdrücklich dafür, dass er das in eine sachliche Debatte zurückgeführt hat.

Meine Damen und Herren, das Grundrecht auf Meinungsäußerung aus Art. 5 GG und die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG sind in unserem Land ein hohes Gut. Dieses Grundrecht müssen wir schützen, pflegen und verteidigen. Ich hoffe, darüber sind wir uns in diesem Haus alle einig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vielleicht erinnern wir uns einmal daran, dass uns viele Menschen in anderen Ländern um diese Errungenschaften beneiden und dass in vielen Ländern die Menschen erbittert um das Recht kämpfen, sich frei versammeln und ihre Meinung frei äußern zu können. Viele Menschen in vielen Ländern kämpfen dafür und riskieren dabei zum Teil ihr Leben. Deshalb sollten wir dieses Gut schützen und das Recht auf Versammlungsfreiheit hoch schätzen.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Gleichwohl sind die Grundrechte, die im Grundgesetz verankert sind, auch durch Einschränkungen versehen. Diese Rechtsgüter, d. h. die Versammlungsfreiheit und die Meinungsfreiheit, werden immer dann begrenzt, wenn der Schutz der Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit gefährdet wird.

In diesem Spannungsverhältnis befinden wir uns, wenn wir über das Verbot oder die Nichtgenehmigung von Demonstrationen, in diesem Falle in Frankfurt, reden. Herr Kollege Grumbach ist darauf auch eingegangen.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Meine Damen und Herren, wir bedauern ausdrücklich, dass es bei den Kooperationsgesprächen zwischen den Veranstaltern der Demonstration und der Ordnungsbehörde der Stadt Frankfurt, die es im Übrigen zwischen Anmeldern und der Stadt Frankfurt gegeben hat

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

– Ja, Herr Kollege van Ooyen, mehrere konnten auch nicht stattfinden, wenn Sie sich einmal die Verbotsverfügung anschauen –, nicht zu einer einvernehmlichen Lösung gekommen ist, die zu einer Genehmigung der geplanten Demonstration bei gleichzeitiger Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geführt hat.

Das bedauern wir ausdrücklich, obwohl wir wissen, wie schwierig diese Gemengelage ist. Es geht da nicht nur um eine Demonstration; es geht um viele Veranstaltungen an mehreren Tagen in einer Stadt. Es geht um eine Vielzahl von Veranstaltungen mit insgesamt 17 Anmeldern von Demonstrationen. Die Gemengelage ist schwierig. Ich glaube, es ist aber alle Mühe wert, zu versuchen, diese Veranstaltung zu genehmigen, im Sinne unseres Grundrechts auf freie Meinungsäußerung und Demonstrationsfreiheit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Bellino, es ist natürlich legitim, am Bankenstandort und vor den Bankentürmen in Frankfurt friedlich zu demonstrieren und seine Kritik am Kapitalismus zu äußern. Herr Kollege Bellino, das ist legitim. Man muss diese Kapitalismuskritik nicht teilen; man mag die Argumente nicht gut finden; man muss aber ertragen, hinnehmen und akzeptieren, dass diese Kritik geäußert wird. Das zeichnet im Übrigen gute Demokraten aus, Herr Kollege Bellino.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Es zeichnet gute Demokraten aus, dass sie gerade die Meinung der Andersdenkenden respektieren und akzeptieren.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Sie müssen sie nicht teilen. Sie sollten sie aber akzeptieren, und sie sollten ertragen, dass es am Kapitalismus eben auch Kritik gibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen ist schon die Überschrift Ihres Antrags, so finde ich, einigermaßen krude. Man weiß dann auch gleich, wo die Reise hingeht. In der Überschrift heißt es: „… betreffend extremistische Gewalttaten und Infragestellung unseres erfolgreichen Wirtschaftssystems bedrohen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“. Die „Infragestellung unseres erfolgreichen Wirtschaftssystems“, meine Damen und Herren, gefährdet eben nicht „die freiheitlich-demokratische Grundordnung“. Das darf man bei uns. Dieser Satz ist Quatsch, das ist Unsinn. Das ist mitnichten so.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Wenn Sie sich zu dem, was „die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ angeht, vielleicht einmal die Definition des Bundesverfassungsgerichts anschauen, werden Sie sehen, dass dem nicht so ist. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, vor allem das Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortung der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrheitsprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Da steht nicht drin, dass man das Wirtschaftssystem nicht in Frage stellen darf. Von daher gehen Sie fehl, und in dieser Frage sollten Sie einmal die Definition des Bundesverfassungsgerichts nachlesen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Man kann bei uns gegen das Wirtschaftssystem demonstrieren. Das ist erlaubt, und es ist gut so, dass Menschen ihre Meinung frei und offen äußern können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben es mit einer Finanz- und Wirtschaftskrise zu tun. Wir haben es in vielen Ländern mit einem Zusammenbrechen der Realwirtschaft zu tun. Wir haben in Griechenland, Spanien und Portugal Arbeitslosigkeit und Verarmung. Wir haben es mit Menschen zu tun, die keine Perspektive mehr haben. Wir haben es in Griechenland mit Wahlergebnissen zu tun, die beängstigend sind, weil sie die Ränder stärken und weil dort Extremisten stark werden. Das kann einen doch nicht kaltlassen. Daher muss man doch wenigstens Verständnis dafür haben, dass es Menschen gibt, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen, beschäftigen und dagegen demonstrieren. Das muss man doch verstehen. Das unterscheidet uns, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

– Herr Kollege Bellino, vielleicht hören Sie einmal zu, das wird vielleicht dazu führen, dass das eine oder andere auch für Sie klar wird.

(Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

– Herr Kollege Beuth, Sie sind ein Dampfplauderer, und vielleicht sollten Sie das einmal einstellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU) – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

– Ich habe gerade noch einmal versucht, zu sagen, warum es viele Menschen gibt, die das Gefühl haben, dass sie dagegen demonstrieren müssen.

(Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

– Herr Kollege Beuth, das unterscheidet uns im Übrigen von anderen Staaten, die Andersdenkende niederprügeln oder die Opposition in Kerker stecken. Es unterscheidet uns, dass diese Menschen bei uns frei, offen und natürlich gewaltfrei demonstrieren können. Das sage ich ganz deutlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Das unterscheidet uns von der Ukraine und von Russland.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Meine Damen und Herren, wenn man die Grundrechte abwägt, muss auf der anderen Seite natürlich auch klar sein, dass diese Grundrechte, zu protestieren und die Meinung frei zu äußern, friedlich und gewaltfrei in Anspruch genommen werden. Es kann nicht sein, dass ganze Städte lahmgelegt werden.

(Zuruf von der CDU)

Es kann nicht sein, dass man in Frankfurt die gesamte Innenstadt lahmlegt, obwohl das Bundesverfassungsgericht – vertiefte Sachkenntnis verhindert die muntere Debatte – dazu auch gesagt hat, dass es zu Beeinträchtigungen kommen und dass es „geplante Beeinträchtigungen“ geben könne. Herr Kollege Grumbach hat das gerade zitiert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen es in diesen Fragen hinbekommen, auf der einen Seite die Grundrechte auf Demonstrations- oder Versammlungsfreiheit zu wahren. Wir müssen aber auch die Rechte Dritter schützen. Das ist der Konflikt, in dem wir uns befinden. Ich glaube, dass man diesen Konflikt lösen kann. In vielen anderen Fällen ist es geschehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich glaube, dass wir auch die Rechte von Anwohnerinnen und Anwohnern, von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und von Selbstständigen in der Stadt Frankfurt schützen müssen. Deshalb wünschen wir uns, dass die Kooperationsgespräche zwischen den Anmeldern und den Demonstranten auf der einen Seite und der Stadt Frankfurt auf der anderen wieder aufgenommen werden, mit dem Ziel, dass dieser Interessenskonflikt zwischen der Demonstrationsfreiheit und dem Schutz der Rechte Dritter gelöst wird. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Demonstrations- und Meinungsfreiheit muss eben auch die Rechte der in der Stadt lebenden und arbeitenden Menschen im Blick haben.

(Zuruf von der CDU)

Ich glaube, das werden am Ende die Gerichte entscheiden. Es sollte aber wenigstens der Versuch unternommen werden, diesem Anliegen gerecht zu werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Frömmrich, bitte kommen Sie zum Schluss.

Jürgen Frömmrich:

Ich komme zum Schluss. – Noch einmal: Die Demonstrationsfreiheit muss verteidigt werden, aber die Rechte der in Frankfurt lebenden und arbeitenden Menschen müssen gewahrt werden, und es muss ein klares Bekenntnis zur Gewaltfreiheit geben. Solche Szenen wie am 31. März dürfen in Frankfurt nicht mehr stattfinden. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Herr Frömmrich.

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