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17.11.2009

Andreas Jürgens zur Änderung des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Sozialgerichtsgesetz

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Anliegen des Gesetzentwurfs, jede Gebietskörperschaft nur einem Sozialgericht zuzuordnen, wird von meiner Fraktion durchaus geteilt. Das ist sinnvoll. Die derzeitige Aufteilung auf zwei oder drei Sozialgerichtsbezirke ist aus unserer Sicht nicht sinnvoll.

Die Kreise und die kreisfreien Städte sind als Sozialhilfeträger und als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, auch Hartz IV genannt, zu einem großen Prozentsatz an den Verfahren vor den Sozialgerichten beteiligt.

Nehmen wir einmal den Landkreis Hersfeld-Rotenburg. Im Augenblick haben wir dort folgende Situation. Da fährt ein Mitarbeiter von Bad Hersfeld zum Sozialgericht nach Kassel, weil dort ein Rechtsstreit geführt wird. Am gleichen Tag fährt ein anderer Mitarbeiter von Bad Hersfeld nach Fulda, weil dort ein anderer Rechtsstreit geführt wird. Ein Mitarbeiter kann also nicht beide Rechtsstreite an einem Gericht erledigen. Es ist also unserer Ansicht nach durchaus sinnvoll, dass, um bei diesem Beispiel zu bleiben, künftig Fulda einheitlich für diesen Landkreis zuständig sein soll.

Wir sind daher vom Grundsatz her mit diesem Gesetzentwurf durchaus einverstanden. Wir dürfen eines nicht vergessen: Es handelt sich um einen Vorschlag, der von der Sozialgerichtsbarkeit selbst entwickelt wurde, und zwar aus guten Gründen. Aufgrund der Praxiserfahrung wurde gesagt: Es ist sinnvoll, eine Gebietskörperschaft einem Gericht zuzuordnen.

Aber wir müssen natürlich auch sehen: Die Zuordnung muss so erfolgen, dass die Bürgernähe nicht gefährdet ist. Das ist bei den Sozialgerichten schon etwas ganz besonderes. Denn vor den Sozialgerichten werden viele Rechtsstreite von den Klägerinnen und Klägern ohne anwaltliche oder sonstige Vertretung geführt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Herr Klein, sie bekommen Kostenerstattung, wenn das persönliche Erscheinen angeordnet ist. Was ist denn aber, wenn es nicht angeordnet ist? Dann müssen sie gleichwohl erscheinen, um rechtliche Nachteile zu vermeiden und erhalten keine Kostenerstattung.

(Zuruf des Abg. Hugo Klein (Freigericht) (CDU))

Vielmehr müssen sie es auf eigene Kosten finanzieren. Wie gesagt: Rechtliche Nachteile müssen in Kauf genommen werden, wenn man nicht erscheint.

Nun ist es in der Tat bei den meisten Gebietskörperschaften so, dass künftig ein Teil der Leute einen längeren Weg und ein anderer Teil der Leute einen kürzeren Weg haben wird. Aufgrund der Stellungnahmen wissen wir, dass sich das in vielen Fällen ausgleichen wird. Das ist dann halt so, dass sich Licht und Schatten. Vor- und Nachteile irgendwie die Waage halten werden. In den meisten Fällen wird das so sein.

Aber in einem Fall ist es uns in der Tat völlig unverständlich. Da geht es um die Frage, warum Sie einen Zuständigkeitswechsel für die Stadt Offenbach vom Sozialgericht Frankfurt zum Sozialgericht Darmstadt vorsehen.

Überlegen Sie sich das einmal: Wenn man von Offenbach mit dem öffentlichen Personennahverkehr nach Darmstadt will, muss man immer über Frankfurt fahren. Dabei geht es nicht um 3 km Unterschied, also darum, ob man 3 km weiter fahren muss. Vielmehr geht es um 30 km. Es geht nicht um fünf Minuten, sondern es geht um eine halbe Stunde. Es geht darum, ob man unter zumutbaren Bedingungen ein nahegelegenes Sozialgericht oder zu unzumutbaren Bedingungen ein weiter entfernt gelegenes Sozialgericht erreicht. Das ist nun überhaupt nicht sinnvoll.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

In Offenbach gleicht sich auch nichts aus. Da kann man auch nicht sagen: Die eine Hälfte der Betroffenen wird einen kürzeren Weg haben, und für die der anderen Hälfte wird es weiter. Alle werden einen weiteren Weg haben.

Offenbach ist deswegen ganz besonders betroffen, weil der Anteil der Bevölkerung, der in der einen oder anderen Weise mit Arbeitslosengeld II zu tun hat, bei sage und schreibe 19 % liegt. Natürlich führen nicht alle davon Klagen vor dem Sozialgericht. Aber wir wissen, dass der Prozentsatz hoch ist. Gerade die Offenbacher Bevölkerung ist von diesem Problem betroffen.

Es ist auch deshalb nicht sinnvoll, die Verlagerung stattfinden zu lassen, weil sich die meisten Offenbacher entgegen des landläufigen Vorurteils durchaus in Richtung Frankfurt orientieren. Sie gehen dort zum Einkaufen und für kulturelle Aktivitäten hin.

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

– Meine Aussage wird gerade von der Regierungsbank bestätigt. Vielen Dank.

Sogar der Urheber dieses gesamten Vorschlags, der Präsident des Hessischen Landessozialgerichts, Herr Dr. Klein, hat in seiner Stellungnahme geschrieben, dass es durchaus richtig sei, dass eigentlich mehr für die Zuordnung der Stadt Offenbach zu dem Sozialgericht in Frankfurt sprechen würde.

Sie sagen, die Funktionsfähigkeit der Sozialgerichte müsse erhalten bleiben. Diese Frage trifft in diesem Fall überhaupt nicht zu.

Im Augenblick ist es doch so: Frankfurt hat das größte Sozialgericht, Darmstadt das zweitgrößte. Durch Ihre vorgeschlagene Änderung würde das Sozialgericht in Darmstadt das Größte, und das in Frankfurt würde das Zweitgrößte. Wäre unser Änderungsvorschlag angenommen worden, bliebe das Sozialgericht in Frankfurt das größte, in Darmstadt wäre dann das Zweitgrößte.

Alle beiden Sozialgerichte sind funktionsfähig. Alle beide sind groß.

(Beifall des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es handelt sich also nicht um Sozialgerichte mittlerer Größe. Es ist überhaupt nicht sinnvoll, hier eine Änderung vorzunehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Ich stelle fest: Sie haben unserem Vorschlag, die Zuständigkeit für die Stadt Offenbach beim Sozialgericht in Frankfurt zu belassen, nicht zugestimmt, obwohl wir an dem Prinzip, das in Ihrem Gesetzentwurf steht, nichts ändern wollen, obwohl unser Änderungsvorschlag vor Ort in Offenbach befürwortet wird und obwohl er nichts kostet. Es würde nicht einmal zu einem Gesichtsverlust Ihrerseits kommen.

Sie haben keinen einzigen vernünftigen Grund für Ihre Lösung. Gleichwohl haben Sie den Änderungsantrag in der Ausschusssitzung abgelehnt, allein deshalb, weil er von den falschen Antragstellern kam. Das ist doch die reine Wahrheit.

Das ist eine Form von Fundamentalmehrheit, die ich aus meiner Sicht nur ablehnen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sollten sich daran gewöhnen, auch die Opposition hat gelegentlich kluge Ideen.

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Nur die Opposition!)

Wir werden Ihrem Fundamentalismus nicht einfach Fundamentalopposition entgegenstellen. Ich habe es ausgeführt: Der Entwurf hat Licht und Schatten. Deswegen werden wir uns im Ergebnis enthalten. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Herr Dr. Jürgens.