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30.04.2015
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Aktuelle Stunde – Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Hessens Initiative Pro Abschluss – Beschäftigte qualifizieren, Fachkräfte gewinnen, Standort sichern

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Um es sehr deutlich zu sagen: Hessen wird laut „regio pro“ – das ist eine von der Landesregierung geförderte Beschäftigungsprognose – zukünftig nicht genug Fachkräfte haben. Dem hessischen Arbeitsmarkt werden im Jahre 2020 etwa 90.000 Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung fehlen – übrigens doppelt so viele, wie an Akademikern fehlen werden; da geht man von 44.000 fehlenden Fachkräften aus.

Genau da setzen wir an. Die Nachqualifizierung ist ein wichtiger Baustein der Fachkräftesicherung, denn die Menschen, die wir adressieren, sind bereits auf dem Arbeitsmarkt. Sie wissen, was sie leisten können. Auch deren Arbeitgeber wissen, was diese Menschen leisten können. Ich glaube, das ist ein Punkt, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben in Hessen ca. 400.000 Menschen, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben und auch nicht auf dem Weg dorthin sind. Von diesen 400.000 Menschen sind etwa 340.000 erwerbstätig. Ich will das ausdrücklich sagen, weil von der FDP-Fraktion und der Linksfraktion zum Teil behauptet wurde, wir würden uns nicht genug um die kümmern, die arbeitslos sind. Natürlich kümmern wir uns weiterhin um die 60.000 Arbeitslosen. Das tun die Arbeitsagenturen und die Jobcenter. Dafür gibt es die Eingliederungsmittel. Wir diskutieren auf dem Bildungsgipfel auch über die Reform des Übergangssystems. Selbstverständlich kümmern wir uns ganz besonders um diese Personengruppe. Aber, seien Sie ehrlich: Hätte ich von „Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung“ gesprochen, dann hätten Sie vor dieser Debatte wahrscheinlich nicht gewusst, dass 60.000 dieser Menschen arbeitslos sind und 340.000 einen Arbeitsplatz haben.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Deswegen wollen wir den Fokus auf die Nachqualifizierung derer legen, die bereits in einem Job sind. Das heißt nicht, dass wir die anderen vernachlässigen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich wundere mich ein bisschen. Ich weiß ja, dass es Aufgabe der Opposition ist, zu kritisieren. Das habe ich lange getan. Aber an einem bestimmten Punkt auch mal zu sagen, dass etwas vielleicht nicht ganz schlecht ist, macht eine Opposition nicht schwächer, sondern stärker.

(Zuruf der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) und Janine Wissler (DIE LINKE))

Kollege Schäfer-Gümbel, das ist ja richtig, aber man sollte nicht immer das Haar in der Suppe suchen. Hessen ist das erste Bundesland, das ein solches Konzept vorlegt. Das heißt im Umkehrschluss, in 14 anderen Bundesländern, in denen die SPD regiert, gibt es dieses Konzept bisher nicht. Da kann man doch einmal sagen: Das ist nicht so schlecht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) und Janine Wissler (DIE LINKE))

– Ist okay. – Wir haben damit eine Vorreiterfunktion. Das Programm wollen wir zum Erfolg führen. Ich will ausdrücklich sagen: Wir müssen Werbung für dieses Konzept machen, denn die 340.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben nicht jeden Tag Zeit, tagsüber in eine Nachqualifizierung zu gehen. Das heißt, wir müssen mit den Bildungsträgern über die Frage reden, auch abends oder am Wochenende Angebote zu machen. Wir müssen – was das angeht – mit den Arbeitgebern über eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten reden. Wir müssen natürlich auch die Beschäftigten dafür interessieren. Manchmal ist die öffentliche Wahrnehmung eines Themas umgekehrt proportional zu seiner Wichtigkeit. Ich halte das für eines der wichtigsten Themen – sowohl mit Blick auf die soziale Teilhabe als auch zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir werden pro Landkreis und pro kreisfreier Stadt mindestens einen Bildungscoach haben. Frau Gnadl, diese Bildungscoaches sollen auf kleine und mittlere Unternehmen zugehen.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Die Großunternehmen haben zwar einen Anspruch auf einen Qualifizierungscheck, aber sie haben eigene Abteilungen, die sich selbst darum kümmern. Wir wollen die kleinen und mittleren Unternehmen ganz besonders für diesen Bereich sensibilisieren.

Zusätzlich haben wir in Kassel, Gießen und in Frankfurt Stellen der mobilen Nachqualifizierungsberatung. Ich will ausdrücklich sagen: Wir machen das gemeinsam mit der mobilen Anerkennungsberatung. Das heißt, wir werden in Zukunft flächendeckende Angebote haben, was die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse, die Nachqualifizierungen und die Bildungscoaches angeht. Das gibt es so in keinem anderen Bundesland. Ich finde, da kann man einmal sagen, dass das ein guter Tag für das Land ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir bauen hessenweite Strukturen auf. Wir verankern flächendeckende Beratungsangebote. Wir fördern die individuelle Nachqualifizierung. Wir arbeiten mit der Anerkennungsberatung zusammen. Wir setzen das gemeinsam mit den Kammern, mit den Arbeitsagenturen und mit den Bildungsträgern vor Ort um.

Das Ganze wird aber nur funktionieren, wenn es am Ende eine entsprechende öffentliche Wahrnehmung gibt: dass die Beschäftigten wissen, dass sie davon ganz konkret profitieren, denn es sichert sie vor Arbeitslosigkeit und es ermöglicht ihnen Aufstiegschancen, und dass die Unternehmen wissen, dass sie davon profitieren, denn das ist ein Teil ihrer Fachkräftesicherung – ein Teil, Herr Lenders, natürlich nicht alles. Herr Lenders, wo sind Sie denn?

(Zuruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP) – Heiterkeit)

Nachqualifizierungen sind ein wichtiger Baustein der Fachkräftesicherung, weil sie – insgesamt gesehen – einerseits eine soziale Teilhabe und andererseits eine Sicherung des Wirtschaftsstandorts Hessen bedeutet. In diesem Sinne hoffe ich, dass Sie alle mit mir gemeinsam viel Werbung für dieses Programm machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Präsident Norbert Kartmann:

Vielen Dank.

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