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08.05.2012

Ellen Enslin: Chronische Unterfinanzierung der Kommunen erfordert grundlegende Reform

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Schon im September 2010 verkündete der frisch gebackene Ministerpräsident Volker Bouffier vollmundig, einen Entschuldungsfonds für die Kommunen einzurichten. Im März 2012 wurde der Gesetzentwurf endlich eingebracht. Vorausgegangen waren ausführliche Diskussionen mit den Vertretern der Kommunalen Spitzenverbände. Das Ergebnis waren die Eckpunkte einer gemeinsamen Rahmenvereinbarung zwischen dem Land und den Spitzenverbänden. Diese dienten auch als Grundlage für den Gesetzentwurf.

Damals legte man unter anderem gemeinsam ein Kennzahlenset fest, und daraus wurde eine Liste der Kommunen und Landkreise abgeleitet, die unter diesen Schutzschirm schlupfen könnten. Wir haben schon, als der Gesetzentwurf eingebracht worden ist, klar gesagt, dass er zu spät kommt; denn immerhin müssen die Kommunen noch bis zum Jahr 2013 warten, bis das Gesetz in ihren Haushalten endlich Wirkung zeigt. Trotz unserer grundsätzlichen Kritik an der Politik der Landesregierung bezüglich der Kommunalfinanzen sind wir nicht der Versuchung erlegen, diesen Gesetzentwurf in Bausch und Bogen zu verdammen, sondern wir haben den Beratungsprozess konstruktiv und kritisch begleitet.

Grundsätzlich bleibt festzustellen: Die Entscheidung, am Schutzschirm teilzunehmen, kann nur in der jeweiligen Kommune getroffen werden. Die Verantwortlichen vor Ort kennen die Umstände und die Bedingungen in ihrer Kommune am besten. Nur sie können dies entscheiden, und es ist gut, dass es diesbezüglich keine Zwangsverpflichtung gibt. Das ist in anderen Ländern durchaus der Fall. Deshalb sind wir froh, dass die Kommunen dies selbst entscheiden können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb hatten wir GRÜNE besonders im Fokus, wie das Gesetz gestaltet wird, damit es den Kommunen in ihrer schwierigen Situation hilft, statt sie zusätzlich zu belasten. Für uns stand immer außer Frage, dass durch die damit verbundenen Auflagen für die Kommunen die kommunale Selbstverwaltung nicht gefährdet sein darf und dass auch berücksichtigt werden muss, dass es Kommunen geben wird, die den geforderten Haushaltsausgleich auf absehbare Zeit nicht erreichen können. Wir müssen auch diesen Kommunen die Chance geben, die geforderten Auflagen zu erfüllen.

Die Anhörung hat gezeigt, dass unsere Forderungen berechtigt waren. In den Kommunen herrscht eine große Unsicherheit darüber, wie die Sparmaßnahmen und -auflagen aussehen sollen. Auch z. B. die Unsicherheit darüber, wie die Referenzzinssätze der Wi-Bank aussehen, wenn die Kredite abgelöst werden, und ob das für die Kommunen wirklich ein gutes Geschäft ist, muss berücksichtigt werden. Man darf auch nicht vergessen, dass die positiven Auswirkungen auf den kommunalen Haushalt zu Beginn eher gering sein werden. Auch werden sie in vielen Fällen nichts an der chronischen Unterfinanzierung und an den strukturellen Defiziten in der Kommune ändern.

Aber in der Anhörung wurde auch ganz klar, dass die Kommunen die Möglichkeit brauchen, dass durch individuelle Vereinbarungen auf ihre speziellen Bedingungen eingegangen wird. Deutlich wurde auch, dass die Beschränkung der Kreditablösung auf die Kernhaushalte der Situation etlicher Kommunen und Landkreise nicht gerecht wird. Diese haben nämlich oft originäre Kommunalaufgaben in spezielle Eigenbetriebe ausgelagert, z. B. die Schulbauten. Es wurde unter anderem gesagt, dass, falls der Fonds nicht ausgeschöpft wird, unbedingt die Möglichkeit bestehen sollte, dieses Geld an die Kommunen weiterzugeben.

Wir haben in der Zeitung gelesen, dass es diese Möglichkeit durchaus gibt, sie also keine bloße Theorie ist. Unserer Meinung nach gibt es da mehrere Möglichkeiten: Entweder wird das Geld über eine Nachrückerliste an die Kommunen weitergegeben, oder es gibt eine Laufzeitverkürzung durch eine Tilgungserhöhung seitens des Landes. Es gibt die Möglichkeit der Öffnung, sodass besonders bedürftige Kommunen zusätzliche Kredite ablösen können.

All diese Forderungen haben wir in unseren Änderungsantrag aufgenommen. Damit ist die Forderung verbunden, dass die Kommunalen Spitzenverbände in einem Beirat der Wirtschafts- und Infrastrukturbank vertreten sind, um die Interessen der Kommunen bei der Verwaltung und bei der Refinanzierung der abgelösten Kredite geltend machen zu können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kollegen von CDU und FDP, der Absicht, die Schutzschirmkommunen mit weniger als 50.000 Einwohnern unter die Aufsicht der Regierungspräsidien zu stellen, erteilen wir eine klare Absage. Dies würde nur zu unvertretbaren Doppelstrukturen und natürlich auch zu zusätzlichen Kosten führen. Das geht wirklich nicht. Vielleicht sollten Sie da auf die Vertreter der Kommunalen Spitzenverbände hören.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bedauerlich ist auch, dass es die Regierungsfraktionen abgelehnt haben, dass zu den Änderungsanträgen z. B. noch eine Stellungnahme eingeholt wird. Ich denke, das hätte dem einen oder anderen geholfen.

Insgesamt bleibt festzustellen: Der Entschuldungsfonds ist nur ein ganz kleiner Tippelschritt.

(Zurufe von der CDU)

Ungeachtet dessen bleibt die finanzielle Situation der Kommunen angespannt. In Hessen wird die Kluft zwischen armen und reichen Kommunen größer. Die Tatsache, dass die Kassenkredite auf 5 Milliarden erhöht worden sind – ein extremer Anstieg –, und die laufenden Kredite in Höhe von mehr als 10 Milliarden € für das Jahr 2010 zeigen dies deutlich. Auch mit den erhofften Steuermehreinahmen wird man diese Schulden nicht tilgen können.

Es ist mehr als bedauerlich, dass der Herr Ministerpräsident zu der prekären Situation der Kommunen in seinem aktuellen Interview mit einer großen Tageszeitung kein einziges Wort verloren hat. Stattdessen hat er das Personalkarussell der Landesregierung gerechtfertigt. Ich denke, das wäre es wert gewesen, dass der Herr Ministerpräsident dazu Stellung bezogen hätte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte noch sagen, wie die Regierungskoalition mit diesem Gesetzentwurf für ein Schutzschirmgesetz umgegangen ist. Das Hochjubeln dieses Entschuldungsfonds unter der Verwendung von Superlativen war wirklich alles andere als angebracht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor dem Hintergrund der bisherigen Belastungen für die Kommunen besteht dazu auch überhaupt kein Grund. Ich erinnere nur an die Bundessteuergesetzgebung zulasten der Kommunen oder – Herr Kollege Schmitt hat es schon angesprochen – an den unsystematischen KFA-Entzug von mehr als 344 Millionen Euro jährlich zulasten der Kommunen. Vor diesem Hintergrund relativieren sich auch die Tilgungshilfen von 2,8 Milliarden Euro und die Zinszuschüsse von 400 Millionen Euro, die über 30 Jahre verteilt werden. Auch das ist eine Wahrheit, der man sich stellen muss.

Zum Schluss kann man nur feststellen: Der Schutzschirm ist ein kleiner Schritt, um die Kommunen zu entlasten, aber nicht mehr. Er ändert an der chronischen Unterfinanzierung der Kommunen nichts. Hier muss das Land, natürlich entsprechend seinen Möglichkeiten, endlich seiner Verantwortung nachkommen: Es muss für alle Kommunen eine auskömmliche Finanzausstattung sicherstellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen auch endlich eine Verstetigung des Finanzausgleichs zwischen Land und Kommunen, damit eine größere Berechenbarkeit der KFA-Leistungen möglich ist. Der KFA muss an die veränderten Bedingungen angepasst werden. Er muss den demografischen Wandel und die Sozialstruktur in den Kommunen berücksichtigen. Wir brauchen diese KFA-Reform so schnell wie möglich.

Damit das für die Kommunen ein bisschen besser wird, erwarten wir von Ihnen, dass Sie sich in Berlin dafür einsetzen, dass die Gewerbesteuer endlich zu einer kommunalen Wirtschaftsteuer weiterentwickelt wird. Das würde den Kommunen nämlich weiterhelfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich zu guter Letzt noch ein paar Worte zu den Anträgen der SPD sagen. Ich denke, der eine Antrag hat sich nach dem Schreiben des Finanzministers erledigt. Das Finanzministerium wird diese Liste nicht weiterverfolgen, wie wir lesen konnten. Über die anderen Punkte können wir im Ausschuss weiterdiskutieren.

(Petra Fuhrmann (SPD): Was sollen die Kommunen sonst machen? – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Aber wir werden diesen Gesetzentwurf nicht ablehnen. Aus den vorgenannten Gründen werden wir uns enthalten. Wir hoffen, dass Sie in der Diskussion um die KFA-Reform weiterkommen, damit die Kommunen endlich auch verlässliche Finanzen haben. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)