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24.03.2010

Ellen Enslin zur Finanzkrise der Kommunen

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die finanzielle Situation der Kommunen hat sich dramatisch zugespitzt. Dies belegen nicht nur Studien der Bertelsmannstiftung oder von ver.di in Hessen, sondern – was interessant ist – es gibt mittlerweile Allianzen, die früher unvorstellbar waren, z. B. die Bertelsmannstiftung mit dem DGB, um gemeinsam auf die desolaten Finanzen der Kommunen aufmerksam zu machen. Städtetagspräsidentin Petra Roth sah sich angesichts der dramatischen Bilanz in den Kommunen genötigt, noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Kommunen keine weiteren Steuersenkungspläne verkraften können.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Für 2010 geht die Prognose in den hessischen Kommunen von einem Defizit von 1 Milliarde Euro aus. Bei den Landkreisen ergeben sich mittlerweile aufgelaufene 1,8 Milliarden Euro Defizit, und es droht sogar eine Verdoppelung in den nächsten drei Jahren. Hinzu kommt, dass die Kassenkredite in den letzten Jahren exorbitant angestiegen sind. Hier tickt eine Zeitbombe, die, sobald die Zinsen wieder auf normale 3 bis 4 Prozent steigen werden, die Haushalte mit den enormen Kapitalkosten erdrücken werden.

Natürlich hat die Wirtschafts- und Finanzkrise die Situation der Kommunen verschärft, aber die Ursachen liegen tiefer. Auf der einen Seite müssen die Kommunen immer mehr Leistungen erbringen. Ob es der gesetzliche Anspruch auf einen Kindergartenplatz war oder demnächst die ausreichende U3-Betreuung ab dem Jahre 2013 ist – in Berlin werden löbliche Ziele festgelegt, aber bei der Umsetzung und Finanzierung werden die Kommunen allein gelassen. Ich denke nur an die Mindestverordnung in den Kindergärten, die gerade von dieser Landesregierung angeregt worden ist und wo jetzt die Kommunen auch im Regen stehengelassen werden. Nach Ostern können wir sehen, wie es mit der Finanzierung aussieht.

Hinzu kommt, dass in der Vergangenheit die Sozialkosten massiv gestiegen sind. Aktuell droht hier die Abwälzung der steigenden Unterkunftskosten bei den ALG-II-Beziehern. Der Bundesanteil wurde in den Jahren wiederholt gesenkt, obwohl die Kosten für die Kommunen kontinuierlich gestiegen sind. Die geplante Senkung auf 23 Prozent hat zur Folge, dass dies im Krisenjahr 2010 zu steigenden Unterkunftskosten für die Kommunen geführt hat. Während der Bund seine Ausgaben auf 3,4 Milliarden Euro verringert hat, steigt der kommunale Anteil auf 12,1 Milliarden Euro.

Man muss sagen: Gerecht wäre ein Bundesanteil von 35,9 Prozent, wie ihn der Deutsche Landkreistag vorgeschlagen hat. Das würde dann z. B. eine Stadt wie Frankfurt um 25 Millionen Euro entlasten. Man kann sich vorstellen, dass das in Städten, wo noch eine ganz andere Sozialstruktur besteht, zu höheren Entlastungen führen würde.

Auf der anderen Seite brechen den Kommunen die Einnahmen weg. Bürgerentlastungsgesetz, Wachstumsbeschleunigungsgesetz – anstatt im Bundesrat für die Belange der Kommunen zu kämpfen, hat die Landesregierung diesen unsäglichen Steuersenkungen trotz erheblicher Proteste aus den Kommunen zugestimmt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

In der Rhein-Main-Region bedeutet das, dass die Kommunen z. B. rapid fallende Schlüsselzuweisungen von 360 Millionen Euro auffangen müssen. Es drohen schon die nächsten Einnahmeverluste. Hinter den Türen in Berlin basteln CDU und FDP an weiteren Steuersenkungen.

In dieser Situation hat sich die Landesregierung entschlossen, die kommunalen Kassen zusätzlich zu belasten und ohne System dem KFA 400 Millionen Euro zu entziehen. Keine Frage, wir müssen an die Reform des Kommunalen Finanzausgleichs. Er muss wieder seine Hauptfunktion erfüllen und den Grundsatz abgabenbezogener Finanzierung für alle Kommunen verwirklichen.

Dazu gehört, dass Kommunen, die überörtliche Aufgaben erfüllen, entsprechend höhere Zuweisungen erhalten, dass der demografische Wandel adäquat berücksichtigt wird, dass es einen modernen sozialen Strukturausgleich gibt und dass die Kulturfinanzierung neu geregelt wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Aber das bedeutet auch, dass Kommunen mit besonders hoher Finanzkraft stärker herangezogen werden. Was besonders wichtig ist: Größere Anreizwirkungen muss es auch für die finanzschwächeren Kommunen geben, um sich um eigene Einnahmen zu bemühen. Was wir brauchen, ist eine Verstetigung des Finanzausgleichs zwischen Land und den Kommunen, und wir brauchen eine größere Berechenbarkeit bei den KFA-Leistungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Natürlich wird immer gesagt, dass es den hessischen Kommunen so gut ginge und sie eine besonders gute finanzielle Ausstattung hätten. Aber wenn man sich z. B. den Index der kommunalen Finanzausstattung des Statistischen Landesamtes Rheinland-Pfalz anschaut, dann sind die hessischen Kommunen nur Durchschnitt und im relativen Vergleich unter den alten Bundesländern sogar nur auf Rang 6 von acht.

Es ist richtig: In der Vergangenheit wurde es versäumt, die finanzielle Ausstattung der Kommunen auf breite Beine zu stellen und sie von den Konjunkturschwankungen unabhängiger zu machen. An eine echte Gemeindefinanzreform hat sich bisher niemand herangetraut.

Aber die Kommunen brauchen eine solide Finanzausstattung.

Der in Berlin einberufene Krisengipfel schürt allerdings weiterhin die Ängste auf kommunaler Seite und führt zu mehr Verunsicherung. Sollte die Gewerbesteuer abgeschafft werden, dann, so fürchten die Kommunen zu Recht, wird das zu ihren Lasten gehen. Selbst in konjunkturell guten Zeiten ist es den Kommunen nicht gelungen, ihre Schulden zu reduzieren, weil sie Belastungen aus der Vergangenheit mitschleppen mussten.

Deswegen sollten wir uns die Ursachen dieser Defizite einmal genauer anschauen. Sie liegen in der Wirtschaftsstruktur, in der Sozialstruktur sowie in der Siedlungsstruktur der Kommunen. Die Möglichkeiten der Kommunen, ihre Defizite auszugleichen, sind begrenzt. Da gibt es nur: Einnahmen erhöhen, Ausgaben reduzieren oder Effizienzsteigerungen.

Wir benötigen einen Masterplan für die Kommunen mit Akteuren auf allen Ebenen: Bund, Land, Kommunen, aber auch die Bürgerinnen und Bürger müssen mit einbezogen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Deshalb fordern wir GRÜNE für die Bundesebene, die Gewerbesteuer endlich zu einer kommunalen Wirtschaftssteuer weiterzuentwickeln, die Grundsteuer ökologisch auszurichten und zu modernisieren, die kommunalen Einnahmen zu verstetigen und das Prinzip der Konnexität endlich ernst zu nehmen: Wer bestellt, muss auch zahlen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich erinnere nur an das Gesetz zum Zensus 2011, das wir gestern diskutiert haben. Immerhin war da die Rede von 15 Millionen Euro, die die hessischen Kommunen übernehmen müssen.

(Zuruf des Ministesr Karlheinz Weimar)

– Entschuldigung, darüber reden wir vielleicht noch einmal im Ausschuss.

Auf Landesebene erwarten wir, dass der KFA endlich reformiert wird, dass die Kommunalaufsicht stärker in der Vorsorge aktiv wird und dass ein Frühwarnsystem installiert wird. Denn es kann nicht angehen, dass bei den Kommunen mittlerweile Haushaltssicherungskonzepte die Regel sind und man nicht früher eingreifen kann.

Natürlich muss es möglich sein, zusätzliche Einnahmen zu schaffen. Da sind wir z. B. mit den LINKEN einer Meinung:

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Dazu kann beispielsweise eine Grunderwerbsteuer gehören, die erhöht wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Aber auch die Kommunen müssen umdenken. Sie müssen jegliche Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung nutzen. Dazu gehört die interkommunale Zusammenarbeit – die wird noch nicht von allen Kommunen ausreichend genutzt.

Aber sie müssen auch für mehr Transparenz ihrer eigenen Finanzsituation sorgen. Und wir müssen ihnen helfen, aus der Vergeblichkeitsfalle zu entkommen – denn oft hören wir: Wo sollen wir denn ansetzen? Wir können doch sowieso keinen positiven Ausgleich schaffen.

Nur so kann es uns gelingen, die Bürgerinnen und Bürger auf das Projekt Kommune und die zukünftigen Veränderungen einzuschwören.

Meine Damen und Herren, es ist eine Herkulesaufgabe, diesen Wandel in den Kommunen anzugehen, um die kommunale Lebensfähigkeit sowie die Selbstverwaltung zu erhalten.

In den Kommunen erleben die Bürgerinnen und Bürger staatliches Handeln und demokratische Mitbestimmung direkt und unmittelbar. Im föderalen System bilden Kommunen eine wichtige Säule der lokalen Demokratie. Hier werden viele elementare Leistungen der Daseinsvorsorge für die Bürgerinnen und Bürger erbracht: von der Kinderbetreuung bis zur Förderung in schwierigen Lebenssituationen. In den Kommunen sitzen die ersten Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger.

Wir müssen entscheiden, welche Leistungen die Kommunen erbringen sollen und welche Mittel sie dafür benötigen. Dieser Diskussion müssen wir uns stellen, auch wenn sie unbequem sein wird. Aber die sozialen Chancen unserer Kinder dürfen nicht davon abhängig sein, wo ihr Lebensort liegt. Dafür brauchen die hessischen Kommunen ein positives Signal von dieser Landesregierung. Dem KFA 400 Millionen € zu entziehen, ist es nicht. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Frau Kollegin Enslin.