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08.03.2012

Ellen Enslin: Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Hessisches kommunales Schutzschirmgesetz

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Noll, Sie machen es einem wirklich schwer, sich sachlich und konstruktiv mit dem Schutzschirm auseinanderzusetzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihr Beitrag war nicht besonders förderlich.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Herr Präsident, meine Damen und Herren, über den Schutzschirm haben wir schon mehrmals in diesem Hause diskutiert. Ich freue mich, dass wir jetzt endlich den konkreten Gesetzestext als Vorlage haben.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

– Warten Sie einmal ab. – Erfreulich ist, dass es dem Land gelungen ist, mit den Kommunalen Spitzenverbänden eine Einigung zu finden, und dass wir diese Eckpunkte im Gesetzestext wiederfinden. So selbstverständlich ist das nicht. Zwischen Land und Kommunen knirscht es ansonsten mächtig im Getriebe.

(Zuruf des Abg. Peter Seyffardt (CDU))

Dieser Schutzschirm ist das Eingeständnis dieser Landesregierung, dass es viele notleidende Kommunen in Hessen gibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Finanzminister Schäfer hat es schon angesprochen: Die Kluft zwischen armen und reichen Kommunen geht auch in Hessen immer weiter auseinander. Mit Kassenkrediten von 5 Milliarden Euro und laufenden Krediten von 10 Milliarden Euro kommen die hessischen Kommunen auf insgesamt 15 Milliarden Euro Schulden. Hinzu kommen noch die ausgegliederten Bereiche mit 6 Milliarden Euro. Das sind die Zahlen für das Jahr 2010.

Durch die unsägliche Bundessteuergesetzgebung fehlen den Kommunen jährlich 200 Millionen Euro an Einnahmen. Dafür ist auch diese Landesregierung mit verantwortlich; denn sie hat diesen Gesetzen in Berlin zugestimmt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Der Entzug von 340 Millionen Euro aus dem KFA ist hier auch schon angesprochen worden. Das darf auch nicht vergessen werden.

(Zuruf des Abg. Alexander Noll (FDP))

Wir haben in der Vergangenheit immer wieder gesagt, dass der Schutzschirm seine Entlastung schnell und wirksam entfalten muss. Man muss feststellen, dass es andere Bundesländer gab, die ihren klammen Kommunen schon früher geholfen haben, während der hessische Schutzschirm den Kommunen erst ab dem Jahr 2013 eine Entlastung bringen wird.

Aber, das geben wir zu: 2,8 Milliarden Euro zur Tilgung und 400 Millionen Euro Zinszuschüsse sind stattliche Summen. Allerdings muss man da auch sehen: Die Tilgung läuft über 30 Jahre. Zwar verschwinden die kommunalen Schulden aus den Haushalten, aber die Kommunen müssen im Laufe der 30 Jahre die verbleibenden Zinsen abzahlen. Ganz so schnell kommt die Entlastung auch nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir wissen auch, dass sich die Kommunen eine schnellere Entlastung gewünscht hätten. Unter anderem waren zehn Jahre im Gespräch.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Der Schutzschirm beschränkt sich auf besonders notleidende Kommunen und Landkreise,

(Zuruf des Abg. Alexander Noll (FDP))

statt das er mit der Gießkanne eingesetzt werden soll. – Herr Noll, das begrüßen wir. Er soll gerade gezielt eingesetzt werden, aber – –

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

– Ganz so toll ist der Schutzschirm nun auch nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir begrüßen es, dass die Kommunen diese Entscheidung selbst treffen können, dass eine Freiwilligkeit besteht und sie nicht gezwungen werden, unter diesen Schutzschirm gehen zu müssen.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Wie bei allen Verträgen ist es so: Es kommt aufs Kleingedruckte an.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Denn den Kommunen wird ein harter Sparkurs abverlangt. Da ist dann schon die Frage zu stellen: Wie viel Spielraum haben sie dann noch?

(Zuruf des Abg. Peter Stephan (CDU))

Sie werden es intensiv nachrechnen, was dieser Schutzschirm Ihnen konkret bringt. Kontroverse Diskussionen in den Landkreisen und Kommunen werden sich nicht vermeiden lassen. Es herrscht hier immer noch große Unsicherheit, welche Konsequenzen der Beitritt zum Schutzschirm bringt.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Wird jegliche kommunale Autonomie abgegeben, weil die Sparmaßnahmen eben keinen Raum mehr für kommunale Selbstverwaltung lassen? Was geschieht, wenn der Haushaltsausgleich nicht erreicht wird? Wie hart sehen Zwangsmaßnahmen aus? Wie könnte – im schlimmsten Fall – eine Rückabwicklung aussehen?

Zu all diesen Fragen, auf die noch keine befriedigenden Antworten gegeben worden sind, kommt der enge Zeitplan. Bis zum 29. Juni müssen die Kommunen ihre Bereitschaft zum Schutzschirm erklären. Im November/Dezember sollen dann die Vereinbarungen mit dem Land getroffen werden.

Wir sehen das Land hier in einer Bringschuld, die politisch Verantwortlichen tatkräftig in diesem Entscheidungsprozess zu unterstützen,

(Zuruf des Abg. Alexander Noll (FDP))

damit sie ihre Entscheidung für oder eben auch gegen den Schutzschirm treffen können.

Letztendlich kann diese Entscheidung nur vor Ort, in den Kommunen, getroffen werden. Die Kommunen kennen ihre individuellen Bedingungen und ihre Grenzen.

Es bleibt aber nicht viel Zeit, diese Entscheidung zu treffen. Im Sinne der Verantwortlichen vor Ort braucht es eine offene und transparente Informationspolitik.

(Zuruf des Abg. Alexander Noll (FDP))

Die Kommunalpolitiker müssen durch umfassende Entscheidungshilfen unterstützt werden. Das haben wir im Vorfeld immer gefordert.

Hierzu sind weitreichende Aktivitäten notwendig: von einer Liste möglicher Konsolidierungsmaßnahmen bis hin zu Informationsveranstaltungen bei den politischen Vereinigungen der Parteien für die Kommunalpolitiker.

Aber es bleiben eben immer noch viele offene Fragen zu beantworten. Wie eng will z. B. die Landesregierung die Verträge auslegen? Oder was geschieht mit den Kommunen, bei denen es jetzt schon abzusehen ist, dass sie in der angestrebten Zeit den Haushaltsausgleich eben nicht erreichen können? Oder wie kann z. B. die Bürgerschaft mitgenommen werden?

(Zuruf des Abg. Alexander Noll (FDP) – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Eine weitere Frage, die Sie auch noch nicht beantwortet haben – eine Nachrückerliste ist von Ihnen explizit nicht ausgeschlossen worden, aber dann bleibt doch die Frage zu beantworten: Welche Kommunen werden in diese Nachrückerliste aufgenommen, und wann erfahren diese Kommunen, dass sie eventuell noch unter den Schutzschirm kommen können?

Sie sehen: Es gibt viele wichtige Fragen, auf die noch Antworten gegeben werden müssen. Deshalb freuen wir uns auf eine interessante, bestimmt manchmal auch harte Debatte im Gesetzgebungsverfahren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn bei allen Auflagen für die Kommunen muss der Schutzschirm die kommunale Selbstverwaltung respektieren. Er ist ein kleiner Schritt, um die Kommunen zu entlasten. Er ändert aber nichts an der chronischen Unterfinanzierung der Kommunen.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Hier muss das Land seiner Verantwortung nachkommen, für alle Kommunen eine auskömmliche Finanzausstattung sicherzustellen.

Das Land darf sich aber nicht auf den Schutzschirm beschränken. Der KFA muss gerechter und aufgabenbezogen die Kommunen finanzieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Frau Kollegin, Sie müssten zum Schluss kommen.

Ellen Enslin:

Ja, ich komme zum Schluss. – Der demografische Wandel und die Sozialstruktur müssen in den Kommunen berücksichtigt werden. Wir brauchen auch endlich eine Verstetigung des Finanzausgleichs zwischen Land und Kommunen, damit eine größere Berechenbarkeit der KFA-Leistungen möglich ist. Die Reform des KFA ist überfällig,

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

ebenso die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu einer kommunalen Wirtschaftssteuer. Der Schutzschirm ist ein Puzzelteil in einem großen Ganzen. Aber er muss die kommunale Selbstverwaltung respektieren, und er darf nicht das letzte Teil bleiben. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Vielen Dank, Frau Kollegin Enslin.