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17.07.2014
Portraitfoto von Jürgen Frömmrich vor grauem Hintergrund.

Jürgen Frömmrich: Salafismus in Hessen bekämpfen

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer darauf hinweist, dass Anhörungen dazu dienen, dass man als Abgeordneter dieses Hauses das eine oder andere dazulernt, dem empfehle ich, sich einmal die Anhörung aus dem Jahr 2010 im Hessischen Landtag zu Gewalt und Extremismus anzuschauen.

Bei dieser Anhörung haben wir uns mit genau diesem Phänomen beschäftigt, Herr Kollege Schaus. Es wäre gut, wenn Sie das eine oder andere davon lesen würden. Das, was Sie hier vorgetragen haben, kann – zumindest von meiner Seite – nur als unterirdisch bezeichnet werden. Herr Kollege Schaus, Sie müssen irgendwann einmal die Frage beantworten, wo Sie beim Sammeln von Stimmen, um über die 5-Prozent-Hürde zu kommen, einen Trennstrich zu Extremisten ziehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Es ist gut, dass wir heute Gelegenheit haben, über Islamismus, über Salafismus und über die Problematik zu diskutieren, warum junge Menschen für diese Ideologien anfällig sind. Warum wenden sich junge Menschen, die in Deutschland geboren sind, die hier aufgewachsen sind, die aus unterschiedlichen Schichten mit unterschiedlichen Bildungsabschlüssen kommen, solchen Gruppen zu? Liebe Kolleginnen und Kollegen, Jugendliche werden ja nicht als Salafisten oder Extremisten geboren. Jugendliche suchen Identität, sie suchen Halt, sie suchen Orientierung. Offensichtlich ist es so, dass diese Gruppen ihnen genau das geben – Halt in der Gruppe, das dazugehörige Gruppenerlebnis, Orientierung bei der Auslegung des Glaubens, vermeintlich einfache Antworten auf komplexe Fragestellungen.

Es gibt aber auch Jugendliche, die zu Veranstaltungen bekennender Hassprediger gehen, weil diese mittlerweile einen gewissen Kultstatus erlangt haben. Das kann man in der „Hessischen Polizeirundschau“ nachlesen, die zu diesem Komplex berichtet hat. Ich darf zitieren:

Die öffentlichen Auftritte von Prediger Pierre Vogel wirken hierbei wie ein popkulturelles Phänomen. Hunderte junger Zuhörer lauschen den Vorträgen und umringen ihn wie einen Superstar, wenn er den Medien ein Interview gibt.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt: „Der Salafismus kommt in Mode.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht jeder, der zu diesen Veranstaltungen geht, ist ein überzeugter Salafist. Wir müssen uns aber vertieft mit der Frage beschäftigen: Wie schaffen wir es, der Anziehungskraft der Salafisten etwas entgegenzusetzen und zu zeigen, dass der von ihnen gesuchte und gegangene Weg der falsche ist?

Die Erkenntnisse zu radikalen Islamisten liegen auf der Hand. Die Berichte der Sicherheitsbehörden liegen vor. Bundesweit gibt es nach diesen Erkenntnissen zwischen 5.000 und 6.000 Salafisten. Im Rhein-Main-Gebiet sind es etwa 1.200 Personen.

Besondere Sorgen bereitet den Sicherheitsbehörden dabei, dass junge Männer nach Syrien ausreisen, um sich an Kampfhandlungen zu beteiligen. Sie kehren radikalisiert und mit Kampferfahrung nach Deutschland zurück.

Mit großer Sorge sehen wir, dass die Radikalislamisten ihren Nachwuchs teilweise an hessischen Schulen suchen. Das muss uns befremden. Dagegen müssen wir vorgehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der LINKEN)

2013 sind rund 300 Personen aus Deutschland nach Syrien ausgereist, 30 davon aus Hessen, 23 Personen aus dem Rhein-Main-Gebiet, darunter vier Minderjährige im Alter zwischen 16 und 17 Jahren. Mehr als 20 Menschen haben bei solchen Einsätzen ihr Leben verloren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Zahlen sind erschreckend und müssen uns dringend zu gemeinsamem Handeln zwingen. Ich betone: zu gemeinsamem Handeln. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, gegen Hass und gegen Intoleranz in diesem Lande vorzugehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Unsere freie und offene Gesellschaft muss verteidigt werden. Wir müssen deutliche Stoppschilder aufstellen. Die freie Religionsausübung steht nicht zur Disposition. Die Trennung von Staat und Kirche ist bei uns Prinzip. Wir wollen nicht, dass das politische und gesellschaftliche Leben religiös begründeten Normen unterworfen wird. Die Gleichstellung von Männern und Frauen wird durch Art. 3 des Grundgesetzes geschützt. Die sexuelle Orientierung ist Sache des Einzelnen. Die Meinungsfreiheit, die Grund- und die Menschenrechte sind unveräußerliche Bestandteile unseres Zusammenlebens. Das Grundgesetz ist das, was uns leitet, verbindet und zusammenhält. Das müssen wir immer wieder betonen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Genau das müssen wir denen entgegenhalten, die Hass und Intoleranz predigen. Deshalb müssen wir vielfältige Maßnahmen ergreifen, um diese Form des Extremismus zu bekämpfen.

Ich will nicht verschweigen, dass die vorige Landesregierung in diesem Bereich bereits Maßnahmen ergriffen hat. Ich erinnere an die Initiativen von Boris Rhein – Stichwort: Hessisches Kompetenzzentrum gegen Extremismus und Beratungsnetzwerk. Aber auch die Einführung des islamischen Religionsunterrichts war ein wichtiger Schritt.

Das reicht aber leider noch nicht aus. Wir brauchen eine Mischung aus verschiedenen Maßnahmen, auf der einen Seite repressiver Maßnahmen, auf der anderen Seite eine verstärkte Präventionsarbeit. Wir brauchen Programme zur Deradikalisierung, und wir brauchen Hilfen zum Ausstieg aus dieser gefährlichen extremistischen Szene. Wir müssen den jungen Menschen einen Weg zeigen, wie sie sich aus diesen Kreisen wieder befreien können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Im Bereich des Rechtsextremismus haben wir mit dem Aussteigerprogramm gute Erfahrungen gemacht. Deshalb haben wir uns in unserer Vier-Sterne-Koalitionsvereinbarung mit der CDU für diesen Bereich viel vorgenommen. Ich zitiere:

Den Gefahren des Islamismus, insbesondere des djihadistischen Salafismus, werden wir durch konsequente Ausreiseverhinderungen und Intensivierung der Präventions- sowie Deradikalisierungsmaßnahmen begegnen. Darüber hinaus werden wir das Beratungsnetzwerk ausbauen und ein eigenes Aussteigerprogramm schaffen.

Das Hessische Kompetenzzentrum Extremismus werden wir weiter fördern und stärken. Mit einem Landesprogramm für die verstetigte und dauerhafte Präventionsarbeit werden wir Maßnahmen zur Bekämpfung von Extremismus fördern.

Ich glaube, dass wir mit diesem Passus in der Koalitionsvereinbarung zeigen, dass wir hier deutlichen Handlungsbedarf sehen.

Ich stimme den Kolleginnen und Kollegen der FDP ausdrücklich zu: Wir brauchen ein ganzheitliches Konzept. Daran wird im Innenministerium auch schon gearbeitet.

Eine Anhörung im Hessischen Landtag ist sicherlich der richtige Schritt, um die Kompetenzen aus den verschiedensten Bereichen zusammenzuführen und abzurufen. Es ist richtig, mit Institutionen wie Schulen, sozialen Einrichtungen, Jugendverbänden, aber auch Sicherheitsbehörden, dem Verfassungsschutz und den zivilgesellschaftlichen Organisationen diese Problematik zu diskutieren und das Thema damit in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Deshalb haben wir kein Problem damit, den Vorschlag der FDP aufzugreifen und die vorgeschlagene Anhörung zu beschließen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Man kann dabei nur klüger werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Auch an einem weiteren Punkt möchte ich Ihnen ausdrücklich zustimmen. Wir sollten bei der Debatte um die Probleme mit radikalen Salafisten nicht vergessen, dass diese Gruppe eine Minderheit ist – brandgefährlich, ja, aber eine verschwindend kleine Minderheit. Das müssen wir immer wieder betonen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die ganz und gar überwiegende Mehrheit der Muslime in Deutschland ist fester Bestandteil unserer freien und offenen Gesellschaft. Man muss heute, 50 Jahre nach Beginn der Einwanderung, anerkennen und sagen: Muslime und der Islam gehören heute zu Hessen. Die Menschen lehnen religiösen Fundamentalismus ab und befürworten Religionsfreiheit. Sie befürworten Pluralität und die freiheitlich-demokratische Grundordnung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Sie sind gut integriert. – Wir reden sehr oft über Defizite, aber wir reden sehr wenig über gelungene Integration. Das kommt in solchen Debatten leider viel zu selten vor.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die ganz überwiegende Mehrheit der Muslime in Deutschland sind unsere Partner im Kampf gegen Hass und Intoleranz. Deshalb müssen wir gemeinsam mit ihnen dieses Phänomen bekämpfen und gemeinsam mit ihnen unsere freie und offene Gesellschaft gegen die verteidigen, die sie bekämpfen wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Danke, Herr Frömmrich.

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