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02.03.2011
Portraitfoto von Jürgen Frömmrich vor grauem Hintergrund.

Jürgen Frömmrich: Aufhebung des Gesetzes über die Bannmeile des Hessischen Landtags

Verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Über dieses Thema Bannmeile, befriedeter Bezirk – dafür gibt es unterschiedliche Benennungen – kann man selbstverständlich diskutieren. Das ist das gute Recht eines Parlaments, das ist auch das gute Recht eines politischen Diskurses.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Aber ich muss schon sagen: Kurzzeitig drohte mir der Kamm zu schwellen – wegen der Art und Weise, in der Sie das hier getan haben, Herr Kollege Wilken. Das ist unerträglich.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Es ist in der Tat unerträglich, wie Sie das hier gemacht haben. Natürlich entzieht sich die Bannmeile des Hessischen Landtags nicht der politischen Debatte. Ich finde es ganz legitim, dass wir darüber diskutieren, uns darüber auseinander setzen und das Für und Wider diskutieren. Aber die Debatte über die Bannmeile des Hessischen Landtags eignet sich nicht für populistische Diskussionen – und auch gerade nicht,

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

um von der Aktion abzulenken, die Sie beim letzten Plenum hier im Hessischen Landtags veranstaltet haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man muss auch ein bisschen Geschichtsbewusstsein haben.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Nachdem wir das jetzige Bannmeilengesetz wegen des Umzugs des Plenums vom Rathaus hierher geändert haben, hat es sich in der Regel bewährt. Wenn Sie sich das anschauen, sehen Sie: Wir haben eine relativ kleine Bannmeile um den Hessischen Landtag. Ein begrenzter Bezirk gilt als Bannmeile. Für Bürgerinnen und Bürger besteht auch die Möglichkeit, eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten. Schauen Sie sich die §§ 3 und 4 des Hessischen Bannmeilengesetzes an – danach gibt es durchaus die Möglichkeit, Ausnahmen zu beantragen.

Im Übrigen gilt die Bannmeile auch nur dann, wenn der Hessische Landtag seinen Betrieb aufgenommen hat, d. h. wenn Sitzungen stattfinden oder wenn dort offizielle Anlässe stattfinden. Dieses Bannmeilengesetz hat sich bewährt.

Gleichwohl will ich zugestehen: Natürlich kann man immer über Gesetze nachdenken. Man muss immer prüfen, ob die aktuelle Gesetzgebung noch den Erfordernissen entspricht oder ob sie überholt ist und deswegen geändert werden muss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu haben wir aber auch die Möglichkeit. Das Bannmeilengesetz läuft am 31. Dezember 2012 aus. Dann sollten wir es evaluieren und uns darüber Gedanken machen, ob wir es wieder in Kraft setzen oder ob wir das Bannmeilengesetz in irgendeiner Form ändern müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist natürlich gutes Recht, ein Grundrecht, und gehört auch zum demokratischen Gemeinwesen, dass Bürgerinnen und Bürger gegen Entscheidungen des Hessischen Landtags demonstrieren und dass sie das auch in unmittelbarer Nähe des Hessischen Landtags tun. Das ist das gute Recht der Bürgerinnen und Bürger. Landtags- wie auch Bundestagsabgeordnete müssen sich damit auseinander setzen. Die Bürger haben ein Recht darauf, dass ihre Demonstration Gehör findet und auch in unmittelbarer Nähe zum Hessischen Landtag stattfinden kann.

Herr Kollege Wilken, es ist aber doch geradezu absurd, was Sie sagen. Das passiert in Wiesbaden doch gerade.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Wenn Sie sich die Demonstration von ver.di zum Tarifstreit angeschaut haben – ich glaube, das war am Montag.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

– Ihr wart dabei. Ich habe es aber gehört. Ich habe nämlich an meinem Schreibtisch gesessen

(Lachen bei der LINKEN)

und habe die Trillerpfeifen gehört und die Plakate gesehen. Ich habe sehr wohl wahrgenommen, dass dort eine Diskussion im Gange war. Wie Sie vielleicht gesehen haben, habe ich sogar eine Presseerklärung dazu geschrieben.

(Zuruf der Abg.Janine Wissler (DIE LINKE))

Herr Kollege, Sie sehen also: Der Hessische Landtag, die Abgeordneten nehmen schon Kenntnis von Demonstrationen, auch wenn sie auf dem Dernschen Gelände stattfinden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Genauso, wie es richtig ist, dass Bürgerinnen und Bürger ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen und in unmittelbarer Nähe des Verfassungsorgans demonstrieren können, genauso wichtig ist es, dass ein anderer Verfassungsgrundsatz nicht in Vergessenheit gerät. Schauen Sie in Art. 76 der Hessischen Verfassung. Dort wird das freie Mandat postuliert, und dort steht, das Mandat ist „ungehindert und ohne Nachteil auszuüben“.

Nun kann man darüber nachdenken, ob das antiquiert ist, ob das unmodern ist oder so etwas. Aber ich glaube, ein freies und ungehindertes Mandat ist ein hohes Gut in unserem Rechtsstaat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP sowie der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei aller Diskussionsfreude – und wir können gerne bei der Evaluation dieses Gesetzes darüber reden – will ich Ihnen sagen: Das existierende Gesetz hat sich bewährt. Es formuliert einen Interessenausgleich zwischen dem Anspruch auf das grundgesetzlich garantierte Demonstrationsrecht und der Ausübung des freien Mandats. Deswegen glaube ich, das Gesetz kann in seiner jetzigen Form durchaus Bestand haben.

Zu den Ausnahmen, die beantragt werden können, habe ich schon etwas gesagt. Ich weiß nicht, woher die Linkspartei das nimmt. Ich bemerke in Hessen keine breite Bürgerbewegung, die jeden Tag fordert, das Bannmeilengesetz für den Hessischen Landtag aufzuheben.

(Lachen bei der CDU – Zurufe bei der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Bürgerbewegung sehe ich noch nicht. Es sind vielleicht Einzelne. Vielleicht sind es der Herr Kollege Schaus und der Kollege Wilken. Aber ich muss sagen: Ich bekomme nun wirklich viel Post und unterhalte mich sehr viel über das, was hier im Hessischen Landtag los ist. Aber ich bekomme nicht jeden Tag kistenweise Schreiben, in denen gefordert wird, dass wir unbedingt das Bannmeilengesetz des Hessischen Landtags novellieren müssen.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Meine Damen und Herren, das ist nicht der Fall.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Herr Kollege Wilken, es ist schon eigenartig, wenn Sie unter Ihren eigenen Gesetzentwurf schreiben, andere Gesetze reichten vollkommen aus, wenn man sie konsequent anwende – nämlich einschlägige Vorschriften: das Strafrecht, das Versammlungsrecht oder das Polizeirecht. Was nützt es eigentlich, dem Kind einen anderen Namen zu geben? Was nützt es, wenn ich statt „Bannmeile“ „befriedeter Bezirk“ schreibe? Was nützt es, wenn ich dieselben Einschränkungen aus anderen Gesetzen herleite wie jetzt aus dem geltenden Bannmeilengesetz? Das ergibt doch keinen Sinn.

Herr Kollege Wilken, das, was Sie gerade über den Sächsischen Landtag angeführt haben, ist auch nur die halbe Wahrheit. Sie wissen doch auch, dass der Präsident des Sächsischen Landtags vor dem Sächsischen Landtag das Hausrecht hat.

(Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Wenn der entscheidet, dort passiert nichts, dann passiert dort nichts. Herr Kollege Wilken, von daher finde ich, Sie sollten da noch einmal ein bisschen Quellenstudium betreiben.

(Beifall bei der CDU)

Zum Abschluss, aber auch das habe ich schon gesagt: Diese gesamte Debatte dient der Ablenkung von der letzten Aktion. Herr Kollege Wilken, ich glaube schon, Sie müssen sich auch einmal geschichtlich damit auseinander setzen. Heute leben wir in anderen Zeiten, in einer gefestigten Demokratie. Wir können z. B. keinen Vergleich zum Dritten Reich ziehen. Heute haben wir ganz andere politische Voraussetzungen.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Aber es ist doch eine Tatsache, dass wir über den Schutz von Parlamenten und von Abgeordneten reden, weil das etwas mit unserer Geschichte zu tun hat. Deswegen ist die Integrität des Parlaments ein hohes Gut.

Ich möchte Ihnen nur einen kurzen Hinweis dazu geben, warum man darüber nicht populistisch, sondern inhaltlich und auch geschichtlich fundierter reden muss.

Es gibt eine wunderbare Ausarbeitung der SPD-Bundestagsfraktion über Otto Wels: „Mut und Verpflichtung“. Darin geht es um dessen letzte Rede im Reichstag, als er gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt hat. Dort wird sehr eindringlich beschrieben, wie die Abgeordneten, als sie zur Krolloper gehen wollten, um über das Ermächtigungsgesetz abzustimmen, durch einen Korridor – –

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Herr Kollege Frömmrich, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Jürgen Frömmrich:

Entschuldigung, Frau Präsidentin, ich komme sofort zum Schluss.

Wie sie dort durch eine Menge gehen mussten und wie dabei auf sie Zwang ausgeübt wurde – und wie dann die Nazis im Plenarsaal sogar in den Bereich, der nur für die Abgeordneten reserviert war, eingedrungen sind.

Aus dieser Tradition heraus, aus dieser Erfahrung haben die Väter des Grundgesetzes die Integrität des Parlaments und die Ausübung des freien Mandats als hohes Gut formuliert. Vielleicht sollten Sie sich einmal mit der Geschichte dieser Republik beschäftigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Herr Frömmrich.

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